Christoph Martin Wieland
Der neue Amadis
Christoph Martin Wieland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Schon ritt er einen halben Tag,
Unmuthig, wie ein Fuchs, der einen Hühner-Schlag
Zu wohl verschlossen gefunden, mit eingezognem Bauche,
Gesenktem Schweif, und melancholischem Blick
Unwillig sich entfernt, und nach dem Hofe zurück
Oft traurig schielt, und seinem steigenden Rauche –
Das Gleichniß, in der That, ist keines der edelsten nicht,
Doch immer so gut, als wenn in seinem erhabnen Gedicht
Den Ajax, da er der Menge der Feinde langsam weichet,
Altvater Homer mit einem Esel vergleichet.
Wiewohl Herr Dacier uns mit gutem Fug belehrt»Zu Homers Zeiten (sagt dieser gelehrte Mann) waren die Esel noch nicht so verachtet, als sie heut zu Tage sind; ihr Nahme war noch nicht zu einem Schimpfwort geworden, und Fürsten und Könige ritten auf Eseln. Homer konnte also den Ajax, ohne Uebelstand, mit einem Esel vergleichen, sonderlich, da die Rede nur davon ist, seine Hartnäckigkeit, Stärke und Geduld zu schildern; und man kann über dieses Gleichniß nicht spotten, ohne eine Gottlosigkeit zu begehen, indem Gott selbst es in den Mund Jacobs gelegt hat, da er in dem Segen, den er auf seine Söhne legt, sagt: Isaschar wird seyn wie ein starker Esel etc.« Remarq. sur la Poëtique d'Aristote ch. 26. Die Madame Dacier, nachdem sie zu Rechtfertigung Homers diese Stelle ihres Gemahls angeführt hat, erklärt sich, nach ihrer Gewohnheit, rund heraus: Il n'y a rien de plus beau que cette image. Und würklich ist es ein Vergnügen, aus allem dem, was von Gelehrten und scharfsinnigen Auslegern über diese Sache gesagt worden, zu sehen, wie viel schönes man über einen Esel sagen kann.
Daß dazumal das Thier mit langen Ohren
In anderm Ansehn stund, als seit es seinen Werth
Durch die Vergleichungen verlohren,
Womit man, auf seine Kosten, zweybeinichte Thiere beehrt.

Der Ritter also hieng die Ohren
Und sprach kein Wort; als endlich Ferafis,
Sein Secretair, nach öfterm Husten, es wagte,
Und seinen Herrn um den Grund von seiner Traurigkeit fragte.
Darf man sich unterstehn, Herr Ritter Amadis,
Zu fragen, warum Sie so hastig aus einem Ort sich entfernten,
Worinn wir so wohl uns befanden, und Damen kennen lernten,
Dergleichen man in diesem wilden Refier
Nicht suchen würde. Sie sind, vergeben Sie mir,
Ein wenig zu grausam, und haben die Thränen auf ihrem Gewissen,
Die ein so brüsker Entschluß
Der schönen Schatulliösen unfehlbar kosten muß.
Ich irrte mich, wie ich sehe, gar sehr in meinen Schlüssen.

Ein tiefer Seufzer war alles, was unser Held hierauf
Zur Antwort gab. Dieß nahm sein Herr Begleiter
Für eine stille Bewilligung auf,
Zu plaudern so lang er wollte. Und also sprach er weiter:
Ich gebe mich zwar für keinen gewaltigen Zeichendeuter,
Allein, nach meinem System hat man die Augen zum sehn.Herr Ferafis ist hierinn mit dem Weisen Sokrates einerley Meynung, welcher diesen nehmlichen Satz in dem Gastmal Xenophons und andrer Orten behauptet; wie er dann auch vom Galenus de Usu Partium weitläufig bestätiget wird. Die Sache scheint für sich selbst zu reden. Gleichwohl hat es immer gravitätische Leute gegeben, und giebt deren noch, welche behaupten, daß man die Augen hauptsächlich darum habe, damit man sie zuschließe. Wer von beyden Recht habe, wollen wir dahin gestellt seyn lassen.
Und wer berufen ist, bey zween
Von Amorn angeschoßnen Leuten,
In einer bequemen Entfernung, wie unser einer, zu stehn,
Bemerkt oft tausend Kleinigkeiten,
Die dem, der selbst im Spiel verwickelt ist, entgehn.
Die Dame (das wollt' ich schwören) wiewohl sie so züchtig thut,
Als ob sie den heiligen Korb der Göttin Ceres trüge,
Hat nicht nur gleichsam Fleisch und Blut.
Ihr schlüpfriges Auge, das Wallen in ihrem Busen, die Glut
Von ihren Wangen, beweist, ihr sprödes Ansehn lüge.
Mein Herr! Sie wurden geliebt! – Nicht daß ich eben damit
Behaupten wollte, die Liebe der schönen Schatulliösen
Sey von der empfindsamen Art gewesen.
Wie jene zwischen dem schönen Pertharit
Und seiner geliebten Princessin, wovon wir im Bêlier lesen;
Noch wie die Liebe der Sympathie,
Die Tristram uns so sentimentalisch beschrieben,Life and Opin. of Tristram Shandy, Vol. VII. pag. 113.
»Amandus Er, Amanda Sie,
Die durch ein hartes Geschick, Er Ost, Sie West, getrieben,
Sich zwanzig Jahre lang nie sehn, und einzig lieben;
Er, von Corsaren gefangen, und nach Marocco gebracht,
Wo sich die Tochter des Kaisers in seine Person verliebet,
Viel Jahre in einem Thurm ihn aufhält, Tag und Nacht
Ihn ängstigt, bittet, weint, die süssesten Nahmen ihm giebet,
Und, da er unbeweglich an seiner Amanda hält,
Zuletzt den schönsten Hals, der den von Auroren und Floren
Verdunkelt hätt', entblöst, verzweifelt zu Füßen ihm fällt,
Und fleht, ihr wenigstens nur die einzige Lieb' in der Welt
Zu thun, und einen Dolch ihr in die Brust zu bohren,
Doch alles vergebens! Indessen Amanda mit nacktem Fuß
Die Welt durchläuft, vom schrofen Caucasus
Nach Cadix, von da zurück zur Stadt des Alabandus,Die Stadt Alabanda in Carien, von ihrem Stifter Alabandus, dem Sohn einer Meer-Nymphe und Enkel eines Flusses, so genannt. Ihre Künstler waren ihres schlechten Geschmacks wegen so verrufen, daß alabandicum opus zum Sprüchwort wurde. Daß sie die Ehre, in diesem Gedichte genannt zu werden, dem Reim auf Amandus zu danken hat, versteht sich von selbst.
Und jeden Hügel, jedes Thal
Mit seinem Nahmen erfüllt, Amandus, ach Amandus,
Nichts ißt noch trinkt, und wenn sie auch manchmal
Aus Mattigkeit entschläft, nur von Amandus träumet,
Und wo sie eine Stadt in ihrem Wege findt,
Nicht eine Minute länger sich säumet,
Als unter dem Thore zu fragen: O sagt mir, aber geschwind,
Ist mein Amandus nicht hier? – Bis endlich, wider Verhoffen,
Nachdem sie beyde, sich suchend, die Erde rund umloffen
Sie, vor dem Thor zu Lyon (wo sie zu Hause sind)
Einander in die Arme rennen,
Und, da sie kaum vor Freude rufen können –
Lebt mein Amandus / Lebt meine Amanda / noch? – im gleichen Augenblick, todt
Zur Erde sinkend, die liebenden Seelen verhauchen.«
So weit läßt wohl die Princessin die Sachen, ohne Noth,
Nicht kommen! Mir däucht, sie weiß das Leben besser zu brauchen.
Ich lobe sie darum! – So ganz zur Lust gebaut
Wie sie, mit solchen Augen, mit einer so feinen Haut,
Und solchen runden weissen Armen,
Mit Reizen womit sie, beym Styx! den alten Jupiter
Versuchen könnte, zum Jüngling aufzuwärmen,
Ist, denk' ich, eine Dame nicht von Natur bestimmt,
Von Sentimens und von Ideen zu leben.
Mein bester Herr, Sie müssen mir vergeben!
Sie suchen ein Ideal; Allein ein Weiser nimmt
Die Dinge, wie sie sind, hat mich Horaz gelehret.
Wer wollte sich, zum Exempel, in einem Gasthof nicht,
Wenn Vater Bromius uns nicht Vin de Chassagne bescheret,
Mit Aßmanshäuser behelfen? Bey ausgelöschtem Licht
Ist eine Mohrin weiß, wie Avicenna spricht;Avicenna muß dieses nur in einem noch ungedruckten Tractat sagen, den der Autor ohne Zweifel aus der Maroccanischen Bibliothek bekommen hat; denn wir haben es, aller Mühe ungeachtet, in keinem seiner gedruckten Werke finden können. M. S.
Man kann mit Einem Sinn sich wie mit zween ergötzen,
Und was noch mangelt, muß die Phantasie ersetzen.

Er hätte, da sein Herr, in seine Gedanken verirrt,
Auf sein Geschwätze nicht achtet, noch lange fortgedahlet,
Als durch ich weiß nicht was, das durch die Büsche stralet,
Im Staunen Jener, und Dieser im Plaudern gehemmet wird.
Sie nähern sich dem Glanz, und sehn, durchs grüne Gegitter
Der Hecken, einen feinen Ritter,
Der einmal über das andre zum Zeitvertreibe gähnt,
In blauen Waffen mit Gold an einen Baum gelehnt.
Er hatte den Ort, wie es schien, zum Mittagsmahl erkohren,
(Denn irrende Ritter sind an kalte Küche gewöhnt)
Indessen ein kleiner Zwerg mit desto grösseren Ohren
Beschäfftigt war, den Boden mit einem Tafeltuch
Zu decken, und eine Pastete und andre Niedlichkeiten,
Vor seinem Herren auszubreiten.
Der weise Ferafis fand den angenehmen Geruch,
Der ihm entgegen weht, von guter Vorbedeutung;
Sehr froh, daß sich sein Prinz nicht abgeneigt bezeigt,
Den Ritter kennen zu lernen. Sie folgen also der Leitung
Des guten Geruchs. Man langet an, man steigt
Vom Pferde, grüsset sich, und da man einander genauer
Ins Angesicht sieht, erkennt mit frohem Schauer
Der schöne Amadis im blauen Ritter den Mann,
Der von der Fee, durch die er dem Zauberthurm entkommen,
An seiner Stelle Besitz genommen,
Als seine Phantasie sich abzukühlen begann.
Willkommen, ruft er, und drückt ihm beyde Hände, willkommen,
Herr Anti-Seladon! wie treffen wir hier uns an?
Gestehen Sie mir's, Herr Bruder, sie suchen Abentheuer
Auf diesem bezauberten Berge? – Nicht daß ich wüßte, versetzt
Der blaue Ritter; man wird der Ungeheuer
Verwünschten Princessinnen, Feen, und Riesen und Zwerge zuletzt
So satt, daß einer gern auf einem Fischerkahn,
Um ihnen zu entgehn, nach Grönland flüchten möchte.
Herr Bruder, das nenn' ich Spleen, erwiedert jener; man dächte,
Was ihnen die armen Princessen und Feen zu Leide gethan!
»Nur gar zu viel Gutes, Herr Bruder, die reine Wahrheit zu sagen!
Mein Unglück ist, daß ich zu glücklich bin.
Sie halten dieses vermuthlich für einen Eigensinn?«
Ja wohl, spricht Jener, das nenn ich, sich beklagen,
Die Braut sey gar zu schön! – »Es ist nicht mein Gebrauch
Zu prahlen; allein, Herr Ritter, man kann des Guten auch
Zuviel bekommen. Im Ernst, so ist nicht länger zu leben!
Die Damen sollten sich würklich ein wenig theurer geben.
O! alte goldne Zeit, wo bist du hingeflohn,
Die einst die zärtlichen Ufer des sanften Lignon beglückte!
Da ihren frommen, verliebten, getreuen Seladon
Asträa um Einen Kuß auf ewig ins Elend schickte,
Um einen armen Kuß zu Lindrung seiner Quaal,
Den er, als Nymphe verkleidet, auf ihren Lippen stahl!
Da Jahre kamen und giengen, eh sich ein Schäfer erfrechte
Und, blaß wie ein Gespenst, den Hut in der zitternden Hand,
Der strengen Schäferin mit stammelnder Zunge gestand
Daß er (doch ihrer Lust zum ewigen Jungferstand
In allweg' ohne Gefährde) sie gerne lieben möchte!
Das war doch eine Zeit! da galt die Tugend noch was!«
Und Sie, (ruft Amadis) Herr Bruder, sagen das
Im Ernste? Sie wünschen sich in D'Urfe's Zeiten zu leben?
Was haben, Grausamer, Ihnen die unsern denn gethan?
»Herr Ritter, hören Sie nur erst meine Geschichte an,
Sie werden, ich bin es gewiß, mir Ihren Beyfall geben.
Doch lassen Sie uns vorher mit Saft von Cyprischen Reben
Und einem leichten Mahl, so gut der Mantelsack
Von meinem Zwerg es giebt, die Lebensgeister erfrischen;
Für unsers gleichen taugt kein leckerhafter Geschmack.
Der Zufall pflegt in Bergen und öden Gebüschen
Uns irrenden Bittern oft noch schlechter aufzutischen.«


 << zurück weiter >>