Christoph Martin Wieland
Der neue Amadis
Christoph Martin Wieland

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So schön die Ordnung war, worinn der gute Ritter
Vom Boden sich erhob, der Neger dachte darum
Nicht minder noch mehr. Sogar die junge Dame, die stumm
Und seitwärts stehend, ihn hinter dem dünnen Gegitter
Von ihrem Fächer betrachtete, gab
Durch ihr Erröthen zu verstehen,
Sie könne sehr gut – durch einen Fächer sehen.

Was Schatulliösen betrifft, so nehmet selber ab,
Was konnte Sie minder thun, als gleich in Ohnmacht zu fallen?
Ich meyne, vom Augenblick an, nachdem das Uebermaas
Von keuscher Furchtsamkeit sie mit dem Ritter ins Gras
Gezogen. – Dies ist stets für alle Schatulliösen
Das sicherste Mittel in solchen Fällen gewesen.
Man weiß nicht wie es kommen kann;
Nicht jeder hübsche Mann ist auch ein weiser Mann.
Gesetzt, er hätte sich emancipieren wollen,
So war der Wohlstand doch gerettet. Hätte sie
Mit Augen ohne Licht, mit aufgelöstem Knie,
Entfliehn, und ohne den Mund zu regen, schreyen sollen?
Aus gleichem Grunde blieb, sobald Gesellschaft kam,
Die kluge Dame noch immer in tiefer Ohnmacht liegen.
Doch hier verließ, zu ihrem Mißvergnügen,
Den Ritter sein guter Verstand. Sie glühte statt seiner vor Schaam,
In ihrer Ohnmacht sogar. Er hätte Himmel und Erde
Mit rührendem Ton und schreckenvoller Gebehrde
Um Hülfe rufen sollen – »Mein Herr, ach, sehen Sie hier!
Zu Hülfe, mein Herr, zu Hülfe! Madam, ums Himmels willen,
Ihr Fläschchen mit Eau de la Reine, und eine Welt dafür!«
Dergleichen Figuren, mit guter Manier
Ins Spiel gemischt, helfen sehr viel, um böse Gedanken zu stillen.
Der Ritter, der leider! nichts von allem diesem that,
Hingegen beym Anblick des Mohren und seiner kleinen Brünette
So aussah, als ob man ihn bey einem Hochverrath
Unmittelbar ertappet hätte,
Schien durch dies wunderliche Betragen
Sich und die arme Princessin stillschweigend anzuklagen.
Vergebens erstattet er ihnen ausführlichen Bericht,
Wie dieser Zufall sich unschuldiger Weise begeben.
Der Neger widersprach zwar nicht;
(So schwarz er war, so wußt' er doch zu leben)
Allein ein sceptisches Rümpfen der Nase, wobey er scharf
Dem Ritter ins Auge sah, die Lippen über sich warf,
Erklärte deutlich genug, er glaube,
Daß jener in seinem Bericht sich einige Freyheit erlaube.

Indessen ereignete sich, sobald man Zeit gewann,
Sich besser anzusehn, ein Auftritt von Wiedererkenntniß.
Zwar winkt die schöne Brünette dem Ritter was sie kann,
Sich fremde zu stellen, und ihrer Herzen Verständniß
Dem Mohren nicht sichtbar zu machen. Allein Herr Amadis
War nun im Gang, Sottisen zu begehen;
»Er freute sich sehr (wiewohl sein Blick es nicht bewies)
Die Ehre zu haben, das Fräulein wieder zu sehen,«
Und was dergleichen war. Itzt sah sich Colifischon
(Denn diese war's) genöthigt, den Ritter im nehmlichen Ton
Zu grüssen, und (argen Gedanken beym Neger vorzubeugen)
Den Anlaß ihrer Bekanntschaft, und alles was uns schon
Bekannt ist, kurz zu erzählen, und nur allein davon
Wie nahe der schöne Ritter am Herzen ihr lag, zu verschweigen.

Dieß alles war schön und gut. Allein die Dame im Gras,
Die man bey dieser Erzählung ein wenig zu lange vergaß,
Ward, wie natürlich, zuletzt der Ohnmacht überdrüßig.
Unhöflich war's, daß niemand um sie bekümmert sich wies;
Bis endlich, da sie schon aus Zorn beynahe schlüssig,
Selbst aufzustehen war, der Ritter Amadis
Auf einmal sich den Einfall kommen ließ,
Um ihrentwillen Lerm zu machen.
Das Fräulein eilte sogleich mit ihrem Salz herbey,
Erkannte die Schwester mit einem zärtlichen Schrey,
Und that, mit Einem Wort, was nach Gestalt der Sachen
Erfodert wurde, mit Wohlstand aufzuwachen.

Wie zärtlich die Töchter Bambo's einander an die Brust
Gedrückt, mit welchem Strome von Worten sie sich die Lust
Des Wiedersehens bezeugt, ist überflüßig zu sagen.
Sie schienen einander beym ersten Blick zu fragen,
Kennt ihr den Ritter auch? Und auf den ersten Blick
Strahlt jeder aus dem Auge der Schwester
Die Nebenbuhlerin zurück.
Viel eher werden drey Knaben sich um zwey Zeisig-Nester
In Güte vertragen, als um ein einzelnes Herz
Zwo Schönen, Schwestern zumal. Sie hatten in wenig Secunden,
So fein sich jede glaubt, einander ausgefunden,
Und mitten unter halb-lächelndem Scherz
Und kalten Küssen und wiederhohltem Umfassen
Fand man Gelegenheit, durch schwesterliche Grimassen
Einander verständlich zu machen, man würde sich ein Herz
Von dieser Wichtigkeit nicht streitig machen lassen.

Daß übrigens Schatulliöse sich ein Vergnügen gemacht,
Von allem Bericht zu ertheilen, was, seit sie ihre Tugend
Vor jenem gefährlichen Riesen in Sicherheit gebracht,
Ihr zugestoßen, und daß sie mit gutem Bedacht
Nichts angeführt, was nicht Frau BeaumontWiewohl der Nahme dieser verdienstvollen Frau hier in einem comischen Gedichte genennt wird, so geschiehet es doch nicht in einer comischen Absicht; welches bloß um derer willen erinnert wird, welche zuweilen Ironie suchen, wo keine ist, dafür aber auch meistens so scharfsichtig sind, sie nicht zu sehen, wo sie würklich ist. ihrer Jugend
Zum Beyspiel erzählen dürfte; – daß vieles Wunderbar
Und Edel und Schön in ihrer Erzählung geworden,
Was ganz natürlich und ihr nicht allzurühmlich war,
Erwartet man von Damen aus ihrem Orden.
Ihr würde, wären sie allein
Gewesen, die Schwester gewiß nichts schuldig geblieben seyn.
Welch Mädchen prahlt nicht gern mit einem solchen Verehrer,
Wie Amadis war? Allein, sie hatten den Neger zum Hörer,
Aus dessen gläsernen Augen der Argwohn sichtbar schielt.
Und billig mußt' er es übel empfinden,
Den Ritter zum zweyten mal schon in seinem Wege zu finden,
Eh noch die Erinnerung des ersten sich völlig abgekühlt.
Doch sein Verdacht begann allmählig zu verschwinden,
Indem der schöne Paladin
Der schlauen Colifischon cokettisches Bemühn
Mit ihren Blicken sein Herz zu umwinden
Mehr auszuweichen als zu begünstigen schien.
Die seinigen waren so ganz in Schattulliösens Busen
Und feuchten Augen concentriert,
Als ob – – [da haben wirs! nun fehlt ein Reim auf Busen!
Und wer aus Hübners Register mir einen allegiert,
Erit mihi magnus Apollo!Der soll mir Apollo selber sein – Ein bekannter halber Vers des Virgils. denn jene von Musen, Medusen,
Creusen
, und Arethusen, und andern Griechischen Usen
Sind gar zu abgenutzt. – Am Ende, was verliehrt
Mein Ritter dabey? – Auch sey es stipuliert,
Wenn wir dereinst nach Lampedusen
Mit Dorval, Diderot, und einer Colonie
Von tapfern Constantien ziehn, die schöne Demokratie
Von Philosophen
anzupflanzen,
Wo essen, und trinken, und lieben und singen und tanzen
Und in die Comödie gehnEine ironische Anspielung auf eine bekannte Stelle in den Unterredungen, welche Herr Diderot (für den wir übrigens alle mögliche Hochachtung tragen) seinem Fils Naturel angehängt hat. »Ich wurde verdrieslich (läßt er seinen Enthusiastischen Dorval sagen) wenn ich in die Comödie gieng, und den Nutzen, den man von dem Schauplatz ziehen könnte, mit der wenigen Aufmerksamkeit vergliech, die man anwendet, gute Schauspieler zu bilden. O, meine Freunde, rief ich dann aus, wenn wir jemals nach Lampeduse ziehen, um fern vom festen Lande, mitten in den Wellen des Meers, ein kleines Volck von Glückseligen zu stiften! So sollen die Schauspieler unsre Prediger seyn, u.s.w. Alle Völker haben ihren Sabbat; wir wollen den unsrigen auch haben. An diesen festlichen Tagen wollen wir uns eine schöne Tragödie vorstellen lassen, die uns die Leidenschaften fürchten lehre; eine gute Comödie, die uns in unsern Pflichten unterweise, und uns Geschmack an denselben einflöße;« – Ob unser Dichter Recht habe, eine so ernsthafte Stelle, und so respectable Personen als Dorval und Constantia (zwo Hauptpersonen in der bemeldeten Comödie des Herrn D.) durch diese Parodie lächerlich zu machen, überlassen wir dem Urtheil des weisen Lesers. Man könnte ihm den Einwurf machen, Herr D. habe nirgends gesagt, daß essen und trinken u.s.w. das höchste Gut seiner kleinen Colonie seyn werde. Aber was sollte denn dieses kleine Volk von Glückseligen auf der kleinen Insel Lampeduse anders vorstellen können als eine Republik des Diogenes? Denn sollten sie ihre Zeit etwan mit Sterngucken oder algebraischen Rechnungen zubringen, so ist nicht abzusehen, wozu sie so erbauliche Tragödien und Comödien nöthig haben könnten. der Finis bonorum ist;Finis bonorum, oder was wir das höchste Gut nennen, war der vornehmste Gegenstand jener abstracten, viel versprechenden, und wenig leistenden Untersuchungen, womit sich die Philosophischen Seelen der Alten, besonders die Stoiker abgaben. Der Grund, warum sich der D. dieses Kunstworts in einer humoristischen Verspottung einer lächerlich-ernsthaften Philosophischen Grille bedient hat, fällt von selbst in die Augen.
Soll durch ein Grundgesetz, bey Straf' auf Zwirn zu tanzen,
Der Reim, um dessentwillen ein Mann die Nägel sich frißt,
Aus unsrer Republik verbannt seyn. – Doch, Vergebung!
Der Geist Capriccio

ille ciens animos & pectora versans
Spiritus, à capreis montanis nomen adeptus,
Ignotum Latio nomen; pictoribus ille
Interdum assistens operi; nec segnius instans
Vatibus ante alios, Musis gratissimus hospes.

S. Den 40. 41. 42. und 43. der Neuen Critischen Briefe. Zürch 1749.

führt, Trotz aller unsrer Bestrebung,
Uns öfter als er soll in Seitenwege hinein,
Aus denen der Leser mit uns sich wieder herauszufinden
Oft Mühe hat – Wir wollen in Zukunft behutsamer seyn,
Doch ohne uns eben hiermit die Hände gänzlich zu binden.


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