Christoph Martin Wieland
Menander und Glycerion
Christoph Martin Wieland

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XV.

Glycera an Menander.

Was ist dir, Menander, daß wir dich schon ganzer drei Wochen nicht gesehen haben? Und wofür alle die Ausreden und Anstrengungen deiner Erfindungskraft, womit du alle drei oder vier Tage dein Außenbleiben entschuldigest? Als ob die wahre Ursache, warum du dich vor uns scheuest, ein Geheimniß sein könnte? Siehst du nun, wie gut ichs mit dir meinte, daß ich, anstatt dich zu einer feierlichen Verbindung zu verführen, dich aus allen Kräften abhielt diese Thorheit zu begehen? Ich nenne es eine Thorheit, nicht als ob ich mir zu viel zu schmeicheln glaubte, wenn ich denke, daß ich im Nothfall eine ganz leidliche, vielleicht sogar eine wohlachtbare Matrone abgegeben hätte: aber aus dir, mein Freund, würde schwerlich jemals ein guter Ehemann werden. Jetzt bist du frei, und ich habe dir bösen Ruf und zu späte Reue dadurch erspart, daß ich ehrlich genug war, keinen der Augenblicke zu mißbrauchen, wo ein Weib alles aus dir machen kann was sie will. Bediene dich also auch deiner Freiheit ungescheut. Du hast Bedürfnisse, die ich nicht habe; es ist ein Mangel, den ich der Natur für eine Gabe anrechne. Meinetwegen brauchst du dir keinen Zwang anzuthun: ich werde nie über etwas anders als dein Herz eifersüchtig sein; und was kümmert sich die schöne Bacchis um dein Herz! Was sie dir ist, kann ich dir niemals sein, wenn ich auch wollte; dafür aber bin ich auch zufrieden, wenn du nur der erste und getreueste meiner Freunde bist – der einzige, sollt' ich sagen; denn, habe ich einen andern Freund als dich? Dir gänzlich vertrauend dacht' ich nie daran, mir einen andern zu machen.

Besorge also nie einen Vorwurf von mir, wenn eine unsrer Schönen, wer sie auch sei, die einzige Stelle, wo du, wie Achilles, verwundbar bist, ausfindig gemacht hat. Nur vor der schönen Bacchis laß dich warnen, guter Menander! Sie ist eine gefährliche Spinne. Ich sehe schon lange, wie sie dich mit Einem Faden nach dem andern umwickelt: unsichtbar, wie die Maschen des Vulkanischen Netzes, sind sie eben nicht: aber du fliegst so lüstern und gierig auf die Lockspeise zu, daß du dich mit offnen Augen fangen lässest.

Das Lustigste indessen, und was du nicht zu sehen scheinst, ist, daß sie ihr Netz zwar für Dich, aber zu Gunsten eines Dritten aufgespannt hat, der dich aus seinem Wege haben wollte. Solltest du denn wirklich nicht wissen, daß, während du, von dem süßen Gift ihrer Augen berauscht, zu ihren Füßen lagst, der edle Xanthippides alles mögliche versuchte, mich zu gewinnen, und, da es ihm bei mir nicht gelang, wenigstens meine Mutter durch die glänzendsten Versprechungen und Aussichten auf seine Seite zu bringen? Oder sollte Bacchis dich schon so sehr bezaubert haben, daß es dir gleichgültig ist, wer sich deiner verlassenen Glycerion bemächtigt? So spricht meine Mutter, so sprechen meine Schwestern; und sind sie zu verdenken? Ich allein sage Nein, halte fest an meiner guten Meinung von dir, und bringe die Nächte damit zu, die Schutzreden zu ersinnen, die ich den ganzen Tag für dich halten muß. Aber Zeit wär' es endlich, daß du mir diese Mühe abnähmest, und deine Rechtfertigung selbst führtest.


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