Christoph Martin Wieland
Menander und Glycerion
Christoph Martin Wieland

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XXXIV.

Glycera an Leontion.

Du bist viel zu scharfsichtig, liebste Leontion, um nicht zu merken, daß ihr beide, du und Metrodor, mit aller euerer Feinheit, die Schlinge, worin ihr mich zu fangen hofftet, nicht so unsichtbar weben konntet, daß ich nichts davon gewahr worden wäre. Ist Hermotimus, wie ich kaum zweifle, der dritte in euerem Komplott, so muß ich gestehen, daß er wenigstens eine sehr unschuldige Miene dazu macht, und die Rolle eines Liebhabers, von dem nichts zu besorgen ist, so gut zu spielen weiß, daß es ihm vielleicht durch diesen Kunstgriff hätte glücken können, deine Glycerion zu fangen, wenn sie nicht, durch die Erfahrung sowohl, als durch die erotische Philosophie ihrer Freundin Leontion selbst klüger geworden wäre, als sie war, da sie sich, noch halb ein Kind, in ihren eignen Blumengewinden verwickelte. So leicht als Menandern – das schwör' ich dir beim Genius des Weisen, in dessen Zaubergärten du mich eingeführt hast! – so leicht soll es euerm Freunde nicht werden! Mit hellen, offnen, unverblendeten Augen ist, denke ich, noch niemand in Liebe gefallen. Übrigens merke ich wohl, worauf euer Freund, der das Ansehen eines so ruhigen Zuschauers seiner eigenen Getriebe hat, sich zu verlassen scheint. Er glaubt mich errathen zu haben. Wenn er mich nur so sicher machen könne, denkt er, daß ich gegen seine Liebenswürdigkeit nicht auf meiner Huth sei, so werde sie schon von selbst wirken. Weißt du auch, Leontion, daß der Mann nicht so unrecht hat? Wenn es ihm auf irgend einem Wege gelingen könnte, so müßt' es auf diesem sein.

Ich hoffe dich diesen Abend bei mir zu sehen, wo nicht, so siehest du mich morgen, sobald die Sonne den Thau aufgeleckt hat, in deinem Garten. Denn ich kann es kaum erwarten, bis ich dir die schönen Absagebriefe vorgelesen habe, welche Menander und Glycera, – zwei durch ihre zärtliche Anhänglichkeit an einander einst in ganz Athen so berühmte Personen – auf eine vermuthlich ganz neue aber wirklich sympathetische Art – gegen einander ausgewechselt haben. Sie werden, wenn sie sich in den Archiven des Liebesgottes erhalten sollten, als ein redender Beweis, wie viel man sich auf die Unsterblichkeit der Liebe, die sich nicht vom bloßen Anschauen nährt, zu verlassen habe, der späten Nachwelt noch von einigem Nutzen sein können. Menander hat sich mit seiner gewohnten – wie soll ichs nennen? Arglosigkeit oder edeln Unverschämtheit – aus der Sache gezogen. Du wirst es lustig finden, daß er so ehrlich gewesen ist, zu gestehen: »er habe erwartet, ich werde ihm seine Seitensprünge immer zu gut halten, und, während er jeder Versuchung unterliegt, ihm mit der zahmsten und gefälligsten Anhänglichkeit ewig zugethan bleiben: aber statt dessen habe er, zu seinem großen Erstaunen, die Entdeckung machen müssen, daß ich am Ende doch nur – ein Weib sei.« Wie? glaubt der närrische Mensch etwa, ich würde die vielen Beweise, daß er selbst nur ein Mann, wie alle andern, ist, geduldiger ertragen haben, wenn ich eine Göttin gewesen wäre? – Scherze immerhin über diese Nachwehen einer noch nicht völlig ausgeheilten Wunde, liebe Leontion! Menander hat Recht; ich bin doch nur ein Weib. Wie könnt' ich sonst empfindlich darüber sein, daß der Mann, von welchem ich geliebt zu sein wähnte, nicht Stärke genug hatte, gegen die Reitzungen einer Bacchis, einer Nannion, auszuhalten?


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