Christoph Martin Wieland
Der neue Amadis
Christoph Martin Wieland

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Vierter Gesang.

Wie Leoparde, die Strenge, sobald sie durchs Gesträuch
Den Riesen erblickt, voll Angst dem Bad entstiegen,
Und schneller, als schüchterne Tauben dem fernen Geyer entfliegen,
Sich in den Wald gestürzt, wird, werthe Leser, euch
Vermuthlich in frischer Erinnerung liegen.
Man hat es übel gefunden, daß bey so geringer Gefahr
Die Dame sich wenigstens nicht so viel Zeit, als erforderlich war,
Den Schleyer um sich zu werfen, genommen.
Der Uebelstand ist offenbar!
Indessen ärgert sie doch, zum Glücke, keinen Frommen
In einem Walde, von dem den finstern Labyrinth,
Seitdem die Menschen den Eichen entkrochen,
Kein Erdensohn vermuthlich nie durchbrochen.
Die Schöne, die dieses zu wenig zu ihrer Entschuldigung findt,
Geruht vielleicht im Eyfer zu vergessen,
Daß ihre eigene Tugend wer weiß? noch diesen Tag
Durch eine schnellfüßige Spinne zu Falle kommen mag;
Und Spinnen pflegen doch auch kein Frauenzimmer zu essen.

Als Leoparde, vom Laufen athemlos,
Auf einem Hügel ein wenig zu ruhen beschloß,
Horcht sie mit lauschendem Ohr, und steht nicht wenig betroffen,
Daß von den Zelten kein Laut ihr Trommelfell erreicht.
Sie hatte soweit sich verloffen,
Daß, einen Rückweg zu hoffen,
Wo jeder Pfad verführt, ihr unwahrscheinlich däucht.
Indessen fanden die Nymphen und Mohren,
Die ihr im Laufen gefolgt, sich einzeln keuchend ein.
Die meisten gaben die Hoffnung, sich aus dem furchtbaren Hayn,
Der ohne Grenzen schien, herauszuwinden, verlohren.
In einer Lage wie diese hat wohl ein Weiser Müh,
Im Gleichgewichte sich zu erhalten!
Mit hängenden Köpfen, um welche zerstreut die Locken wallten,
Die Arme über die Brust verschränkt, die Stirn in Falten,
Saß um die Dame die Schaar der Nymphen; und dachten sie
Zurück an die Zelten, wo itzt, in ihrer Phantasie
Die Feinde, in Flammen gehüllt, nach strengem Kriegsrecht schalten,
So fiengen sie alle zugleich nach Einer Melodie
So bitterlich an zu heulen und zu weinen,
Daß alle Felsen ringsum mit ihnen sich vereinen.

Indessen sank der Tag, und immer länger fiel
Der Cedern gigantischer Schatten herab in einsame Thäler.
Von Kälte lidten zwar die guten Mädchen nicht viel,
Wiewohl sie (die närrischen Dinger!) im Schrecken den nehmlichen Fehler
Wie ihre Dame gemacht. Doch war der Nymphenstand
Noch etwas zu neues für sie, sogleich ihn für bekannt
Zu nehmen; auch hatten nicht alle, die Wahrheit zu gestehen,
Sehr viele Ursach, sich gern in diesem Stande zu sehen.
Kurz, alle wünschten sich sehnlich auf die Nacht
Ein besser Lager, als einst Ulyß sich auf PhäaAls einst Ulyß sich auf Phäa gemacht. Nehmlich aus dürrem Laube, zwischen zween dichtverwachsnen Bäumen. Odyssee, B. IV. V. 174. u.f. gemacht.
Ein armes Strohdach ist in diesem Augenblicke
Der höchste Wunsch, den Bambo's Tochter wagt.
Sie, die in ihrem ursprünglichen Glücke
Auf Schwanen und Nesseltuch oft zu hart zu liegen geklagt,
Wär' itzt unendlich wohl mit ihrer Nacht zufrieden,
Hätt' ihr das Schicksal nur von einer Schäferin
Den harten Laubsack zum Lager beschieden,
Mit Rosen bestreut, oder nicht, darüber schlüpft sie hin.
Allmächtige Noth! du kannst mehr als die Epikteten;
Du machst den Weichling hart, und lehrst den Frevler beten!
Nichts kann den Uebermuth,
Der Erdengötter, wie du, zur Selbsterkenntniß zwingen!
So lang ihr zartes Fell auf Pflaum und Edredon ruht,
Und Symphonien sie in weichen Schlummer singen,
Nichts ihnen fehlt, was nur den Sinnen gütlich thut,
Und wenn sie winken sogleich sich tausend Füsse beschwingen:
Wie leicht vergessen sie da, daß unser bürgerlich Blut
So roth als ihres ist! Wem könnt' es da gelingen,
Terenzens Homo sumTerenzens Homo sum – Wie? (sagt Terenzens Heautontimorumenos, oder Selbstpeiniger, zu seinem Nachbar) lassen dir deine eigene Angelegenheiten soviel Muße, daß du dich um fremde Dinge bekümmern kannst, die dich gar nichts angehen? – Ich bin ein Mensch, antwortet ihm Chremes, nichts ist mir fremde, was einen Menschen betrifft. (Homo sum, nihil humani a me alienum puto.) Ein Vers, der, bey aller seiner ungeschmückten Einfalt, der beste ist, den die Menschlichkeit jemals einem Dichter eingegeben hat. den Stolzen beyzubringen?
Die Musen verlöhren die Müh es ihnen einzusingen;
Ihr Herz wird nur durch Trübsal gut.

Schon sank Leoparden der Muth, indem die Königin
Der Nacht bereits den drachenbespannten Wagen
Herauf am Horizont trieb; als mitten unter den Klagen
Der Mädchen eine rief: Was seh ich? O! sehet dorthin!
Mehr konnte das Mädchen vor Freude nicht sagen.
Und alle riefen zugleich: was siehst du? und sahen dahin,
Wohin sie zeigte, und sahen mit freudetrunknen Blicken
Auf eines Berges grauem Rücken
Ein schönes Schloß, das ganz von Golde schien,
Im blassen Roth der Abenddämmerung glühn.
Der Anblick goß auf einmal neues Leben
In jedes Herz, und lehrte die Füsse sie heben.
Sie liefen, wie wahre Nymphen; denn das Verlangen zieht;
Je bälder je lieber das schöne Schloß zu erreichen,
Das einem Feenschloß gleich als wie Carfunkel glüht,
Wovon, dem Vorrecht nach von allen ihres gleichen,
Sich Leoparde bereits die höchste Gebieterin sieht.

Sie ist nun auf gutem Wege. Wir lassen sie laufen und keuchen,
Und eilen zu Schattulliösen, die noch, von Ohnmacht besiegt
Dem Triton in den Armen liegt.

Der Triton, dem wohl nicht davon geträumt, noch heute
So einen Zug zu thun, schwamm mit der schönen Beute
In stillem Triumphe der sichern Grotte zu.
So schleicht sich mit grinsendem Lächeln und aufgeblasenen Backen
Ein diebischer Affe davon, um in gemächlicher Ruh
Zu oberst unterm Dache geraubte Mandeln zu knacken.
Die arme Dame! Die Ohnmacht hinderte sie,
Sich nach den Regeln zu sträuben, und zu zappeln.
Ihr Schönen, o bittet die schätzenden Geister, euch nie
Der Großmuth eines Mannes mit einer Schürze von Pappeln
Anheim zu stellen. Man wagt sehr viel dabey. Zumal
In solchem Stand. Er hatte, sie zu sich selbst zu bringen,
Gewiß weder Eau de Luce noch sonst ein Cordial, –
– »Und brachte sie doch zu sich selbst? Das kann mit rechten Dingen
Nicht zugegangen seyn!« – So denkt, zum Exempel, die Welt!
Kömmts hoch, so zückt man mit sceptischer Nase
Die Achseln, hofft nach der Liebe, und läßts dahin gestellt.
Im übrigen weiß ich nicht, was mich zurücke hält.
Die Red' ist weder von meiner Tochter noch Base;
Und bin ich etwan zum Hüter von Bambo's Töchtern bestellt?
Ich dankte für das Amt! Sie gehn den Mann im MondeDen Mann im Monde.
Unsre Leser haben diesen berühmten Mann seit kurzem ans den Dialogen des Diogenes so gut kennen gelernt, daß ich schwören wollte, Hermes Trismegistus selbst habe ihn nicht besser gekannt. Ob Rabelais eben soviel von ihm gewußt habe, wie ein ungenanntes Kunstrichterchen (welches mit einem gewissen air à la grecque, das es sich giebt, das possierlichste kleine Ding von der Welt ist) uns versichert hat, müssen wir ihm glauben, da wir, vielleicht zu unsrer Beschämung, gestehen, daß wir uns niemals haben überwinden können, diesen berühmten Autor durchzulesen. Hingegen wollen wir ihm, weil doch ein Dienst des andern werth ist, einen andern Mann im Monde bekannt machen, von welchem er vielleicht eben so wenig gewußt hat, als wir von dem Rabelaisischen; es ist der L'Homme dans la Lune de Dominique Gonzales, Advanturier Espagnol, autrement dit le Courier volant. Paris 1654. 8. Und wir fügen dieser Nachricht eine kleine Anekdote bey, auf deren buchstäbliche Wahrheit er sich verlassen kann; nehmlich, daß weder dieser besagte Homme dans la Lune noch der Mann im Monde, von welchem Diogenes soviel – nicht weiß, mit demjenigen, auf welchen unser Dichter anspielt, das geringste weiter gemein hat, als den Nahmen. Kurz und gut, der Mann im Monde quæstionis ist kein andrer als der nehmliche Mann mit dem Reisbündel auf dem Rücken, und der Laterne in der Hand, von welchem alle Ammen zu erzählen wissen; das kann er uns kühnlich für eine Wahrheit nachsagen, wenn er will.

Nicht weniger an. – Wer weiß, in welchem Strauß
Selbst diesen Augenblick sich Blaffardine, die Blonde
Die gleichfalls davon lief, befindet? – Indessen zieht euch daraus
Die Regel, ihr Mädchen: Man soll vor Riesen noch Zwergen
Sich weder in freyem Felde noch hinter Gebüschen verbergen.
Was liefen die Damen? Das Aergste gesetzt, giengs ihnen bloß
Wie allen andern; und würklich war die Gefahr nicht groß.
Allein, so pflegte die Furcht zu machen;
Sie liefe vor einer Maus dem Behemoth in den Rachen.

Dem sey nun wie ihm will, die keusche Infantin erwacht
Auf einem Bette von Schilf und Wasserlinsen
Aus einer langen Entgeistrung, und macht
An ihren Erretter, mit seiner Krone von Binsen,
Zwey große Augen. Die Reue nach der That,
Kömmt, wie das Sprüchwort sagt, zu spat.
Der Triton scheinet ihr, je länger sie ihn beschauet,
Zum wenigsten um die Hälfte mehr Ries' als jener zu seyn.
Mit einem Triton, in seiner Grott', allein!
Das macht Gedanken, wovor der Tugend grauet.
Von diesen Gedanken empört, fuhr sie mit beyden Händen
In ihre Locken, zerriß ihr Halstuch, sprang an den Wänden
Hinauf, und declamierte, mit tragischem Anstand aus mehr
Als zwanzig Opern die tollsten Stellen her.
Dann wirft sie athemlos sich auf die Erde nieder,
Reibt ihre Augen, weint, fährt wieder
Wild, wie Medea, herum, apostrophiert
Die halbe Natur, und schwört, den Flußgott ewig zu hassen,
Wofern er – kurz sie spielt die Tugend, wie sichs gebührt,
Und doch, was ist zu thun! – man muß sich endlich fassen!
So sehr ihr seine Ungestalt
Mißfällt, so ist sie nun einmal in seiner Gewalt.
Ringsum ist Meer, sie kann nicht schwimmen
Noch unter Wasser gehn, – Da war kein andrer Rath
Als allgemach die Sayten herunter zu stimmen.
Das war denn auch, was ihre Tugend that.
Das Schicksal, spricht sie, mein Herr, hat über uns zu gebieten;
Indessen hoff' ich, sie haben, so lang' ich mich selbst nicht empfand,
Sich in den Grenzen der Ehrfurcht gehalten, die meinem Stand
Und meinem Geschlechte gebührt! Nur Garamanten und Scythen
Sind mit den Regeln des Wohlstands unbekannt
Genug, uns mit Gewalt zu nehmen,
Wozu wir uns (sie hält dieß sagend die Hand
Vor ihre Augen) mit Willen nie bequemen!


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