Christoph Martin Wieland
Der neue Amadis
Christoph Martin Wieland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweyter Gesang.

Indessen lag die schöne Dindonette,
In süsser Ruh, auf einem weichen Bette
Dem edeln Verdaungswerk ob. Zwerg oder Riese war
Ihr völlig gleich. Sie träumte von keiner Gefahr,
Und hatte keinen Begriff, (wir sagen's ihr zur Ehre)
Als ob ein Riese mehr Mann als andre Männer wäre.
Doch Colifischon, von der Hoffnung zu Abentheuern entzückt,
Sobald sie den zierlichen Ritter mit seinem Fächer erblickt,
Hüpft ihrem Nachttisch zu, setzt ihren Kopf zurechte,
Und sucht die Miene, die ihr am besten lassen möchte.

Herr Parasol (so hieß der schöne Paladin)
Zog, nach dem Rittergebrauch, den wenig Regeln binden,
Mit seinem ganzen Gefolge bis an die Zelten hin,
Erfreut, dem Ansehn nach, hier gute Gesellschaft zu finden.
Ein süßer Geruch von destilliertem Schasmin
Macht eine Atmosphär indem er zieht um ihn.
Ihn sehen erstaunt, mit halbverächtlichem Lächeln,
Die Kammermädchen im äußeren Gezelt,
Sein jungferliches Gesichte mit zierlichem Anstand befächeln,
Und alle bekennen, er sey der seltsamste Ritter der Welt.

Nicht halb so groß als ihn der vergrössernde Schrecken gemacht,
Doch lang und breit genug zu einem Ehrengesandten,
Steigt itzt der Riese herab von seinem Elephanten,
Und schreitet voran, von allen angelacht,
Den Töchtern Bambo's die Ankunft des rosenwangigen Helden
Und seinen Gruß zuvor, und sein Verlangen zu melden.
Die Reize, womit die Natur ihn über und über verbrämt,
Vor ihren Augen zu entfalten;
Indessen Parasol sich mit vielem Anstande bequemt,
Die Damen des äußern Gezelts galant zu unterhalten.

Die schöne Colifischon, (von sieben Nymphen umringt;)
(Ihr Muthwill hätte leicht noch sieben andre beschäfftigt)
Steht nun bewaffnet da, mit allem was Herzen bezwingt.
Ihr Spiegel, vom lauten Entzücken der schlauen Zofen bekräftigt,
Verspricht ihr den glänzendsten Sieg. Das goldne Glöckchen erklingt,
Und rauschend öffnen sich schon des Vorgezelts schimmernde Flügel;
Als mit dem letzten Blick in den Spiegel
Die Dame noch etwas entdeckt. – Ihr Götter! – von Schrecken entseelt,
Fliegt sie dem Nachttisch zu. Was ists? Unglücklicher Spiegel!
Was ists? Seyd gnädig, ihr Götter! – Noch eine Musche fehlt.

Erhohlt euch wieder! Sie sitzt, die siegweissagende Musche,
Und hinter ihr laurt, wie ein Faun in einem dunkeln Busche,
Ein schelmischer Amor versteckt. Nun ists um den Ritter geschehn!
Zehn Feen können ihn vor dieser Musche nicht retten!
Der Ritter denkt vielleicht ganz anders. Ich wollte nicht wetten!
Es könnt' ihr wie Montagnen mit seiner Katze gehn.Es könnt ihr wie Montagnen mit seiner Katze gehn.
Quand je me joue à ma chatte, qui sçait si elle passe son tems de moi plus que je ne fay d'elle? Nous nous entretenons de singeries reciproques. Si j'ay mon heure de commencer ou de refuser, aussi a-elle la sienne. Essais mor. L. II. ch. 12.

Der erste Blick bewies den Ritter für die Dame
Sie für den Ritter gemacht. Denn alles, sogar der Nahme
Ist Harmonie. Nun sag' ein Freygeist mehr,
Die Sympathie, wodurch, vereint vom Ungefehr,
Zwoo Seelen einander beym ersten Blick erkennen,
Beym ersten Blick von gleichen Flammen entbrennen,
Sey Grillenfängerey! Mein Held, in seiner Sphär
Ein andrer Cäsar, tanzt sorglos einher,
Kömmt, sieht und siegt, und läßt, zu beyder Theile Vergnügen,
So leicht er siegt, so leicht sich wieder besiegen.
Es flattern Schmetterlinghaft mit gegenseitger Begier
Die leichten Herzen einander entgegen.
Wie sollten sie auch der Natur zu widerstehen vermögen
Und ihrem großen Gesetz? Das Siegelwachs ziehet Papier,
Die Erde den Mond, der schöne Herr die Cokette,
Und wechselweise mit gleichmagnetischer Kette
Den schönen Herrn das siegbegierige Weib.
Wo fänden sie sonst als eines im andern so vielen
Und homogenen Zeitvertreib?
Und warum wären sie da, als mit einander zu spielen?

Noch lag mit halbem Leibe (die andre Hälfte saß)
Der Ritter neben ihr auf dem Sopha, und schwatzt ihr im Tone
Der fadsten Coketterie er wußte selbst nicht was
Von ihren Reizungen vor; was er im gleichem Maas
Der Königin Genievre, der Dame Quintagnone,Die Liebesgeschichte der Königin Genievre mit dem schönen und heldenmüthigen Ritter Launcelot vom See, wobey die weise und ehrenvolle Dame Quintagnone, (wie Don Quixotte sie characterisiert) die Unterhändlerin abgab, macht mit den wunderbaren Abentheuren des besagten Lancelots einen beträchtlichen Theil der Geschichte des Amadis und der Ritter von der Tableronde aus. Im D. Quixotte geschieht derselben Erwähnung im 13. Cap. des I. Theils und im 23. Cap. des III. Th. der französischen Uebersetzung.
Und jeder andern zu sagen bereit war; spielte dabey
Zerstreut, als dächt' er was anders, mit ihrem Papagay,
Dann mit der Brüsselschen Kante, die ihren Busen – nicht deckte;
Und suchte, schalt ihn gleich das Fräulein allzufrey,
Den Amor, der sich darunter in Liljen und Rosen versteckte.

Die Klugheit in solchen Fällen macht einen Seitensprung;
Und Colifischon, hiezu Cokette genung,
Fragt (daß sie anderswohin des Ritters Aufmerksamkeit richte)
Der Ursach nach, die ihn zu der Grille bewegt,
Daß er, statt männlicher Waffen, nur Fächer und Sonnenschirm trägt?
Ich dächte, versetzt er, der Schirm begreift sich; Man hat ein Gesichte,
Das, ohne just ein Adonis zu seyn,
Man gerne behält wie es ist, der Grund ist simpel. Allein,
Was meinen Fächer betrifft, der spielt in meiner Geschichte
Die große Rolle, so wenig der Schein
Zu seinem Vortheil spricht. Mein Fächer spricht durch Thaten;
Mehr, Fräulein, darf ich nicht von meinem Geheimniß verrathen.

Sie scherzen, erwiedert die reizende Colifischon,
Sonst sollte michs für Sie und Ihren Fächer verdrießen;
Denn kurz, Sie kommen mit mir so leichte nicht davon;
Ists ein Geheimniß, so muß ichs um soviel eher wissen!

Don Parasol beharrt spitzfündig lachend dabey,
Daß sein Geheimniß so wohlfeil als wie sie denke nicht sey.
»Die Ehrfurcht selbst, Princessin, heißt mich schweigen.«

Nun gut, versetzt die Dame, so will ichs nicht wissen, Signor;
Doch wenigstens sollen Sie mir den Wunderfächer zeigen!
Und plötzlich zieht sie ihn halb aus seinem Busen hervor.

Nur keine Gewalt, Madam! die wird hier nichts verfangen!
Die Damen, die ihn zu sehen verlangen –
Doch stille! bald hätte ich die ganze Sache verschwatzt!

Nun? – ruft die Infantin, die fast vor Neugier zerplatzt,
Fy! spielen Sie nicht das Kind! Ich will ihn haben, Herr Ritter!
(Und auf der hohen Stirn zieht sich ein dunkles Gewitter,
Indem sie's spricht, die Augenbraunen herab.)
Geschwinde den Fächer, mein Herr! – Wohlan, Sie sollen ihn sehen!
Doch anders kann es nicht als auf die Bedingung geschehen,
Mit welcher ihn meine Frau Tante mir gab.

Um dieß zu verstehen, Madam, geruhn sie sich sagen zu lassen,
Was diesen Fächer für eine Eigenschaft ziert.
Sobald sich eine Dam' entschließt, mich nicht zu hassen,
Und auf die gehörige Art mich dessen überführt,
So wird ihr Bildniß, getroffen bis zum Leben,
Mit jedem Umstand, so pünktlich, wie Vater Homerus beschreibt,
(Den Sopha, worauf der Beweis sich gegeben,
Mit eingeschlossen) dem Fächer im Kleinen einverleibt.
Nun, sagen Sie, ob ihn zu sehn der Mühe sich lohnet? Ich wette
Sie finden kein solches Stück im Dresdner Cabinette.

»Und wenn man fragen darf, Herr Ritter, beläuft sich die Zahl
»Der Bildnisse hoch?« – Ich bin zufrieden, erwiedert
Kaltsinnig Parasol. Sein lächelnder Kaltsinn befiedert
Des Fräuleins Neugier noch mehr. »Sie sind vielleicht in der Wahl
»Nicht allzuekel?« – Madam, es klingt vermessen,
Allein, mein Fächer ist stolz; er mahlet nur Princessen;
Und wenn ich richtig zählte, so wird
Nur eine noch am ersten Hundert fehlen.
»Nur Eine?« ruft sie erröthend – Ich habe vielleicht mich geirrt;
Doch, wenn Sie zweifeln, so stehts bey Ihnen, sie selber zu zählen.

»Gut, Ritter, geben Sie her! Wahrhaftig! Neunzig und Neun
Infanten auf einem Fächer! Und alle getroffen zum Leben,
Und ihre Geschichte dazu; Es muß was schönes seyn!
Sie haben, ich muß es gestehn, mir eine Neugier gegeben,
Die bis zur Ungeduld geht.« – Der Fächer, Königin,
Stünd ihnen, so wahr ich der Sclave von ihren Reizungen bin,
Auch ohne Bedingung zu Dienst; Allein ich bin gebunden!
So viele Princessen ich noch in meinem Wege gefunden,
So viele ließen mich die gleiche Neugier sehn;
Und alle mußten sich zu dieser Bedingung verstehn.
»Zu welcher! Machen Sie's kurz!« – Madam, mich ein wenig zu lieben,
Und, ohne mich an die gewöhnliche Frist
Zu binden, den Beweis nicht lange zu verschieben.
Dies ist das Ganze, Madam! Und doch, so wenig es ist,
So kömmt, beym Eyde, den ich der Tante Mab geschworen,
Mein Fächer um weniger nicht in eine weibliche Hand!
»Sie nennen das wenig? Mein Herr, Sie haben was verlohren,
So wenig es ist, so ists doch ihr Verstand!
Sie sind, verzeihen Sie mir, der unverschämteste Knabe,
(Setzt sie halblächelnd hinzu) den ich gesehen habe.«

Im Gegentheil, Madam, erwiedert Parasol,
Wo fänden Sie einen andern so zahm und ehrfurchtsvoll,
Als ihren Diener? Die Künste zu verführen
Verschmäh ich! Ich brauche sie nicht. Die Neugier spielt ihr Spiel;
Ich bleibe ruhig. Seitdem's der ersten Princesse gefiel,
Den magischen Fächer mit ihrem Bilde zu zieren,
(Es war ein reizendes Ding, und würdig, die erste zu seyn!)
Seitdem zog alle andern ihr eigner Vorwitz hinein.
Mir gilt es gleich! – »Herr Ritter, man muß es gestehen,
»Sie sind ein abscheulicher Mensch! – Und dennoch muß ich ihn sehen!«


 << zurück weiter >>