Christoph Martin Wieland
Menander und Glycerion
Christoph Martin Wieland

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XXIX.

Glycera an Leontion.

Ich danke dir, meine eben so weise als schöne Freundin, für die Winke, die du mir giebst, und trage kein Bedenken, dir mein Inneres aufzuschließen. Es ist nicht seit gestern, daß die süße Täuschung der ersten Liebe, wie eine schöne Seifenblase, vor meinen Augen zerplatzte. Die Bezauberung, worin ich befangen war, ist ein sehr angenehmer Zustand; er überträfe sogar die Wonne der Götter deines Freundes Epikur, wenn er ewig dauern könnte. Es wäre der Traum Endymions. Aber es ist, dünkt mich, in der Ordnung der Natur, daß er die Jahre unsrer ersten Blüthe nicht überlebe. Mich wenigstens konnte Amor nur in seiner Kindesgestalt verführen. Als Jüngling mag er den meisten unsers Geschlechts am gefährlichsten sein; aber dann zerstört sein Feuer, sein Muthwille und seine Unbeständigkeit den Zauberring der Täuschung, und das, was übrig bleibt, hat wenig Werth in meinen Augen. Immerhin mag sich also Menander, dessen schwache Seite ich nur zu gut kenne, in den Reitzen der holden Nannion verfangen; ich werde dazu lächeln: aber schmerzlich würde ichs empfinden, wenn er aufhörte, der erste meiner Freunde zu sein. Denn das schönste aller Gefühle ist, für mich wenigstens, ächte Freundschaft zu einer Person, die uns einst mit dem Enthusiasmus der Liebe beseligte. Von Menandern bin ich gewiß, daß er mein Freund bleiben wird; aber daß er auch immerfort mit der Sorge für mich und meine ganze Sippschaft beladen bleibe, ist weder billig, noch seinen Umständen angemessen. Ich habe bereits, weniger aus Rücksicht auf Menandern, als aus einem Selbstgefühl, welches zu ersticken ich nicht vermögend bin, ansehnliche Anträge abgewiesen. Ich kann, wenn die eiserne Noth es gebietet, mich viel leichter auf die Bedürfnisse eines Diogenes einschränken, als mich zu Aufopferungen verstehen, die mir die Achtung gegen mich selber rauben würden. Aber meine Mutter? meine Schwestern? – Und wenn die Letztern auch für sich selbst sorgen können, wer sorgt für das Alter der Erstern, die, seitdem wir uns zu Athen aufhalten, wieder an alle Bequemlichkeiten des Lebens gewöhnt worden ist? – Doch diese Sorgen dräuen noch von fern, und sollen uns den Genuß des gegenwärtigen Guten und den angenehmen Abend, den du mir in deiner und Epikurs Gesellschaft versprichst, nicht verkümmern.


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