Christoph Martin Wieland
Der neue Amadis
Christoph Martin Wieland

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Mit diesen Worten versucht das Fräulein Colifischon
Noch einmal, den Fächer ihm aus dem Busen zu winden.
Die Fehde daurte noch, als aus den benachbarten Gründen
Des Waldes plötzlich der eiserne Ton
Von klirrenden Waffen ihr Ohr mit Schrecken rühret.
Sie läßt von ihm ab. Des Ritters Wange verliehret
Die Rosen vor Angst; und blaß, wie in Cynthiens Schein
Ein wandernder Geist, stürzt Dindonette herein.
Herr Ritter, schützen Sie uns! Ein ganzes Heer von Mohren!
Beschützen Sie uns, sonst sind wir alle verlohren!

»Beschützen Sie uns!« – Sehr wohl! dem Don Esplandian
Und seines Gleichen ist schon so etwas zuzumuthen!
Allein Herr Parasol war von seiner Kindheit an
Ein abgesagter Feind vom Bluten,
Es war sein Glück, daß er sich noch Einer Tugend besann,
Womit die Fee Mab den Wunderfächer begabte;
Er tröstet demnach so gut er weiß und kann
Die zitternden Damen, indessen der eiserne Mann,
Sein Riese, auf seinen Befehl voraus zum Kampfplatz trabte,
Zu sehen, was es gab. In zehn Minuten war
Der Riese wieder da. »Was ists? Nichts, als ein Ritter
In Waffen von Golde, mit Edelsteinen beschwehrt,
Der gegen ihrer Zwanzig sich wie ein Löwe wehrt.
Er donnert unter sie ein, als wie ein Alpengewitter,
Und jeder Schlag ist Tod. Schon liegen wenigstens zehn
Ins Gras gestreckt; und doch, von Bluten und Siegen
Erschöpft, wird er zuletzt der Menge unterliegen.
Und du, ruft Parasol, hast ruhig zugesehn?
Der Henker hole den Schöps! – Mein Herr, versetzte der Riese
Sie gaben mir keinen Befehl zum Schlagen; Ich sollte nur spähn,
Wie stark die Feinde wären. Zudem vergaß ich im Gehn,
Die Keule von Stahl; und haben sie ohne diese
Je einen meines Geschlechts nur auf Tapeten gesehn?
So nimm sie, ruft jener, und eile dem Ritter beyzustehn!

Herr Morgan stand noch da, und ließ von seinem Zwerge
Die Nestel der Schuhe sich knüpfen, und ihm zur Seite stand
Gleich einem von Knochen und Fleisch zusammengethürmten Berge
Das stolze Thier, sein Elephant:
Als, ohne auf ihn und seine Keule zu warten,
Vom Siege gekrönt, auf einem getygerten Hengst,
Der goldne Paladin, mit seinem Sancho, längst
Der Zelten, wo alle Augen voll Wunders auf ihn starrten,
Dahergeritten kam. Sobald ihn die Damen erblickt,
So wurden, ihn einzuladen, drey Knaben entgegengeschickt.

Er schwang sich, wiewohl viel Bluts an seinen Waffen herunter
Aus mancher Wund' ihm triefte, so munter
Als gieng er zum Tanze vom Pferd. Ihm hielten ehrfurchtsvoll
Die Knaben den goldenen Bügel; und Junker Parasol,
Im Eingang des Vorgezelts stehend, empfieng ihn aufs höflichste, führte
Ihn an der Hand hinein, und – kurz, er präsentierte
Den Damen den tapfersten Ritter der Welt.
Die Damen machten, indem sie ihn grüßten, eine Bewegung,
Als wollten sie aufstehn. Jedoch, nach bessrer Ueberlegung,
Bliebs, bis auf nähern Bescheid, für diesmal eingestellt.
Dagegen ersetzte die runde Dindonette
Den Abgang, indem sie den Ritter nicht anders mit Blicken verschlang,
Als ob sie keinen Mann vor ihm gesehen hätte.
Er war (wenn dies sie entschuldigt) ein ächter Amadis, lang,
Und wohlgebildet, dem Vaticanschen Apolle
An hoher Grazie gleich; ein männlichschönes Gesicht,
Und Augen, womit er den Damen beym ersten Anblick verspricht,
Wie zärtlich er, um den Sold der Minne,um den Sold der Minne.
Die Ritter im Amadis sind größtentheils nichts weniger als platonische Liebhaber. Jeder hat sich (außer der allgemeinen Ritterpflicht, alle Damen, die ihren Arm ansprechen, zu beschützen, und sich um die erste die beste Unbekannte mit Riesen und Drachen herumzuschlagen) noch dem besondern Dienst einer gewissen Dame geweyht, deren Champion er ist. Eher könnte der Himmel ohne Sterne seyn, sagt Don Quixotte, als ein irrender Ritter ohne eine Dame. Aber so uneigennützig zu lieben, wie der Ritter von Mancha das Fräulein Dulcinea von Toboso liebte, war wohl nicht die Sache der Meisten dieser Herren. Sie wollten auch wissen, warum sie dienten, und hielten sich, nach überstandner Probezeit, oder geleisteten wichtigen Diensten, eben so berechtiget, den Sold der Minne zu fodern, als ihre Damen, (wenige Unerbittliche ausgenommen) sich durch Mitleiden und Dankbarkeit verbunden hielten, ihnen solchen, wiewohl immer aus Gnaden, zu gewähren. Dieses heißt in den alten französischen Ritterbüchern octroyer le don de l'amoureuse merci; eine Sache, wozu jede Dame, sobald sie einen Ritter in ihren Dienst nahm, präsumirt wurde, sich stillschweigend anheischig gemacht zu haben.
sie lieben wolle.
Auch wurde von Allen, die unter der Sonnen
Den Panzer getragen, kein Herz so leichte wie seines gewonnen.
Glaubt er in schönen Augen Empfindung zu lesen, (und dies
Glaubt niemand leichter als er) so ist er schon gefangen.
So witzig Colifischon (den Vorzug zu erlangen)
So ungeheur lebhaft sie war, mein Neuer Amadis
Sah Dindonetten nur – an seinen Augen hangen,
Die ohne den mindesten Zwang sich ihrem Gefühl überließ.
Denn was dem guten Ding' in ihrem ganzen Leben
Die wenigste Sorge gemacht, war wohl, von diesem und dem,
Was in ihr vorgieng, sich Rechnung zu geben;
Genug für sie, wars ihr nur angenehm!
Hierzu kam, was nach Büffons Systemnach Büffons System.
o Liebe, ruft dieser berühmte Philosoph aus; (in seiner dem 2ten Bande des zweyten Theils der Historie der Natur vorgeschickten Abhandlung über die Natur der Thiere) o Liebe, du einzige und reiche Quelle alles Vergnügens, aller Wollust! warum machest du den glücklichen Zustand aller Thiere und das Unglück der Menschen? Es geschieht solches (antwortet sich der Philosoph selbst) weil bloß das Physikalische in dieser Leidenschaft gut ist; weil das sittliche darinn, Trotz allem, was man aus Vorurtheilen zum Behuf desselben sagen kann, nichts taugt; u.s.w. – Was uns eine Sache däucht, worüber man sich verwundern sollte, ist, wie ein Mann, der so raisonniert, zu einem Platz unter den Weisen unsers Jahrhunderts gekommen ist.

Noch keiner Schönen bey einem Manne geschadet,
Der niedlichste Fuß, auf dem ein Mädchen jemals stand,
Ein schöner runder Arm, die küssenswürdige Hand,
Ein Hals, wie der Liebesgöttin, die mit Adon sich badet,
Marino giebt.Marino giebt.
Vermuthlich deutet hier der Dichter auf die wollüstigen Gemählde, welche Marino besonders im achten Gesang des Adone, der den Titel I Trastulli führt, von der Liebesgöttin macht; und vielleicht insonderheit auf folgende Verse in der 78. Stanze:

Vedeansi accese entro le guancie belle
Dolci fiamme di rose & di rubini;
E nel bel sen per entro un mar di latte
Tremolando nutar due poma intatte.

Denkt auch zwey blaue Augen dazu,
Die ohne Verstellung und Kunst mehr sagten als sie wollte,
Und einen Blumenstrauß, der viel verbergen sollte,
(Und was er nicht verbarg das mahlt euch selber hinzu)
Und sagt, ich wisse nichts, wenn ich aus seiner Ruh
Nicht mit der Hälfte davon den CatoDen Cato bringen wollte.
Wir nehmen die Freyheit, unserm Dichter zu sagen, daß er sich hier zu mehr anheischig mache, als er im Stande seyn würde zu leisten. Die Catonen, es sey nun, daß hier der ältere oder Cato Uticensis gemeynt sey, waren keine Männer, die sich durch solche Lockspeise fangen ließen; oder wenn es ja möglich gewesen seyn sollte, so müßte es in denen Augenblicken gewesen seyn, wovon Horaz sagt:

Narratur & prisci Catonis
Sæpe mero caluisse virtus

bringen wollte.

Herr Amadis, der sich für keinen Cato gab,
Entdeckte durch stille Seufzer und Blicke voll zärtlicher Wehmuth,
(Nach seiner Gewohnheit) was sich in seiner Seele begab.
Indessen verrieth das Blut, das seinen Pantzer herab
In Tropfen schlich, was er aus stolzer Demuth
Verheelen wollt', indem er von seiner Heldenthat
Als einer Sache sprach, die keine Achtung verdiene.
Herr Parasol! geschwinde, schaffen sie Rath,
Rief Dindonette, indem sie mit ängstlicher Miene
Den schönen Paladin sich zu entwafnen bat.

Zum Glücke führte sein Freund, der Held mit dem Sonnendache,
Zur Sicherheit vor Schuß und Hieb und Stich,
Den besten Schinesischen Wundarzt mit sich.
Der schöne Ritter wird in einem andern Gemache
(Wo Dindonette ihm selbst das weichste Lager gemacht)
Entwaffnet, besichtigt, bepflastert, verbunden,
Und glücklich zu Bette gebracht.
Der Arzt (kaum glaub ichs selbst) gestand, daß seine Wunden
Die leichtesten wären, die jemals sein Balsam geheilt; ein Laudan,
Das, wenn man ihn hörte, bereits unglaubliche Dinge gethan,
Er hatte damit Gichtbrüchige, Blinde und Lahme,
Ja Todte sogar, in wenig Tagen geheilt.
Ein Blick, sprach Amadis, von dieser reizenden Dame
(Auf Dindonetten, die noch bey seinem Bette verweilt,
War zärtlich sein Auge geheftet) vermochte
Zu meiner Genesung mehr als aller Balsam der Welt.
Doch (setzt er seufzend hinzu) mein Horoscop ist gestellt,
Nie werd' ich glücklich seyn! – Sie denken auch gar zu schlechte,
Spricht Dindonette, von Leuten! Ich bin so grausam nicht
Als wie sie denken; Wenn's nur an meinen Blicken gebricht,
So bin ich bereit, mein Herr, Sie unverwandt anzuschauen
So lange Sie wollen. Vermuthlich taugen dazu
Die braunen und schwarzen Augen so gut nicht als die blauen?
Vom Herzen gerne, mein Herr, wofern's zu Ihrer Ruh
Vonnöthen ist! – Sie können mit einem leidenden Herzen
(Versetzt tiefseufzend der Ritter) so unbarmherzig scherzen?
»Ich scherzen, mein Herr? Ich sehe Sie kennen mich nicht!«
Princessin (fällt ihr der Arzt mit einem Amtsgesicht
Ins Wort) um Vergebung, Sie machen den Patienten sprechen;
Und ich erlaube nicht gern, die Kunstgesetze zu brechen.


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