Christoph Martin Wieland
Der neue Amadis
Christoph Martin Wieland

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Noch mehr Vertraun dem Waldmann abzugewinnen,
Sang Caramell der Braut den Bacchus auf Naxos vor.
Der Faun begleitet sein Lied auf der Flöte. Die Dame verlohr
Kein Wort davon, die Music erweckt die schlummernden Sinnen,
Und kurz, es kömmt soweit, zumal da Caramell schiebt,
Daß Dindonette dem Faun die Hand auf Morgen giebt,
Sobald Aurora winkt, in Hymens nächster Capelle
Die Seine zu werden. Er meynt, warum nicht auf der Stelle?
Doch Dindonette war ein wohlerzognes Kind,
Und eine Sommernacht entschlüpft beym Schlauche geschwind.

Die Hoffnung, morgen früh die schönste Frau zu haben,
Der, seit Lyäens Hochzeitfest,
Ein Satyr oder Silen den Gürtel aufgelöst,
Setzt unsern Faun in die Laune, aufs Wohlseyn aller der Knaben
Und Mädchen, womit er die Erde mit ihr zu erfüllen gedenkt,
Den bauchigsten seiner Krüge zu leeren.
Ein großer Becher wird Amorn, und Cytheren
Und Dindonetten und ihren FavnvncvlisFaununculus.
Eine Anspielung auf die Tristrammischen Homunculos, oder Menschen im Keime.
zu Ehren,
So oft geleert und wieder vollgeschenkt,
Bis endlich Rausch und Schlaf ihn zwingen aufzuhören.
Er sinkt auf ein Lager von Epheu vermischt mit Rosen hin,
Und schläft so ruhig und tief, als wollt' er nimmer erwachen.
Da hatt' ihn der Ritter erwartet! Die schöne Pförtnerin
Des Himmels, Aurora, kam eben, dem Morgen aufzumachen;
Itzt mußten sie fliehn oder nie: Herr Caramell verlohr
Nicht einen Moment. Er lud sein Fräulein auf den Rücken,
Stieg glücklich den Felsen herab, fand seinen Brilliador
(So hieß sein ritterlich Pferd, ein schöner getygerter Mohr)
Und rief, indem er ihn sattelt, in comisch-ernstem Entzücken,
Mit welcher schönen Last wird dich mein Fräulein drücken!

Mit Dindonettens schöner Last
Und mit dem zärtlichsten von allen Rittern beladen,
Trabt Brilliador einher auf ungebahnten Pfaden.
Aus mädchenhafter Furcht, sie möchte fallen, umfaßt
Das Fräulein ihren Beschützer am Gürtel ein wenig stärker,
Als nach den strengsten Regeln der Klugheit rathsam ist.
Der Ritter war ein feiner Merker,
Allein, wie wir wissen, zugleich ein großer Platonist.
Und manches, was Folgen hätte bey andern alltäglichen Leuten,
Das hatte mit ihm sehr wenig zu bedeuten.
Denn alles, wozu die Infantin dadurch ihm Anlaß gab,
War ein Discurs aus der Metaphisik der Liebe,
Ein schöner langer Discurs, dergleichen einst Combab
Der Syrischen Königin hielt;Combab.
Nicht der Combab eines neuern Ungenannten, sondern der Lucianische. Seh. Lucian. de Dea Syria.
der, wenn ich ihn beschriebe,
Vermuthlich euch die Zeit so schlecht als ihr vertriebe,
Und schlechter; denn Dindonetten wird doch die Hand geküßt,
Zuweilen auch der Arm; ein Arm, der, wie ihr wißt,
An Weisse dem Schnee, dem Helfenbein an Glätte,
An Form den Besten im Lande von Scogula und MistIm Lande von Scogula und Mist.
D. i. in der Valhalla, oder dem Paradiese der alten Nordischen Völker. S.  das Lied eines Skalden.

Und Mahoms Paradies nichts nachgegeben hätte.

Das Fräulein, wiewohl sie nicht immer in ihrem Kopfe fand,
Was sie bey seinen Figuren und Phrasen denken sollte,
Begriff doch, daß er ihr viel schönes sagen wollte,
Und fühlte desto mehr, je minder sie verstand.
Zum Unglück mischt' ein Sturm mit strömendem Regen
Sich unversehens ins Spiel. In Feuer eingehüllt
Scheint ringsum die ganze Natur, und unter den schmetternden Schlägen
Des Donners krachet der Wald. Das aufgeschreckte Wild
Läuft ängstlich von Bergen herab. Der Ritter hielt den Schild,
Die Dame zu schirmen, umsonst dem Sturm entgegen.
Sie mußten weichen, da war kein andrer Rath,
Und thun, was Dido einst und ihr Trojaner that.
Doch sollte nicht mit einem Platonisten,
Mit einem Manne, der nur den Widerschein
Der Seele liebt, ein Mädchen, wiewohl allein,
Gleich sicher in einer Höle, und einem Tempel seyn?
TheagenesTheagenes.
Seh. den Roman von Theagenes und Chariklea I. Theil. V. Buch 1. Cap. S. 308. in der Meinhardischen Uebersetzung.
machte die Probe, wiewohl die Casuisten
Die Achseln zücken. Indessen gesteht selbst Busenbaum ein
Das sicherste sey, (wenn Zeit und Ort es leiden)
Die Probe lieber zu vermeiden.

Doch, Noth hat kein Gesetz! Der Ritter befand nun einmal
Sich solus cum sola in einer dunkeln Höle.
Das Fräulein, in der That, war zwar die ehrlichste Seele,
Die jemals vegetierte, nur etwas zu material.
Was Caramell ihre Seele sehr höflich zu nennen geruhte,
War würklich, dem Buchstaben nach, allein in ihrem Blute.
Doch, hätte nicht mancher, in einer Höle, wo Nacht
Und Einsamkeit ihm nicht viel gutes riethen,
Sich eben dieses zu Nutze gemacht?
Zumal da Dindonette, statt Unglück zu verhüten,
So unvorsichtig war, so fern von allem Verdacht,
Dem Messer selbst die Kehle darzubieten.
Sie fuhr bey jedem Blitze, von dem der feurige Schein
Auf einen Augenblick die Wände der Höle vergoldte,
So ängstlich in unsern Ritter hinein,
Als ob sie sich in ihn verkriechen wollte.

Der Ritter (wie sich der Leser vielleicht erinnern mag)
Schien, nach dem ersten Anblick zu schliessen,
Viel eher einem Helden auf Herkulessischen Schlag
Als einem Corydon gleich, der seiner Phyllis zu Füssen
Die Schäferstunde verseufzt. Auch mußte der stärkern Natur
(Die selten ihr Recht verliehrt) die Kunst zuweilen weichen.
Kein andrer wußte den schlauen Epikur
So gut, wie er, mit Platon zu vergleichen.
Von jenem nahm er die Praxin, von diesem die Theorie.
Er schalt, zum Exempel, in feinen Gegensätzen,
Mit Sentiment durchspickt, (denn daran fehlt' es ihm nie)
Den Amor aus, der seinem eignen Ergötzen
Der Schönen Unschuld und Ruhm gewohnt ist nachzusetzen.
Die reine Liebe, die ächte Sympathie,
Lebt, spricht er, vom bloßen Anschaun, als wie der Colibri
Vom bloßen Geruche der Blumen. Daß seine Hand inzwischen
Auf ihrer Achsel liegt, vielleicht
Auch unvermerkt unter ihr Halstuch sich schleicht,
Sind Dinge, worein sein Geist nicht Zeit hat sich zu mischen.
Und gleichwohl pflegt davon, zumahl im begeisterten Stand
Der Phantasie, das Blut elektrisch zu werden.
Die Seele, vom Stagyriten die sensitiva genannt,
Unfähig, dem fliegenden Geist in Platons himmlische Erden
Zu folgen, bleibt zurück im irdischen Gewand;
Und glaubt nicht, daß sie müßig bleibe!
Ein körperlicher Gegenstand,
Wie Dindonette war, giebt Stoff zum Zeitvertreibe
Im Ueberfluß. Hier ists, wo die Gelegenheit
Gern Diebe macht. Auch wissen die Götter, wie weit
(Nachdem der Aufruhr in den Sphären
Sich wieder gelegt) in der Höle die Sachen gekommen wären,
Wenn nicht ein Zufall, an sich die kleinste Kleinigkeit,
Ins Mittel sich geschlagen hätte.

Daß oft ein bloßes Glück auch festere Tugenden rette,
Als Dindonettens war, beweist uns Marmontels
Heureusement. Soviel ist richtig, er hätte
Gelegner nicht kommen können, dem Fortgang Caramells
In Zeiten noch Einhalt zu thun; wiewohl natürlicher Weise
Auf wenig Momente nur. – Der Umstand ist so klein,
Daß ihn zu schildern das kleinste Dichterlein
Zu gut sich dünkte. Wir sagen demnach ganz leise
Dem Leser ins Ohr: Es giebt Geschäfte von dringender Art,
Wozu Octavius Cäsar Augustus selbst die Reise
Zu Fuß zu machen pflegte. Dergleichen in Gegenwart
Der Damen zu thun, ist eine Sache,
Die Launcelot GobboLauncelot Gobbo. Seh. The two Gentlemen of Verona, die beyden Edelleute von Verona, ein Lustspiel von Shakespeare. an seinem Pudel sogar
Unhöflich fand. Wo siehst du, daß ich so etwas mache,
(Spricht Launcelot Gobbo zu ihm) ich, der doch offenbar
Mehr als ein Pudel bin? – Kurz aus der Sache zu kommen,
Der Ritter hatte sehr höflich auf einen Augenblick
Von seiner Gebieterin Urlaub genommen,
Und kehrte (nachdem mit gewöhnlichem Glück
Das Werk verrichtet war) bereits im Triumphe zurück,
Als ihm, vermuthlich, ein Sylphe, der für die Dame wachte,
Auf einmal einen Strich durch seine Rechnung machte.

Wir sagen mit gutem Bedacht, ein Sylphe; wiewohl er zuletzt
Ein Deus ex machina ist, so gut als irgend ein andrer,
Den Vater Homer in Bewegung gesetzt.
Denn daß, zum Exempel, ergriffen von Nacht und Wetter, ein Wandrer
Sein Pferd an einen Baum vor einer Höle bindt,
Das Pferd sich loßreißt, den Vorsprung gewinnt,
Er nachläuft, jenes durchaus sich nicht will halten lassen,
Er, da er vergebens gesucht, das Pferd beym Zügel zu fassen,
Von hinten zu ihm auf den Rücken springt,
Der Gaul mit verdoppelter Wuth ihn durch die Lüfte zu führen
Beginnt, und Reuter und Roß zuletzt den Weg verliehren,
Sind Dinge, die ohne Maschinen sich schon sehr oft begaben;
Nichts kann natürlicher seyn. Allein, wenn alles das
Als wie gerufen kommt, just wenn wirs nöthig haben,
Um eine Jungferschaft, ein Leben, oder so was
Zu retten, – dies, werthe parnassische Brüder,
Ist unsern Statuten in jedem Falle zuwider,
Wo nicht (wie unserm LykurgusWie unserm Lykurgus beliebt. d. i. dem Gesetzgeber der Poeten. Horaz sagt in seiner Dichtkunst, Nec Deus intersit, nisi dignus vindice nodus inciderit, d. i. nach Herrn Rammlers Uebersetzung: Man muß keine Gottheiten einmischen, wofern nicht zur Entwicklung eine übernatürliche Kraft erfodert wird. S. Einleitung in die Schön. Wissenschaften III. Band S. 289. der N. A. – Eine Gottheit, welche wie gerufen daherkommt, bloß dem Poeten aus der Noth zu helfen, heißet ein Deus ex machina. beliebt)
Ein dignus vindice nodus dem Wunder Ansehn giebt.
Dieß ist gerade der Fall, worinn wir uns befinden.
Um Dindonetten, das beste Mädchen der Welt,
Aus einer Fährlichkeit zu winden,
Ist, nach den Pflichten der Liebe, die auch den Dichter verbinden,
Kein Mittel, wozu der Unsre sich nicht verbunden hält.
Zumal da Pop's geraubte Locke
Uns offenbart, daß jedem Unterrocke
Ein Schutzgeist zugegeben sey.Daß jedem Unterrocke etc.
Den Unterrock der Heldin seines Lockenraubes giebt Pope, die Wahrheit zu sagen, nicht nur Einem, sondern gar funfzig auserlesenen Sylphen zu beschützen.

To fifty chosen Sylphs, of special note,
We trust th'important charge, the Petticoat.
R. of the L. Cant. II v. 117
.

Er muß diesen Posten für sehr gefährlich gehalten haben.


Ob die von Atlas hierinn ein Privilegium haben,
Und ob nicht Mutter Natur zuweilen ihre Gaben
Auch in Flanell versteckt, – steht euerm Urtheil frey!
Wir sind zufrieden, den Ritter soweit entfernt zu haben,
Daß Bambo's ehrliche Tochter, auf ihrer Lagerstatt,
Zum wenigsten von ihm, nichts zu besorgen hat.


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