Christoph Martin Wieland
Der neue Amadis
Christoph Martin Wieland

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Indessen schickt' er sich gut, von allen möglichen Dingen
Wo nicht die Quintessenz, doch eine Wassertinctur
(Soviel ein Edelmann braucht) dem Prinzen beyzubringen.
Denn diese höhern Wesen besitzen aus Gunst der Natur
Das alles schon in der Wiege, was wir durch Fleiß erzwingen.
Sie sehen, es fehlte dem Prinzen nicht an Gelegenheit.
Auch war er, Trotz dem blassen Neid!
Im achten Jahre bereits ein Wunder seiner Zeit,
Ein kleiner Trismegist;Ein kleiner Trismegist
Hermes Trismegistus (ein alter Egyptier, von welchem die Gelehrten, nach aller Mühe, welche sie sich mit Aufklärung seiner Geschichte gegeben haben, nicht sagen können, wer er gewesen, wenn er gelebt, oder ob er überall würklich existiert habe) steht bey den Verehrern der geheimen Philosophie noch immer in hohem Ansehen. Sie schreiben ihm eine allgemeine Kenntniß aller Dinge, und, was das vornehmste ist, die Erfindung des Steins der Weisen, und, durch diesen Schlüssel zum geheimen Cabinet der Natur, alle die übermenschliche Gewalt zu, welche Salomon, nach dem Vorgeben der Araber, besessen, und in seinen berühmten Siegelring concentriert haben soll. Dieser Trismegist (sagt der alte Herr Shandy) war das größeste unter allen irdischen Wesen, Bruder Toby! Er war der größeste König; der größeste Gesetzgeber; der größeste Philosoph, und der größeste Priester. Tristram Shandy Vol. IV. p. 101.
nicht minder, den Damen zur Freude,
Schön, wie ein Liebesgott, in seinem Husarenkleide.
»Den Damen?« Ja, Madam; denn vom Orakel war
Der Königin, seiner Mama, vergönnt, ihn hinter Gardinen,
Durch eine Ritze, bis in sein neuntes Jahr
Von Zeit zu Zeit zu sehen, und nach Verdienen
Ihn zu bewundern: So wie der König jährlich kam,
Nebst einigen, die er aus Gunst – zum Klatschen mit sich nahm,
Zu hören, wie fix und beherzt auf sechzehn Tausend Fragen
Der kleine Papagay die Antwort herzusagen
Gelehrig war, worüber, wie jedermann sieht,
Der ganze Hof in großes Erstaunen gerieth.

Mein junger Prinz, ein Amor an Gestalt,
Und, wie ein Buch, gelehrt, war funfzehn Sommer nun alt.
Gottlob! – ruft gähnend die schöne Colifischette,
Denn wenn Herr Ferafis so fortgefahren hätte,
So schwör' ich, wir hätten das Ende von seiner Geschichte zu sehn
Nicht lange genug gelebt. – Madam, ich muß gestehn,
(Spricht Ferafis) man wird vom vielen Erzählen
(Und irrenden Secretairn pflegte nie an Anlaß zu fehlen)
Gewohnt, zu sehr ins Besondre zu gehn.
Die Erzählung belebt sich dadurch. Doch steh ich zu hohen Befehlen!

Es war demnach der Prinz dem Alter nah,
Worinn, wiewohl er von Liebe und von den Schönen nichts wußte,
Als was er in Büchern las und in Gemählden sah,
Er mehr dabey, als sonst, empfinden mußte.
Ich weis nicht eigentlich, wie es geschah –
Das Uebersehn war groß, – indessen
Begegnet dergleichen sehr oft; – man hatte in einem Saal
Ein schönes Stück hinwegzunehmen vergessen,
Worauf, in Lebensgröße, die Wahl
Des Herkules,Die Wahl des Herkules.
Das philosophische Mährchen von der Erscheinung, welche der junge Herkules auf einem Scheideweg gehabt, da ihm nehmlich die Tugend und die Wollust, in Gestalt zwoer Frauen, sichtbar geworden, und beyde sich in die Wette bemüht, ihn auf ihre Seite zu ziehen, ist aus Xenophons Sokratischen Denkwürdigkeiten aller Welt bekannt, oder sollte es doch seyn. Zur Erläuterung des Gemähldes, wovon unser Dichter spricht, dient die Tablatur der Wahl des Herkules oder der VII. Tractat in den Characteristiks des Grafen von Shaftesbury. T. III. p. m. 347.
ein wahres Ideal,
Geschildert war. Sie können leicht ermessen,
Wie oft mein Prinz ihm gegenüber gesessen,
Es stundenlang zu betrachten. Er, dieser Amadis,
Der kurz zuvor die Augen kaum drüber glitschen ließ,
Verschlang es itzt beynah. Stets glaubt' er, was Neues zu sehen.
Es gab ihm soviel zu denken! So viele fremde Ideen
Entwickelten sich dabey! Es ward ihm in der Brust
So warm! So ein seltsam Gemische zweydeutiger schmerzender Lust
Durchdrang sein ganzes begeistertes Wesen!
Homers vierzehntes Buch, ließ sich so gut dabey lesen!
Kurz, was er in langen zehn Jahren von seinem Druiden gehört,
Vergaß er in Einer Stunde bey dem, was der Mahler ihn lehrt.

Wie Herkules zwischen der Wollust und Tugend unentschlossen
Zu schweben schien; so fand mein Amadis
Sein Herz getheilt. Er hätte gern beyde genossen.
Wie göttlich scheint ihm diese! – doch, jene lächelt so süß,
Ist mit so lieblichem Reiz übergossen,
Und ihres Sieges so gewiß!
Wie soll er wiederstehn dem schmachtenden Blick, der so sehnlich
Ihn lockt, an den Busen zu sinken, der ihm entgegen wallt?
Gut! – Aber diese, wie edel, wie ganz sich selber ähnlich,
Wie voll von stiller Größe in ihrer ganzen Gestalt!
Schön ist in allen seinen Zügen
Ihr bräunlich Angesicht, wo, wie auf glatter Fluth
Der Sonne Bild, das reinste aller Vergnügen,
Vergnügen an sich selbst und innrer Friede ruht.
Durch ihre Wangen scheint ein unbeflecktes Blut;
Ihr offnes Auge, voll von sicherm Selbstvertrauen,
Erlaubt, bis auf den Grund von ihrer Seele zu schauen.
Stillwürkende Güte, die minder spricht als thut,
Und Redlichkeit, und unbezwingbarer Muth
Mahlt sich darinn, und flößt ein ehrfurchtvolles Grauen,
Mit Liebe gemischt, dem der sie ansieht, ein;
Man liebt sie, und wünscht zu verdienen von ihr geliebt zu seyn.

Mein Prinz, der unter beyden Gestalten
Die Schönheit liebt, und, wenn sein Aug auf dem Bild
Der Tugend zärtlich verweilt, sich doch nicht kann enthalten,
Zugleich nach ihrer Rivalin (so sehr sein Phönix sie schilt)
Verstohlne Blicke, die Zeugen von seiner Empfindung, zu schicken,
Und in Gedanken sein Herz an ihren Busen zu drücken,
Mein Prinz betrachtet, vergleicht, und combinieret so lang,
(Denn seine Phantasie war nun einmal im Gang)
Und kann so lange sich zu keiner Wahl entschliessen,
Bis beyde Formen zu Einer in seiner Seele zerfließen.

Er schafft sich selbst das höchste Ideal
Von Liebenswürdigkeit, indem er beyde vereinigt.
Ein glücklicher Weg, den Verlegenheiten der Wahl
Sich zu entziehn, die ihn wollüstig peinigt!
Das schönste Bild, das je die Phantasie
Der Liebe mahlen half, stand itzt vor seiner Stirne –
Was sag ich? Füllte sein Herz, und spückt' in seinem Gehirne.

Von nun an hätte sein Alter der undankbaren Müh
Sich überheben können, die Tablatur der Sphären,
Und seinen Lykophron, und seine Moral ihn zu lehren.
Viel angelegnere Dinge arbeiteten Tag und Nacht
In seinem Kopf. Er wollte schlechterdings wissen,
Was man für Gründe gehabt, so eng' ihn einzuschließen.
Oft wurde der Alte zum Murren durch seine Fragen gebracht.
Denn manches, womit wir im sechsten uns stillen lassen müssen,
Wird uns zehn Jahre darnach so leicht nicht weiß gemacht.

Einst da der Druide sehr viel im Senecaischen Tone
Vom höchsten Gute sprach, und sehr gelehrt bewies,
Der Weise find' es in sich – In sich? (rief Amadis)
Um dieses höchste Gut gäb' ich nicht eine Bohne!
Hör' auf mir gegen mein Herz, dem ich geneigter bin
Zu glauben, als allen sieben Weisen,
In grossen Wörtern ohne Sinn
Der Austern Zustand anzupreisen.
Komm, guter Alter, ich will das höchste Gut dir weisen!
(Er führt' indem ers sprach ihn zum Gemählde hin)
Hier schmelze mir diese zwoo in Eine Göttin zusammen,
Und wiss', an Ihrem Busen winkt
Das höchste Gut. – Der alte Druide sinkt
Beynah zu Boden, indem sein Jünger, die Augen voll Flammen,
Und mit dem wärmsten Ausdruck des innern Gefühls im Gesicht
Die schrecklichen Worte »an ihrem Busen« spricht.
Er setzt sich, und beginnt mit strafendem Gesicht
Des Jünglings Muthwill zu verdammen.
Schmelz (ruft mein Prinz, taub seinem Strafgericht)
Mir diese zwoo in Eine zusammen! –
Doch, was du schwehrlich kannst, hat schon mein Herz gethan.
Hier steht ihr Bild; Und nun, mein guter Alter, hör' an!
Ich bin kein Knabe mehr! – Und müßt' ich ins Land der Ideen,
Sie aufzusuchen, so will ich mit meinen Augen sie sehen!

Der Alte disputiert, stellt tausend schwache Gründe
(Nach Advocaten Art – er denkt, die Menge trägts aus – )
Vor seine Meynung her, und beweißt mit grossem Gebraus,
Ein Weib zu lieben, ja, nur sie anzuschauen, sey Sünde.
Die feinen Gemeinplätze alle, worauf vom Aristophan
Zu Dechant Swift die Secte der Misogynen
Herum sich getummelt, sie alle führt er an;
Und da er meynt wie herrlich wohl er gethan,
So zeigt sich, daß sie den Prinzen in seinem schädlichen Wahn
Nur mehr zu unterhalten dienen.
Gut, fieng der kleine Rebell mit schlauem Kaltsinn an,
Nach deinem System ist nichts, das weniger Liebe zu geben
Gemacht ist, als ein schönes Weib.
Ich glaub' es, weil du willst. Doch, (meine Zweifel zu heben)
Warum spielt in der Geschichte und in der Fabel das Weib
Die erste Rolle stets? Vom ganzen menschlichen Leben
Treibt sie das grosse Rad, hat Kronen zu vergeben,
Herrscht über die Narren, und ist der Weisen Zeitvertreib.
Homer, dies ist gewiß, war nicht von deiner Secte.
Von seinen Helden hat jeder auf seinen eigenen Leib
Zwoo oder drey; und selbst Achillen, dem Trotzigen, deckte
Die schöne Diomede, die er aus Lesbos gebracht,
Mit weichen Fellen sein Lager jede Nacht
Für ihn und sich selbst; und auf der andern Seite
Lag beym Patroklus die schöne Iphis, die er
Von Freund Achillen aus der Beute
Von Scyros empfieng. Ich denke, daß Vater Homer
Die wahre Natur viel besser als Seneca kannte.
Ein Mädchen ist immer bey ihm das pomum Eridis.das pomum Eridis, d.i. der Zankapfel. Siehe das Urtheil des Paris im Lucian, wovon uns ein geschickter Schulmann unlängst eine deutsche Uebersetzung geliefert hat.
Selbst zum verderblichen Zorn, worinn Achill entbrannte,
Was gab den Zunder dazu? Die schöne Chryseis.
Kein Wunder! Hatte vielleicht die zehenjährige Fehde,
Die Gräciens Helden und Götter zu Trojens Falle verband,
Was wichtigers zum Gegenstand?
Die schönen Augen der blonden Tochter der Lede
Entflammten die Fackeln zu Ilions Brand.
Bedarf der Dichter, damit die Phrygier siegen,
Daß Jupiter schlafe, so ist kein ander Mittel, er muß
Der Frauenlist auf Ida unterliegen;
Und Juno, den Schlaf auf ihre Seite zu kriegen,
Sag, was verspricht sie ihm? – Der jüngsten Grazie Kuß.Da Homer allen unsern Lesern oder Leserinnen, welche keine Ansprüche auf Gelehrsamkeit machen, aus der Uebersetzung der Madame Dacier, oder des Abbate Salvini, oder des Pope, oder ans irgend einer andern bekannt seyn soll, so bedürfen die Anspielungen auf diesen Dichter keiner Anmerkungen.


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