Christoph Martin Wieland
Menander und Glycerion
Christoph Martin Wieland

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I.

Menander an Dinias.

Du beschuldigest mich der Unempfindlichkeit gegen die Reitze des Geschlechts, dem Götter und Menschen huldigen; ich sei ein wahrer Weiberfeind, sagst du, ein Verwegner, der Amorn und seiner Mutter Trotz biete, mit Einem Wort, ein zweiter Hippolytus; und du zitterst in meinem Nahmen vor der Gefahr, die dein leichtsinniger Freund wenig zu achten scheint, wie jener Sohn der Amazone, ein klägliches Opfer der Rache dieser so leicht zürnenden Götter zu werden. Du thust mir großes Unrecht, lieber Dinias, und zitterst ohne Noth für mich; denn wie sehr auch der Schein gegen mich zeugen mag, ich bin eher alles andere als gefühllos gegen die Reitze unsrer Schönen. Seit meinem vierzehnten oder funfzehnten Jahre sah ich keine Panathenäen noch Eleusinien, wo ich mich nicht entweder in goldgelbes oder rabenschwarzes Haar, in einen milchweissen Nacken, oder in die runden Lilienarme und zierlichen Knöchel dieser oder jener jungen Korbträgerin verliebt hätte. Daß solche Liebesflämmchen eben so schnell wieder verwackelten, als sie sich entzündet hatten, versteht sich. Aber ist es meine Schuld, wenn unter allen Töchtern Athens noch keine meine Phantasie zu fesseln und mir eine dauernde Zuneigung einzuflößen vermocht hat? Wenn ich noch keine gesehen habe, die zur Liebe, in der edelsten Bedeutung des Worts, liebenswürdig genug war, ist es meine Schuld? Daß ich der Art von Liebe, die vom ersten Anblick zu einer unbändigen Leidenschaft aufbrennt, einem Menschen alle Gewalt über sich selbst raubt, und das Glück oder Unglück seines ganzen Lebens unwiederruflich entscheidet, daß ich dieser tragischen Art zu lieben unfähig bin, habe ich glücklicher Weise der Natur zu danken. Aber zeige mir ein Mädchen, aus deren Augen – blau oder schwarz, gleich viel! – eine kunstlose, offene, im Bewußtsein ihrer Unschuld freie und fröhliche Seele und ein reiner, zarter, angeborner Sinn für alles Schöne hervorblickt; zeige mir eine, deren Blicke weder frech umher schießen und die Männer zum Kampf herausfordern, noch, hinterlistig unter langen Augenwimpern emporschielend, zu verrathen wünschen, was sie zu verbergen gelehrt worden sind: zeige mir ein Mädchen, die, mit einer Rose im Haar und einem einfachen leichten Kettchen um den Hals, den prächtigsten Schmuck einer reichern Gespielin ohne Mißgunst ansieht: kurz, zeige mir ein Mädchen, wie ich zu Athen keines zu finden hoffen darf, unverfälscht an Seel und Leib, ohne Ansprüche, ohne Herrschsucht, ohne Lüsternheit, eine ächte Tochter der Natur, von den Grazien gepflegt, von den Musen erzogen, würdig geliebt zu werden und fähig wieder zu lieben, – und ich schwöre meine Freiheit auf immer in ihren Armen ab! Wahr ists, wir haben keine Gelegenheit, unsre Jungfrauen anders als an öffentlichen Festtagen zu sehen, wo sie im höchsten Staat, mit züchtig gesenkten Blicken und mädchenhaftem Stolz, wie ein Zug Schwäne, bei uns vorüber ziehen; es ist unmöglich sie eher kennen zu lernen, bis es uns zu nichts mehr helfen kann. Aber ich denke mich nicht zu irren, wenn ich von den Müttern auf die Töchter schließe; und daß unsre Frauen, im Durchschnitt genommen, viel besser geworden sein sollten, als Aristophanes und die andern Dichter der alten Komödie vor hundert Jahren ihre Ältermütter schilderten, scheint mir, nach allem was ich sehe und höre, nicht sehr wahrscheinlich. Gönne mir also, Freund Dinias, bis mir etwa durch mein gutes Glück ein so seltner Vogel in den Busen fliegt, meine gewohnte Art, keine zu lieben, weil ich in alle verliebt bin, oder (wenn du lieber willst) laß mir meine Freiheit und Gleichgültigkeit; und mögest du dagegen täglich neue Ursache finden, die Stunde zu segnen, da Amor und Hymenäus, in seltner Eintracht, dir mit den hochzeitlichen Fackeln ins Brautgemach leuchteten!

Ich vernehme ungern, daß die Besitznahme der Güter, die dir dein alter Oheim verlassen hat, dich länger in Euböa aufhalten werde als du gedachtest und ich hoffte. Eine so lange Trennung zu versüßen, sehe ich kein Mittel, als uns recht oft zu schreiben, und bis zum Wiedersehen einander alles durch Briefe mitzutheilen, was der Freund dem Busen des Freundes zu vertrauen wünschen mag.


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