Christoph Martin Wieland
Der neue Amadis
Christoph Martin Wieland

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Des Ritters Augen demnach vergassen sich so sehr
Auf Schattulliösens – schönem Busen,
Daß zehn Megären und zwanzig EmpusenDie Empusa war bey den Griechischen Ammen ungefehr eben das, was man in einigen deutschen Provinzen die Nachtfrau nennt. Sie hatte einen menschlichen und einen Esels-Fuß, konnte alle mögliche Gestalten annehmen, und fraß die kleinen Kinder, wenn sie nicht fromm seyn wollten. Philostratus, der Sophist, schämte sich nicht, im Leben des Apollonius von Tyana in vollem Ernst ein Mährchen von einer solchen Empusa zu erzählen, welche der Philosoph Menippus, in der Meynung, daß es ein sehr schönes und reiches Frauenzimmer sey, eben habe heyrathen wollen, wenn nicht zu gutem Glücke Apollonius dazu gekommen wäre, und die Braut gezwungen hätte, ihren Eselsfuß zu zeigen; ein erbauliches Geschichtchen, welches ein Delrio, Erasmus Francisci und zwanzig andre Männer von diesem Schlage, als ein Beyspiel der Macht und List des höllischen Proteus, jenem fanatischen Heiden glaubig nacherzählen.
Und aller Lerm von einem wüthenden Heer,
Und alle Coketterie von hundert Colifischetten
Aus seiner Träumerey ihn nicht gezogen hätten.
In kurzem überzeugt er sich,
Daß dieser Busen sehr viel dem schönen Busen gliech,
Der ihn im Thurm des Druiden entzückte;
Mit jedem Blick entdeckt sich ein neuer Zug
Von Aehnlichkeit. Nun war der Enthusiasmus im Flug!
Es war ein Ideal, was er verkörpert erblickte.
Vergebens warnet ihn so mancher Probe Betrug;
Was Wollustathmendes, ausgegossen
Auf ihre ganze Person, und durch die Sittsamkeit,
Die Grazie voller Ernst, die, in sich selbst verschlossen,
Gesucht seyn will, nicht sich entgegenbeut,Eine Anspielung auf die Beschreibung, welche Winkelmann von der hohen Grazie macht. Sie scheinet sich selbst genugsam, sagt er von ihr, und bietet sich nicht an, sondern will gesucht seyn, u. s. w. Gesch. der Kunst S. 231. und, wenn man will, die Grazien S. 143.
Erhoben, – stellet ihm in unsrer Preciösen
Die Göttin dar, die er zur Dame sich erlesen.
Was vorgieng in seinem Herzen, entdeckt ihr sein zärtlicher Blick,
Mit Ehrfurcht sanftbewölkt, und unterweilen
Ein Seufzer, den er zu gutem Glück
Noch früh genug ertappt, ihn mitten in zwey zu theilen;
Halb drückt er ihn in seine Brust zurück,
Die andre Hälfte darf mit leisem zephyrischem Tone
Ihr sagen, wie sehr er brenne, und bitten, daß Sie ihn
Mit allzugrausamen Proben verschone.
Denn ihre Tugend schreckt den armen Paladin;

Mit welchem Grunde, wird der Leser bald erfahren;
Wir haben sie lange genug in ihrer Maske gesehn;
Und, um die Wahrheit nicht zu sparen,
Selbst in der Maske war sie nicht besonders schön.
Gemacht, von Platons mißverstandnen Lehren
Den alten Niphus zu bekehren,
Dem äußrer Reitz des innern Widerschein heist.Niphus (der, wie bekannt ist, für einen der großen Philosophen des XVI. Jahrhunderts gehalten wurde, und besonders bey dem Pabst Leo X. in Gnaden stund,) behauptet diesen Satz in seinem Buche de Amore; wo wir ihn ehmals gelesen haben, ohne itzt die Stelle citieren zu können. Dieser Niphus vertraut uns unter andern eine kleine Particularität von sich selbst, die der Naivetät seines Characters Ehre macht, so übel ihm auch die gravitätischen Pedanten seiner Zeit und der ehrliche Mann Moreri deßwegen mitgespielt haben. Mein ganzes Leben lang, sagt er, habe ich die schönen Mädchen lieb gehabt – Doch mit einer tugendhaften und keuschen Liebe, setzt er hinzu, und erklärt sich hierüber sehr umständlich in einer Stelle seines Buchs de Muliere aulica; welche Bayle im Artikel Niphvs citiert. Wie viele Philosophen sind ehrlich genug, eine Neigung, die sie mit allen empfindenden Wesen gemein haben, so aufrichtig zu gestehen? Seine Handwerksgenossen machten ihm sogar ein Verbrechen daraus; aber was bekümmerte sich Niphus darum? Die Damen, gerührt von der Ehre, die er ihnen erwies, hielten ihn schadlos dafür, und wie Anakreon und St. Evremont war er noch in seinem 70ten Jahre bey ihnen wohlgelitten.
Mein guter Niphus, der Leib beweiset für den Geist
Was ein vergoldeter Schild für ächten Wein beweist.
Indessen hatte die Dame ein Temperament gefunden,
Durch welches Geist und Leib bey ihr
In schönster Einverständniß stunden.
Sie hatte das Interesse von beyden klüglich verbunden.
Sie nährte den Geist mit Witz, und mit Vergnügen das Thier.
Dieß hätte man vielleicht ihr übersehen können.
Allein die Gleißnerey! Dem Ansehn nach so kalt
Wie Eis zu seyn, und in geheim zu brennen,
Die strengste Richterin von allen, deren Gestalt
Und Liebenswürdigkeit ihr Schatten gab, zu spielen,
Die Freuden verdammen, die ihr am meisten gefielen,
Und während daß sie, so klug als wie ein Allmanach,
Maximen und weise Sprüche und Lebensregeln sprach,
Stets niederwärts mit ihren Blicken zu zielen:Vermuthlich wird hier diejenige Art von Blicken gemeynt, welche man auf französisch regard en dessous nennt; eine Art von Blicken, wovor wir alle unsre guten Freundinnen beyläufig gewarnt haben wollen, wenn es auch nur um der ungereimten Schlüsse willen wäre, welche die Mannsleute daraus zu ziehen pflegen.
Dieß, wir gestehen's, sind Züge die ihrem Herzen nicht
Viel Ehre machen, so zierlich sie übrigens spricht,
So ehrbar sie thut, so subtil sie sentimentalisieret,
So fein die Grazien sind, womit – die Kunst sie zieret,Die Ironie, welche in diesem Verse liegt, wird wohl keiner Erklärung bedürfen. Grazien, welche Töchter der Kunst sind, hören auf, Grazien zu seyn. Und gleichwohl ist es möglich auch hierinn die Kunst bis zu einer Art von Täuschung zu treiben, und es giebt Fälle, wo nur der unverdorbenste Geschmack und die feinste Empfindsamkeit die naive Grazie, die allein diesen Nahmen verdient, von derjenigen, welche eine Frucht der Kunst, der Nachahmung und einer durch die Uebung natürlich gewordenen Bestrebung ist, zu unterscheiden wissen.
So niedlich ihr Fuß, so schön ihr Busen ist,
Und so vergeistert der Ritter die kleine Hand ihr küßt!
Empfindlich hatte sie wohl schon mehr als einer gesehen,
Nur die Gefälligkeit, es jemals zu gestehen,
Dieß hatte, sogar im Taumel der Lust,
Noch keiner von ihr zu erhalten gewußt.Der Dichter hätte den hassenswerthen Charakter der Dame Schatulliöse mit keinem widerlichern Zug vollenden können. Eine so weit getriebene Ungefälligkeit kam schon dem alten Griechischen Dichter, Simonides, so unweiblich vor, daß er behauptet, die Seele einer solchen Dame werde aus einer Katzen-Seele gebildet.
Zum erstenmal in ihrem Leben
Ward ihr die Maske beschwerlich; allein
Zu zärtlich, wenigstens es gar zu bald zu seyn,
Dieß (denkt sie weislich) hiess' ihm zu verstehen geben,
Sie habe, da er noch wie eine Herma stand,Die ältesten Bilder der Götter waren bloße Steine. Sogar Amor und die Grazien wurden nicht anders vorgestellt. Mit der Zeit wurden Köpfe auf diese Steine gesetzt, und diese Art von Bildsäulen hieß bey den alten Griechen Herma. Winkelmann G. d. K. S. 6. 7.
Ihn schärfer, als sie nöthig fand
Ihn merken zu lassen, angesehen.
Und gleichwohl war es schwer, gewisse Nebenideen
Sich aus dem Sinne zu schaffen, so oft ihr schleichender Blick
Auf seiner Person verweilte, die würklich ein Meisterstück
Von feiner Arbeit war; noch schwerer, nicht röther zu werden
Als Scharlach, wenn des Ritters Blick
(Bey aller Sorgfalt, die ihrigen eilends zur Erden
Herunter glitschen zu lassen,) sie etwan auf frischer That
Ertappte. – So richtig ists, daß niemand sein Gewissen
So gänzlich wie er wünscht zu seinen Diensten hat.
Was hatte sie, zum Exempel, zu fürchten vor seinen Schlüssen?
Die Wahrheit war (wiewohl wir ihr verzeyhen müssen,
Wenn über diesen Punkt sie anders denkt als er)
Daß er, um das, was ihre Bewundrung erregte,
Da er noch Marmor schien, sich selbst kein Stäubchen mehr
Als andre groß zu achten pflegte.
Er hielt es für ein Ungefehr,
Wie Schönheit, Geburt, und Gold und andre solche Gaben,
Um derentwillen wir kein Recht an Beyfall haben.
Sehr ferne war er demnach von jenem bösen Verdacht,
Den sie so ängstlich war in ihm nicht aufzuwecken.
Glaubt er, in ihrem Blick zu entdecken,
Was seiner Liebe Hoffnung macht:
So nennt er's Sympathie; nennt tugendhaftes Erröthen
Die Glut, die ihren Wangen von Anemonen-Beeten
Die Farbe giebt. – So viel gewinnet man
Bey diesen schwärmerischen Herren,
Man braucht sein Cabinet vor ihnen nicht zu sperren.
Gesetzt sie träfen euch bey einem Giton an,Ein übelberüchtigter schöner Knabe beym Petronius.
In Nymphenhaftem Gewand auf einem Sopha schlafen;
Sie dächten das Beste davon, (das glaubet sicherlich!)
Und würden, eh sie euch für schuldig hielten, an sich
Den Frevel ihrer Augen strafen.


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