Christoph Martin Wieland
Menander und Glycerion
Christoph Martin Wieland

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X.

Menander an Dinias.

Du wunderst dich, Freund Dinias, wie ich es von mir erhalten könne, die schöne Glycera, wenn sie so liebenswürdig sei, als ich sie beschreibe, nicht je eher je lieber zu heirathen. – Zu heirathen, Dinias? Welch ein Wort ist über den Zaun deiner Lippen gesprungen, mein Freund! Ich, der Komödiendichter Menander, des Diopeithes Sohn, ich sollte ein solcher Wagehals sein, mir ein so unauslöschliches Gelächter von allen, die meine Arrephoros,Stobäus hat uns folgende Stelle daraus aufbehalten:

A. Nein, du heirathest nicht, so lange du
Bei Sinnen bleibst. Ich selbst heirathete vordem,
Drum eben rath' ich dir, heirathe nicht!
B. Es ist beschlossen, Freund; die Würfel mögen
Nun fallen, wie sie können!
A. Gut, so bleib' es denn
Dabei und wohl bekomm' es dir! Genug, du wirst
Dich in ein Meer von schlimmen Händeln stürzen; nicht
Ins Lybische, noch ins Ägeermeer,
Noch ins Ägyptische, wo unter dreißig Schiffen
Nicht drei zu Grunde gehen, indeß von denen, die
Sich in den Ehstand stürzen, noch nicht Einer
Mit völlig heiler Haut davon gekommen ist.
meine AngebrannteEmpipramena. Aus diesem Stücke führt Athenäus diese drei hieher gehörige Verse an:
– – Der Henker hohle
Den ersten, der ein Weib nahm, dann den andern,
Hernach den dritten, dann den vierten, dann
Den folgenden –
), mein Halsband, und meinen Weiberfeind gehört oder gelesen haben, zuzuziehen. – Glycera ist in der That ein bezauberndes Mädchen; aber ein bezauberndes Mädchen macht darum noch keine gute Ehfrau. Sie ist kaum siebzehn Jahr alt; wer kann sagen, was sie im dreißigsten sein wird? Itzt ist sie unbefangen, anspruchlos, unverfälscht, und von der Scheitel bis zur Fußsohle lauter Herz. Wird sie, von Sicyon nach Athen, in eine von Üppigkeit und Wohlleben überfließende Stadt versetzt, wo die Unsittlichkeit einen so hohen Grad erreicht hat, daß das Laster höchstens nur so lächerlich ist, als die Tugend, wird sie, von so vielen bösen aber anlockenden Beispielen umgeben, und täglich allen Arten von Nachstellungen ausgesetzt, immer bleiben, was sie itzt ist? Ich will es glauben: aber das Sicherste bleibt doch, sich ans Gegenwärtige zu halten, und aufs ungewisse Künftige so wenig als möglich zu wagen. Wenn ich aber auch über das alles hinausgehen wollte, so stünde mir ein Hinderniß entgegen, dessen du dich schwerlich versehen hättest – Glycerion selbst. Sie, an der alles Natur ist, philosophiert auch von Natur über alles, was ihr wichtig ist, und (dermalen wenigstens) ist ihr nichts wichtiger, als unsre Liebe. Diese, spricht sie, höre auf Liebe zu sein, sobald sie ihrer Freiheit beraubt werde – das Gesetz habe sich nicht in die Angelegenheiten des Herzens zu mischen, und eine bei Strafe gebotene Liebe verdiene diesen Nahmen so wenig, als man den Söldner, der seinen Wurfspieß auf Befehl seines Officiers unter die Feinde schleudert, einen Helden nennen könne. Sie behauptet sogar, die Ehe an sich selbst habe mit der Liebe nichts zu schaffen: sie sei nichts als ein bürgerlicher Vertrag, zu dessen Erfüllung bloße Redlichkeit, ja schon bloße Rücksicht auf die damit verknüpften Vortheile völlig hinreichen und sie will nicht zugeben, daß ein so schönes Bündniß wie unsre Liebe in einen Kontrakt verwandelt werde. – Mich dünkt, meine Natur-Philosophin hat im Grunde Recht. Wenn gleich die Ehe zu Gründung der ersten bürgerlichen Gesellschaften unentbehrlich war, und es für die zahlreichsten Volksklassen, um sie in Zucht und Ordnung zu erhalten, immer bleiben wird: bei edlen und gebildeten Menschen fallen jene Ursachen weg, und diese bedürfen keines solchen Zwangsmittels. Die Verhältnisse, worin ich mit Glycerion stehe, werden so lange dauern, als unsre Liebe, und unsre Liebe so lange, als sie – dauern kann: ob unser ganzes Leben durch, oder nur eine Zeit lang, was kümmert dies den Staat? oder was verschlägt es ihm, ob Liebende durch den Tod, oder ihren freien Willen getrennt werden? Wie dem auch sei, genug, Glycera kann sich mit dem Gedanken nicht vertragen, daß sie irgend einem Sterblichen ein gesetzmäßiges Recht einräumen sollte, wodurch sie sich selbst des schönsten Vorzugs ihres Geschlechts begäbe, und aus einer beglückenden Göttin, die sie dem Geliebten sein könnte, so lange alles, was sie giebt, freiwillig ist, die Sklavin eines ihr, schon allein aus diesem Grunde, mit Recht verhaßten Mannes würde. Ich will keinen Augenblick länger mehr wie alle Andere von dir geliebt sein, sagt sie mir, als so lange ich dir liebenswürdiger scheine, wie alle andere – und nichts ist billiger, antwortete ich ihr, als daß ich dir eben dasselbe Recht zugestehe. Itzt da ich frei bin, sagt sie, fällt mir gar nicht ein, daß ich jemals aufhören könnte, dich eben so innig zu lieben, wie itzt – »und mir eben so wenig, daß etwas liebenswürdigeres für mich sein könnte, als meine Glycerion.« – Aber ich werde nur zu bald aufhören, jung und schön zu sein, sagt sie – »Für mich niemals, so lange die Schönheit deiner Seele und deine Liebe zu mir eben dieselbe bleibt,« antworte ich. – Was ist gegen ein solches durch Freiheit zugleich veredeltes und befestigtes Bündnis einzuwenden? Bedarf es der Fackel des Hymenäus, um die Flamme einer so reinen Liebe zu unterhalten? Sie entbrannte ohne ihn, und wird ohne ihn dauern, so lange sie Nahrung in unserm Herzen findet: Gebricht es an dieser, so könnte Jupiter mit allen seinen Blitzen sie nicht länger brennen machen.


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