Christoph Martin Wieland
Der neue Amadis
Christoph Martin Wieland

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Dritter Gesang.

Indem der Paladin von Schwester Dindonetten,
Wie wir gehört, sich amüsieren ließ;
Stund, oder saß vielleicht der Herr von Ferafis,
Sein Secretair, um Fräulein Colifischetten.
Nach hergebrachtem Gebrauch, vom Ritter, seinem Herrn,
Die Helden- und Liebes-Geschichte sub rosa zu erzählen.
Das schöne Fräulein war eine der wissensbegierigen Seelen,
Die, unter der Hand, vom Nächsten gar zu gern
Die Anekdoten erforschen. Zu gutem Glücke leerte
Herr Ferafis seinen Sack so gern als jene hörte.

Ein Autor weiß nicht stets, wie seinem Leser ist,
Und irrt oft, wenn er ihn mit seiner Laune mißt.
Doch dächt' ich, weil wir gerade nichts angelegners haben,
Wir hörten ihm zu. – »Der König, sein Vater, demnach,
(So fährt er fort) sobald er den Zettul erbrach,
Worinn die gefragten Druidenworinn die gefragten Druiden.
Die Druiden waren die Priester und Weisen bey den alten Galliern, Britten und andern Celtischen Völkern. Sie spielten bey diesen die nehmliche Rolle, welche die Magi bey den Persern, die Chaldäer bey den Babyloniern und die Gymnosophisten oder Brachmaner bey den Indianern spielten. Sie stunden in dem größesten Ansehen. Nichts wichtiges wurde ohne ihren Rath unternommen. Sie wurden als die Vertrauten der Götter und die authentischen Ausleger ihres Willens angesehen. Sie waren, nebst den Barden, oder Sängern, im exclusiven Besitz aller Gelehrsamkeit bey den Celtischen Völkerschaften; und hatten, wie Julius Cäsar (de Bello Gallico L. VI. c. 14.) berichtet, sehr viel von den Gestirnen, und ihren Bewegungen, von der Größe der Welt und der Erde, von der Natur der Dinge, und von der Natur und Macht der Götter zu erzählen. – Im übrigen läßt sich aus diesem Verse muthmaßen, daß der neue Amadis ein Gallier gewesen sey; wiewohl nicht zu läugnen ist, daß die häufigen Anachronismen, deren sich unser Autor schuldig macht, und die geringe Achtung, die er für die historische Wahrheit und das Costume zeigt, es beynahe unmöglich machen, etwas gewisses über diesen Punct festzusetzen. Denn wenn es wahr ist, daß die Druiden unter den Kaysern Claudius und Nero gänzlich ausgerottet worden, (wie Sueton und Tacitus versichern) so könnte es zu des neuen Amadis Zeit keine Druiden mehr gegeben haben; weil dieser, da er, unserm Dichter zu Folge, in einem von dem weisen Merlin erbauten Thurme erzogen worden, natürlicher weise nicht früher gelebt haben kann, als der besagte Zauberer, dessen Leben in die Zeiten des Königs Arthus oder Arthur, und also in das fünfte Jahrhundert der Christlichen Zeitrechnung fällt. Ein Beyspiel, welches wir nur zu einer Probe anführen, wie schwer es künftigen Scholiasten (welche dieses Gedicht vielleicht in zwey oder dreytausend Jahren in der Bucharey oder in Korea bekommen könnten) fallen dürfte, die chronologischen Knoten desselben aufzulösen.
ihm ihre Antwort gaben,
Befahl sogleich, den kleinen Amadis,
Der kaum zweyjährig war, in den Thurm von Jaspis zu bringen,
Das Werk von Merlins Kunst! Denn das Orakel verhieß,
Er würde glücklich seyn, und alles würd' ihm gelingen,
Und Dichter würden einst von seinen Thaten singen,
Sofern man Mittel fänd', ihn nur vor Amors Macht
Zu schützen, der junge Herren so gern zu – Gecken macht.

Er ward in diesem Thurm von unsichtbaren Händen
So gut bedient als je ein Königssohn.
Man sah an aller Zimmer Wänden
Die Titian und die Giorgiondie Titian und die Giorgion.
Nehmlich, derselbigen Zeit. Die Kenner wissen, das Giorgione, wiewohl er viel weniger bekannt ist als sein Rival, Titian, einer der größesten Mahler der Venetianischen Schule war.

Der Farben Zauberey verschwenden.
Verschwendet überall war Gold und Elfenbein:
Nichts angenehmes gebrach, ein einzigs ausgenommen.
Es durfte kein weiblicher Fuß in seine Mauren kommen.
Kein Fenster, keine Thür! Sogar der Sonnenschein
Kam nur mit äußerster Vorsicht durch hohe Gitter hinein.

So lang er als Kind es bedurfte, von unsichtbaren Gnomiden
Bedient, (denn bey Gnomiden sogar
Hielt ihn der behutsame König nicht außer aller Gefahr)
Erblickt er von Jugend an nichts, worinn ein Leben war,
Als einen Psittich, ein Aefchen, und einen alten Druiden,
Mit langem silbernem Bart, der ungefehr was dem Pelidendem Peliden. Dem Achilles, der Thetis und des Peleus Sohn.
Der alte Phönix, ihm war. Sein langer silberner Bart
Erweckte die Meynung, daß er ein wenig hexen könne.
Er war in aller Weisheit Egyptens hochgelahrt,
Und wußte genau, warum das Feuer brenne.
Warum der Schnee uns weiß nicht gelb noch Seladon scheint,
Auch daß der Mond nicht kühlt, Aurora Perlen nicht weint,
Und Basilisken nicht aus Hahneneyern entstehen.
Er maß die Ellipsen aufs Haar, worinn die Planeten sich drehen,
Und kurz, im Himmel, auf Erden, und unter der Erden, im Land
Der Gnomen, erklärt' er euch alles, den Cirkel in der Hand.
Gleich stark war unser Mann in der metaphysischen Sphäre,
Er wußte sein sum quia sum,Sein sum, quia sum, d.i. das Cartesianische Principium, ich bin weil ich denke, welches eben soviel ist, als ich bin weil ich bin. und seine Dingerlehre,
So gut als Suarez und Duns.So gut als Suarez und Duns.
Johannes Duns Scotus, ein Minorit, der zu Anfang des 14ten Jahrhunderts verstorben, und Franciscus Suarez, von der Ges. Jesu, werden jener unter die subtilsten der ältern, und dieser unter die scharfsinnigsten der neuern Scholastiker gezählt. Beyde waren große Meister in spitzfündiger Beantwortung aller dieser Fragen, über welche Sokrates vernünftig und ehrlich genug war seine Unwissenheit zu gestehen; Fragen, welche immer dunkler zu werden scheinen, je mehr man Licht darüber ausbreitet.
Ihm schien nichts wunderbar.
Sogar das seltsame Ding, das (närrisch genug) in uns denket,
Mit jedem geheimen warum, das unsern Willen lenket,
Und vom Warum das Warum erklärt' er an Fingern euch her.
Und daß in unsrer Welt, der Besten aller Welten,
Die Dinge nicht minder noch mehr als was wir wollen gelten,
Glaubt Meister PangloßWem sollte Maitre Pangloss aus dem Candide des Hrn. von Voltaire unbekannt seyn? einem kleinen comisch-philosophischen Roman, der, wiewohl er gleichsam der Revers von dem in seiner Art eben so vortrefflichen Zadig ist, und der Urtheile ungeachtet, welche er sich durch einige cynische Stellen zugezogen, mehr Wahrheit, gesunde Vernunft und Kenntniß der Menschen enthält, als viele tausend sehr dicke, sehr methodische, sehr ernsthafte, und sehr nonsensicalische Folianten. nicht steifer als er.
Er war nicht minder gelehrt in alter und neuer Geschichte,
Zumal in der, die nie geschah;zumahl in der, die nie geschah.
Der alte Druide, Hofmeister des neuen Amadis, hatte die Ehre, in diesem Stücke dem unnachahmlichen Sultan Schah Baham ähnlich zu seyn, von welchem in dem Vorberichte zum Sopha versichert wird, qu'il fut, sans contredit, l'homme de son siècle, qui possedât le mieux l'Histoire de tous les évenemens qui ne sont jamais arrivés.

Wie mancher Jupiter war, und wie die Göttin Mama
Der Grazien hieß, und wieviel in Umfang, Maas und Gewichte
Der Becher, wozu der Busen der schönen HelenaDer Becher, wozu der Busen der schönen Helena.
Die schöne Helena stiftete, nach dem Bericht des Plinius, in dem Tempel der Minerva zu Lindus einen goldnen Becher, wozu sie, wie die Geschichte sagte, das Maas von ihrer Brust genommen hatte. Hist. Natur. L. XXXIII. c. 4. p. m. 462. Das Spartanische Frauenzimmer scheint überhaupt wegen der Schönheit ihres Busens unter den Griechinnen vorzüglich berühmt gewesen zu seyn; daher Aristophanes seine Lysistrata diese Schönheit an der Spartanerin Lampito besonders anmerken, und darüber in die bewundernde Ausruffung gerathen läßt –

‘Ως δη καλον το χρημα
τιτθιων εχεις!

Die Schöne Helene hatte der Natur von dieser Seite so viel zu danken, daß Euripides (in derjenigen Scene seiner Andromacha, worinn der alte Peleus den Menelaus wegen seiner Schwachheit für seine Ungetreue mit den bittersten Vorwürfen überschüttet) es allein der Schönheit ihres Busens zuschreibt, daß dieser ihr vormaliger Gemahl bey dessen Erblickung den Degen, womit er sie zu wohlverdienter Bestrafung ihrer Untreue durchbohren wollen, weggeworfen, und ihr, unter den zärtlichsten Liebkosungen, auf einmal seine ganze Liebe wiedergegeben habe. Androm. v. 627. – 30. Wenn diese Anecdote wahr ist, so hatte die Tochter der Leda wohl Ursache, die oben erwähnte Stiftung zu machen. Im Vorbeygehen mög es uns erlaubt sein, bey dieser Gelegenheit den ehrlichen und naiven Brantome, (der in seinen Memoires des Dames Galantes T. I. p. 275. über diese kleine Begebenheit nach seiner Art raisonniert) gegen eine Schicane des critischen Bayle zu vertheidigen. Brantome sagt, der besagte Votiv-Becher der Helena sey aus weissem Golde gemacht gewesen, und setzt etliche Zeilen darauf hinzu: Pline dit ceci par grande admiration & speciauté, où il traite qu'il y a de l'or blanc (ce qui est fort étrange) & que cette coupe fut faite d'or blanc. »Es ist nicht wahr, sagt Bayle, daß Plinius gesagt habe, der Becher oder die Trinkschale, wovon die Rede ist, sey aus weissem Golde gemacht gewesen.« Und zum Beweise begnügt er sich, folgende Worte aus der oben angeführten Stelle des Plinius hinzusetzen: Minervæ templum habet Lindos insulæ Rhodiorum, in qua Helena sacravit calicem ex Electro; adjicit historia, mammæ suæ mensura. Allem Ansehen nach hat Bayle sich die kleine Mühe nicht gegeben, diese Stelle in ihrem Zusammenhang zu lesen, und vielleicht wohl gar sich eingebildet, daß Electrum hier Bernstein heisse. Plinius sagt: in allem Golde sey etwas Silber; in einigem der zehnte, in anderm der neunte, in anderm der achte Theil. – Wenn ein Fünftheil Silber darunter sey, werd' es Electrum genennt; eine Art von Golde, das dem Homer schon bekannt gewesen, indem er sage, der Palast des Menelaus habe überall von Gold, Silber, Electrum und Elfenbein geschimmert. (Odyss. L. IV. 73.) Es ist wahr, Plinius nennt dieses Electrum nicht ausdrücklich weisses Gold; aber den Umstand, den er anmerkt, »daß es bey Licht wie Silber, und noch weisser als Silber aussehe, (Electri natura est, ad lucernarum lumina clarius argento splendere) konnte einen Schriftsteller wie Brantome gar wohl berechtigen, das Wort Electrum durch weisses Gold zu übersetzen. – Uebrigens konnte weder Bayle noch Brantome etwas von demjenigen sonderbaren, und von dem Plinischen Electrum ganz verschiedenen Metalle wissen, welches in unsern Zeiten, unter dem Nahmen des weissen Goldes, oder Platina del Pinto, bekannt, und an welchem von den berühmten Scheidekünstlern Marggraf, Maquer, Baumé und andern sehr sonderbare Eigenschaften entdeckt worden. Es wird, sagt man, in einigen Minen von Peru gefunden, welche aber auf königlichen Befehl wieder zugeschlossen worden sind. Es ist dem Silber an Farbe, und dem Gold an Schwere, Dichtigkeit und verschiednen andern Beschaffenheiten ähnlich, aber bey weitem nicht so bildsam als das ächte Gold, welches durch die Vermischung mit demselben seine Geschmeidigkeit und Ductilität verliehrt. Diction. raisonné d'Hist. Natur. par Mr. Valmont de Bomare Tom. IV. p. 391 sq.


Das Muster gegeben, enthielt, und tausend andre dergleichen
Probleme aufzulösen, mußt ihm Salmasius weichen.
Im Emendieren ließ Bentley die Segel vor ihm streichen;
Er hatte Lykophrons mystische NachtEr hatte Lykophrons mystische Nacht
Ob der Druide hierinn dem Tzetzes, Meursius, Scaliger, Potter; und andern gelehrten Commentatoren und Uebersetzern der mit undurchdringlicher Finsterniß bedeckten Alexandra des Poeten Lykophron ähnlich gewesen, wollen wir hier nicht entscheiden; aber soviel ist gewiß, daß er nicht der einzige Ausleger war, der seinen Autor dunkler gemacht, als er vorher gewesen. Ob es sich übrigens der Mühe verlohne, einen Dichter aufklären zu wollen, von welchem Taneguy le Fevre, ein Kunstrichter von Ansehen, behauptet, que son Poëme est tout obscurité, tout tenebres; que c'est un grand corps, noir d'un bout à l'autre, non pas d'un Noir d'Ebene, mais d'un Noir de suye & de charbon – – möchte mit gutem Fug bezweifelt werden können; so wie man Ursache hätte, sichs wundern zu lassen, wie ein so finstrer Poet bey dem Könige Ptolemäus Philadelphus in besondern Gnaden habe stehen können, wenn man uns nicht zugleich versicherte, daß er sich dieses Glück hauptsächlich durch zwey Anagrammata auf den Nahmen des K. Ptolemäus und seine Gemahlin Arsinoe erworben, aus deren erstem er durch Versetzung der Buchstaben απο μελιτος von Honig und aus dem andern Ηρασιον, Violette der Juno, herausgebracht; ein Verdienst, welches noch bis auf den heutigen Tag unter diejenige Gattung gehört, wodurch Leute von sehr mittelmäßigem Werthe sich den Großen zuweilen angenehm zu machen wissen.

Durch seinen Commentar noch einmal so dunkel gemacht.
Mit aller dieser Gelehrsamkeit hätte
Ein Mädchen von fünfzehn, das Gott mit fünf bis sechs Sinnen bedacht,
Ihm, wie dem kleinsten Kinde, wer weiß was weiß gemacht.
Was halfs ihm, in seinem Sessel die ganze lange Kette
Der Wesen zu übersehn? Was vor der Nase ihm lag,
Das sah er nie. Er bewies euch so klar wie der Tag,
So müß' es gehn; und immer wurde sein Hoffen
Vom ungefällgen Erfolg so widrig übertroffen,
Als hätte Natur und Zufall sich gegen sein System
Verschworen. Und würklich war dies nicht sehr angenehm.


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