Christoph Martin Wieland
Der neue Amadis
Christoph Martin Wieland

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Indessen mochte der Ritter sein unerbittlich Geschick
Beklagen, so lang er wollte, sich krümmen, winden, keuchen.
Und zwischen Abscheu und Liebe vor Schmerz beynah erbleichen,
So kam zuletzt der Augenblick,
Kam schon am achten Tage, seitdem er Olinden gesehen,
Wo er die Kraft verlohr, es länger auszustehen.
Denn seinem Freunde, dem Anti-Seladon,
(Der ihm von Zeit zu Zeit Bericht, wie weit ers schon
Mit Leoparden gebracht, erstattet) sein Herz zu entfalten,
Ward er durch Furcht vor seiner Spötterey
Nicht ohne Ursach abgehalten;
Wiewohl sein Freund gestund, es sey
Unmöglich, ein Mädchen zu sehn, das mehr die Augen verletze,
Und doch durch geistige Reize den Abgang besser ersetze,
Wofern er ersetzlich wäre! – Ein häßliches Wofern,
Das unsern Ritter wohl zween Tage so schrecklich quälte,
Daß zum Erblassen wenig fehlte.
Olinde, so günstig ihr Herz ihm heimlich war, so gern
Sie um ihn war, und ihn vergnügter zu machen
Sich Müh' gab, wußte doch so über sich zu wachen,
Daß ihre Zärtlichkeit in ihrer schönen Brust
(Ach! hätte der arme Ritter wie schön sie war gewußt!)
Verschlossen blieb, und bloße Güte des Herzens
Und Freundschaft und Achtung von ihrem Betragen gegen ihn
Das unverdächtige Triebrad schien.
Und gleichwohl machte sie der Anblick seines Schmerzens
Zuweilen auf eine Minute verstummen, und rührte sie
So zärtlich, daß sie nicht ohne Müh
Die Augen trocken erhielt. In einer solchen Stimmung
Befanden sie sich einst um die Dämmerungs-Zeit
An jenem Bach, der sich mit mancher schlängelnden Krümmung
Durch Rosen ergoß. Ein Tempel, dem Hymen geweyht,
Stand ihnen im Gesicht, und schöne Hügel kränzten
Das angenehmste Thal. In tiefer Melancholie
Schien Amadis versenkt, nur daß er zuweilen auf sie
Trübsinnige Augen, worinn verhaltne Thränen glänzten,
Geheftet hielt. Auch sie erfuhr die geheime Magie,
Mit welcher Seelen einander durch bloße Blicke bewegen;
Doch raffte sie endlich ihr ganzes Vermögen
Zusammen, und sagte mit Lächeln (wiewohl ihr Lächeln sogar
Durch ihrer Muskeln Schuld nicht sehr bezaubernd war)
Wie traurig Sie sind, mein Freund! Sie fühlen
Den schönen Abend nicht! Ich bitte, ermuntern Sie sich;
Ich nahm die Laute zu mir, und itzt besinn' ich mich
Des Lieds, das Ihnen gefiel; ich will es Ihnen spielen.
Er nickte schweigend, Ja; Sie thats, sie spielt' und sang
Wir wissen nicht, was. Genug, in ihrer Stimme klang,
Was Felsen schmelzen, Tyger rühren,
Die Seelen ihren Leibern entführen,
Und Todte beseelen könnte, wie Laurens Dichter spricht.
Der Ritter saß, als hört' er nicht,
Gleich einem beseelten Schatten, sein traurig blasses Gesicht,
Auf seinen Busen gesenkt. Doch plötzlich schien er sich wieder
Gefunden zu haben; er wirft sich vor ihr nieder,
Verbirgt in ihrer Schoos sein thränenvolles Gesicht,
Und – ach Olinde! – ist alles, was er spricht,
Und was er sprechen kann. – Mit zitternder Hand bestrebet
Das gute Mädchen sich, ihm sanft sich zu entziehn.
Allein er ruft: Olinde! du willt mich fliehn?
Die Zärtlichkeit, die dieses Herz belebet,
Ist deiner würdig! Und du, du willt mich fliehn?
O, wär' es möglich, könnt' Olinde für mich empfinden,
Was ich für Sie! Hier schwieg er, und drückt' auf ihre Hand
So zärtlich den glühenden Mund, daß würklich der guten Olinden
Das Herz entschlüpfte, und daß sie die Kraft nicht fand,
Zu allen seinen übrigen Plagen
Ihm eine Kleinigkeit, wie ihre Hand, zu versagen.
Doch sprach sie endlich, wiewohl im Anfang ihr
Die Stimme versagte: Mein Prinz, Sie glauben doch nicht mit mir
Zu reden? Es wäre sehr schwach, wenn ich es glauben könnte!
Begeistert von der Melodie
Des Liedes, das ich sang, hat Ihre Phantasie,
Das Bildniß einer Geliebten, die itzt in diesem Momente
Vielleicht das Schicksal beweint, das ihre Herzen trennte,
Vor Ihre Stirne gebracht; Sie glauben, sie selbst zu sehn;
Die Dämmrung begünstigt den süßen Irrthum des Herzens;
Wie plötzlich würd' er nicht durch Einen Blick vergehn!

O, rief er, könntest du in dieses zärtlichen Herzens
Geheimste Tiefe sehn, Olinde! Höre mich an!
Ich glaubte schon oft, zu lieben; Doch Traum, und falscher Wahn,
Betrug der Phantasie, der Sinne war's, Olinde!
Erst seit ich dich und alles in dir vereiniget finde,
Was Seelen fesseln kann, erfahr ich, wie sehr ich mich
Geirret. Ich kannte die seligen Triebe
Der wahren Liebe nie! Dich lieb' ich, Beste, dich,
Zum erstenmal, mit einer Art von Liebe,
Die mir ein Wunder, und doch mir so natürlich ist,
Als hätt' ich vom ersten Moment, da ich mein Daseyn fühlte,
Nichts anders gethan. O glaub' es, Olinde, du bist,
Wenn auch die ganze Welt für einen Thoren mich hielte,
Unendlich schöner für mein Herz,
Als meinen Augen die Puppen, womit ich ehmals spielte.

Ich sollte, versetzt Olinde, vielleicht dieß alles in Scherz
Verwandeln – allein mit Ihnen dringet
Ich weiß nicht was mich an ganz wahr und offen zu seyn.
Ich kenne Sie, oder bilde zum wenigsten gerne mir ein,
Ich kenne Sie gut genug, um Ihnen zuzutrauen,
Sie fühlen, was Sie mir sagen. Auch bin ich nichts minder als blind
Für meinen eigenen Werth. Ein Herz, wie Ihres, findt
Vorzüge bey mir, die bey den schönen Frauen,
Aus einem ganz simpeln Grund, nicht sehr gewöhnlich sind.
Sie lieben meinen Geist, mein Herz, die kleinen Talente,
Wodurch mein Umgang, zumal in dieser Einsamkeit,
Was Interessantes vielleicht in Ihre Stunden streut.
Und wenn ich zu meinen Gaben noch Eine mir geben könnte,
Die Gabe, die Brünels Ring dem, der im Mund ihn trug,
Mittheilte,Nehmlich, die Gabe Unsichtbar zu werden. S. Ariosts Orlando Furioso Canto III. 69. u.d.f. mit welchem Vergnügen, mein Freund, überließ' ich dem Zug
Der Sympathie mein Herz! – Doch, ohne auf Wunder zu hoffen,
Sey Ihnen das Einzige, was Olinde geben kann,
Mein ganzes Vertrauen geweyht; mein Herz steh Ihnen offen,
Und als der Anfang davon, Freund, hören Sie folgendes an:
Ich war nicht immer, was itzt. Mir gab ein König das Leben,
Und noch nicht lange, so hatten die Dichter von Hindoustan
Nichts angelegners zu thun, als meine Gestalt zu erheben.
Doch nicht die Dichter nur; es sahn
Die Schönen mit Neid, die Männer mit sterbenden Augen mich an.
Denn mein Papa (ihm mög' es Brama vergeben!)
Fand ein tyrannisch Vergnügen daran,
Mich öffentlich zur Schau herum zu führen.
Man trieb beynah Abgötterey mit mir;
Auch büßt' ich bald mit meiner Vernunft dafür;
Und in der That, ich hatte ein wenig zu verliehren.
Es fehlte mir nicht an Witz, Geschmack, Belesenheit,
Und andern Gaben, genug, den häßlichsten Drachen
Von einem Mädchen erträglich, ja, angenehm zu machen.
Mir halfen sie zu nichts, als meine Eitelkeit
Auf einen Grad von Unausstehlichkeit,
Der meiner Schönheit gliech, zu treiben.
Ich war, mit Einem Wort mich völlig zu umschreiben,
Das Gegentheil von allem, was ich bin;
Ein kleines Ungeheuer von Schönheit, Widersinn
Und Uebermuth, und hatte die Miene, so zu bleiben;
Als unverhofft auf einer Reise, die ich
Des Willens unternahm, durch jeden Himmelsstrich
Mein schönes Gesicht zu promenieren,
Ich weiß nicht wie, ein schwarzer Zauberer mich
Erblickte, und Mittel fand, mich heimlich zu entführen.
Er hätte, sagt' er mir, sich in den Kopf gesetzt,
Mit einer schönen Frau sein Bette zu meublieren;
Und da er mich dieser Ehre vor andern werth geschätzt,
So hofft' er, ich würde die Zeit nicht mit Grimassen verliehren.
Urtheilen Sie selbst, was mein verliebter Mohr
Für eine Antwort bekam. Sie war ein wenig bitter.
Wär' er der Erbherr der Welt, und schöner als Medor,
Gelehrter als Avicenna, und tapfrer als alle Ritter
Der runden Tafel gewesen, und hätt' aus diesem Ton
Zu sprechen sich angemaßt, wie hätt' ich ihn empfangen,
Stolz, wie ich damals war! Allein mit einem Adon,
Wie dieser, wurde vollends so grausam umgegangen,
Daß ihm die Geduld in der ersten Stunde vergieng;
Und da ich ihm zeigte, daß Dräuen nicht mehr als Bitten verfieng,
Berührt' er endlich mich mit seiner Zauberruthe;
Und stracks befand ich mich so schön,
Als Sie, mein lieber Prinz, mich gegenwärtig sehn.
Ich fühlte dazumal das Gute,
So mir der böse Mann damit erwies, noch nicht.
Wie herzlich beweinte die Närrin ihr allerliebstes Gesicht!
Ja, wär' es möglich, in Thränen zu zerfließen,
So hätt' ich im wörtlichen Sinn zur Quelle werden müssen.
Doch, da der erste Schmerz verweint war, fieng ich an
Zu merken, daß der Mohr mir eine Gnade gethan.
Er zwang mich, Gaben, die ich, so lang ich schön gewesen,
Verachtet, anzubaun. Ich hatte nun gute Zeit,
In einer gezwungnen erst, dann süßen Einsamkeit,
Im Buch der Natur und in mir selbst zu lesen.
Ich wurde mit meinem Herzen vertrauter, und spähte darinn
Geheime Reizungen aus, und manchen neuen Sinn,
Ursprüngliche Quellen von Weisheit, von Tugend, von Vergnügen,
Die unter dem Schutt in uns begraben liegen;
Ich wurde gefällig, sanft, verbindlich, glaubte nicht,
Daß andre mir mehr Achtung schuldig seyn,
Als ihnen ich, und machte mir zur Pflicht,
Sehr wenig mir selbst, und andern viel zu verzeyhn.
Schön, wußt' ich, daß ich gefiel, und alles was man that,
Um mir zu gefallen, war immer noch weniger als man sollte;
Itzt mußt' ich gefällig seyn, da war kein andrer Rath,
Wenn ich erträglich werden wollte.
Ich lernte den Witz, der sonst in meinen muthwilligen Händen
Ein Dolch gewesen war, zum Wohlthun anzuwenden;
Sonst scheute man sich vor mir, itzt wurde mein Umgang gesucht;
Ich durfte feine Dinge wagen,
Und reizte niemands Eifersucht;
Sie ist, so pflegten die Schönen aus Einem Munde zu sagen,
Das häßlichste Menschengesicht, das man verlangen kann,
Doch muß man ihr gestehn, Geist hat sie wie ein Engel.
Nun sehen Sie, ob ich beym Tausche gewann!
Man übersieht mir itzt gern meine kleine Mängel,
Und meine Verdienste selbst erwecken keinen Neid;
Ich darf sie ungescheut entfalten,
Sie scheinen ein schwacher Ersatz für meine Häßlichkeit.
Kurz, ich gewinne damit bey Schönen und Ungestalten,
Und wenn die Schöne bey mir sich desto besser gefällt,
Wie müssen erst die Häßlichen und die Alten
Mich lieb gewinnen, da jede, mir gegen über gestellt,
Die Wollust schmeckt, sich selbst für schön zu halten!
Ich wiederhohl' es, Freund, mir fehlt nur Brunels Ring,
So hätt' ich bey der Rache des Mohren
Unendlich mehr gewonnen als verlohren.


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