Christoph Martin Wieland
Menander und Glycerion
Christoph Martin Wieland

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XXI.

Glycera an Menander.

Höre mich jetzt, Menander, und nimm wohl zu Herzen, was ich dir zu sagen habe: denn gestern warst du nicht in der Fassung auf die Stimme der Vernunft zu achten, und – ich schwieg.

Es sind nun bald sechs Jahre verflossen, seit dem wir uns zum ersten Male sahen. Meine Seele flog dir entgegen; und wie hättest du mich nicht wieder lieben sollen, da du dich (wie du sagtest) bereits in mein Bildniß verliebt hattest?

Seit dieser Zeit hab' ich, weder aus Noth noch aus Pflicht, sondern aus freier Zuneigung, bloß für dich gelebt, und meine angelegenste Sorge war, dich so glücklich zu machen, als in meinem Vermögen steht. Alle meine Gedanken lagen immer offen vor dir; wen solltest du kennen, wenn du mich nicht kennst? – Und dennoch bist du fähig, mich mit einer Art von Weibern zu vermengen, mit der ich nichts gemein habe, als das Unglück, auch ein Weib zu sein. Oder woher sonst diese Eifersucht, mit deren rasenden Ausbrüchen du gestern unser kleines Haus erschüttert, und sogar die Nachbarn in Unruhe und Schrecken gesetzt hast? – Du brichst mit Gewalt in meine Kammer ein, wirfst alles darin übereinander, durchsuchst alle Winkel des Hauses, zerbrichst in deiner Wuth alles, was dir vor die Hände kommt, überschüttest mich und die meinigen mit den schmählichsten Vorwürfen, und stürmst endlich unter den wildesten Drohungen und Verschwörungen wieder zum Haus hinaus – und warum alles das? – Weil ich dem Philemon in deiner Abwesenheit den Zutritt bei mir gestattete; weil er als ein Freund vom Hause angesehen wird, weil er – in fünf Monaten ein einziges Mal – bei uns zu Nacht gegessen hat. Welche Ursachen! Wenn es nur nicht Philemon wäre, sagst du; jeder Andre aus Athen, aus Griechenland, aus der weiten Welt, nur nicht Philemon! Und warum das? – Aus einer Ursache, die du zu gestehen erröthen müßtest – weil er auch Komödien schreibt, wie du, (wiewohl kein Mensch von gesundem Kopf sie den deinigen an die Seite stellt) und weil ihm (nicht dir, sondern euern Richtern zur Schande) schon öfters der Sieg zuerkainnt wurde. – Wie klein! wie deiner unwürdig! Doch, es ist nicht meine Absicht, dich durch Vorwürfe, wie verdient sie auch sein möchten, noch mehr zu erbittern: aber die Wahrheit mußt du von mir anhören, und dann – soll es von dir abhangen, ob wir uns gestern zum letzten Mal gesehen haben oder nicht.

Höre also vor allen Dingen, wie ich zur Bekanntschaft mit Philemon gekommen bin. Sie schreibt sich von einem sehr wesentlichen Dienst her, den er uns gegen einen Sykophanten leistete, von welchem wir angeklagt wurden, daß wir unverzollte Waaren heimlich von Sicyon nach Athen gebracht hätten. Dies trug sich wenige Tage nach deiner Abreise zu. Wärest du zugegen gewesen, so hätten wir ohne Zweifel der guten Dienste Philemons nicht bedurft. Genug, er leistete sie uns, und meine Mutter fand sich ihm zu sehr verpflichtet, um seine Besuche, da er sie auch nach Endigung unsers Prozesses fortsetzte, verbitten zu können. Daß er sich in eine ihrer Töchter vergaffte, war desto schlimmer für ihn: denn das solltest du dir doch wohl vorstellen können, daß Glycera sich weder in sein häßliches Angesicht, noch in seine funfzig Jahre, noch in seinen stadtkundigen Geitz wieder verliebt haben werde. Sich über seine Bethörung lustig zu machen, war natürlicher Weise alles, wozu ein solcher Liebhaber gut sein kann. Übrigens mußt du so gut als wir wissen, daß er einer der witzigsten Köpfe in Athen ist, und daß ein ihm eigenes mimisches Talent, alles, was er spricht, und selbst die Personen, von denen er spricht, durch seine Geberden, und den Ton seiner Stimme darzustellen, ihn zu einem überall beliebten Gesellschafter macht: und so konnt' ich es doch wohl geschehen lassen, daß ihm meine Mutter gut begegnete, wenn mir auch seine Liebe, wegen deren er öfters über sich selbst spottete, mehr lange Weile als Spaß gemacht hätte. Dies, Freund Menander, ist das ganze Verhältniß, worin Philemon mit uns steht. Ich sehe nichts darin, was deine Eifersucht, geschweige einen so wüthenden Ausbruch dieser häßlichen Leidenschaft, entschuldigen könnte. Oder solltest du mir etwa daraus ein Verbrechen machen, daß ich in deiner Abwesenheit mich ganz leidlich zu behelfen, und mir, auch ohne dich, manche fröhliche Stunde zu verschaffen gewußt habe? Wahrlich, Menander, wenn du dir eingebildet hast, daß ich, während du am Hofe zu Alexandrien in Saus und Braus lebtest, diese ganze Zeit über, in Trauerkleider gehüllt, am Gestade des Piräus umherschleichen, und den ganzen Tag nichts thun werde, als deinen Nahmen in den Sand schreiben oder in die Felsen kratzen, und die See von meinen Thränen schwellen machen, so hast du dich sehr an mir betrogen!

Bei so bewandten Umständen erwarte also keine Nachgiebigkeit, die mich zu deiner Sklavin erniedrigen würde. Die Liebe giebt dir kein Recht, deine Launen und Grillen zu Gesetzen für mich zu machen; du hast kein Recht, den ergrimmten Herren in meiner Wohnung zu spielen; kein Recht, von meiner Mutter zu verlangen, daß sie dir einen Freund, der Verdienste um sie hat, aufopfern, oder von mir, daß ich diesem Mann aus dem Wege gehen soll, weil er mich liebt. Ich habe über mich selbst zu gebieten, und weiß am besten, was mir zu thun oder zu lassen geziemt. Kurz, Menander, wenn du dein gestriges Betragen Liebe nennst, so sage ich dir, daß ich nicht auf diesen Fuß geliebt sein will. Du selbst hättest mich an eine zärtere Behandlung gewöhnt, wofern ich jemals eine andere gekannt hätte. Der Menander, den ich liebte, war ein ganz andrer Mann als der gestrige; jener kann gewiß sein, immer eine Freundin in mir zu finden: diesem – ich schwör' es bei meiner Urania und ihren Grazien! – wird sich meine Thür nie wieder öffnen.


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