Christoph Martin Wieland
Der neue Amadis
Christoph Martin Wieland

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Vierzehnter Gesang.

Kaum hatte der dienstbare Zwerg das Tischtuch weggenommen,
So hieß Herr Anti-Seladon
Zu seinem Griechischen Wein den schönen Ritter willkommen.
Sein geistiges Oel erhitzte beyden schon
Die Phantasie, als Jener, seinem Versprechen
Zu folge, nachdem er vorher noch einen Zug gethan,
In diesen Worten began
Zu seinem Gaste zu sprechen:
Man muß es gestehen, Herr Ritter, wann anders zwischen Recht
Und Unrecht ein Unterschied ist, so hat das Schöne Geschlecht
Viel Grund, sich über unser Betragen
In Absicht seiner zu beklagen.
Gesetzt auch, alles sey wahr, im Wortverstande wahr,
Was seit Erschaffung der Welt die Zunft der Misogynen,
Die Juvenalen, die Popen, und CrebillonenSo verschieden diese Autoren von einander sind, so verdienen doch alle drey den Nahmen Misogynen (Weiberfeinde) nur gar zu wohl; und der letzte, so lieb er sie in einem gewissen Sinne haben mag, ist in der That grausamer mit ihnen umgegangen als irgend ein andrer decenter Schriftsteller. ihnen
Zum Unglimpf nachgesagt: So ist doch offenbar,
Daß alle Gebrechen, die wir so scharf an ihnen rügen,
Uns Männern ganz allein, nur uns zu Schulden liegen.
Unedel haben wir ein Vorrecht ausgeübt,
Das nicht des Geistes, das uns der Knochen Stärke giebt,
Und aus dem Schönsten und Besten von allen Wesen, dem Weibe,
Uns eine Puppe gemacht zu unserm Zeitvertreibe.
Allein auch hier entdeckt sich die ganze Bisarrerie
Von unserm Betragen. Tyrannisch machen wir sie,
Anstatt zum Gegenstand, zum Opfer von unserm Vergnügen;
Und wenn wir alles gethan, die Macht zum Widerstehn
Den armen Seelen zu nehmen, (die, während daß wir flehn
Und weinen und Hündchen gleich zu ihren Füßen uns schmiegen,
Sich keines solchen Streichs versehn;
Uns glücklich zu machen glauben, und würklich unser Vergnügen
Mehr als ihr eignes geniessen:) dann tragen wir unsern Kamm
Wer weiß wie hoch, und prangen mit wenig rühmlichen Siegen,
Den Siegen gleich, die über das harmlose Lamm
Der Wolf erhält. Wir adeln zum Verdienste
An uns, was ihnen Schande macht;
Erschöpfen unsern Witz, erfinden tausend Künste,
Den Genius einzuschläfern, der ihre Unschuld bewacht,
In süsse Gefühle und unbekanntes Entzücken
Die holden Seelen zu schmelzen, die, unerfahren in Tücken,
Durch ihre Unschuld selbst im Netze sich verstricken;
Und wenn dann endlich in einer verführisch-schönen Nacht
Der Augenblick, dem wir so lange mit Schmerzen
Entgegen gesehn, der uns so manchen falschen Schwur,
So manche Thräne gekostet, (ein Augenblick, wo die Natur
Sich mit der Liebe vereinigt, die nichts besorgenden Herzen
Uns in die Hände zu spielen) sie endlich überschleicht;
Dann sind wir niedrig genug, der armen Betrognen zu lachen,
Die Quaal betrogen zu seyn, der keine andre gleicht,
In ihrem Busen selbst vorsetzlich anzufachen,
Und ihren Fall dem Hof, der Stadt, dem Erdenkreis,
So viel an uns ist, kund zu machen.

Dank sey dem Himmel, daß ich hierinn mich schuldlos weiß!
(Fiel unser Held ihm ein) Ich bin nicht unerfahren.
(Setzt er erröthend hinzu) Allein ich muß gestehn,
Daß, wo ich mit zärtlichen Damen mich noch verwickelt gesehn,
Sie die Verführerinnen waren.

Ich wünschte (versetzt mit einem tragischen Ton,
Der ziemlich komisch klang, Herr Anti-Seladon)
Von meiner Wenigkeit ein gleiches rühmen zu können!
Inzwischen scheinen mir doch die Schönen, so gern ich sie auch
Vertheidigen wollte, mit Fug sehr unvorsichtig zu nennen.
Ists unsre Schuld, wofern sie uns nicht kennen!
Ist Unschuld ein Glas, das auch der kleinste Hauch
Beflecken kann, und pflegt sie ohne Verschonen
Die männliche Welt mit Undank zu belohnen,
(Wie jedes Mädchen unzähligemal
Von ihrer Amme gehört) wer heißt die guten Kinder,
Gewarnt durch tausend Exempel, von ihren Verehrern gelinder
Als von den übrigen denken? – Doch alle diese Moral
Ist allzuabgenützt, dabey uns aufzuhalten.
Wir machen's just wie unsre lieben Alten,
Und trösten uns damit, daß unsre junge Welt
Dem Ansehn nach nicht weit vom Stamme fällt.

Sie also auf meine Geschichte nicht länger warten zu lassen,
So wissen Sie dann, mein Herr, daß eine große Stadt
Im Celtenland, von ihren engen Gassen
Die Kothige zubenannt, mich jung gesehen hat.Es wird den Commentatoren, die dieses Werk ohne Zweifel in einigen Jahrhunderten erhalten wird, was leichtes seyn, auch ohne unser Zuthun zu errathen, auf was für eine Nation der Ritter Anti-Seladon ziele. Sollten sie aber ihrer Geschicklichkeit in der Divination soviel zutrauen, auch die folgenden Charakteren deschifriren zu wollen: So können wir sie versichern, daß sie sich eine vergebliche Mühe machen würden. Alles was wir davon sagen können, ist, daß sie aus der Natur sind; und das ist genug.
In meinem Lande sieht ein Knabe von sechzehn Jahren,
Von leidlicher Bildung, und langen blonden Haaren,
Das ganze Schöne Geschlecht für freye Beute an.
Es wimmelt Hof und Stadt von solchen jungen Corsaren,
Die ihren kleinen Eroberungs-Plan
Für jeden Unterrock stets in der Tasche tragen,
Und meynten, es wäre nicht Recht, in einem Vis à vis,
Worinn ein Ungefehr mit einer Dame sie
Zusammengebracht, nicht einen Sturm zu wagen.
Von diesen Gecken nun, Herr Ritter, war auch ich.
Man unterschied mich bald, und meinen Nahmen zu melden,
Ersparte mir halben Weg. Der Ruhm that mehr für mich,
Als ich verdiente; kurz, ich galt für einen Helden.
Zum Unglück oder Glück für meinen besagten Ruhm
Gab mir ein Zufall ein, mein neues Heldenthum
An einer Fee zu bewähren,
Die über dem hohen Geschäfte, den Geist sich aufzuklären,
Nicht Zeit gehabt, anzumerken, daß ihr, wie andern, was schlug
In læva parte mammillæ.Dieses wenige Latein wollen wir unsern jungen Herren, zu einer kleinen Uebung, ihren Freundinnen zu dollmetschen überlassen. S. Nichts schien ihr schwerer zu fassen,
Als dieser innerliche Zug
Zu meiner kleinen Person, den sie mich merken zu lassen
Gleich Anfangs kein Bedenken trug.
Wir suchten den Grund davon im Lande der Ideen,
Und in dem Zustand, worinn wir, ich weiß nicht wo,
Vor unserm Daseyn uns zum erstenmal gesehen.Wer einige Erläuterung dieser drey Verse vonnöthen haben sollte, den müssen wir auf das Erste Stück der Sympathien, auf eine gewisse Choriambische Ode im 4ten Theile der Bremischen Beyträge, und auf den Traum der Thamar im Noah, oder der Noachide, verweisen. In dem Voyage de Zulma au païs des Idées würde man vergebens etwas davon suchen.
Sie lächeln der Grille, mein Herr: Allein sie dachte nun so.
Denn, daß der besagte Zug die Vis centripeta wäre,
Wodurch Herr Büffon meynt daß jedes Phänomen
Der Liebe sich ungezwungen und von sich selbst erkläre,
Das wollte die gute Fee sich ewig nicht gestehn.
Indessen fand sie sich zu Zeiten
Sie wußte nicht von was, noch wie, noch wo, gerührt;
Und, ohne Sie, Herr Ritter, mit Kleinigkeiten
Zu plagen, – sie wurde durch lauter Kleinigkeiten
Von Grad zu Grad so weit geführt,
Daß Büffon Recht behielt. – Kaum hatte sie verspürt,
Daß keine Möglichkeit war, ihm nicht gewonnen zu geben,
Da hätten Sie sehen sollen, wie sich die Fee geziert!
Den Fall von – ihrem System! Nein, den zu überleben,
Dieß, schwur sie, könne sie nicht; und würklich fieng ich an
Für ihr Gehirn in Sorge zu schweben.
Nun that sie das nehmliche zwar, was tausend Andre gethan,
Sie lebte so stark wie zuvor; doch eh ich entlassen zu werden
Die Ehre hatte, gab die Weise Dame mir
Dieß Cabinetstück, das Sie hier
In meinem Busen sehn, ein Stück, das auf der Erden
Nie seines gleichen gehabt, erklärte mir davon
Die Eigenschaften, und sprach: hier, Anti-Seladon,
Empfangen Sie diesen Fächer! Und wollen Sie meine Rache
Nicht auf dem nehmlichen Grad, an dem ich Sie geliebt,
Erfahren, so schwören Sie mir – an sich die leichteste Sache,
Doch ohne welche mein Herz sich nie zufrieden giebt!
So schwören Sie mir, nicht eher aufzuhören,
Bis jedes Leere Feld, das dieser Fächer führt,
Mit seinem gehörigen Bildniß geziert,
Sie bis zur Evidenz untrüglich überführt,
Daß alle von meinem Geschlecht in eben den Orden gehören,
Worinn Sie mich initiirt.Die augenscheinliche Unrichtigkeit eines Schlusses von Hundert auf Alle, scheint die Heftigkeit des Affects zu beweisen, worinn die Fee, da sie solche Schlüsse machte, gewesen seyn muß.
Was sollt' ich machen, Herr Bruder? Sie hätten so gut geschworen,
Als ich! Denn that ichs nicht, so waren meine Ohren
Das wenigste noch, was ich dabey gewagt.
Und nun, mein Herr, nachdem ich Ihnen gesagt,
Daß hundert Felder, – Sie können selbst sie zählen
Auf meinem Fächer sind, wie viele, meynen Sie, fehlen?
» – – – – – – – – – «
Ein Einziges, Herr, ein einzig Bildchen fehlt,
So sind es Hundert, wohlgezählt.


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