Christoph Martin Wieland
Der neue Amadis
Christoph Martin Wieland

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Auf einmal erbebt von scharfen schmetternden Tönen,
Die Eccho unzählich verdoppelt, der Wald.
Der unvermuthete Schall schreckt unsre ruhenden Schönen.
Man lauscht, man zappelt, man fragt sich, und bald
Stellt ihnen sich von allen möglichen Scenen
Die seltsamste dar. Zwölf Knaben, alle in Grün,
Und reich gestickt, sein Waldhorn jeder am Munde,
Sieht man, in Paaren, zuerst auf Apfelschimmeln ziehn,
Und alle blasen zugleich. Drauf folgt im Mittel-Grunde
Auf einem arabischen Klepper ein feiner Paladin.
Mehr einem süssen Herrn als einem irrenden Ritter
Gliech er, ein Galaorein Galaor, mehr an Schönheit als an Kraft.
Don Galaor
ist einer von den Rittern, welche im Amadis die großen Rollen spielen. Er war ein Bruder des besagten Amadis, und nach dem Urtheil des Meister Niklas, des Barbier, in allen Betrachtungen ein so vollkommner Mann, daß dieser Kenner kein Bedenken trägt, ihn dem Amadis selbst vorzuziehen. Don Quixotte 1. Th. 1. Cap.
mehr an Schönheit als an Kraft.
Sein fliegendes Kleid war siebenfarbigen Taft,
Sein Helm ein kleiner Hut, verbrämt mit goldnem Geflitter.
Ein großer Sonnenschirm an einem feuerfarben Band
Hängt statt des Schildes an seiner Schulter; ein Fächer,
Mit Amors Siegen bemahlt, dient seiner schneeweißen Hand
Für Schwerdt und Lanze, für Bogen und Köcher;
Und funfzig Schritte ringsum verfälscht der ölichte Duft
Von seinen bebalsamten Locken die Luft.

Zu seiner Bedeckung folgt auf einem Elephanten,
Mit Eisenblechen behängt, der Riese Moulineau.der Riese Moulineau – ist allen bekannt, welche den Bêlier des Grafen Anton Hamilton gelesen haben; d.i. hoffentlich allen, welche den neuen Amadis lesen werden.
Den Damen däucht' es zum wenigsten so,
Die augenblicklich in ihm den furchtbaren Popanz erkannten,
Womit die Amme sie sonst zu schrecken pflegte. Sie rannten
Vor seinem Knebelbart wie schüchterne Rehe davon,
Selbst Leoparde, vor Angst, dem neuem Geryondem neuen Geryon.
Geryon
, (sagt die fabelhafte Poetische Geschichte) war ein alter Iberischer oder Balearischer König, in den Zeiten, da diese Länder noch von Riesen bewohnt waren. Er hatte drey Köpfe, sechs Arme und eben so viel Füße, und wurde dennoch (wie es zu gehen pflegt) vom Herkules überwunden, der nur Einen Kopf hatte.

Zur Beute zu werden, entstieg im ersten Schrecken dem Bade,
Und lief mit fliegendem Haar, wie eine trunkne Menade,
So leicht die Natur sie bekleidet, davon.

Dem Schlummer entweckt, worein Don Caramells mystische Reden
Sie wiegten, wird Schatulliöse den Riesen kaum gewahr,
So übersieht sie auf einmahl die ungeheure Gefahr,
Die ihrer Tugend dräut. Was könnte der Mann sich
entblöden! Vom blassen Gedanken empört sich ihr Haar.
Nicht ohne Grund! die ganze Riesenschaar
War noch von BlaubartS. die Contes de ma Mere l'Oye, wovon wir eine neue Ausgabe, französisch und deutsch, dem Buchhändler Arnold Wever in Berlin zu danken haben. Diese Erzählungen, welche wegen ihrer vortrefflichen Sittenlehre zur Bildung eines edeln Herzens von Hrn. Perrault, dem Sohne, (vermuthlich in seiner zarten Kindheit) verfertiget worden, enthalten 1) die kleine Rothkappe. 2) Die bezauberten Jungfern. 3) Den Blaubart. 4) Die im Holz schlafende Schöne. 5) Den gestiefelten Kater. 6)  Aschenbrödel, oder den kleinen gläsernen Pantoffel. 7) Riquet mit dem Zopfe. 8) Das kleine Däumchen. Ich gestehe, daß es mir ungeachtet der vortrefflichen Sittenlehre zu Bildung eines edlen Herzens, welche in diesen berühmten Erzählungen de ma mere l'Oye herrschen sollen, wie dem Schah Baham geht; Votre Majesté a quelquefois endendu des Oyes crier, demanda le Visir au Sultan? Oh, mon dieu! oui, repondit Schah-Baham, & même beaucoup; mais on dira ce qu'on voudra, je ne trouve pas, moi, que cet oiseau ait la voix si belle. her nicht wohl bey ihr empfohlen.
Sie flieht, sie schwebet vielmehr, wie Psyche, vom Zephyr entführt,
Kaum werden von ihren beflügelten Sohlen
Die Spitzen des Grases im Laufen berührt.
Umsonst ruft Caramell sie in seinen Schutz zurücke,
Der Riese, den die Angst mit jedem Augenblicke
In ihrem Wahn um etliche Spannen verlängt,
Spornt ihre Tugend so scharf, daß alles nichts verfängt,
Was jener bittet und flucht. Sie läuft und merkt nicht vor Schrecken,
Daß hier und dort an Stauden und Hecken
Ihr Schleyer und manches Fragment von ihrem Unterrock hängt.
Der Ritter folgt ihr umsonst; schon liegen Thäler und Wiesen
Und Hügel zwischen ihr und dem eingebildeten Riesen.
Auf einmal hemmet den flüchtigen Fuß
O böses Geschick! ein meilenbreiter Fluß.
An welchen Gott soll itzt die Keusche sich wenden?
Zum Glücke lag am Gestade, vom Riedgras halb versteckt,
Im Sonnenschein ein Triton hingestreckt.
Sein Haupt mit Binsen bekränzt, und um die zottichten Lenden
Statt alles Gewandes mit Schilfe bedeckt.
Welch Grauen hätt' ihr einst ein solcher Anblick erweckt!
Doch itzt in der Angst vor grösserem Harme
Schließt sie die Augen, und sinkt dem Triton in die Arme.


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