Christoph Martin Wieland
Der neue Amadis
Christoph Martin Wieland

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Sechszehnter Gesang.

Es gab zu allen Zeiten, und giebt noch itzt vielleicht
Charakter, worüber ein Mann, der Menschenherzen studieret,
Sich schwerlich mit sich selbst vergleicht,
Was ihnen für eine Benennung gebühret.
Ist Cajus redlich? ist ers nicht?
Stets etwas lügt an ihm, setzt welchen Fall ihr wollet,
In jenem sein Leben, in diesem sein Gesicht.

Den Mann, der so devot die holen Augen rollet,
Bey dem das dritte Wort von allem, was er spricht,
Die Tugend ist, der kaum zu lächeln sich entblödet,
Und von der Wollust Aristipps
Als wie von Miltons Sünde redet;
Euch seufzend warnt vor ihr, just so wie Bruder Lips
Den Knaben, bey Hans La Fontainen,
Vor Gänschen schreckt als wie vor Amphisbänen;
Den problematischen Mann, sagt, Freunde, wie nennen wir ihn?
Verdient er, daß wir uns zu seinen Füßen legen?
Was ihn beseelt, ists Tugend oder Spleen?
Ist's Schwärmerey? Wahl? oder Unvermögen?

War Seneca ein tugendhafter Mann?
War Julian ein Schwärmer oder Weiser?
August, das Muster guter Kaiser,
Ein Halbgott, oder ein Tyrann?Wie das letzte Herr Gordon, der hauptsächlichste Verfasser der Caton's Letters, behauptet. Uebrigens sollte es wohl (im Vorbeygehen zu sagen) so schwer nicht seyn, als der Dichter zu glauben scheint, diese Aufgabe auf eine befriedigende Art aufzulösen. Ein Kenner der Menschen würde sagen: man hat Unrecht zu wollen, daß z. ex. Julian eines von Beyden, ein Weiser oder ein Narr, gewesen seyn solle. Er war beydes zugleich. Und so nach bey den übrigen. S.
Das Mittelding von Alexandern
Und Münzern, Cromwell, sagt, war er ein Bösewicht?
Ein Heiliger? Ein Phantast? – Dem einen widerspricht
Sein Leben, und sein Tod dem Andern.
Non liquet; ja und nein hat gleiche Scheinbarkeit.
Wir bleiben zwischen beyden schweben,
Und überlassen dem Himmel und der Zeit
Die Sorge, jedem das Seine zu geben.

Indessen, wenn uns gleich von manchem Phänomen
(Aus Mangel des Fensters, das Momus an unsrer Brust vermisset)
Die innern Räder und Federn entgehn,
Und mancher vielleicht im Bild andächtiglich geküsset
Und fleißig beräuchert wird, der, kennten wir ihn recht,
Im Grunde nur ein armer Sündenknecht,
Wo nicht was ärgers war; – Soll dies uns irre machen?
Wir sehen auf den Stoff, nicht auf die Farbe der Sachen.
Was Kunst, und was Natur, ist allen offenbar,
Die, unverfälscht von schiefen Sittenlehren,
Den Menschenverstand und ihre Sinne hören!
Die werden, bleiben wir ihnen getreu,
Zwar selten von der Person, doch immer von den Sachen
Uns fest in unserm Urtheil machen.
Wir lieben den Don Quischotte, von welcher Art er sey,
Und wenn wir – seine Schwärmerey,
Nicht ihn, den guten Mann, – belachen,
Geschieht es bloß, weil uns Galenus sagt,
Daß Lachen und fröhlicher Muth die bösen Geister verjagt.

»Und alle diese Philosophien,
Was sollen sie uns? Warum nun eben vor diesem Gesang?
Dem Dichter scheint manchmal die Weile lang;
Und um sein albernes Werk in achtzehn Bücher zu ziehen
Ist alles gut, was ihm zu Kopfe steigt!«
Herr Criticus – Horaz, [dem Ihr die Ehr' erzeigt,
Ihm gelten zu lassen, »er habe so ganz erträglich geschrieben,
Und meistens mit Witz, mit Laune, mit Wärme, schalkhaft, doch fein,
(Die Schnacken abgerechnet) den Narren mit Narren getrieben,
Und alles dieß, in ziemlich gutem Latein,
Obgleich die Griechischen Wörter, Wortfügungen, und so weiter,
Wohl möchten unterblieben seyn – ]
Horaz demnach, mein Freund, mein Lehrer, mein Begleiter,
(Wie meines Hagedorn einst) macht meine Apologie.
Wir folgen seinem Gesetz, den Scherz mit Sokratischen Lehren
Zu würzen, – zwar nach unsrer Phantasie;
Allein, wer läßt sich diese Freyheit wehren?

Um also zu Dindonetten, (die, wie man weiß, sehr nah
Am Herzen uns liegt) zurück in ihre Höle zu kehren,
So stund sie, das große Werk zu fördern und zu mehren,
Wohl eine Stunde bereits, gleich einer Pythia,
Dem Cabbalisten gegenüber
Mit fliegendem Haar und bloßen Schultern da.
Nun rathet, Leser, was geschah!
Ihr Anblick, wiewohl sie gewiß sich dessen nicht versah,
Entflammt in dem armen Mann ein ungewohntes Fieber.
Ihm pocht sein Herz, es wird ihm grün und blau
Vorm schwimmenden Auge, und ohne selbst zu wissen,
Wie ihm geschieht, vergißt er den Mann und die Frau
Und Drachen und Geister, und liegt zu Dindonettens Füssen.

Im nehmlichen Augenblick füllt ein dicker schwarzer Dampf
Die ganze Höle; der Felsen erzittert unter dem Kampf
Entfesselter Winde, die Ofen und Tigel fallen,
Es donnert und blitzt, und unter betäubendem Knallen
Fährt mit den solarischen Geistern der Drache zum Schorstein hinaus.

So wenigstens hat die gute Dindonette
Es in der Folg' erzählt; wiewohl die vermeynte Gefahr
Die Sinnen verwirren konnte. Wir wagten keine Wette,
Daß alles nicht gemachtes Wetter war.
Das Urtheil sey dem Leser überlassen.
Genug, die Angst, worein die arme Princessin gerieth,
Bewog den Weisen Mann, aus zärtlichem Gemüth
Das trostbedürftige Kind in seine Arme zu fassen.
Sie, die vielleicht für Zufall hielt,
Was Vorsatz war, zerplatzte bald vor Lachen.
»Mein Herr Philosophus, wo sind nun ihre Drachen?
Bekennen Sie nur, Sie haben die Wette verspielt!
Ich hätte zu Ihrem Bart mich eines bessern versehen!
Ich meines Orts, ich blieb wie eine Säule stehen;
An Ihnen lag die Schuld.« – Ja, ich gesteh es ein,
(Noch fährt er fort den Arm um ihre Hüften zu schlagen)
Und könnten Sie wohl so unbarmherzig seyn,
Und mir den einzigen Trost in diesem Schaden versagen?
»Sie drücken mich, mein Herr! (spricht Jene) lassen Sie mich!
Ich steh auf guten Füssen und brauche keine Stütze.
Doch, was sie sagen mag, ihm steigt des Fiebers Hitze
Mit jedem Pulsschlag sichtbarlich.
Die Dame merkte zuletzt, was ihrem Weisen fehlte,
(Dies war ihr eignes Wort, als in der Folge Sie
Der lieben Amme dies Abentheuer erzählte)
Fy! (rief sie) schämen Sie sich vor ihrer Philosophie!
Wo denken Sie hin! Ein Mann mit Ihrem Barte! Sie könnten
Mein Ahnherr seyn! – Ein Stoß, wovon der alte Gauch
Zu Boden fiel, gab diesem Complimente
Die volle Kraft. Er taumelt, als wie auf seinen Schlauch
Ein trunkner Satyr fällt, und eh er aufzustehen
Die Nerven wiederbekam, war Dindonette weit.
Er lief ihr nach, sie um Vergebung zu flehen,
Und kam noch just zu rechter Zeit,
Von einem schimmernden Ritter sie ihm entführt zu sehen.
Es schien mit gutem Willen des Fräuleins zu geschehen,
Die noch zu allem Ueberfluß
Die Bosheit hatte, seinem Drachen
Mit einem zugeworfnen Kuß
Von hinten nach ihr Compliment zu machen.
Mich daurt der arme Mann! Die Qual des Tantalus
War nun, so lang er noch sein Leben schleppen muß,
Sein Loos dafür, daß Dindonette die runde
In seine Höle sich zu einer bösen Stunde
Verirren mußte! wofern er nicht vielleicht
Gescheidter ist, und denkt, wo Leute leben,
Da muß es wohl mehr runde Mädchen geben,
Den Bart herunter mäht, wodurch er Satyren gleicht,
Und in die Welt zurückeschleicht.


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