Christoph Martin Wieland
Der neue Amadis
Christoph Martin Wieland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neunter Gesang.

So wenig galant es ist, die Tochter Bambo's allein,
Bey nächtlicher Weil', in einer finstern Höhle,
Zu lassen; so kann es doch itzt unmöglich anders seyn.
Empfohlen sey sie demnach, die gute dicke Seele!
Den Sylphen, ihren Beschützern! – (wofern der Lampenschein,
Der aus der innern Vertiefung der Grotte
Uns eben in die Augen blitzt,
Nicht einen Gnomen verräth.) – Wie dem auch sey, für itzt
Ruft Schatulliöse uns ab, mit der in kurzem Trotte
Der tapfre Boreas schon mehr als Tag und Nacht
Davon geritten ist. Die Wahrheit frey zu sagen,
Wir lieben sie nicht genug, sobald ihr nachzujagen,
Und hätten um ihre Tugend uns wenig Sorge gemacht,
Wofern nur ohne Schatulliösen
Uns möglich wäre, den schönen Amadis
Aus einem Zustand zu erlösen,
Worinn seit Erschaffung der Welt kein Held sich sehen ließ.

Der Ritter Boreas führte den ominosen Nahmen
Mit gutem Fug; denn rauher und stürmischer kann
Kein Nordwind seyn, als dieser Edelmann;
Er hatte zwar die Gewohnheit, bey Damen
In tragicomischen Phrasen so etwas auszukramen,
Das sehr galant ihn däuchte; doch würklich ist ein Calmuk
Nicht gröber von Fibern als er. Ein kleiner schmeichelnder Druck
Von seiner nervichten Faust, wenn er die Augen rollte,
Und seinen Corydon recht zärtlich spielen wollte,
Ließ stets ein blaues Mahl auf einer weißen Hand.
Er glaubte, bey einem Manne wie Er sey Widerstand
Beleidigung. Sollte sich wohl ein Mann wie Er entschließen,
Ein Herz durch schleichende Künste, durch Unterwürfigkeit
Und sanftes Schmeicheln gewinnen (er hieß es, stehlen,) zu müssen?
Er pflegte bey Gelegenheit
Zu seinen Vertrauten zu sagen: Man hätte Unrecht, den Schönen,
Durch sclavische Gefälligkeit
Für ihre Launen und Grillen, den Uebermuth anzugewöhnen,
Sich als Gebieterinnen der Männer anzusehn.
He! sprach er, wüßten die Gecken die Würde der Mannheit zu schätzen,
Und hätten den Witz, sich selbst in ihren Vortheil zu setzen,
Die Püppchen sollten bald bey uns um Liebe flehn!

Wir bitten den Schönen ab, daß solche Lästerungen,
(Wobey uns selbst die Haare zu Berge stehn)
Auch nur in dritter Person aus unserm Munde gehn.
Was muß nicht, von der Pflicht die Wahrheit zu sagen gezwungen,
Ein armer Poet, der an nichts böses denkt,
Oft seine Leute sagen lassen?
Und wär' es billig, den Mann, der uns Vergnügen schenkt,
Und scherzend Weisheit uns lehrt, für fremde Sünden zu hassen?
Der Himmel behüte die werthe Christenheit
Und alle Welt vor Phädren, vor Neronen,
Medeen, Clytämnestren, und andern Standspersonen
Von dieser Art! Sie machen uns keine gute Zeit!
Doch, daß man deswegen den Dichter beschreyt,
Ist wahre Ungerechtigkeit.
Ist, (wie Demokritus sagt) der Globus, so lang und so breit
Er ist, mit Narren bedeckt? – So laßt uns mit lachen!
Und weint ihr lieber? von Herzen gerne! weint!
Nur muthet dem Dichter nicht zu, euch bessere Menschen zu machen,
Als würklich Natur und Kunst sie machen zu können scheint.
Daß Thraso ein Prahler, und Jago ein falscher Freund,
Orbil ein Finsterling, Tartüff ein schändlicher Bube,
Armande zu sehr ein Geist, Agnese zu sehr ein Thier,
Marulla geschwätziger ist als eine Wochenstube,
Europa Jupitern selbst am liebsten in einen Stier
Verkleidet sieht, und so weiter – was kann der Dichter dafür?
Ja, wäre der Mann, von welchem hier
Die Red' ist, ein Mann aus dem Monde! – Dann möchten die Damen auf ewig
Mir ihre Gnaden entziehn, in einen eisernen Kefig
Mich sperren, Gesichter mir machen, kurz, alles ersinnliche mir
Zu leide thun! – denn wer zu dichten sich erkühnet,
Was unsern gebietenden Frauen präjudicieren kann,
Ich sag es laut, der ist – kein hübscher Mann,
Und hat das ärgste, was Frauen uns drohen können, verdienet!

Im übrigen, wenn der Enkel vom großen Facardin
In Sachen des schönen Geschlechts als wie ein Sultan dachte,
So müssen wir gestehn, daß Bambo's Tochter ihn
Was eine Schöne vermag empfindlich fühlen machte;
Was gegen den wildesten Heyden, und wär' er der DedschialDedschial oder Daggial ist der Antichrist der Muhamedaner, von welchem ihre Schriftsteller viel zu erzählen wissen. Er liegt würklich noch angefesselt, wird aber vor dem Ende der Welt noch einmal losgelassen werden, und großes Unheil anrichten. S. Herbelot Biblioth. Orient. pag. 282. gar,
Die Schöne vermag, die sich des Vortheils weislich gebrauchet,
Den seine Schwäche ihr giebt. – Man weiß, Achilles war,
(Weil Thetis nach der Geburt im Styx ihn eingetauchet)
Am ganzen Leib unverletzlich, – bis an die Ferse, wobey
Die Göttin ihn hielt. Die Menschenkenner sagen,
Daß dieses von unserm Geschlecht ein feines Sinnbild sey.
Ein Mann sey kühn genug, mit Riesen sich zu schlagen,
Und stark, wie Atlas, den Himmel zu tragen,
Sey weise, wie Cato, gelehrt wie ein Encyclopädist,
Er mache Verse wie Pope, Ducaten wie Trismegist,
Und Republiken wie Platon; er siege wie Alexander,
Und ess' und trinke trotz den Helden am Scamander;Homers Helden sind bekannter maßen Leute von mächtigem Appetit. In den Zeiten dieses Dichters hatte man noch keine andere als sehr natürliche Begriffe von der Glückseligkeit; oder richtiger, man hatte gerade die, welche jedermann zu allen Zeiten gehabt hat, aber man dachte noch nicht daran, sich ihrer zu schämen. Calchas aß und trank an Agamemnons Tafel, und ließ es sich so wohl schmecken, als irgend ein Prälate oder Superintendent in der Christenheit; aber es fiel ihm nicht ein, außerhalb der Tafel über die sinnlichen Vergnügungen zu schimpfen. Theorie und Praxis war damals einerley; denn die Leute derselben Zeit waren rohe, einfältige Leute, und konnten noch keine Distinctionen machen.
Kurz, setzt aus sieben der Besten, (wie Zeuxes einst gethan)
Ein Ideal von einem Manne zusammen,
Dem selbst die Götter Homers mit Ehrerbietung nah'n,
Fest sey er am ganzen Leib', er wandle durch die Flammen,
Und spiele mit Löwen, als wie mit Lämmern ein Geßnerscher Hirt;
Ein Fleckchen bleibt, wo ihn zu überwinden
Was leichtes ist; und dieses Fleckchen wird
Die kleine Iris so gut als ihre Göttin finden.

Durch Sprödethun (da, Mädchen, mit Einem Wort,
Da habt ihr das ganze Geheimniß!) trefft ihr den schwachen Ort.
Der stolze Ritter ward in vier und zwanzig Stunden
Dadurch so geschmeidig, als wie ein Handschuh, gemacht.
Die Dame hielt dazu sich um so mehr verbunden,
Weil ihn der Triton vielleicht auf arge Gedanken gebracht.
Zehn Stürme, zum wenigsten, wurden so tapfer abgeschlagen,
Daß Boreas den eilften mit besserm Erfolge zu wagen
Die Hoffnung verlohr, und nun sehr viele Schwierigkeit fand,
Den Fehler wieder gut zu machen.
Denn selbst die schöne kleine Hand
Zu küssen, war schon mehr, als man ihm zugestand.

So lagen ungefehr die Sachen,
Als sie am dritten Tag der Sonne mittäglicher Brand
Die Schatten zu suchen zwang, die ihnen
Ein schöner Park erbot. Kaum hielten sie still, so erschienen
Sechs schöne geflügelte Knaben, die Dame zu bedienen.
Der eine hielt das Pferd beym Zügel, der andre gab
Ihr seine kleine Hand, und half ihr lächelnd herab;
Ein dritter führt sie dahin, wo unter gewölbten Schasminen,
Mit Myrten durchwebte für ihren hohen Gast
Der Vierte den Boden mit goldbeblümtem Damast
Und weichen Polstern deckt, indem die beyden letzten
Ein Tischchen, ich weiß nicht mehr von welchem Edelstein,
Mit goldnen Körbchen und Schalen von Porcellan besetzten.
Die Knaben waren so stumm, als hätt' aus parischem Stein
Sie ein Lysippus gebildet; doch luden sie durch Lächeln
Und Winke die Tochter Bambo's zu ihren Erfrischungen ein,
Beschäfftigt, mit nektarnem Eis und geistigem perlendem Wein
Sie zu bedienen, mit Tänzen und Springen sie zu erfreun,
Und ihren Busen, der unter Spitzen von Mecheln
Unruhig stieg und fiel, mit ihren Flügeln zu fächeln.

Dem Ritter, welcher indessen an einem Baum allein
Bey seinem Pferde stand, und große Augen machte,
Schien dieser Auftritt in einem bezauberten Hayn
Viel Gutes nicht zu prophezeyn.
Ihn stärken zum Ueberfluß noch in seinem schwarzen Verdachte
Die losen Knaben, die ihm Gesichter verleyhn,
Wovon ihn, wenn er sie in seine Sprach' übersetzte,
Der Inhalt nicht sehr mächtig ergötzte.
Doch, was zu thun? Ihn dürstet. Sie bieten ihm Wein
Aus großen Gläsern an, wiewohl mit schelmischen Mienen;
Und weislich macht er den Schluß: Das Beste dürfte seyn,
Zu Lindrung seiner Liebespein
Sich dieses Palliativs, so weit es reicht, zu bedienen.

Der Dame schien indessen die kleine Galanterie
Mehr angenehm als zuwider. Nur Eines macht ihr Müh.
Die Ganymeden, den Liebesgöttern
In allem ähnlich, waren es auch
In ihrem Putze. – Man kennt hierinn den Gebrauch
Zu Paphos und Gnid. – Ein Kranz von Myrtenblättern,
Mit kleinen Rosen durchwunden, ist in der That nicht viel,
So züchtigen Wangen, wie Schatulliösens waren,
Ein immerwährendes Erröthen zu ersparen.
Sie schloß die Augen zwar halb. Allein im muntern Gewühl
Der kleinen Götter oder Geister
Blieb sie nicht immer so ganz von ihren Augen Meister,
Daß ihr nicht dann und wann ein Seitenblick entfiel,
Bey dem (was auch die Ursach heißen mochte)
Ihr Herz im erröthenden Busen ihr etwas höher pochte.

Sie sehen sehr aufgeräumt aus, wenn man
Es sagen darf, Princessin! (fängt der Ritter
Mit einer Miene, die er von einem Leichenbitter
Geborgt zu haben schien, zu Schattulliösen an.)
»Ich wüßte nicht, warum ich traurig sehen sollte«
(Erwiedert die Dame, mit einer Minauderie
Die nicht die verbindlichste war) – Wofern sich Madame die Müh
Mich anzuhören geben wollte,
So – »würde michs traurig machen, Herr Ritter, glauben Sie?
Sie sind sehr gütig!« – Und Sie sehr fertig, mich zu quälen!
»Man dächte, Mein Herr, Sie wünschten (wiewohl ein wenig früh)
Von mir befreyt zu seyn? – Sie haben zu befehlen!
Ich falle nicht gerne zur Last.« – Kann etwas grausamers seyn?
Madam, Sie setzen mich auf Proben,
Die einen Job – (er murmelt die Worte: zum Toben
Zu bringen fähig wären
, in seinen Bart hinein)
Allein, ich schweige! – Das that' er, schenkt mit sprudelndem Wein
Von Schambertin ein mächtig Paßglas sich ein,
Und leert es auf Einen Zug. – »Mich freut, daß sie sich fassen;
(Spricht Schattulliöse) sie müssen nicht allzufeurig seyn,
Die Quaalen, die mit Burgunder so gut sich löschen lassen!
Anstatt der Antwort schenkt der Held sich wieder ein.
Die Liebesgötter, erfreut, ihm einen Streich zu spielen,
Sind sehr besorgt, damit es an frischem Wein
Dem Ritter nicht gebreche, und singen ihm Vaudevillen,
Bey deren einschläferndem Ton noch einmal so süß und leicht
Burgundiens Nektar den Gaumen hinunter sich schleicht.
Bis, von der vereinigten Kraft der Gallischen Lieder und Weine
Besiegt, der tapfre Mann sein Sorgenschweres Haupt
Hin auf die Polster neigt, und Amors Brüder und seine
Gebietende Dame der Freude ihn länger zu quälen beraubt.

Im nehmlichen Augenblicke verschwanden die Amoretten
Man weiß nicht wie. Die Dame blieb allein.
Und weil ein Silber-Gewölke den strengen Sonnenschein
Zu dämpfen begann, entschließt sie sich, im Hayn
Lustwandeln zu gehn. Ein Wasen, mit Violetten,
Und Rosenblättern von nahen Hecken, besät,
Führt ihren irrenden Fuß durch Gänge von Cypressen
An eine Thür, die offen steht,
Und, wie sie vertieft in Träumereyen geht,
In Gärten, bey deren Anblick der hungrigste Poet
Das Unglück hätte, die Mahlzeit zu vergessen,
Zu der ihn sein hoher Gönner, der Midas Nasidien,
Aus schuldigem Dank für eine Ode gebeten,
Worinn Perikles und Mäcen
und ColbertPerikles, Mäcen und Colbert, die drey vornehmsten Beförderer der schönen Künste unter den Griechen, Römern und Franzosen. die Ehre haben, dem Midas nachzutreten.


 << zurück weiter >>