Christoph Martin Wieland
Der neue Amadis
Christoph Martin Wieland

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Achtzehnter Gesang.

So wahr es ist, daß Tugend, Verstand und andre Gaben
Des Geistes und Herzens, in einer schönen Gestalt
Mehr Grazie, mehr Gewalt auf unsre Herzen haben,
Als ohne äußern Schmuck durch ihren innern Gehalt:
So können wir doch getrost uns auf die Erfahrung beziehen,
Daß, wenn ein häßliches Mädchen es einst so weit gebracht,
Und sich durch geistige Schönheit, geheime Sympathien,
Durch Witz und reizenden Umgang und unverwandtes Bemühen,
Gefällig zu seyn, zur Dame von einem Herzen gemacht;
Daß dann die Leidenschaft, worinn wir für sie glühen,
Das Stärkste ist, was man sich denken kann.
In diesem Falle befand sich der ehrliche Mann,
Prinz Amadis. Er fühlte für Olinden,
Was Seine Hoheit noch nie für keine Dame gefühlt,
Was schöne Seelen nur für schöne Seelen empfinden,
Und was sie um so viel eher für wahre Liebe hielt,
Da sie zu fromm, und vielleicht aus ihr bekannten Gründen
Zu klug war, die niedrige Kunst, Begierden zu entzünden,
Zu Hülfe zu rufen, die Naso den häßlichen Damen empfiehlt;
Die kleinen unmerklichen Griffe, wobey die schlaue Cokette
Nichts wagt, und insgeheim mit großem Vortheil spielt.
Das kleinste Uebersehn in ihrem Anzug hätte
Bey Einem, der so gern nach jeder Blöße schielt,
Die man ihm giebt, unendlich viel verändert.
Doch, so behutsam sie sich umwickelt und bebändert,
So sehr sie sich hütet, damit in keiner Stellung nie
Dem immer laurenden Ritter ein Ungefehr entdeckte,
Daß man sich wenigstens nicht aus Furcht vor ihm versteckte,
Mit einem Worte, so viele Müh
Das gute Mädchen nimmt, um seiner Phantasie
Die Flügel zu stutzen, – dieß alles kann nicht hindern,
Daß alle die Fehler, die anfangs in ihrem plumpen Gesicht
So widrig ihm schienen, sich stündlich in seinen Augen vermindern.
Sie däucht am sechsten Tag ihn lange so häßlich nicht,
Am siebenten öffnet sich ihm der Himmel in ihren Blicken;
Am achten entdeckt er Adel, und stille Majestät
Auf ihrer Stirne, am neunten Charitinnen
Um ihren Mund, und bemerkt, daß eine der häßlichsten Finnen
Die je gewesen ihr gar zu niedlich steht.
Kurz, wie sie von Tag zu Tage sich seiner Seele bemeistert,
So nimmt die Bezauberung zu, die seine Augen bindt;
Bis endlich, von inniger Lieb' und heißer Sehnsucht begeistert,
Er gar sein Ideal in ihren Zügen findt.
Unmöglich kann sie itzt länger die Wahrheit seiner Triebe
Nach allen Proben, worauf sie ihn gesetzt,
In Zweifel ziehn; Sie selbst ermüdet zuletzt,
Ihm länger zu bergen, wie hoch ihr zärtlich Herz ihn schätzt.
Wie könnte sie seinem Flehn, o! wie den Thränen der Liebe,
Die von den Wangen ihm rollen, noch länger widerstehn?
Wo durfte sie jemals hoffen, sich so geliebt zu sehn?
Ein schöner Abend war's; sie hatten keine Zeugen
Als Liebesgötter, versteckt in Myrtenzweigen;
Da schwuren sie sich, entzückt, doch unschuldsvoll,
Im Antlitz des keuschen Monds, was – niemand schwören soll,
Sich ewig zu lieben wie itzt; und morgen beym Erwachen
Des Tages, morgen soll sie Hymen glücklich machen!

Indessen gieng es dort im Lager des Agramant,
Wo, gegen einander in rasender Zwietracht entbrannt,
Die Helden und Heldinnen sich wie lose Jungen balgten,S. den 27sten Gesang des Orlando Furioso
Ja in dem bezauberten Schlosse, gewöhnlich Wirthshaus genannt,
Wo Prinzen und Eseltreiber um Mambrins Helm sich walkten,Don Quixotte Part. IV. chap. 41.
Nicht ärger zu, als in dem goldnen Schloß,
Wo Oberon (so hieß der Neger, von dem wir so vieles
Bereits gehört) die Ehre genoß,
Fünf Töchter Bambo's mit ihrem ganzen Troß
Am Halse zu haben. Er war des albern Spieles
Ganz überdrüßig. Der Spaß war in der That nicht groß.
Fünf Damen, und, ihn mit eingeschlossen,
Fünf Gecken, alle zugleich von Amorn angeschossen,
Und unter den fünfen kein einziges Paar,
Das mit sich selbst in Einverständniß war!
»Hans liebet Mieken (so lautete in einer alten Ballade)
Allein sein Unstern will, daß Mieke Heinzen liebt;
Die arme Mieke liebt den sprödesten Knaben; nur Schade
Um alle die zärtlichen Blicke, die sie vergebens ihm giebt!
Vor Heinzens Augen findt die schöne Bella nur Gnade,
Die schöne Bella, die, weil sie Tomsen liebt,
Für Hansen und Mieke an Heinzen Rache übt.«
So gieng's in Oberons Burg, und unter den übrigen allen
Ihm selbst am schlimmsten; denn er, dem jede gefiel,
Er hatte das Unglück allein, nicht Einer zu gefallen.
Kurz, AsmodeusNach Herrn Le Sage ist der Amor der Poeten und der hinkende Teufel, Asmodeus, oder Asmodi, eine und eben dieselbe Person. Le diable boiteux. Tom. I. chap. 1. trieb in diesem Schlosse sein Spiel.
Wahr ists, Don Bleumourant und seine Dindonette
Betrugen am ersten Tage sich wie zwo Tauben, gespannt
An Cypriens Wagen; allein kaum war die Sache bekannt,
So eiferten schon die Schwestern in die Wette,
Ihr gutes Vernehmen zu stören. Die schlaue Colifischette,
Die Blonde der Blonden, ja Leoparde sogar,
Die wenige Tage zuvor so unerbittlich war,
Bestürmten sein Herz von allen Seiten so heftig,
Daß Dindonette für ihn besorgt zu seyn
Nur allzuviel Ursach hatte. Zu seiner größesten Pein,
Fiel ihrer Indolenz ein solcher Gedanke nicht ein.
Das schlimmste dabey war noch: (denn Unglück kömmt selten allein)
Daß Ritter Caramell sich itzt mehr als jemals geschäftig,
Ihr aufzuwarten, bewies; wiewohl Miß Colifischon
Und Schatulliöse schier sich bey den Haaren kriegen,
Sein Herz (wovon der Preis seitdem die letzte davon
Den ganzen Werth erfuhr, um Cent per Cent gestiegen)
Der andern wegzufischen. Allein Don Caramell that
Als säh' und hört' er nichts, und hatte der schönen Runden
So zärtliche Dinge zu sagen, daß zu gewissen Stunden
Das arme Kind sich würklich keinen Rath
Zu schaffen wußte. Sie war mit Bleumouranten gebunden,
Und doch auch Jenem gut. Der Prinz von Trapezunt
Glaubt, Spuren von wankender Treu in ihren Augen gefunden
Zu haben, und quält sie so sehr, daß ihr, wie glatt und rund
Auch ihre Seele war, die Geduld entgehen mußte.
Sie rächte sich davor, indem sie diesem bald,
Bald jenem gefällig sich wieß, so gut sie konnt' und wußte.
Dieß alles machte die Burg zu einem Aufenthalt,
Aus welchem Jedermann wünscht je bälder je lieber zu scheiden.
Der Neger selbst, des Spaßes, den er sich,
Mit Bambo's Töchtern gemacht, so satt als – Ihr und ich,
Entschließt sich, den Knoten der Farce auf einmal durchzuschneiden.

Wir gehn hier, spricht er zu ihnen, vor langer Weile zu Grund;
Es ist die höchste Zeit, uns eine Verändrung zu machen.
In diesem Augenblick thut ein junger Sylphe mir kund,
Es gebe nicht weit von hier auf Morgen was zu lachen;
Ein Paar, desgleichen man nie gesehen, beschwöre den Bund
Der ewigen Treu in Hymens kleinem Tempel,
Ein Paar, recht auserwählt, ein furchtbares Warnungs-Exempel
Von Amors Macht zu seyn. Der Bräutigam, sagt man, sey
Schön wie ein Sommertag, die Braut die häßlichste Kröte,
Die je auf Leder getreten, und doch der Schwärmerey
Nichts ähnlich, womit der Mensch für sie behaftet sey.
Gut, spricht Leoparde verächtlich (wiewohl die plötzliche Röthe,
Die ihr Gesicht umzog, dem Antiseladon
Nicht unbemerkt blieb) wir kennen den Helden des Stückes;
Er nennt sich Amadis. Wie? riefen aus Einem Ton
Die Schwestern, Amadis! – So ist die Reise schon
Beschlossen! Wir gehen alle, um Zeugen seines Glückes,
Und seiner Narrheit zu seyn. Ha! (wiederhohlten sie oft)
Der Mann ist Amadis! Wer hätte dieß gehofft!
»Und ist sie so schön, die Dame, die ihm die Freyheit raubet?«
Fragt Schatulliöse; – So, so; erwiedert der Neger; ihr Geist
Soll sehr bezaubernd seyn; man weiß schon, was dieß heißt;
Doch, wenn nur Amadis sie eine Venus glaubet!
Der arme Amadis! er sollte bey allem dem
Mich dauern, spricht Dindonette, wofern ich ihn mißvergnügt wüßte!
»Du kennst ihn also?« – Ich dächte ja wohl, ich müßte
Ihn kennen! Sagt' er mir nicht die schönsten Sachen? küßte
Mir tausendmal die Hand, und lag so angenehm
Auf seinem Sopha, da ich sein Küssen zu rechte zu machen
Beschäfftiget war? – Die seltne Naivetät
Der guten Princessin erregt ein allgemeines Lachen;
Sie selbst lacht mit, daß ihr der Athem entgeht.
Allmählich bekennen die Schwestern einander, was sie wissen,
Und thun es lachend, um nicht vor Unmuth weinen zu müssen.
Das muß ich gestehen, es ist doch Schade, daß solch ein Herz
Nicht länger roulieren soll, spricht Schwester Colifischette;
Es ist ein wahrer Verlust, wenn solch ein Gut dem Commerz
Entzogen wird! – So gieng es in die Wette
Den ganzen Tag. Dieß, sagten sie, freue sie nur,
Daß Amadis ihrer Gunst sich wenig zu rühmen hätte.
Auch war es Verzweiflung, gewiß, was dieser Creatur
Ihn in die Arme getrieben. Indessen vergaßen die Damen
Nichts, was erfoderlich war, um ihm und seiner Braut
Aufs prächtigste Galla zu machen, die Schönheit ihrer Haut
Und ihrer Busen, und kurz, womit sich jede getraut
Den Ungetreuen zu quälen, mit Vortheil auszukramen.
Sie hofften auf einen Triumph, auch wurde die ganze Nacht,
Vor ungeduld'ger Erwartung kein Auge zugemacht.


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