Christoph Martin Wieland
Der neue Amadis
Christoph Martin Wieland

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Um Ihnen von Schwester Blaffardinen
Ein Bild zu machen, mein Herr, – das ist,
Mich einer Sache zu erkühnen,
Woran bis itzt sich noch kein Colorist
Gewagt, so stellen Sie sich, wofern Sie anders können,
Was blonders vor als Schnee im Sonnenschein,
Die Haare feuerfarb, die Augen erträglich klein
Doch wasserblau, und, ohne sie todt zu nennen,
So unbedeutend, als schliefen sie offen ein,
Und Hand und Fuß um die Hälfte – nicht zu klein.
Im übrigen lang und gerad wie eine Oreade,
Von schönem Gewächs, und frisch und voller Saft,
Doch, wie die Heldin der Iliade,Wie die Heldin der Iliade; Helena, von welcher oben.
Von Hals und Brust ein wenig ammenhaft.
Kurz, als ein Marmorbild ist Schwester Blaffardine
Unläugbar ein Werk der schönen Natur
In Ritter Bernini's Geschmack.In Ritter Bernini's Geschmack. Winkelmann tadelt an diesem modernen Phidias die geflissentliche Abweichung von der schönen Form im Umrisse, nach den Begriffen und Beyspielen der besten griechischen Künstler; einen gewissen Schwulst, der von vielen für Größe gehalten wird, und, was er auch sonst seyn mag, gewiß nicht schön ist. S.  Von der Nachahmung der Griechischen Werke etc. S. 119. und an mehrern Orten. Doch Ausdruck oder Miene
Verlangen sie nicht! so wenig als griechischen Contour!
Nichts von dem geistigen Reiz, den nur die Kenner fühlen!
Und desto bequemer vielleicht zu euren Puppenspielen!
So dächten Sie selbst, Herr Ritter, im ersten Moment;
Denn würklich ists unmöglich, das was man Seele nennt
In kleinerer Dose zu haben. Sie könnte die ihre verliehren,
Es würde kein Mensch den mindesten Abgang spüren.
Wer ließe sich träumen, in einem Mädchen wie dies
Die ekelste Spröde zu finden? Und nichts ist so gewiß!
Der Mann, der in ihren Augen das Glück verdienen sollte,
Sie zu besitzen, von lieben ist nur die Rede nicht,
Der Mann wird noch erwartet. Er möchte so schön von Gesicht,
An Witz und Verdienst so groß seyn als er wollte,
Er möcht', in seiner Figur und seinem Charakter, allein
Die ganze Summe des Werths der Ritter der Tableronde
Vereinbarn, möcht' ein Cäsar, ein Alexander seyn,
Ein Gott, – das hälfe ihm nichts, – um Blaffardinen, die Blonde,
Zu rühren, muß er so blond und ein wenig blonder seyn,
Als Blaffardine selbst. – Sie lächeln in sich hinein,
Herr Ritter? Lachen Sie immer! Ich muß es selbst gestehen,
Sie können die weite Welt, vom Tagus bis zum Rhein,
Und von der Elbe bis an den Whang-HoBis an den Whang-Ho.
Whang-Ho, oder der gelbe Fluß, der Schina auf der westlichen und nördlichen Seite von den mongolischen Tatarn scheidet.
durchgehen,
Und werden keine Töchter wie Bambos Töchter sehen.
Was würden Sie erst, wenn diese Sie seltsam däucht,
Von Schwester Flördepine sagen?
Denn eine Dame die ihr an Unerträglichkeit gleicht
(Nicht weil sie mein Schwesterchen ist) hat nie die Erde getragen.
Sie war, wenn einer von uns das Beywort schön gebührt,
Die schönste von ihren Schwestern, und würklich von allen andern,
Die jemals ein Dichter gemahlt, ein Mahler phantasiert,
Von allen Magellonen, Marfisen und Cassandern
Und Angeliken, die, immer erobert oder entführt,
Durch tausend Gefahren die Welt mit ihrer Tugend durchwandern.
Allein, dem Brama sey Dank, (ich sag es unverstellt)
Daß wir sie unterwegs, man weiß nicht wie, verlohren!
So schön sie war, so gewiß ward seit Erschaffung der Welt
Nichts unausstehlichers gebohren.
Veränderlicher ist nicht der Sylphen Element!
Sie blieb den ganzen Tag nie länger als Einen Moment
Sich selber gleich; so viele Augenblicke
So viele Launen. Ausschweifend oder nicht,
Nach ihrer Moral war aller Wesen Pflicht,
Zu fliegen und Wunder zu thun, was immer für eine Mücke
Die Dame gestochen hätte; das war der Schönheit Recht
Und angebohrnes Regal. Es konnte (so prächtig dachte
Die Närrin von sich selbst) das ganze Menschengeschlecht
Nicht stolz genug seyn auf die Ehre, die Flördepine ihm machte.
Welch eine Belohnung, ein Blick der ihr entfiel!
Gesetzt, Sie hätten um sie dreyhundert Lanzen gebrochen,
Und wären dem größten Crocodil
Aus Liebe zu ihr in den Rachen gekrochen,
Und hätten auf ihren Befehl den alten Drachen erstochen,
Der, wie man am Ganges glaubt, den Mond verschlingen will:
Was könnten Sie von Flördepinen
Durch alles dieses mehr, als einen Blick, verdienen?
Die Schöpfung ist nach ihrer Physik
Ein großer Spiegel, gemacht, damit sie von vorn und von hinten
Sich drinn beschaue. Ihr strahlt aus allem ihr Bildniß zurück.
Von ihr entlehnt der May die frischen blühenden Tinten,
Und Phöbus stiehlt sein Feuer ihrem Blick.
Beschämt zu werden von ihr, blühn Rosen und Hyacinthen.
Es ziert den Triumph der Göttin die ganze besiegte Natur,
Die Sommersonne verweilt sie länger zu sehen nur
Am Horizont, und Wonne aus ihren Blicken zu saugen,
Beguckt sie der nächtliche Himmel aus hundert tausend Augen.

Das Fräulein war im Begriff, die schöne Carricatur,
Woran sie con amore zu mahlen schien, zu vollenden;
Als ihnen, wie sie sich oben in einem Holzweg wenden,
Don Bleumourant, der noch im ganzen Walde die Spur
Von seiner Dame sucht, begegnet. Mit langsamen Schritten
Und trostlos hängendem Haupt kam er daher geritten.
Woher, (rief Colifischette, sobald
Sie ihn erblickt) Herr Ritter von trauriger Gestalt?
Willkommen! Wie so allein mit dieser Miene des Schmerzens!
Wo haben Sie denn, mein Herr, die Dame ihres Herzens?

Don Bleumourant hohlt erst aus tiefer Brust
Den längsten Seufzer aus, der je geseufzet worden,
Und schwört ihr bey den Augen, die seine Ruh ermorden,
Noch sey der Ort ihm unbewußt,
Der seine Göttin verberge, wiewohl er, seit sie verschwunden,
In einem fort schon vier und zwanzig Stunden
Das ganze Gebirge durchsucht. »Vielleicht, spricht Colifischon,
Lief irgend ein blauer Centaur mit meinen Schwestern davon!«
Und wär' er mit ihnen ins Reich der Gnomen hinunter gestiegen,
Ruft jener, so steigen wir nach, und sterben oder siegen.

Die Ritter grüßen sich itzt, und werden bald so gut
Bekannt, als hätten sie schon viel Salz zusammen gegessen.
Sie waren beyde tapfer, verliebt, von warmem Blut,
Geneigt zur Schwärmerey, und von einem Amor besessen,
Der sich mit leichter Speise, mit Blicken und Seufzern nährt;
Wiewohl, wenn Zufall und Glück ihm etwas soliders beschehrt,
Herr Amadis an sein System nicht immer
So sclavisch sich band. Es zog inzwischen mit klingendem Spiel
Die Caravane fort, bis ihnen der prächtige Schimmer
Vom schönsten Schlosse der Welt von fern in die Augen fiel.

Es glänzt im Abendroth, als wär' es aus Rubinen
Und lauterm Golde gebaut, von einem Felsen herab.
Man stelle die Freude sich vor! Erwünschters konnte sich ihnen
Nichts zeigen. Trebisond selbst fieng wieder an zu grünen,
Der kurz vorher sich aller Hoffnung begab.
»Wie wenn, rief Colifischon, die Damen, denen zu Ehren
Wir, wie am ersten April, dieß wilde Gebürge durchstören,
In diesem schönen Schloß' ein wenig bezaubert wären?«
Der Prinz von Trebisond seufzt. Wir wollen immer sehn,
Spricht Amadis; wenigstens ist das Abentheuer schön!

Sie waren, dem Augenmaß nach, nur eine kleine Meile
Vom Schlosse noch entfernt, das ihnen, je näher man kam,
Je besser geriet. Es glänzte wie lauter Carfunkel. Madam
War außer sich selbst vor Freude. Da sprang in keuchender Eile
Ein kleines Geschöpfe, nach CallotsNach Callots Mustern gebaut.
Jacob Callot war einer von den geschicktesten und fleissigsten Zeichnern und Kupferstechern des vorigen Jahrhunderts. Er excellierte vorzüglich in kleinen Figuren, und in bürlesken Carricaturen. Auf diese letzten wird hier gezielt.
Mustern gebaut,
Hervor aus einem Strauch. Er schrie, als würde die Haut
Ihm über die Ohren gestreift. Die Ritter hielten stille.
Der Zwerg, dem Amadis so gleich das Herz gewann,
Warf auf die Kniee sich vor ihm, und schrie, wie eine Grille;
Herr Ritter, hören Sie mich nur einen Augenblick an.
»Was willst du?« – Herr, erwiedert der Zwerg,
Mit eurer Gnaden Erlaubniß, dort hinter jenem Berg
Hat mitten in einer See von Feuer
Der häßlichste Neger sein Schloß. Ich sollt' es nicht sagen, allein
Die Wahrheit geht vor allem. Kein ärger Ungeheuer
Von einem Neger muß im ganzen Lande seyn!
Und kein verliebters dazu! Das eben ist die Sache.
Der Unhold – Ha ha hi! – Ich sollte weinen, und lache –
Der Unhold, denken sie nur, – er macht Prätension
An Liebenswürdigkeit, und dünkt sich ein Adon!
Er schwört bey Mahomed, und Ali, und Abubeker,
Mein gnädiges Fräulein (die schönste Princessin der Welt
Die er entführt, und gefangen in seinem Schlosse hält)
Soll diese nehmliche Nacht mit ihm und seinem Höcker
Und seiner Nase, die einem Rüssel gleicht,
Zu Bette gehn. Das Fräulein, wie leicht zu erachten,
Schwört ihm das Gegentheil. Er lacht dazu, und streicht
Ganz trotzig seinen Wanst: »Sie kennen nicht, was sie verachten,
Madam! Aus Liebe zu ihnen gebrauch' ich meine Macht,
Sie sollen glücklich seyn, und das noch diese Nacht.«
Und, Gnädiger Herr, er ist der Mann sein Wort zu halten,
Wiewohl mein Fräulein schwört, viel eher zu erkalten,
Sich eher selbst in den feurigen See
Zu stürzen, als eine Frau um diesen Preiß zu werden.
Allein, das macht ihn nur lustig. »Madam, sind sie Medee
So bin ich Jason, und keine Macht auf Erden
Soll mich verhindern, das goldene Vlies
Dem Drachen ihrer Tugend zu rauben!
Man muß in solchen Fällen dem Zorn der Damen nicht glauben;
Sie sind die erste nicht, die mir die Nägel wies!«
Sie sehn, großmächtiger Herr, mein Fräulein zu befreyen,
Erfodert einen Mann wie Sie.
Das Fräulein bittet demnach, Sie möchten Sich die Müh
Nicht dauren lassen, und eilen, ihr Dero Arm zu leyhen.
Wahr ists, der feurige See macht eine Hinderniß;
Doch hofft mein Fräulein, Sie denken zu edelmüthig,
Durch eine Kleinigkeit sich schrecken zu lassen wie dieß.
Gevatter Zwerg, dein Fräulein ist gar zu gütig!
(Versetzt der Paladin) So eine Kleinigkeit? –
Doch, zeige mir ohne weiters den Weg; ich bin bereit.

Die Standespflicht, spricht er hierauf zu Fräulein Colifischetten,
Verbindet, wie Sie wissen, mich, ohne Unterschied
Auf jeden Ruf die Unterdrückten zu retten.
Ich eile, so wunderlich auch das Abentheuer sieht.
Der Prinz von Trebisond begleitet sie indessen,
Bis ich zurückekomme. – Halt! (rief Don Bleumourant,
Der, während der Zwerg erzählte, in tiefen Gedanken stand)
Er sagt, es betreffe die schönste von allen Princessen,
So muß (verzeyhn sie, Madam) es Leoparde seyn!
Herr Ritter, das Abentheuer gehört für mich allein.

Der Ritter, den nichts in der Welt wie Abentheuer ergötzte,
Und der aus der Rede des Zwerges sich etwas gemerkt, versetzte:
Der Streit ist leicht zu entscheiden! Sprich, Zwerg, und rede wahr,
Von welcher Farb' ist deiner Fräulein Haar?
Wofern mir ein Wort vom Aeschylus gelten zu machen
Erlaubt ist, goldner als Gold, versetzt der Zwerg mit Lachen.
Wie, ruft der Paladin, verstehst du Griechisch! – So gut
Als meine Mutter, mein Herr; ich bin von Griechischem Blut:
Und siehst wie ein Griechisches Y, spricht Fräulein Colifischette,
Die ihn dem Behemoth lieber im Rachen gesehen hätte.
Spricht dieser Lilliputter wahr,
Fährt Amadis fort, so däucht mir, die Sache kläre
Sich vor mir auf. Wie wenn die Schöne mit goldenem Haar
Princessinn Blaffardine wäre?
Wahrhaftig, versetzt die Infantin, in diesem Augenblick war
Dies mein Gedanck', und ists, so läuft die Ehre
Des Hauses von Bambo nicht kleine Gefahr. –
Ich eile; Madam, ihr Sklav! – Auf baldiges Wiedersehen,
Herr Bleumourant! Ich lasse Madam in Ihrer Huth.
Mit diesen Worten entfernt der Held sich, voller Muth,
Von allen Abentheuern das schönste zu bestehen.


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