Christoph Martin Wieland
Der neue Amadis
Christoph Martin Wieland

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Ihr glaubet nicht, wie hoch der Mann die Nase
Emporwarf, wenn er sich in diesem Menippischen TonDas feine Raisonnement, welches in den vorhergehenden Versen dem Gymnosophisten in den Mund gelegt wird, gehört eigentlich dem Lucian zu, der in einem Dialog zwischen Merkurius und Menippus diesem mehrmals von ihm aufgeführten Nachahmer des Diogenes die Ehre davon giebt.
Bewies, die Schönheit sey nur eine Seifenblase.
Dann lief er in seinen Gedanken mit Ossa, Pelion,Die Nahmen der zween Berge, welche die Giganten übereinander thürmten, um den Olympus, den Sitz der Götter, zu ersteigen.
Und mit der ganzen Welt wie ein Kind mit der Klapper davon.
Dann hätt' er sich stark genug gefühlet,
Das nackte Gewimmel der Töchter des alten OceanDie Nymphen des Meers sind nach den alten Poeten Töchter des Oceans und der Thetis.
Gleichgültig anzusehn, und selbst Cytheren zu nahn,
Wenn Zephyr den schlummernden Amor an ihrem Busen kühlet.
Ein guter Genius, besorgt für seinen Ruhm,
Führt ihm und seinem Heldenthum,
Da ers am wenigsten sich eingebildet hätte,
Die langentbehrte Gelegenheit zu.
Er sieht in ihrer einsamen Ruh
Bestürzt, doch süß bestürzt, die runde Dindonette.
Er zittert einen Schritt zurück,
Und hätte die Lampe beynah vor Schrecken fallen lassen;
Doch einem Manne, wie er, geziemts, sich schnell zu fassen.
Er denkt, ihn täusche sein halbbenebelter Blick.
Bey falschem Lampenlicht ists leicht, Gespenster zu sehen;
Doch, hat man Muth genug, dem Geiste zu leibe zu gehen,
So bleibt gemeiniglich von zehn nicht einer stehen.
Er hält die Lamp' empor, und sieht mit schärferen Blick
Noch einmal hin, und – Götter! welch ein Stück
Organisierten Stofs, wie eine Venus gebildet,
(Wiewohl nicht halb so nackt) liegt reizend hingestreckt
Auf dürrem Laub! Der Schein der Lampe vergüldet
Die volle Brust, soviel der Schleyer nicht bedeckt,
Und ein gebognes rundes Knie,
Wovon der Gott des Schlafs die leichte Drapperie
Aus Lüsternheit ein wenig weggeschoben.
Allmählich schleicht der Eremit
Sich kühner hinzu, und findt mit jedem Schritt
Sich mehr erweckt, den Meister solch eines Werkes zu loben.
Wie Psyche, die Lamp' in der Hand,
Halb athemlos vor Schrecken und Entzücken
Beym schlummernden Liebesgott stand,
Und ihn verschlang mit unersättlichen Blicken:
So froh, und so bestürzt (doch freylich nicht so schön)
Blieb unser Mann vor Dindonetten stehn.
Und wer ihn straft, dem würd' es ohne Zweifel
An seinem Platz gerade so ergehn.
Groß ist der Schönheit Macht! Wir sehn's an Miltons Teufel;Parad. Lost B. IV. v. 358 seqq. Wiewohl wir, zur Steuer der Wahrheit, nicht unbemerkt lassen können, daß der Dichter die Sache ziemlich übertreibt, und der Schönheit Evens allein zuschreibt, was bey Milton die Würkung des ersten Eindrucks ist, welchen die Schönheit und Unschuld beyder ersten Menschen auf den gefallnen Engel macht.
Ein einziger Blick auf Even schläfert die Pein,
Die Furien selbst, in Satans Busen ein;
Er fühlt erstaunt die längstverlernten Triebe
Des ersten Engelsstands, vergißt, warum er kam,
Ein Tropfen Wonne fließt in seinen ewigen Gram,
Und seine Wuth zerschmilzt in Liebe.

Indessen müssen wir zur Ehre des Weisen gestehn,
Für einen Mann, der gänzlich unerfahren
In solchen Dingen war, und wohl in zwanzig Jahren
Nichts so verführisches gesehn,
Zog seine Gymnosophie sich ziemlich aus der Schlinge.
»Ich hätte die Natur der Dinge
So lange studiert, und darum mich aus der Welt verbannt,
Und fühlte bey diesem Skelet von Sehnen, Knorpeln und Knochen,
Mit Muskeln ausgestopft, mit weißem Leder bespannt,
Mein feiges Herz im Busen pochen?
O Fy! wie schickte sich das für einen reinen Geist,
Der zwanzig Jahre bereits mit bloßen Ideen sich speist!
Nein, nimmermehr soll dies geschehen!
Ich will Gewalt mir thun, so lange sie anzusehen,
Bis meine Vernunft den Zauber der Sinnen zerstreut,
Und meine Augen selbst, sie, ohne überzugehen,
So wie sie würklich ist, nicht wie sie scheinet, sehen.«

Ein kühner Vorsatz wars, und ihm zu Folge lehnt
Der weise Mann dem Mädchen gegenüber
Sich an die Wand, und heftet, als wollt' er jede Fiber
Zerlegen, auf ihren Busen, wo Amor schlummernd sich dehnt,
Den anatomischen Blick. Allein, was er gewähnt,
Erfolget nicht. Mit jedem Blick verschönt
Der Thron der Grazien sich, und auch je länger je lieber
Wird ihm der süße Betrug; bis sich der gute Mann
Die Würkung seines Versuchs nicht mehr verbergen kann,
Und da die bessere SeelAllusion auf die zwo Seelen, welche Araspes, der Liebhaber der schönen Panthea in Xenophons Cyropädie, in seinem Herzen findet. ihn eilends fliehen heisset,
Mit aller Gewalt sich kaum aus Amors Netzen reisset.

Er flieht. – »Und konnt' er fliehn?« – Welche eine Frage das ist!
Mein Herr, man ist umsonst wohl kein Gymnosophist.
Er hätte, dächt' ich, die Kunst der Selbstbeherrschung zu lernen,
Doch Zeit genug gehabt. – Noch einen einzigen Blick,
Noch einen, den letzten noch, und einen noch zurück
Im Eingang der Höle, – und nun, sich ewig zu entfernen,
Der Vorsatz verdiente doch wohl noch einen Seitenblick?
Wahr ists, so hatte der Mann nach seinen Vettern, den Sternen,Nach der Hermetischen und Zoroastrischen Philosophie sind unsre Seelen den Sternen nahe verwandt; Beyde sind, in gewissem Sinn, göttlicher Natur. Dieses scheint der Grund des scherzhaften Ausdrucks zu seyn, dessen sich der Dichter hier bedient.
In seinem Leben nie geguckt. Doch alles dieß
Ward gut gemacht, indem er sie verließ.
Nur den Entschluß, sich ganz zu entfernen, verwies
Die Menschlichkeit ihm. Sie so allein zu lassen
War grausam! Mußt er dann, um nicht zu lieben, sie hassen?
Giebts keinen Mittelweg! – Vortrefflich! ganz gewiß
Giebts einen Mittelweg! – Zum Häßlichen und zum Schönen
Läßt unser Auge sich gewöhnen.
Gewohnheit (und Sättigung) macht den glücklichen Ulyß
Nach seiner alten Frau und seinen Felsen sich sehnen;
Ihm ekelt vor dem Aufenthalt,Mit diesem Zug vollendet Homer sein zauberisches Gemählde von der Insel und Grotte der Nymphe Calypso, im 5ten Buche der Odyssee –

a Scene, where if a God should cast his sight
a God might gaze, and wander with delight
Pope's Odyssey. B. V. v. 95.


Der einen Gott im Fliegen halten würde;
Ein Leben aus Freuden gewebt wird ihm zur drückenden Bürde,
Das Schauspiel der schönen Natur, das den so sehr entzückte,
Der es, wie Platons Mensch,Eine Anspielung an die berühmte allegorische Vorstellung des Zustands der menschlichen Seele, so lange sie unter der Herrschaft der Sinnen steht, vergliechen mit demjenigen, da sie zum Anschauen des Intellectualischen Wahren gelanget, im Anfang des 7ten Buchs der Republik Platons. zum erstenmal erblickte,
Ergötzt den kaum, der täglich es genießt.
Natürlich muß es ihm so mit diesem Mädchen gehen.
Sie, die ihm itzt gefährlich ist,
Wird er zum zehntenmal schon viel gelaßner sehen;
Und so ergiebt sich leicht der Schluß,
Daß sich beym zwanzigsten ganz ihr Gift verliehren muß.

Er irrte noch in diesen Gedanken,
Als zwischen den verwebten Ranken,
Die um den Eingang der Höle sich ziehn,
Das Mädchen mit irrendem Tritt, und Augen als suchte sie ihn,
Hervor sich wagt. Er sieht ihr durchs Gesträuche
Entgegen, und wenn sie ihm schlafend gefiel,
So däucht ihn, daß ihr itzt der Nymphen Schönste weiche.
Wiewohl, die Wahrheit zu sagen, die Grazien eben nicht viel
Für Dindonetten gethan, so gab ihr doch das Spiel
Des Windes mit ihrem Haar, und ihre Nymphenhafte
Bekleidung, ihr watschelnder Gang, und kurz der ganze Ton
Und unbedeutende Ausdruck in ihrer runden Person,
Ich weiß nicht was, worinn man leichtlich sich vergafte.

Seit ihrem Abentheur mit dem Faunen hatte für sie
Ein übelgekämmter Mann, mit Katzenfellen behangen,
Nichts sehr erschreckendes mehr; denn ihre Phantasie
That nichts dabey. Der Mann kam auf sie loßgegangen.
Gut! denkt sie, wenigstens ists ein Wesen meiner Art;
Was kümmert mich sein Katzenfell, sein Bart?
Gewißlich wird er mich zu essen nicht verlangen!
Wär' es ein hübscher Herr mit feinen glatten Wangen
Gewesen, so hätte sie freylich sich nicht darüber betrübt;
Inzwischen nimmt sie ihn, so gut der Wald ihn giebt.


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