Christoph Martin Wieland
Menander und Glycerion
Christoph Martin Wieland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VII.

Glycera an Nannion.

Hüpfe beim Empfang dieses Briefes hoch auf, Nannion, und freue dich über das Glück deiner Freundin! Sie hat Ihn gesehen und gehört, und, was sie nie zu hoffen gewagt hätte, sie sieht ihn beinahe täglich, sie ist – wirst du mirs glauben, Nannion? – sie ist der Liebling seines Herzens. Die kleine Kränzehändlerin aus Sicyon wird von Menander geliebt! von Menander! – O verzeihe mir, gütige Nemesis, wenn ich zu stolz darauf bin, von Menander geliebt zu sein! – Doch nein, liebe Nannion, ich bin nicht stolz, ich bin nur glücklich. Wie viel fehlt, daß ich so liebenswürdig wäre, als ich glücklich bin! – Ich wollte dir erzählen, wie dies alles sich begeben habe; aber ich bin noch nicht ruhig genug, noch zu wenig an mein Glück gewöhnt, als daß ich Ordnung in meine Gedanken bringen könnte. Doch, ich wills versuchen.

An den letzten Dionysien kämpfte Menanders Andria mit Philemons Kaufmann, einer Komödie, worin es viel zu lachen giebt, aber die Fabel so anstößig, und die Ausführung in mehrern Scenen so leichtfertig und unsittlich ist, daß wir ehrlichen Sicyonerinnen nicht begreifen konnten, wie der erste Archon einem solchen Stück die öffentliche Aufführung habe erlauben mögen. Kannst du dir vorstellen, daß die Richter die Unverschämtheit hatten, diesen nehmlichen Kaufmann der Andria des Menander vorzuziehen; die zwar wenig zu lachen giebt, aber von keinem Menschen, dem ein Herz im Busen schlägt, ohne Theilnahme und Rührung angehört werden kann, und an Schönheit und Wahrheit der Karaktere, Urbanität der Sitten, Zierlichkeit der Sprache und Harmonie der Verse ein unübertreffliches Muster ist. – Diese schreiende Ungerechtigkeit gegen meinen Lieblingsdichter brachte mich auf; es war, nach meinem Gefühl, eine unverzeihliche Versündigung an allen Musen und Grazien; ich brach in bittre Klagen über den schlechten Geschmack der Athener aus, kurz, ich vergaß mich so sehr, daß ich, laut genug um von den Umstehenden gehört zu werden, ausrief: wenn gefühllose Richter Menandern den Kranz versagt haben, so soll ihm wenigstens Glycera den schönsten binden, der je aus ihren Händen gekommen ist!

Die meisten, die diese unbedachtsame Rede hörten, lachten über den kindischen Zorn der kleinen Ausländerin: aber einer von Menanders Freunden hinterbrachte ihm auf der Stelle, was ich gesagt hatte, und der Dichter kam noch denselben Abend, mir zu danken, daß ich ihn (wie er sich ausdrückte) so überschwänglich für den verlornen Epheukranz entschädigt hätte. Sein Anblick setzte mich in die angenehmste Überraschung: denn mich däuchte, gerade so müsse Menander aussehen. Noch warm von dem Vergnügen, das mir sein Mädchen von Andros gemacht hatte, und von dem Eifer, worein ich über die Richter gerathen war, dacht' ich nicht daran, mich zurückzuhalten; was ohnehin, wie du weißt, meine Sache nie gewesen ist. Ich sagte ihm vielleicht mehr, als ein sittsames Mädchen einem Manne, der ihr nicht gleichgültig ist, bei der ersten Unterredung sagen soll – wenigstens meinte dies meine Mutter – und er entdeckte mir dagegen, daß er zufälliger Weise schon vor einigen Monaten die Kränzehändlerin des Pausias (wozu ich, wie du weißt, dem Mahler als Modell gesessen) zu Gesicht bekommen, und auf der Stelle eine so heftige Zuneigung zu ihr gefaßt habe, daß er bei Tage nichts anders gedacht, und bei Nacht nichts anders geträumt habe, als das Original dieses Bildes. Ich mußte mir alle mögliche Gewalt anthun, nicht vor Freude über dieses Geständniß wie eine Bacchantin im Saal herumzutanzen. Ich erröthete, glaube ich, bis an die Fingerspitzen, und weinte und lächelte zugleich, wie Homers Andromacha; aber was ich ihm sagte, davon weiß ich kein Wort. Genug, unsre Seelen waren nun einverstanden, und schwuren einander, mehr durch unmittelbare Mittheilung als durch Worte, ewige Liebe.

Meine Mutter war ganz und gar nicht mit meinem Benehmen zufrieden: ich wäre ein rasches, unbesonnenes Ding, sagte sie, ich hätte mich weggeworfen, und vielleicht ein großes Glück verscherzt, das mir noch bevorgestanden wäre, und was dergleichen mehr war. Giebt es ein größeres Glück, versetzte ich, als von Menandern geliebt zu sein? Für mich gewiß nicht! Er hat indessen bald das rechte Mittel gefunden, sie mit meiner Liebe zu ihm zu versöhnen. Er hat sie und meine Schwestern mit Geschenken überhäuft; und sagt ihr bei jeder Gelegenheit etwas schmeichelndes über ihre Schönheit, die in der That vor zwanzig bis dreißig Jahren nicht gemein gewesen sein mag.

Er ist nun gleichsam ein Mitglied unsrer kleinen Familie. Meine Schwestern sind ihm alle gewogen; ohne mich, wegen des Vorzugs, den er mir giebt, zu beneiden; und weil Myrto sich gar zu gern geputzt sieht, bringt er ihr immer bald dies, bald jenes, womit das gute Mädchen der Natur zu Hülfe zu kommen sucht. Ich bekomme immer am wenigsten; denn er behauptet, ich gewinne dabei, je weniger ich entlehntes und fremdartiges an mir trage. Das Kostüm der Grazien – der Sokratischen allenfalls, – sagt der leichtfertige Mann, stehe mir am besten. Mit einem Wort, Nannion, wir sind hier sehr glücklich, und mir fehlt nichts, als daß Du nicht auch bei uns bist, um deinen Theil an meiner Glückseligkeit zu nehmen, welche weder schimmernd noch rauschend, aber eben darum meiner Sinnesart so angemessen ist, daß ich, dünkt mich, mein Loos mit keiner Königin vertauschen möchte.


 << zurück weiter >>