Christoph Martin Wieland
Menander und Glycerion
Christoph Martin Wieland

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XXX.

Glycera an ebendieselbe.

Bald kann ich nicht mehr zweifeln, liebe Leontium, daß du Ursache hattest, mich auf eine neue Untreue des brennbarsten und flatterhaftesten aller Liebhaber vorzubereiten. Der arme Menander! er scheint wirklich von einem der feurigsten Pfeile, welche Nannion zu ganzen Büscheln aus ihren großen Augen wirft, mitten durch die Leber geschossen zu sein. Gestern erschien er ganz unerwartet, aber vermutlich von seinem Genius – Dromion, einem äußerst behenden und luchsaugigen Burschen benachrichtiget, daß Nannion allein bei mir sei. Das unverwandt auf sie geheftete, oder vielmehr ihren nie stillstehenden Augen immer folgende Späherauge des Menschen hättest du sehen sollen! Er sprach wenig; aber daß es in seinem Innern desto unruhiger zuging, war deutlich in seinem Gesichte zu lesen. Das wilde Mädchen, das vermuthlich nicht einmal bemerkt hatte, wie sehr sie seine Aufmerksamkeit beschäftigte, glaubte ihm einen Dienst zu erweisen, wenn sie ihren Besuch abkürzte. Aber das hatte sie nicht gut gemacht; er wurde tiefsinnig und einsilbig, sobald sie das Zimmer verlassen hatte. Ich mußte sehen, wie ich es anfing, um den langweiligen Menschen zu unterhalten. Du scheinst mir meine Nannion sehr aufmerksam betrachtet zu haben, sagte ich in einem muntern Ton. – Wie man eine Seltenheit zu betrachten pflegt, erwiederte er, indem er eine hastige Bewegung machte, um mir die Röthe zu verbergen, die sein Gesicht überzog. – Und wenn auch ein junger Mann, fuhr ich mit holdem Lächeln fort, zumal einer aus dem Gefolge des Bacchus und der Musen, ein Mädchen, wie Nannion, mit etwas mehr als bloßer Neugier betrachtete, wer könnt' es ihm übel nehmen? – Dies mehr, sagte er mit einem kleinen Nasenrümpfen, würde nicht sehr schmeichelhaft für sie sein, wenn er aus meinen Augen sähe. – »Die Liebe spielt zuweilen Versteckens mit uns, lieber Menander; du wärst nicht der erste, der sich in ein Mädchen verliebt hätte, das er anfangs häßlich fand. Ein häßliches Mädchen kann sehr liebenswürdig sein, zumal, wenn sie so prächtige Augen hat, wie Nannion« – Und eine so – Sokratische Nase, fiel er mit erzwungnem Spötteln ein – »Und einen so zierlichen Fuß« – Und so strotzende Lippen – »die, wenn sie sich öffnen, einem eine Doppelreihe kleiner Perlengleicher Zähne weisen; und wie viel Schönes hätte ich noch an ihr zu rühmen, wenn ich nicht voraussetzen könnte, daß einem so scharfen Beobachter, wie du, an einem so arglosen Mädchen schwerlich etwas davon entgangen ist!« Du willst, wie ich sehe, mit aller Gewalt, daß ich mich in deine Nannion verlieben soll, sagte er lautlachend – »Das eben nicht, versetzte ich; aber was schon geschehen ist, muß ich mir ja wohl gefallen lassen, oder desto schlimmer für mich!«

Du siehst, liebe Leontion, daß ich ihm, durch die scherzhafte Wendung, die ich der Sache gab, Luft machen wollte, um sich wieder in Fassung zu setzen. Auch ermangelte er nicht, sich meine Gefälligkeit zu Nutz zu machen. Laß uns, sagte er, endlich aufhören, auf dieser schnurrenden Saite herumzuklimpern, Glycerion! Wer das Glück hat, von dir geliebt zu sein, bedarf keines MolyEin aus der Odyssee bekanntes Zauberkraut, welches Ulysses zu Entkräftung der Zauberkräfte der Circe von Hermes empfing. gegen eine Circe, wie Nannion. – »Trotze nicht zu sehr, Menander! Du hast sie noch nicht tanzen sehen.« – Ich will sie gar nicht mehr sehen, wenn es zu deiner Beruhigung nöthig ist, sagte er ziemlich hastig. – Gestehe, Leontion, dies war zu arg. Meine Galle regte sich. »Bin ich etwa unruhig? sagte ich, mit dem Lächeln der Verachtung; und ist es schon so weit mit dir gekommen, Menander, daß du nicht merkst, wie unartig das ist, was du mir da sagtest? Welch einen Blick lässest du mich in dein Inneres thun! Wer so viel zu verbergen hat, sollte nicht noch ein Fenster vor sein Herz machen.« – Er wurde verlegen und bitter, und mußte sich die größte Gewalt anthun, nicht auszubrechen. Ich fühlte, daß ich zu weit gegangen war, und ich suchte ihn mit aller Geduld, deren ich fähig bin, wieder zu besänftigen. Zum Glück kamen mir meine Mutter und meine Schwestern zu Hülfe. Seine Stirn klärte sich allmählich wieder auf. Er recitierte uns einige Scenen aus einer noch unvollendeten Komödie, und bei Tische, wo er (auf einen Wink, den ich Myrto gegeben hatte) sein Leibgerichte, und eine Flasche guten Thasier fand, wurde er sogar munter. Die Meinigen sind noch so voll von Nannion, daß wir von nichts als von ihr reden konnten. Menander selbst mußte endlich in ihr Lob einstimmen, und nach dem dritten Becher gestand er sogar im Vertrauen, daß ihre kleine Sokratische Faunennase für ihn gerade das Gefährlichste an ihr sei. – Wenn du erst ihren Busen gesehen hättest, fuhr die kleine Melitta heraus. – Und wie bist du dazu gekommen, so viel zu wissen? sagte die Mutter – Hab ich nicht mit ihr gebadet? rief das Mädchen mit einem kindisch-schlauen Blick; o! wenn ich reden wollte – Still, kleine Schwätzerin! fiel ihr die Mutter in's Wort. Aber die Einbildungskraft unsers von Amor und Bacchus zugleich bestürmten Dichters war bereits im Feuer. Ich habe, sagte er, von den Gesichten, deren sich Melitta rühmt, nur sehr wenig gesehen, aber doch genug, um den Schwan der Leda zu einer neuen Verwandlung zu zwingen.

Mein Ungetreuer ist, wie du siehst, auf gutem Wege, deine Weissagung wahr zu machen. Sollt' ich mich darüber grämen? Ich gestehe dir vielmehr, ich freue mich, daß er mir einen so guten Vorwand giebt, der Komödie, die wir seit einiger Zeit spielen, ein Ende zu machen. Denn ich kenne nichts mühseligeres, als aus Schonung gegen den Andern Liebe heucheln zu müssen, wenn die Trunkenheit bei dem einen, und die Täuschung bei dem andern Theile schon lange aufgehört hat.


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