Christoph Martin Wieland
Menander und Glycerion
Christoph Martin Wieland

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III.

Menander an Dinias.

Freue dich, oder traure über deinen Freund – welches von beiden mögen die Götter wissen! – deine Drohung geht in Erfüllung. Amor und Aphrodite scheinen eine schwere Rache an mir nehmen zu wollen. Ich bin, seit meinem letztern an dich, so unvermuthet – wie ein Knabe am Rand eines Bachs Schmetterlinge haschend ins Wasser herabglitscht – bis an den Hals in Liebe hinein geplumpt – Menander verliebt? rufst du. – Ja, mein Freund, und in ganzem Ernst verliebt. Aber in wen? – Das ist eben das Schlimmste! Nicht in die spröde Königin der Götter, wie Ixion; nicht in ein Marmorbild, wie Pygmalion; nicht in mich selbst, wie Narcissus – Ich bin – um dich nicht länger rathen zu lassen – in eine kleine, von Pausias mit Wachsfarben gemahlte Blumenhändlerin verliebt. Lache nicht, Dinias! die Sache ist ernsthafter, als du dir vorstellst. Höre nur, wie es damit zuging.

Ich habe ein kleines Geschäft mit Xanthippides, dem Sohn des weiland reichen Wechslers Pythokles, abzuthun. Er führt mich in eine mit Gemählden ausgezierte Halle. Ich spreche mit ihm von unsrer Angelegenheit, ohne mich um die Gemählde zu bekümmern, die ich schon mehr als einmal gesehen habe. Aber im Weggehen fällt mein Blick von Ungefähr auf ein drei Palmen hohes Bild, das mir neu ist, und mich schon von fern durch den Glanz und die Harmonie seiner Farben anzieht. Ich nähere mich ihm und betracht' es mit immer steigendem Entzücken. Es ist, sagte Xanthippides, wie du siehst, ein enkaustisches Gemählde von der Hand des berühmten Pausias, das ich vor Kurzem um drei Tausend Drachmen gekauft habe. Man weiß nicht, was das Schönere darin ist, das junge Mädchen, oder der Blumenkranz, den sie in ihrer niedlichen Hand emporhält, um zu dem großen Korb voll ähnlicher Kränze, der neben ihr steht, Käufer einzuladen. Ich gebe alle Blumen in der Welt, und wenn auch keine Wurzelfaser und kein Samenkörnchen von ihnen übrig bleiben sollte, um das Mädchen, rief dein unweiser Freund. Xanthippides lachte, und schien sich nicht wenig darauf einzubilden, der Besitzer eines Stücks zu sein, das einem Schüler des weisen Theophrasts einen solchen Wunsch auspressen konnte. Das Mädchen nennt sich Glycera, fuhr er fort; sie ist eine Sicyonerin, und nährt sich und ihre alte Mutter vom Verkauf der Blumenkränze, die sie mit einer zuvor unbekannten Kunst zusammenzusetzen weiß. Sie ist meine Lehrmeisterin in der Blumen-Mahlerei, sagte mir Pausias, und wirklich scheint es unmöglich, eine größere Mannichfaltigkeit von Blumen mahlerischer zusammen zu ordnen, als du in diesen Kränzen siehest, welche Pausias aufs sorgfältigste von den ihrigen abgebildet hat.

Seit dieser Stunde, mein Dinias, ist es mit deinem Menander nicht wie es sollte. Das verwünschte kleine Blumenmädchen, mit seinem kindischen runden Gesichtchen und mit seinen unschuldigen Schelmenaugen, sitzt mir immer vor der Stirn, folgt mir wohin ich gehe, und mischt sich in alle meine Gedanken; ich kratze, ohne recht zu wissen was ich thue, ihren Nahmen in alle Bäume, und träume alle Nächte von nichts als ihr. Bald seh ich sie als die Göttin der Blumen am Ilyssus wandeln; bei Tausenden entsprossen sie dem Boden unter ihren Blicken, und steigen, sich um ihre schönen Knöchel schmiegend, aus ihrem Fußtritt einpor. Zephyr fliegt mit offnen Armen auf sie zu, sie liebkosen sich, und ich vergehe vor Neid und Mißgunst. Bald sitzt sie, einen Blumenkranz flechtend, mir gegenüber; ich lese ihr eine Scene aus meiner Andria, die an den nächsten Dionysien gegeben werden soll; sie lächelt mir Beifall zu, und bindet mir, mit einem Kuß, der mich zum Jupiter macht, ihren Kranz um die Schläfe. Kurz, ich schäme mich sogar, dir, dem schon so lange alle meine Gedanken offen stehen, zu bekennen, wie verdächtig es in meinem Kopf aussieht. Erinnere mich nicht an die strengen Forderungen, die ich neulich zu den Bedingnissen machte, unter welchen ich mich einer dauerhaften Anhänglichkeit an ein weibliches Wesen fähig halte. Frage mich nicht, woher ich wisse, daß die Blumenhändlerin der Ausbund aller jungfräulichen Tugenden sei, die ich verlangte. Ich sehe Alles, was schön und gut ist, aus ihren Augen, aus jedem Zug ihres lieblichen Gesichts, aus ihrer Miene und Stellung, kurz aus ihrem ganzen Wesen hervorblicken. Der weise Sokrates hat Recht; ein schöner Leib bürgt für eine schöne Seele. Und gesetzt auch, es wäre anders, warum sollte ich meinem Gefühl nicht glauben? Im schlimmsten Falle wage ich wenig oder nichts dabei; ich habe doch eine Zeitlang die süßeste Täuschung als Wahrheit genossen, und bin, wenn mir die Augen endlich aufgehen, um eine Erfahrung reicher, die in der bloßen Erinnrung noch süßen Genuß gewährt.

Das Unglück ist nur, daß ich diese Erfahrung nie machen werde; denn Sie lebt zu Sicyon, und ich bin an Athen gebunden. Wie darf ich hoffen, daß Sie, die von mir nichts weiß, zu mir nach Athen kommen werde, da ich, den ihr bloßes Bild schon bezaubert, nicht zu Ihr kommen kann? Was aus einer so seltsamen Art in die Ferne zu lieben werden soll, mag der delphische Apollo errathen! Oder begreifst du etwas davon, Dinias?


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