Christoph Martin Wieland
Der neue Amadis
Christoph Martin Wieland

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Funfzehnter Gesang.

Die Ritter trabeten noch nicht eine Meile lang,
Und schwatzten von tausend Dingen, womit wir, aus guten Gründen,
Den Lauf der Geschichte zu hemmen für itzt nicht nöthig finden,
Als sie ein sanftabsteigender Hang
Den Berg hinab in eine Gegend brachte,
Wo Anti-Seladon auf einmal Halte machte.
Es war das lieblichste Thal, das sich ein Musensohn
Zum Aufenthalt erwählen könnte,
Wenn ihm ein günstiger Stern die freye Wahl vergönnte.
Hier, rief Herr Anti-Seladon,
Erkenn' ich den Ort, den mir der Ritter nennte;
Hier ist der kleine sich schlängelnde Fluß,
Der zwischen Rosen irrt; dort in des Thales Mitten
Der kleine Tempel; hier das Wäldchen, dort die Hütten,
In reitzender Ferne. Gut! In dieser Gegend muß
Die neue Cynthia sich mit ihren Nymphen befinden.
Von welcher reden Sie? – frägt unser Paladin.
Von eben dieser, mit welcher ich fest entschlossen bin
Des Fächers letztes Feld zu zieren.
Sie müssen wissen, die Dame, die etwas grillenhaft scheint,
Verlor (so sagte mir ihr abgedankter Freund)
Ich weiß nicht wie, in diesen wilden Refieren
Von ihren Schwestern sich, die etliche Jahre schon
Auf Abentheuer herum durch Berg' und Thäler ziehen.
Der vorbesagte Seladon,
Nach langem hoffnungslosen Bemühen
In diesen Gebürgen, von einem holen Baum
Und einer Felsenkluft zur andern sie aufzusuchen,
Fand sie von ungefähr in diesen jungen Buchen;
Allein so wunderlich verkleidet, daß er sie kaum
Beym zweyten Anblick erkannte. Sie war in eine Diane,
Und ihr Gefolge in Nymphen und Faunen übersetzt.
Nicht; wie Sie vermuthen, in eine moderne Diane,
Die außer Köcher und Pfeil, und einem Mond von Lahne
Im Haar, von Kopf zu Fuß das alte Costume verletzt;
In eine Dian' à la Grecque, mit bloßen Armen und Beinen,
So, wie wir auf geschnittnen Steinen
Apollo's Schwester jagen sehn.
Die Mode setzt voraus, man habe die Knöchel so schön,
Als sie Homer an Thetis und an Dianen preiset.
Dieß muß man wenigstens gestehn,
Daß eben nicht jede Venus uns gern die Knöchel weiset.

So sprach der Ritter vom Fächer. Doch, um den Leser nicht
In dunkeln Vermuthungen irren zu lassen,
Erstatten wir ihm, ganz kurz, umständlichen Bericht,
Von dem, was Leoparden (von welcher der Ritter spricht)
Begegnete, seit wir sie im vierten Gesange verlassen.

Das schöne goldene Schloß, das ihr so nahe schien,
(Und welches, im Vertraun zu sagen,
Das nehmliche war, worinn seit etlichen Tagen
Wir drey von Bambo's Töchtern, und unsern Paladin
Nebst Junker Caramellen zu sehn die Ehre hatten)
Verlohr sich, je näher sie ihm zu kommen glaubt,
Stets weiter und weiter in immer blässere Schatten,
Bis endlich die dunkelste Nacht ihr alle Hoffnung raubt.
Sie wußte mit ihren Nymphen sich anders nicht zu retten,
Als eine Art von ziemlich luftigen Betten
Aus dürrem Laube zu machen. Man hilft sich wie man kann.
Wie gut sie geschlafen habe, dieß, sagen die Annalisten,
Sey etwas, worüber sie uns (wiewohl sie alles gethan,
Um auf den Grund zu kommen) im Zweifel lassen müßten.
Wohl oder übel, genug, der Morgen brach heran.
Die schwarzen Verschnittenen mußten den höchsten Gipfel besteigen,
Allein auf zwanzig Meilen im Umkreis wollte kein Dach,
Geschweige dann ein goldnes Schloß sich zeigen.
Bey dieser Nachricht drang ein allgemeines Ach
Aus jedem weiblichen Busen. Sie hätten, so züchtig sie waren,
Von zwanzig australischen Riesen den Anzug lieber erfahren.
Zum Unglück war der Morgen ziemlich kühl;
Die armen Kinder! Sie schmiegten, einander anzuflammen,
Mit Armen und Beinen verschränkt, wie Bienen sich zusammen;
Ein MyronEiner der größesten Bildhauer aus dem besten Alter der Kunst. hätte aus ihrem Gewühl
Sich schöne Gruppen sammeln können.
Allein, auch dieser Trost, wär's ja ein Trost zu nennen,
Mit ihrem Schaden der Kunst beförderlich zu seyn,
War ihnen versagt. Zuletzt fiel Blaffardinen ein,
Es könnten die Schwarzen, die ihr Gefolge vermehren,
Der Westen und Schürzen im Nothfall wohl entbehren,
Womit sie weniger aus Wohlstand als zum Staat
Bekleidet wären. Der ganze weibliche Rath
Klatscht diesem Vorschlag zu; man fand ihn klug und billig,
Und kurz, die Mohren mußten, unwillig oder willig,
Sich ihrer gestreiften Westen und runden Schürzen entladen.
Die Damen putzten damit sich in die Wette heraus,
Und schmeichelten sich, sie sähen wie ächte Oreaden
In ihrem neuen Anzug aus.
Zwar reichten die Schürzen kaum den meisten an die Waden;
Doch desto völliger war
Die Nymphenhaftigkeit. Sie ließen von ihrem Haar
Den größten Theil der weissen Schultern umfliegen,
Und schnitten, die Arme bloß zu kriegen,
Die Ermel der Westen weg. Selbst Bambo's Tochter empfand
Ein ungemeines Vergnügen,
Da sie um ihren Kopf sich länger als alle befand,
Wie einer Diane geziemt. Die neuen Oreaden
Durchstreiften itzt Berg und Thal in ihrer Carnevals-Tracht;
Bis endlich beym stillen Lichte der schönsten Sommernacht
In vorbesagtem Thale, versteckt von den Rosengestaden
Des kleines Flusses, der arme Trebisond
Mit ihren Nymphen die Göttin im Baden
Zufälliger weise beschlich. Zum Unglück schien der Mond
In vollem Glanz. Er glaubte vor ihren Blicken
Sich hinter den Rosen verwahrt. Doch eine Redner-Figur,
Die vor zu großem und ungewohnten Entzücken
Dem armen Königssohn entfuhr,
Entdeckte den neuen Actäon. Er wird gesucht, gefunden,
Und von den Nymphen, mit Kränzen gebunden,
Ans helle Mondenlicht
Dianen vorgeführt. Sie zürnte bis zum Rasen,
Daß der verwegne Mann, der mit profanem Gesicht
In ihren Reizen gewühlt, noch Odem in seiner Nasen
Behalten sollte; Und wenn sie den armen Wicht
In keinen Rehbock oder Hasen
Verwandelte, lag's gewiß an ihrem Willen nicht.
Auf seinen Knien, und ohne die Augen aufzuheben,
Beschwur sie mit heißen Thränen und schluchzend Bleumourant,
Ihm lieber den Tod aus ihren Augen zu geben,
Als ihn zu verbannen. Umsonst! Er soll zur Strafe leben!
Soll leben, allein auf ewig aus ihren Augen verbannt,
Zu seiner Quaal ihr Bildniß mit sich tragen,
Und, wenn er will, sein Leid den stummen Felsen klagen.
Denn sollt' er kühn genug seyn, und nur dem Widerhall sagen,
Was er gesehn, so ist der jähe Tod
Das kleinste, womit ihn die Göttin bedroht.
Denn niemals konnte sie sich mit dem Gedanken vertragen,
Daß jemand im Stande seyn sollte, darauf zu schwören, sie sey
Ein Mädchen. Grillenhaft! wird manche Leserin sagen:
Indessen kennen wir doch zum wenigsten zwo bis drey,
(Und zweifele nicht, zählte man recht, daß ihrer noch etliche wären)
Die sich in diesem Punct für Leoparden erklären.

Dieß alles also, geneigter Leser, gieng
Voran, eh sich der Ritter vom Fächer
Des ganzen Männerstands selbst aufgeworfner Rächer,
Des Mädchens Übermuth zu züchtigen unterfieng.

Die Ritter, seitdem wir ein wenig von ihnen Abschied genommen,
Sind nun dem Aufenthalt der Göttin so nahe gekommen,
Daß Antiseladon bereits das Urtheil fällt,
Es lohne sich wohl der Mühe, nach ihrem Bilde zu streben.
Er sah sie, bedeckt von einem grünen Gezelt,
Auf einem blumichten Thron von ihren Nymphen umgeben,
Und ihr zu Füssen lag auf seinem rechten Knie
Ein mächtiger Ritter. Es schien, als hörte sie
Das, was er ihr sagte, wo nicht mit günstigen Mienen,
Doch sonder Ueberdruß an. Der Mann, den keiner von ihnen
Gesehen zu haben vermeynt, war Boreas. Und wie
Kam der hieher? – Nachdem er den Park verlassen,
Und endlich dem schönen Ritter vergebens aufzupassen
Ermüdete, ward er vom Zufall (der, in Vorbeygehn gesagt,
Die kleine Welt so übel nicht regieret)
Auf Leopardens Spur geführet.
Er fand die Göttin auf der Jagd –
Der Jagd? – spricht hier ein Verserichter.
Ein Unterhändler, ein Lügner und ein Dichter
Soll nicht vergeßlich seyn! Wo nahm sie denn den Speer,
Der einer Dame gebührt, und Pfeil' und Bogen her?
Herr Criticus! man jagt verschiedne Dinge;
Ihr – Schnitzer, Fliegen – Schah Baham und Kaiser Domitian,
Und Leoparde Schmetterlinge.
Doch was bekümmert uns dieß? Genug, der CalibanEine Art von Halbmensch, von Shakespears Schöpfung, der Sohn der Hexe Sykorax und eines Feldteufels. S. den Sturm im I. Theil der Uebersetzung Shakespears.
Fand sie; und fand, so bald er sie erblickte,
Was sich für sein Bedürfniß schickte.
Die Dirne, denkt er, steht mir an.
Lang von Gesicht, der Juno Wuchs und Busen,
Der Pallas Augen, groß und grau,
Der Blick und die Miene von Venus und Medusen
Zu gleichen Theilen entlehnt, wiewohl nicht so genau,
Daß, wenn sie sich vergaß, nicht die Meduse zuweilen
Die Venus verschlungen hätte; ein Amazonen-Gang,
Und kurz, das Ganze mit allen seinen Theilen
Schien ihm dazu gemacht, die Wunde zuzuheilen,
Die Schatulliösens Uebergang
Zu seinem Feind, in seinem Herzen geschlagen.
Auch Leoparde (die Wahrheit, mit ihrer Erlaubniß, zu sagen,)
Verspürte bey seinem Anblick ich weiß nicht welchen Hang,
Ihn besser als Bleumouranten, den Seufzer, zu ertragen.
So marmorartig sie immer sich gegen diesen bewies,
Sagt doch die geheime Geschichte, sie ließ
Den Tapfern, oder die es zu seyn verbunden waren,
(Setzt man hinzu) mehr Achtung wiederfahren.
Don Boreas hatte überdieß
Das Glück, sogleich den Nymphen einzuleuchten.
Sie warfen vor ihrer Dame in einem Kreise sich hin,
Und ließen nicht ab, bis sie den Eigensinn
Der Tochter Bambo's zu seinem Vortheil erweichten,
In so fern wenigstens, daß sie sich ihn
Zu ihrem Beschützer, so lange sich ihre Schwestern nicht fänden,
Gefallen ließ. Man konnte die Sache nicht besser wenden.
Mit einem hübschen Mann herum im Lande ziehn,
War in den Zeiten der irrenden Ritter
Nicht, was es heut zu tag ist. Die Nonne hinter dem Gitter
Ist sicherer nicht, als damals bey ihrem Paladin
Die schönste Princessin, auf freyem Felde, ja gar
In dunkeln Gebüschen und stillen Grotten war;
Wiewohl wir, bey allem dem, in alten Büchern lesen,
Daß Amor auch damals zuweilen – das was er ist, gewesen.


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