Christoph Martin Wieland
Der neue Amadis
Christoph Martin Wieland

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Eilfter Gesang.

Nichts ist uns mehr verhaßt, als einen Poeten zu sehen,
Der seine Allgewalt zur Grausamkeit mißbraucht.
Er nenne sich immerhin den Schöpfer seiner Ideen,
Und fodre die Rechte, die wir dem Titan zugestehen,Dem Prometheus.
Der Menschen von seiner façon aus feuchtem Leimen zu drehen
Den Einfall gehabt, und ihnen, gerade soviel man braucht,
Um glücklich zu seyn, von Seele eingehaucht;
Man sag', es stund' ihm frey, sie wie er wollte zu schaffen,
Zu Helden oder Thersiten, zu Weisen oder Laffen;
Sehr wohl! Allein, wer alles, was er kann,
Erlaubt sich hält, und, auch wenn kein Gesetz ihn bindet,
Der Güte großes Gesetz in seinem Herzen nicht findet,
Und wär' er Herr der Welt, mir ist er ein Tyrann!
Ich hasse den Dichter (er würde auf einem Throne
Ein Nero seyn!) den unser Leiden ergötzt,
Der, bloß damit er sich als Meister vom tragischen Tone
Uns zeige, seine Geschöpfe aus Jammer in Jammer versetzt,
Und, daß wir, sie leiden zu sehn, uns desto empfindlicher grämen,
Sich tausend Mühe giebt, uns für sie einzunehmen;
Sein schwarzes Gehirn erschöpft, um sie durch eine Reyh
Von unerhörten Fährlichkeiten
Zu Wasser und Land in ihr Verderben zu leiten,
Durch Räuber in wüsten Schlössern, Algierische Sclaverey,
Pest, Hungersnoth, Gefahr von wilden Leuten
Gegessen, oder von Heyden mit vielen Feyrlichkeiten
Dem Drachen geopfert zu werden; hernach in der Barbarey
Aus einem Fenster (zu dem der Held auf seidenen Stricken
Emporgestiegen, um Amors süße Frucht
Auf einer circassischen Dame verliebten Lippen zu pflücken)
Durch einen gewagten Sprung die Flucht
Ins Meer zu nehmen, wo ihn die Wellen unsanft wiegen,
Bis, da er nicht mehr kann, und just
Sein Requiem spricht, ein Boot zu Hülf ihm flieget.
Nun hoffen wir endlich mit ihm, sein Unstern sey besieget;
Er findet unverhofft sich an der schönen Brust,
Für die er alles dieß seit langen sieben Jahren
Erlitten, um derentwillen er Länder und Meere durchfahren.
Denn kurz, der Capitain, ein rosenwangichter Held,
Ist – seine Princessin selbst, die seit der letzten Scheidung
Durch tausend Gefahren, worinn sie die halbe Welt
Zu sehn bekam, in dieser Verkleidung
Das Glück gehabt, der Favorit-Sultane
Des Kaysers zu Fez zu gefallen, von der sie (da zuletzt
Ich weiß nicht welche Entwicklung die Sachen ins Klare gesetzt)
Sehr zärtlich behandelt worden, viel Gold und eine Tartane
Um heimlich zu fliehen empfangen, und so fort. –
Nun glaubt ihr die Prüfungs-Jahre der armen verliebten Seelen
Vorüber, da günstige Winde sie dem erwünschten Port
So nahe gebracht, daß wenig Meilen fehlen.
Nichts minder! Ein neuer Sturm, dergleichen seit die Welt
In Angeln geht, noch nie erwandert worden,
Zersplittert ihr Schiff, und treibt Ihn durch den Belt
Nach Neu-Guinea, Sie von Congo zu den Horden
Am gelben Fluß. So irren sie hin und her,
Bis, da sie alles erlitten was möglich war, und mehr,
Und hundertmal gestäupt, vergiftet, erstochen, ins Meer
Geworfen, verbrannt, gehängt, ja gar beschnitten worden,
Nach sieben entsetzlichen Jahren der ausgemergelte Held,
Zu dessen Verfolgung sich Himmel und Erde verbindet,
Am Orontario sein Liebstes in der Welt,
Sein andres Ich – gebraten wiederfindet;
Nur halbgebraten zwar, damit der arme Mann
Von ihr, und sie von ihm, noch Abschied nehmen kann.
Nun sag' ich förmlich und erkläre,
Wenn ich Miramolin der drey Arabien wäre,Miramolin ist der gemeinschaftliche Nahme, den eine Folge von Maroccanischen Königen, von dem Geschlechte der Almoraviden, bey den Europäischen Scribenten führen, und welcher aus der Verstümmelung des arabischen Titels Emir-el-Mumenin, Beherrscher der Rechtgläubigen, den sie nach dem Beyspiele der Arabischen Caliphen annahmen, entstanden seyn soll.
Und ein romantischer Busiris dieser ArtDie Griechen erzählen viel schreckliches von der Grausamkeit eines Egyptischen Königs, welcher Busiris geheißen, und, um eine neunjährige Dürre von Egypten abzuwenden, alle Fremden, die sein Gebiet betraten, dem Jupiter aufgeopfert habe, bis endlich Herkules, da er gleiches Schicksal hätte haben sollen, den Tyrannen getödtet und diesen Menschenopfern ein Ende gemacht habe. Der Nahme Busiris ist dadurch in einen so bösen Ruf gekommen, daß er sprüchwortsweise, eben so wie Phalaris, für einen jeden Unmenschen gebraucht wird. Und in diesem Sinne hat ihn der Dichter hier gebraucht, ohne sich darum zu bekümmern, daß, nach dem Strabo, nie kein Egyptischer König Busiris geheissen, oder woher diese Fabel entstanden, und wieviel darinn wahr oder nicht wahr sey.
Beträte mein Gebiet – bey des Propheten Bart!
Er sollte mir für alles dies bezahlen!

Doch wir besinnen uns, daß unsre Absicht war,
Anstatt zur Unzeit hier mit unserm Herzen zu prahlen,
Zu eilen, und einem unschuldigen Paar
Aus einer Noth zu helfen, in welcher wir fürwahr,
Und wenn wir das Land Dorado dadurch gewinnen sollten,Eldorado, oder Nuevo Dorado, das Land, wo Gold und Silber, was bey uns Zinn und Kupfer ist, und die Kinder auf der Straße mit Edelsteinen, wie bey uns mit Kieseln spielen, ist den meisten unsrer Leser aus dem Candide bekannt. Unbekannter ist vielleicht manchen, daß eine Zeit war, wo dieses Land und dessen vermeyntliche Hauptstadt Manoa, in dem Innern von Guyana, für würklich gehalten, und mit einer Begierde, die den eingebildeten Schätzen desselben gleich war, durch tausend Gefahren und Abentheuer gesucht wurde. Der berühmte Seefahrer Sir Walter Raleigh war einer von den letztern, aber unglücklich genug, die Gebürge von Gold, Diamanten und Edelsteinen, die er sich von Betrügern in den Kopf setzen ließ, immer nur von Ferne zu sehen, ohne sie jemals erreichen zu können.
Sie länger nicht verlassen wollten.
Denn in dem zehnten Theil von einem Pulsschlag raubt
Don Boreas, der Gift und Flammen schnaubt,
Mit seinem breiten krummen Säbel
Den Schönen einen Verehrer, der wie ein Aetna brennt,
Und macht unglücklicher Weise den Amadis zum Fragment.
In solchen Fällen pflegt Homer durch einen Nebel
Zu helfen, der zwischen den Helden und seinen Feind sich stellt;
Allein bey einem Helden, der just zu Boden fällt,
Scheint dieses Mittel, wozu er unentbehrlich
Die Füße braucht, ein wenig zu gefährlich;
Auch stellen wir nicht gern Maschinen an,
Wo Zufall oder Witz den Knoten lösen kann.

Um also je bälder je lieber aus diesem Handel zu kommen,
So wisset: Es hatte der Neger, der hier als Herr befahl,
Mit seiner Gesellschaft aus einem Gartensaal
Nach aufgehobener Tafel den Weg hieher genommen.
Kaum trat er in den grünen Gang,
Der an die Terrasse führte, wo Amadis kürzlich gestanden,
So sah er die fremde Dame, und unsern Helden, so lang
Sie waren, ihn auf die Nase, Sie rückwärts nieder sinken,
Und einen Augenblick drauf Don Boreassens Stahl
Mit Wuth gezückt auf sie herunter blinken.
Der Neger war ein Zauberer aus der Zahl
Der Jovialischen Leute, die gern zum Spaß euch necken,
Doch selten Böses thun. Er trieb ein wenig sein Spiel
Mit unsern Rittern und Damen (mit ausgemachten Gecken
Und Närrinnen, wie er sagte, dergleichen man selten soviel
Beysammen findet). Allein von Boreassen
Vor seinen Augen im Ernst Tragödie spielen zu lassen,
Das fand er nicht für gut. Er streckte seinen Stab,
Und plötzlich glitscht an unserm liegenden Ritter
Der Streich, den Boreas führt, unschädlich zur Erden herab,
Und seine Klinge zerstiebt in tausend Splitter.
Don Boreas steht betäubt, er sieht sich um, erblickt
Den Neger und eine Dame im Amazonenkleide
Mit schnellen Schritten sich nähern, erschrickt
Zum erstenmal (was weder Türk noch Heide
Auf ihn vermochte, seitdem er Athem zieht)
Schießt einen grimmigen Blick auf Amadisen, und flieht
Tief ins Gebüsche, sein edles Pferd zu suchen,
Schwingt sich hinauf, und trabt mit vielem Fluchen
Und Dräun davon, der süssen Hoffnung voll,
Daß unser Ritter ihm noch den Streich bezahlen soll.

Dies alles, zu rechnen vom Fall der keuschen Schatulliöse,
(Der unsers Helden Fall, nicht ohne mancherley böse
Vermuthungen, nach sich zog) begab aufs längste sich
In zwanzig Secunden. Und Amadisen zum Ruhme
Bemerkt die Geschichte, er habe so züchtiglich
Als eine Vestalin, die ihre jungfräuliche Blume
Wie ihre Augen bewahrt, vom Busen der schönen Madam,
Auf den im Fallen sein Mund zu liegen kam,
Sich abgewandt. Doch, plötzlich aufzustehen,
Ließ, nach der Sachen Gestalt, der Wohlstand nicht geschehen;
Und, unter uns, es war nicht falsche Schaam.
Er hatte von zwanzig Secunden zum mindsten Sechzehn vonnöthen,
Dem kleinen Zufall, worinn der Neger ihn neulich betreten,
Abhelfliche Maaß zu geben. Solch eine Gegenwart
Des Geistes, in einem Umstand der delicatesten Art,
Beweist, nach unsrer demüthigen Meynung,
Für unsers Helden Vernunft und Tugend mächtig viel.
Doch für den Neger, der schlechthin nach der Erscheinung
Urtheilte, bewies sein Zaudern gerade das Widerspiel.
So geht's! Man schiebt unendlich schnelle,
Oft ohne es selbst zu merken, sich an des andern Stelle;
Und unsre eigne Tugend ist
Gemeiniglich das Maaß, womit man fremde mißt.


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