Christoph Martin Wieland
Der neue Amadis
Christoph Martin Wieland

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Und drauf erhob sich zwischen ihnen
Ein sonderbares Gespräch, womit wir dem Leser zu dienen
Geneigt sind, wenn wir vorher die Musen, nach Gebühr,
Zu Hülfe gerufen haben werden.
Ihr Musen also (vorausgesetzt, daß ihr
Just Langeweile habt) Ihr, denen im Himmel, auf Erden
Und in der fabelhaften Nacht
Der Schatten nichts unbekannt ist; die ihr, was am Scamander
Von Göttern, und Menschenkindern gethan, gesprochen, gedacht,
Ja gar geträumt ward, dem guten alten Sänger,
Der arm und blind sich sang, und Popen reich gemacht,Bekannter maßen erwarb sich Pope durch seine Uebersetzung Homers Vermögen genug, um, wie Horaz, in Muße und in einer edeln Unabhänglichkeit zu leben. Vom Homer selbst hingegen versichert die einhellige Tradition des Althertums, daß er arm und blind gewesen, und seinen Unterhalt mit Absingung seiner Verse bey den Tafeln der Reichen habe verdienen müssen.
Zu offenbaren gewürdigt; – denn wäret Ihr nicht gewesen,
Wo würden wir sonst die schönen Gespräche lesen,
Die Ritter Achill mit seinen Pferden hielt,Zu Ende des 19ten Buchs der Ilias. Madame Dacier findet den Homer auch in dieser Erdichtung bewundernswürdig; die Weisheit ist ungemein, sagt sie, mit der er dieses Wunder vorbereitet und behandelt hat. Denn 1) sind diese Pferde von unsterblicher Abkunft, und haben 2) den Tod des Patroklus beweint, mithin bereits Proben ihres Verstandes abgelegt; 3) thut ihnen die Göttin Juno den Mund auf; 4) hatte der Widder des Phryxus, einer alten Sage zufolge, auch gesprochen; 5) konnte Homer gar wohl von dem Wunder der Eselin Balaams, welche redet, gehört haben; 6) konnte sich Homer mit der Autorität des Livius schützen, welcher (freilich etliche Jahrhunderte später) erzählt, daß vor der Schlacht bei Cannä ein Ochs ausgerufen: Roma cave! Und der 7te Grund (welchen die gelehrte Frau in petto behält) ist, weil alles, was Homer sagt und thut, in ihren Augen wohl gesagt, und wohl gethan ist. Pope, der seinen Homer nicht leicht in der Noth verläßt, bekennt bey dieser Stelle, daß es sehr ungereimt sey, etwas ungereimtes mit Vernunftsgründen rechtfertigen zu wollen. »Die Zeiten, auf welche man sich deßhalben beruft, (sagt er) waren Wundervolle Zeiten; das Volck hatte einen allgemeinen Geschmack an Wundern und Zeichen; Wie konnt' es anders seyn? Poeten und Priester unterhielten diesen Geschmack.« Das sey alles, meynt er, was man von der Sache sagen könne.
Und alle die feinen Dinge, womit der Wolkentreiber,
Erhitzt vom Gezänke der himmlischen Weiber,
Die göttliche Galle zuweilen sich kühlt?Iliad. I. und XV.
Sagt an, ihr Musen, was sprach die Tochter Bambo's, die Runde,
Und welche Antwort gab der Philosoph darauf!

»Sie schöpfen Luft, mein Herr, in dieser Morgenstunde?«
Und Sie, Madam, stehn mit Auroren auf?
An einer Dame ist dieß was seltnes. – »Morgenstunde,
Ich hört es oft, mein Herr, hat Gold im Munde;
Wiewohl, die Wahrheit zu gestehn,
Nie meine Sache war, sehr zeitig aufzustehn.«
Uns Andre, Madam, die nach den Sternen sehn,
Heißt sonst gewöhnlich auch der Tag zu Bette gehn.
»Sie sehen also nach den Sternen?
Und, wenn man fragen darf, was sehen sie denn da?«
Sehr viel, Madam, sehr viel ist da zu lernen;
Wir sehn dort alles was ist, und alles was geschah,
Und was geschehen wird. Durch ihre Influenzen
Erstreckt sich die Gewalt der Weisen über die Grenzen
Von beyden Welten;Nehmlich, der Körper- und Geisterwelt. Geister sind
Uns unterthan, und alle Elemente
Gehorchen unserm Wink. Gedankenflügel sind
Nicht so geschwind, als ich, mein schönes Kind,
Dieß alles was Sie sehn in Gold verwandeln könnte.
Ein Diamantner Palast, mit Marmor incrustiert,So will Sultan Schah Baham den Palast haben, worinn der König Straus den König von Tinzulk bewirthet. Outre qu'il sera admirable de beauté, sagt er, c'est qu'il aura encore l'avantage de ne ressembler à aucun de ceux qu'on nous a donnés jusqu' ici, & que Votre Conte en sera mille fois plus interessant. Oh! pour les Palais, je puis dire, sans me vanter, que j'ai un gout unique. AH QUEL CONTE! L. III. p. 53.
Erhübe sich aus diesem öden Sande.
Und ringsum sollten, geziert
Mit Flora's reichstem Gewande,
Der Hesperiden Gärten blühn.
Der Weise, dem die Natur zu ihrem Magazin
Den Schlüssel gab, thut dieß und größre Sachen
In einem Augenblick. – »Das wär' erstaunlich,« spricht
Das Fräulein, und sieht dem Manne, der solche Dinge verspricht,
Halb zweifelhaft, halb gläubig ins Gesicht.
»Und dürft' ich sie bitten, die Probe zu machen?«
Madame, versetzt der neue Trismegist,
Wiewohl es Kleinigkeit für meinesgleichen ist,
So muß ich dennoch itzt um etwas Aufschub bitten.
Zwar nähert sich bereits mit starken Schritten
Das große Werk dem Punkt der Zeitigung,
Das Werk, woran ich zwanzig Jahre wache.
Schon röthet sich der grüne Cadmeische Drache,
Nachdem es ihn zahm zu machen Dianens Tauben gelung.

In wenig Tagen, vielleicht in wenig Stunden,
Wird ihres astralischen Sohns das mystische Weib entbunden,
Und dann, Madam, ist unser die Welt!
»So machen Sie, mein Herr, daß alles je bälder je lieber
Zu Stande kömmt; ich brenne vor Ungeduld!«
Madam, es wäre längst vorüber,
Der Aufschub ist nicht meine Schuld.
Ein Umstand hält mich auf, ein Umstand, den ich immer
Umsonst gesucht; allein, vielleicht hat diese Nacht
Mich einem Wunsche, den ich schon aufgab, nahe gebracht.
Mir glänzt, mein schönes Kind, in ihren Augen ein Schimmer
Von Hoffnung! Hören Sie an! – Wie Hermes sagt, so kann
Das große Werk allein durch einen reinen Mann,
Der nie von Amors Fackel brannte,
Und eine Jungfrau, die noch kein Mann erkannte,
Zu Stande kommen. Sie sehn die Schwierigkeit,
Ein solches Paar zu finden; Doch, fänd' es sich, so müssen
Sie beyde bey mitternächtlicher Zeit
In eine Grotte sich verschliessen,
Und, während daß zu ihren Füssen
Der Phönix der Natur in Sonnenflammen reift,
Sich ansehn, stumm, und kalt, und ohne sinnliche Regung,
Wie Geister, welche bereits den Körper abgestreift.
Denn, merken Sie dieß! die allerkleinste Bewegung,
Der kleinste Versuch, den Raum, der sie drey Schritte weit
Entfernt, zu verkürzen, ja nur die kleinste Lüsternheit,
Wär's auch nur mit den Fingerspitzen,
Sich anzurühren, erschreckt, verjagt, zerstreut
Die reinen solarischen Geister, die um die Tigel sitzen,
Und ihre Hermetische Glut mit feurigen Flügeln erhitzen.
Entwischte Ihnen oder mir,
So lang wir im Kreise stehen, und unverwandt einander
Betrachten, nur ein Schatten von Begier,
Wodurch die Delicatesse des feinsten Salamander
Beleidiget werden könnte; so ist mein Elixier,
Ja, selbst die Hoffnung hin, den Fehler gut zu machen.
»Sie sagen mir, mein Herr, sehr wunderbare Sachen,
(Versetzt das schöne Kind) allein, wofern Sie dazu
Nur einer Jungfer bedürfen, die ohne böse Lüste
Zehn Jahre, wofern Sie wollen, so kalt wie eine Büste,
Sie anzuschaun sich getraut, – so leben sie immer in Ruh!
Die Jungfer, mein Herr, bin ich!« – So bin ich glücklich, erwiedert
Der weise Mann; und morgen sollen Sie
Die Würkung sehn. Denn ich, der so viel Müh
Sich gab, den Theil, der mich den Thieren des Feldes verbrüdert,
In meine Gewalt zu bekommen, und seit dem zwanzigsten Jahr
Viel minder diesseits des Monds als über den Sternen lebe,
Ich bin wohl nicht zu stolz, wenn ich für das mich gebe,
Was einst, in grösserer Gefahr,
Xenokrates an Phrynens Seite war.Die Wette, welche diese berühmte Griechische Schönheit mit einigen Freunden angestellt, die seltsamen Proben, worauf, dieser Wette zu Folge, der alte Platonische Philosoph Xenokrates die Gefälligkeit gehabt, sich stellen zu lassen, und der Sieg, den seine Weisheit über sie davongetragen, ist ein ziemlich bekanntes Geschichtchen des Diogenes Laertius, welches, wie viele andere von ihm, der Philosophie eine sehr mittelmäßige Ehre macht.
Auf diese Nacht demnach! – Ich wollte, rief Dindonette,
»Die Sonne gienge gleich in dieser Minute zu Bette!«

Inzwischen that der Mann sein Bestes, bis dahin
Die Dame zu unterhalten, und baute die herrlichsten Schlösser
Mit Hülfe des Steins, wovon er in seinem Sinn
Schon Meister war. Doch seine Schülerin
Bedurfte soliderer Speise, und ob ihr desto besser
Die Datteln und Haselnüsse geschmeckt,
Womit er ihr die Mittagstafel gedeckt,
Ist zweifelhaft: wiewohl er, nachzubessern,
In seinen dereinst zu erbauenden Schlössern
Ein wahres Göttermahl ihr gab,
Aus Bechern von Diamant mit Weinen sie berauschte,
Wogegen Vater Zevs gern seinen Nektar tauschte,
Und kurz, so herrlich sie bediente, daß Dame Mab,
Die sonst in Träumen gern die Sachen übertreibet,
Weit hinter ihm zurücke bleibet.
Er setzte vieles hinzu, ihr die Theosophie
Der edlen Hermetischen Zunft zu empfehlen.
Es war dem Fräulein, sie höre den blauen Bart erzählen;
Auch schlief sie endlich so sanft, als da die Amme sie
Noch wiegte, darüber ein. Durch dieses Mittel verstrichen
Ihr oft zween Drittel vom Tag sie wußte selbst nicht, wie.
Und endlich kömmt die Nacht herangeschlichen,
Worinn das große Werk vollendet werden soll.
Schon steht, mit fliegendem Haar um ihren weissen Nacken,
Die Tochter Bambo's, hoffnungsvoll,
Im magischen Kreise; schon blasen aus vollen Backen
Die Sonnengeister in die Glut.Ohne uns in eine, für die Profanen allezeit unzulängliche, Erklärung der in diesem Gesange vorkommenden Dunkelheiten und geheimnißvollen Redensarten einzulassen, begnügen wir uns, den Liebhabern der Hermetischen Philosophie ins Ohr zu sagen, daß für denjenigen, der Augen zu sehen hat, der kürzeste und richtigste Weg, das große Werk der Weisen (welches der göttliche Hermes Trismegistus in seiner Smaragdenen Tafel in mehr als Egyptische Finsterniß eingehüllt zu haben scheint) zu Stande zu bringen, in diesem Gesange so deutlich vorgezeichnet zu finden sey, daß die besagten Liebhaber, von dem Augenblick an, da sie in den wahren geheimen Sinn dieses Gesanges eingedrungen seyn werden, alle die verworrenen und, wie die leidige Erfahrung lehrt, gemeiniglich nur in verderbliche Irrgänge verleitenden Vorschriften des Königs Geber, des Raymundus Lullus, des Aureolus Theophrastus Bombastus Paracelsus, und einer Menge andrer angeblicher Adepten, vollkommen entbehren und gleichwohl versichert seyn können, daß sie von diesem großem Geheimnisse eben so viel wissen, als der besagte König Geber, und der dreymal gebenedeyte Hermes, ja der König Salomon selbst; wiewohl wir gestehen müssen, daß derjenige, der den berühmten Siegelring des Letztern in seine Gewalt bekommen könnte, auch ohne den Stein der Weisen, oder die Solarische Quintessenz, sehr wohl zu rechte kommen würde, da der bloße Besitz dieses Sigills eine unumschränkte Gewalt aber alle Elemente und Geister giebt, wie niemandem unbekannt seyn kann, der die Arabischen und Persischen Mährchen mit gehörigem Bedacht gelesen hat.
Allein weil unsern Helden, und seine Dame der Wuth
Des wilden Boreas noch überlassen zu sehen,
Uns Unruh macht, so mag das Fräulein, wohlgemuth,
Im Schutz der Solarischen Geister, und ihrer Unschuld stehen;
Wir werden, zu rechter Zeit, schon wieder nach ihr sehen.
Itzt eilen wir, Schatulliösen und unsern Paladin
Aus einem der kitzlichsten Händel, wo möglich, herauszuziehn.


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