Christoph Martin Wieland
Der neue Amadis
Christoph Martin Wieland

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Nenn' uns, Thalia, die Damen! – Vor allen, als Aelteste, hebt
Sich Leoparde heraus, die unerbittlichste Spröde,
Mit großen Junonischen Augen; für die, gleich zärtlich und blöde,
Ihr Ritter, Trebisond, nur an einem Faden noch lebt.
Zur Rechten pranget an ihr Princessin Dindonette,
Sie, und ihr Eichhorn, und Puck, ihr kleiner türkischer Hund.
Ein gutes Mädchen, zu Tisch und zu Bette,
Fromm, wie ein Lamm, an Leib und Seele rund,
Nur (flüstert der Neid, nicht ohne scheinbaren Grund)
Ein wenig zu dumm, und ein wenig zu fette.
Zur Linken spitzt mit gezierter Anmuth den Mund
Princessin Schattulliöse, die Keusche;
Und Fräulein Colifischon macht mit sehr vielem Geräusche
Das Schooskind von Mama, und – ihre Thorheit kund.
Nie steht ihr Mäulchen still, stets flattern ihre Blicke,
Nie läßt sie Händ' und Füsse ruhn;
Voll Launen, und kleiner schalkhafter Tücke,
Macht ihr quecksilberner Witz sich immer was zu thun,
Das andre verdreußt; und weiß sie nichts anders, ey nun,
So fliegt wie der Blitz die pudervolle Perücke
Von Trebisonds Kopf. Denn Fräulein Colifischon
Kennt kein Gesetz als jedes Augenblicks Laune,
Und diese läuft, wie gehext, mit ihrem Verstande davon.
Im übrigen eine reizende Braune!

Dem weinerlichen Bleumourant,
(Dem Sohn und Erben des Kaysers von Trebisonde)
Zur Rechten, glänzt weißhalsig, weiß von Hand
Und Stirn und Haar, in aurorafarbnem Gewand,
Mit Diamanten bedeckt, Miß Blaffardine, die Blonde;
So blond, und so sehr in ihre Blondheit verliebt,
Daß lange schon niemand die Mühe sich giebt,
Um ihrentwillen auch nur in einer Ode zu sterben.
Ihr frostiger Blick entnervt die kühnste Phantasie,
Und ihre Schönheit verspricht, weil noch kein Ritter für sie
Sich blond genug fand, der Nachwelt keinen Erben.

Don Caramel schliesset den Kranz, ein edler Ritter, und traun!
Nicht häßlich, sogar in Blaffardinens Augen,
Schön wie ein Herkules, allein, zum Unglück, braun.
Kein Mann, dem Ansehn nach, nur bloß an Blicken zu saugen;
Ein hübsches Modell zu einem Geßnerschen Faun,
Doch in der Liebe ganz Geist, (So kann das Ansehn trügen!)
Gewohnt, sich ohne Sold am Anschaun zu begnügen;
Ein Erbe der Tugend und Zucht des sel'gen Seladon,des sel'gen Seladon.
Ein Dichter ist berechtigt, bey seinen Lesern und Leserinnen einige Kenntniß von Mythologie und Geschichte, und einige Belesenheit in Romanen, Comödien und andern Werken der Einbildungskraft und des Witzes vorauszusetzen. Es würde daher sehr unnöthig seyn, zu solchen Namen Anmerkungen zu machen, welche einem jeden bekannt seyn müssen, der nur den kleinsten Grad von Belesenheit hat. Der eben so schöne als zucht- und tugendreiche Schäfer Seladon, der Held des großen Pastoral-Romans des ehrlichen alten M. d'Urfé, ist unstreitig einer von diesen allgemein bekannten Nahmen in der poetischen Welt; man sagt zärtlich wie ein Seladon, wie man zu sagen pflegt, schön wie ein Adon, oder tapfer und höflich wie Don Quixotte; und jedermann versteht, was man damit sagen will, wiewohl sich in unsern Tagen schwerlich drey Personen in ganz Europa finden möchten, welche sich mit Wahrheit rühmen könnten, die Asträa gelesen zu haben. Inzwischen wollen wir doch bey dieser Gelegenheit denenjenigen von unsern schönen Leserinnen, welche für den seligen Seladon etwas mehr als eine bloße estime sur parole (wie es Helvetius nennt) zu haben wünschten, und gleichwohl nicht Muth genug haben, sich an einen so voluminösen und mit so viel Theologie, Philosophie und allen andern Arten von Gelehrsamkeit angefüllten Roman, als die Asträa des Marquis d'Urfé ist, zu wagen, – die neue Asträa eines Ungenannten empfohlen haben, welche die Quintessenz der alten in einem kleinen modernisirten Auszuge liefert, und im 9. Theile der Bibliotheque de Campagne, nach der Genfischen Ausgabe von 1761, zu finden ist.

So zärtlich wie er, so süß von Manieren und Ton,
So weiblich von Gefühl, obgleich von männlichern Zügen.
Stets war er fertig, zu Pferd und zu Fuß
Für Platons Amorn sich mit Riesen und Zwergen zu schlagen,
Die Liebe dürfte bey ihm auch in Gedanken nichts wagen,
Als höchstens einen ecstatischen Kuß,
Doch nur auf die Hand. Nach Ritter Caramels Sagen
War Dindonette selbst In Naturalibusin naturalibus, d. i. in demjenigen kunstlosen Zustande, worinn Lucian die drey Göttinnen dem Urtheil des Paris, Ariost die schöne Angelica den Blicken des Ruggieri, und die schöne Olympia (welcher er in gewissen Stücken den Vorzug vor jener zu geben scheint; s. die 67. 68. u. 69. Stanze des 11. Gesangs des Orlando) den Augen seiner Leser; Thomson in seinem Sommer die schöne Musidora der verstohlnen Beschauung des jungen Damons, – und auch der trivialste Farbenklecker die Stammältern des menschlichen Geschlechts (wiewohl so häßlich, daß die strengsten Verurtheiler der Nuditäten damit zufrieden seyn können) ohne Bedenken den Augen der Andacht selbst in jeder Dorfkirche aussetzt.
Für ihn ein blosser Geist in einer Vertügade.Die Vertügade, für welche wir kein schickliches deutsches Wort finden konnten, ist ein Stück der weiblichen Kleidung des sechszehnten Jahrhunderts, welche man aus Gemählden dieser Zeit am besten kennen lernt. Sie war gerade das Gegentheil der gewöhnlichen Tracht, welche man den Grazien giebt; wenn diese der Imagination alle Mühe erspart, so machte ihrs jene beynahe unmöglich zu errathen, was für eine Figur unter dieser Verkleidung verborgen seyn könne.
Hingegen hatten bey ihm die Schönen alle Verstand,
Und in Betracht der schönen Seele fand
Ein Busen, so reizend er war, vor seinen Augen Gnade.

Aus allen Freyern von Morgen, Mittag und Mitternacht,
Die an Schah Bambo's Hof sich wie die Meereswogen
Ergossen, hatte Amors Macht
Nur diese zween den Schwestern nachgezogen,
Als ein Orakel, das Bambo sehr lächerlich fand,
Sie, was sie nicht hätten zu suchen, verband.
Der Bleumourant, entschlossen, sich ewig zu täuschen,
Hoft aus Verzweiflung, und wird durch keine Mißhandlung geheilt.
Dem andern, der Dindonetten und Schattulliösen, der Keuschen,
Sein Herz zu gleichen Theilen vertheilt,
Giebt, seinem Plato sey Dank! die Liebe süssere Stunden.
Nicht etwan, daß er sie schon zum capitulieren gebracht;
Ach! Nein; von Dieser wird ihm noch alles streitig gemacht,
Und Jene, beschäftigt mit ihren Puppen und Hunden,
Gab auf die erhabensten Sprüche mit halbem Ohre nur Acht.
Allein, er hatte doch schon, vom Mantel der Freundschaft umwunden,
Bey beyden den Weg zu ihren Herzen gefunden.
Von ihm besorgte man nichts; er durfte die Hälfte der Nacht,
An Dindonettens Bette sich setzen,
Und zwischen Wachen und Schlaf mit Mährchen sie ergötzen.

Ihr kennet nun, Freunde, so viel euch für itzt
Zu wissen dient, die Hauptpersonen im Stücke.
Die übrigen werden, so wie ihr gutes und böses Geschicke
Ins Spiel sie mischen wird, vor euerm günstigen Blicke
Sich stellen, wie sie sind, nicht wie sie ein Phidias schnitzt.
Denn Bambo's Töchter (gesagt im Vertrauen)
Sind, gegen den ritterschaftlichen Brauch,
Die Pure Natur, und ihre Ritter auch.
Wir bessern nicht gern an den Werken der alma Mater Rerum,
Und lieben den Spruch: ridendo dicere verum.Wir bessern nicht gern u. s. w.
Wie man unserm Dichter die Freyheit, nach dem Beyspiele Buttlers, Priors, und andrer, lateinische Brocken in seine Verse einzumengen, aufnehmen werde, lassen wir dahin gestellt seyn. Denen, welche kein Latein verstehen, dienen wir inzwischen mit der Nachricht, daß die alma mater rerum die Mutter Natur sey, und daß ridendo dicere verum (ein halber Horazischer Vers) nichts mehr bedeute, als, die Wahrheit lachend sagen; – eine Kunst, welche (im Vorbeygehen zu sagen) eben nicht so leicht ist, als uns diejenigen gerne bereden möchten, die nichts davon verstehen.

Die Gesellschaft sondert nunmehr nach der Tafel einzeln sich ab
Um wo es jedem beliebt der Mittagsruhe zu pflegen.
Don Bleumourant (mit einem entsetzlichen Degen
An seiner Seite, den ihm der Zauberer Padmanab,
Sein Pathe, mit auf die Wanderschaft gab)
Sucht, seinen Schmerzen nachzuhängen,
Im nahen Walde den allerwildesten Ort,
Wo Hecken und Büsche fein dicht sich in einander mengen.
Da wirft er sich an eines Gießbachs Bord,
Und klagt den Nymphen sein Leiden von Leoparden, der Strengen.

Herr Caramell lag inzwischen, von einem Lorbeerstrauch
Umschattet, züchtiglich zu Schattulliösens Füssen,
Und schien, wie dort bey Armiden der Liebeskranke Gauch
Rinaldo, in schmachtende Blicke wollüstig hinzufließen:S. Gierusalemme Liberata, Canto XVI. 18. 19.
Indessen die Dame, ihr rosenfarbes Gesicht
Im weißen Arme versteckt, nicht wahrnimmt oder nicht achtet,
Mit welchem Ernst' ihr Ritter die Reize betrachtet,
Die ihm, verschönert vom dämmernden Licht,
Ein Amor, unter den Falbeln an ihrem Rocke verstecket,
So wie sie zurückgelehnt sitzt, mit schlauem Lächeln entdecket.
In einer andern Laube hielt
Miß Blaffardinen, der Blonden und Kalten,
Ein Zwerg (denn dazumahl hatten die Zwerge noch viel zu verwalten)
Den größten Spiegel vor, den je ein Zwerg gehalten.
Sie sieht, mit dem lächelnden Stolz, den Venus auf Ida gefühlt,
Da Paris sie zur Schönsten erkohren,
Wie herrlich Blond in Blond auf ihrer Stirne spielt.
Indeß Leoparde, die Spröde, von zwanzig bewafneter Mohren
Und einem Gewebe von Laube vor männlichen Blicken beschützt,
Dianen ähnlich, im Bade bey ihren Nymphen sitzt.


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