Christoph Martin Wieland
Der neue Amadis
Christoph Martin Wieland

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So war denn, wie wir sehn, von beyden Seiten der Krieg
Ganz förmlich erklärt. – Er sollte mir unter die Augen stehen,
Und mir mit Kaltsinn trotzen! – Die Puppe sollte vor mir
Mit Unempfindlichkeit prahlen! und ungestraft mich sehen:
Nein! (denken beyde) da bin ich gut dafür!

Nun mußte man unumgänglich, den großen Zweck zu erzielen,
Von beyden Seiten ein wenig gefälliger thun.
Der Ritter ließ noch immer die Zunge ruhn,
Die Augen hingegen um so viel feuriger spielen.
Ein Seitenblick (denn Blaffardine hielt
Sehr viel auf diese Art von Blicken)
Entdeckt es ihr. Sie denkt: Gewonnen! der Ritter fühlt!
Und dieser Gedanke verbreitet stilles Entzücken
Auf ihrem blonden Gesicht, was interessanteres scheint
Daraus hervor als sonst, zum mindsten wie Amadis meynt.

Mein Herr, (fängt endlich die Dame nach langem Schweigen wieder
Zum Ritter an) Sie wissen vermuthlich den Anlaß schon,
Der Bambo's Töchter getrennt. Ich spreche nicht gerne davon,
Vom bloßen Gedanken erzittern mir alle Glieder!
Ich hielt mich verlohren, als mitten im dickesten Wald
Der Neger mich fand. Ihn rührte meine Gestalt,
Er warf sich mir entzückt zu Füssen,
Und bot mir seine Person, sein Schloß, und Schätze an,
Dergleichen kein Monarch auf Erden zeigen kann.
Er stürmte heftig in mich, ich sollte mich entschließen.
Sie können, mein Herr, die Antwort errathen, die man ihm gab:
Ein Herz, dem Königssöhne nichts angewonnen hatten,
Das sollte so schnell zu Negern und Mulatten
Unrühmlich übergehn? – Man bat sichs höflich ab!
Allein sobald er sah, daß Güte nichts verfänge,
So sprach er in höherem Ton. Er ist ein Nekromant.
(Sie wissen, der Atlas enthält dergleichen Volks die Menge)
Er trug mich hieher, und trieb, wie er alles angewandt,
Um mich zu erbitten, und unerbittlich mich fand,
Ich muß es gestehn, mich ziemlich in die Enge. –

Wie so? rief Amadis; ich hoffe, der TroglodytIch hoffe, der Troglodyt. etc. d. i. der Wilde, der Barbar. Troglodyten ist ein allgemeiner Nahme, den die Alten gewissen Völkern geben, welche in Hölen und unterirdischen Wohnungen leben. Die Pygmäen waren, nach Aristotelis Bericht, solche Troglodyten. Vorzüglich erwähnen die alten Erdbeschreiber unter diesem Nahmen eines Africanischen Volkes, welches durch nichts merkwürdig ist, als daß es dem Verfasser der Lettres Persanes zu einer der lehrreichesten Dichtungen, und dem vortrefflichen Englischen Nachahmer desselben zu einer eben so lesenswürdigen Fortsetzung derselben den Nahmen hergegeben hat. S. Lettres from a Persian in England to his Friend at Ispahan, Letter XII-XXIV.
Erfrechte sich nicht – Mein Herr, er drohte damit,
Versetzt sie, doch wußt ich noch immer ihn im Respect zu erhalten.
Ha! der Gedanke bloß, ruft jener, fodert Blut!
Ich eile, schönste Prinzessin, ihm seinen Schedel zu spalten!
Wie? Soll ein Unhold, wie er, auf dem der Fluch des alten
Verworfnen Chams, von dem er abstammt, ruht,
Nur seine stierischen Augen auf Bambo's Tochter zu heben
Sich unterstehn? Der Gedanke setzt mich in Wuth!
Beym Bart des Propheten, Madam! es kostet ihm sein Leben!

Sie treiben, erwiedert die Dame, den Eyfer gar zu weit.
Der Neger hat Augen wie andre. Die Kühnheit, sie zu erheben,
Mich anzusehen, zu lieben, sogar die Dreistigkeit,
Nach meinem Besitze zu schmachten, zu streben,
Dieß alles kann ich ihm vergeben.
Am Ende that er hierinn nur seine Schuldigkeit.
Doch was von seinem Verbrechen die Schuld beynahe vernichtet,
Was, nach der strengen Moral, mich fast zum Erbarmen verpflichtet,
Ist dieß – (Sie würden es selbst an seinem Platze gestehn)
Der Unglückselige hat – im Bade mich gesehn.
Ich stand, wie PhryneWie Phryne einst.
Phryne
badete sich in den Eleusinischen Spielen vor den Augen aller Griechen, und wurde beym Heraussteigen aus dem Wasser den Künstlern das Urbild einer Venus Anadyomene. S.  Winkelmann von der Nachahmung der Griechischen Werke etc. S. 9. und die Alten, welche er daselbst als Gewährsmänner dieser den Sitten und Instituten der Griechen eben so unanstößigen, als den unsrigen entgegenlaufenden Begebenheit anführt.
einst vorm ganzen Griechenland
Und Venus lange zuvor vor ihrem Richter stand.
War's seine Schuld, wenn ihm die Sinnen entflogen?
Sie glauben nicht, mein Herr, wie unwiderstehlich ich war!
Ich lößte so eben von meinem lockichten Haar
Die Knoten auf; es floß in langen goldnen Wogen
Den blendenden Rücken herab. Der neugefallne Schnee,
Der Lilien Glanz, die eben sich entfalten,
Schien isabellenfarb, an meine Haut gehalten!
Kurz, ohne Hyperbel, ihr Glanz that schier den Augen weh.
Wie konnt' ich hoffen, er würde in seinen Schranken sich halten?

Der Ritter sah, wie man errathen kann,
Weil Blaffardine sich selbst mit so bescheidnen Farben
Abmahlte, ganz bestürzt mit starren Augen sie an.
Indem er sprechen wollte, starben
Die Worte auf seinen Lippen. Und dennoch fühlt' er sich
Ich weiß nicht wie gerührt. Dieß macht ihn doppelt betroffen.
Er fühlte so gut als Ihr, wie albern-lächerlich
Die blonde Närrin war; was half's! Ihr Leibchen war offen!
Was er gehört hat mischt die Phantasie ins Spiel,
Und was er sieht verstärkt sie durch Gefühl.

Ich sehe, sie glauben, mein Herr, ich übertreibe die Sachen,
Sie zweifeln? Gut, ich will, – wiewohl auf ihre Gefahr –
Ihr eignes Auge zum Richter machen!
Gestehn sie, so schön von Armen die Göttin Juno war,
So konnten sie doch nicht schöner seyn als meine!
Was, (fuhr sie fort; – dem armen Ritter läuft
Das Wasser in den Mund, er wird beynah zum Steine,
Indem sie bis über die Knie den Rock zurücke streift,Den Rock zurückestreift.
Denjenigen zu gefallen, welche vielleicht glauben möchten, daß die Phantasie des Dichters in dem seltsamen Individual Charakter, den er Blaffardinen der Blonden gegeben hat, über die Grenzen der Wahrscheinlichkeit ausgeschweift habe, schreiben wir eine Stelle aus den Memoires du Comte de Grammont ab, von welchem eine geheime Geschichte der Galanterien des Hofes Carls des Andern in England den interessantesten Theil ausmacht; Anekdoten, an deren Wahrheit – einige kleine Verschönerungen, deren sich der muthwillige Geist Hamiltons nicht wohl enthalten konnte, ausgenommen – zu zweifeln, keine gegründete Ursache vorhanden zu seyn scheint. – Je me trouvai hier chez Mademoiselle Stuart après l'audience des Moscovites. Le Roi venoit d'y arriver – La conversation roula sur la Figure extraordinaire des Ambassadeurs. Je ne sai où ce fou de Crafts avoit pris, que les Moscovites avoient tous de belles femmes, & que leurs femmes avoient toutes la jambe belle. Le Roi soutint, qu'il n'y en avoit point de si belles que celles de Mademoiselle Stuart. Elle, pour soutenir la gageure, se mit à la montrer jusqu' au dessus de la génou; & c. voy. Bibl. de Campagne Tom. I. p. 265.
)
Was halten sie, unter uns, mein Herr, von diesem Beine?
Daß (ruft er) Diane die Wälder auf keinen so schönen durchläuft!
Zwar dieses, (setzt sie hinzu, indem sie die Schönheit ihm weiset,
Die an Helenen vorzüglich der alte Dares preiset)
Schweift über das Maas der Venus MedicisZu Verhütung aller besorglichen Mißdeutung benachrichtigen wir den Leser, daß hier keineswegs von demjenigen Theile, welchen Smollet an der Mediceischen Venus mit einer Schwärmerey, die ihm so wunderlich sitzt, in Lucianischen Ausdrücken anpreißt, sondern bloß von ihrem Busen die Rede sey.
Ein wenig aus; doch, denk' ich, der Fehler läßt sich verzeihen:
O, schonen Sie meiner, Madam! – ruft stotternd Amadis
Mit Augen, welche Rache dräuen.
Er hätte besser gethan, sprecht ihr,
Sie lieber ganz und gar zu schliessen.
Allein, was sagt Terenz? – Ihr Herren, wäret ihr hier,
Ihr dächtet anders! –

Genug, er sank zu ihren Füssen.

Im übrigen wünscht' ich sehr, den Mann,
Dem's anders in diesem Fall' ergangen wäre, zu kennen.
Ich fange beym Confucius an,
Und zähle die Weisen herab, und weiß euch keinen zu nennen.
Den Sokrates nehm' ich aus, und (keinem andern Decan
Zu nahe gesprochen!) den Doyen de Killerine.
Die haben die Probe gemacht! – Denn mit der frostigen Miene,
Herr Phutatorius,Phutatorius.
Ein Original, welches wir aus dem vierten Theile des Life and Opin. of Tristram Shandy ch. 27. p. 168. & seq. kennen lernen, und von welchem nur allzuviele Copien in der Welt herumgehen.
wahrlich! ist noch nicht alles gethan.
Wir unterscheiden, wie billig, den Mann und seinen Kragen,
Und wissen, nicht alle sind Weise, die lange Bärte tragen.


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