Christoph Martin Wieland
Der neue Amadis
Christoph Martin Wieland

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Vorbericht.

Bey dem Inquisitions-Gerichte, welches der Pfarrer, der Barbier, die Base und die Haushälterin über die Bibliothek des preiswürdigen Ritters Don Quixotte von Mancha, im 6. Capitel des Ersten Theils seiner lehrreichen Geschichte, halten, sind die Vier Bücher des Amadis von Gallien das erste, welches der Pfarrer zum Feuer verdammt haben will, »weil es das erste Ritterbuch sey, das in Spanien gedruckt worden, und allen übrigen zum Modell gedient habe.« Der Barbier aber stellt zum Behuf desselben vor: »er habe von verständigen Leuten sagen gehört, daß es das beste in seiner Art sey, welches die Spanier hätten;« und er erhält durch seine Fürbitte, daß ihm der Pfarrer, wenigstens bis auf weitere Untersuchung, Gnade wiederfahren läßt.

Nicolaus Antonius sagt in seiner Bibliotheca Hispanica Vetus, daß Vasquez Lobeira, ein Portugiese, der gegen das Ende des dreyzehnten Jahrhunderts gelebt, für den Verfasser der ersten Bücher des Amadis von Gallien gehalten werde. Das fünfte Buch, welches die Abentheuer des Ritter Esplandians enthält, und die übrigen achte, worinn die Thaten der Ritter Florisando, Liswart, Perion, Florisell, oder Amadis von Griechenland, und seiner Söhne Rogel von Griechenland und Silvio de la Silva beschrieben werden, sind nach und nach von verschiednen, zum Theil unbekannten Verfassern, hinzugethan worden; und finden als unächte Nachahmungen eines Originals, dessen eigner Werth zweydeutig genug ist, keine Gnade vor den Augen des Herrn Pfarrers. »Sie sollen alle zum Fenster hinaus (sagt er, indem er die ganze Familie des Amadis dem weltlichen Arme der Haushälterin überantwortet). Ehe ich die Königin Pintiquiniesten und den Schäfer Darinel mit seinen Eklogen, und die verwünschten Dissertationen, die der Autor allenthalben einmengt, verschonen wollte, ehe wollte ich meinen leiblichen Vater sammt ihnen verbrennen, wenn er mir in Gestalt eines irrenden Ritters in den Weg käme.«

In Frankreich sind die ersten Bücher des Amadis von Nicolas de Herberay, Herrn des Essars, übersetzt, und vom Jahre 1540 an nach und nach herausgegeben, mehrmals wieder aufgelegt, und in der Folge von unterschiedlichen Verfassern bis auf vier und zwanzig Bücher erweitert worden.

Auch unsre Nation besitzt eine alte Uebersetzung dieses Ritterbuches, welche für die Sprachforscher nicht gleichgültig ist, und wovon außer der sehr seltnen Folio-Ausgabe vom Jahre 1583 eine andre vom Jahre 1594 in vier und zwanzig dicken Octav-Bänden, vorhanden ist, welche man nicht leicht vollständig beysamen antrifft. S. Clement's Catalogue raisonne des Livres difficiles à trouver, pag. 238. seqq.

Bernardo Tasso (der Vater des großen Dichters Torquato Tasso, wenn ich nicht irre) hat diesem Urbild und Stammvater so vieler irrenden Ritter die Ehre erwiesen, ein großes Heldengedicht in hundert Gesängen aus seiner Geschichte zu verfertigen, wovon ich eine Venezianische Ausgabe der Gebrüder Fabio und Agostino Zoppini vom Jahre 1581 vor mir habe. Ein Werk, dem die Nacheiferung des unnachahmlichen Ariosts, und die Muße des Verfassers den Ursprung gegeben zu haben scheint, und welches, so viel wir nach einigen Theilen von dem Ganzen urtheilen können, ziemlich weit hinter den prächtigen Lobsprüchen zurückbleibt, die ihm sein Vorredner, Lodovico Dolce, in vollem Maße zu ertheilen beliebt hat. Denn ich gestehe gerne, daß ich nicht so viel Geduld habe, als erfodert wird, um sich auch nur durch den zehenten Theil dieses gereimten Ritterbuchs hindurchzuarbeiten.

Alles, was ich dem Leser mit Gewißheit versichern kann, ist, daß der neue Amadis mit dem Amadis des Bernhard Tasso, und mit allen andern Amadissen in der Welt, so wenig oder viel deren seyn mögen, außer dem Nahmen, und außer derjenigen Aehnlichkeit, die er sogar mit den contes de ma Mere l'oye hat, (wenigstens mit Wissen und Willen des Dichters) nicht das mindeste gemein habe; und daß in der That schwerlich ein andrer Grund, warum dieses Gedicht nicht vielmehr der Neue Esplandian oder der neue Florismarte genennt worden, angegeben werden könnte, als weil der Nahme Amadis bekannter ist, und ich weiß nicht was für einen romantischen Klang hat, der ihn vorzüglich geschickt macht, einen Abentheurer von so sonderbarer Art, als der unsrige ist, zu bezeichnen.

Die Versart, welche unser Dichter zu einem Werke, worinn die Helden alle, mehr oder weniger, Narren, und die Heldinnen, bis auf eine oder zwo, die abgeschmacktesten Geschöpfe von der Welt sind, gewählt, oder (um ihm völlige Gerechtigkeit angedeyhen zu lassen) erfunden hat, scheint unter allen möglichen diejenige zu seyn, welche seinem Werke die angemessenste ist. In einem Gedichte von dieser Art muß der Poet Freyheit genug haben, um seinen Geist alle mögliche Bewegungen und Wendungen machen lassen zu können. Jede einförmigere Versart würde seiner comischen Muse einen Gang geben, der mit ihrem eigenen launenhaften Charakter, mit der Munterkeit ihrer Erzählung, mit dem Comischen der Gegenstände, kurz, mit der ganzen Beschaffenheit eines Gedichtes, welches durchaus mehr einer blossen Eingebung der Natur, einem Spiele der Phantasie, und der freiwilligen Ergießung einer lebhaften Ader von Witz und Humour, als einem Werke des Nachdenkens und der Kunst gleich sieht, einen ganz unschicklichen Absatz machen würde. Die Versart des Neuen Amadis hat die Vortheile der meisten übrigen, ohne ihre Mängel und Unbequemlichkeiten. Sie paßt sich an alle Arten von Gegenständen, und an alle Veränderungen des Styls an; sie hat, je nach dem es erforderlich ist, einen gelassenen oder hüpfenden, einen feyrlichen oder muntern, einen eleganten oder nachläßigen Gang; sie windet sich wie ein sanfter Bach durch Blumengefilde, oder rauscht wie ein Waldwasser über Stämme und Felsenstücke daher; sie scheint beym ersten Anblick zu frey zu seyn, um dem Poeten die mindeste Mühe zu geben; aber Ungeübte, welche, ohne feines Gefühl für Rhythmus und Harmonie, sie nachzuahmen versuchen wollten, möchten sich hierinn betrogen finden. Alles in der Welt hat seine Regeln; und diese freye Versart, so nahe sie an die Dithyrambische grenzt, hat deren vielleicht mehr als irgend eine andre. Sie ist fähig, einem Gedichte die größeste musicalische Anmuth zu geben; aber unter ungeschickten oder allzunachläßigen Händen würde sie ein unerträgliches Geleyer werden. Die Nachahmer wissen selten, wieviel Kunst und welch ein hartnäckiger Fleiß oft unter dem Anschein der äussersten Leichtigkeit versteckt ist. Aber sollte man darum nichts neues wagen dürfen, damit diesen Leuten die Veranlassung benommen würde, Ausschweifungen zu begehen?

Das ganze Geheimniß dieser Versart liegt (außer der Freyheit, sechs- fünf- vier- und zuweilen auch dreyfüßige Verse mit einander abwechseln zu lassen) in der häufigen und der Willkühr oder dem Urtheile des Dichters überlassenen Vermischung oder Vertauschung des Anapästs (^ ^ –) mit den Trochäen und Spondeen. Vielleicht wäre zu wünschen, daß dieser Gebrauch des Anapästs, mit der nöthigen Bescheidenheit, auch in andern Gedichten von der erzählenden Art, ja selbst in versificirten Trauer- und Lustspielen, eingeführt werden möchte; die Dichter würden dadurch des nachtheiligen Zwanges enthoben, sich einer großen Menge von schicklichen Wörtern und Redensarten nur darum nicht bedienen zu können, weil sie nicht in die gewöhnlichen Jamben passen; und die Monotonie (eine andre, in langen Gedichten sehr unangenehme Eigenschaft der letztern) könnte dadurch glücklich vermieden werden. Viele gute Gedichte könnten durch dieses einzige Mittel von Wörtern, die nicht an ihrem Platze stehen, von Füllwörtern, Härtigkeiten, und sogar von Sprachfehlern gereiniget werden; welche man itzt dem Dichter, wiewohl ungern, zu gut halten muß, da man itzt die Unmöglichkeit sieht, daß er mit Klötzen an den Füssen so leicht und ungezwungen sollte einhergehen können, als ob er frey wäre. Diese Einführung des Anapästs in die Jambischen Versarten wäre nichts weiter als eine Freyheit, deren sich schon die Alten bedient haben, um ihren Jamben mehr Mannichfaltigkeit zu geben, und sie in dramatischen Stücken der Sprache des gemeinen Lebens näher zu bringen. Uebrigens bedarf es auch für unpoetische Leser der Erinnerung kaum, daß die Verse des N.A. wie lebhafte Prose recitiert werden müssen; eine Regel, welche sich zwar auf alle Versarten erstreckt, bey dieser aber vorzüglich genau beobachtet werden muß, wenn nicht dem Wohlklange und dem Natürlichen unzähligemal, selbst in den besten Stellen, merklicher Abbruch geschehen soll.

Nach allem, was Hagedorn zu Rechtfertigung der Anmerkungen, womit er seine Gedichte zierte, gesagt hat, scheinen die gegenwärtigen keiner Schutzrede zu bedürfen. Sie sind nicht für die Gelehrten, die alles wissen, sondern meistens für Leser und Leserinnen, denen erlaubt ist, ohne Beschämung sehr vieles nicht zu wissen, bestimmt. Sie haben keine andre Absicht, als den Dichter verständlicher zu machen; einige, (welche iedoch sehr sparsam angebracht worden) Rechenschaft zu geben, warum er das eine oder andere so und nicht anders gemacht oder gesagt hat. Man hat diese letztern nicht häufen wollen, weil man den Kunstrichtern, wahren und anmaßlichen, freye Hand lassen wollte, ihr Amt an diesem Gedichte nach ihrem eigenen Belieben zu verrichten.


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