Christoph Martin Wieland
Der neue Amadis
Christoph Martin Wieland

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Den Kunstgesetzen zu folge legt Dindonette die Hand
Geschwind auf ihren Mund, pflanzt neben den zärtlichen Kranken
In eine Bergere sich hin, und lächelt unverwandt
Mit Augen ihn an, die bey ihm sich für das Vergnügen bedanken,
Das ihr sein Anblick macht. Sie fanden beyde dabey
So vielen Zeitvertreib (denn seine Augen ruhten
Auf ihrem Blumenstrauß) daß keines in vielen Minuten
Ein Wörtchen zu sagen gedachte. Doch alles Einerley
Ermüdet zuletzt; und der Ritter, gesättiget von Blicken,
Beginnt ihr schon die Hand vor Langerweile zu drücken.

Das Schweigen, spricht endlich die Dame, wozu der Arzt uns zwang,
Macht, denk' ich, Ihnen und mir die Zeit ein wenig lang.
Die Wahrheit zu sagen, ich wußte nicht, wo es mir fehlte,
Doch, immer zu schweigen macht einem auch gar zu bang!
Was meynen Sie? Wenn ich Ihnen ein hübsches Mährchen erzählte?
Ich konnte zum Glück' in verwichener Nacht
Nicht schlafen; – ich hatte zuviel von einer Mandelturte
Gegessen; – denn unser Mundkoch macht
Die Besten im Lande; – und weil ich nicht schlafen konnte, so wurde
Die Nacht mir so lang! Ich denke, ich hätte bis Morgen gewacht,
Wenn meine Amme nicht gewesen wäre. Sie können
Nicht glauben, wie gut sie erzählt! Ich schlief ich weiß nicht wie
Darüber ein. Es war das drolligste Mährchen, das je
Gewesen ist; ich möcht' es Ihnen gönnen!
Für Ihren Zustand müßt' es ganz vortreflich seyn;
Ich wette, Sie schliefen so gut als ich darüber ein!
Aus Ihrem schönen Munde (versetzt mit erröthenden Wangen
Herr Amadis, nach seiner höflichen Art)
Princessin, würde so gar der blaue Bart
Und Melusine Reiz empfangen.

O! gehn Sie mit Melusinen, mein Herr! der goldne Hahn
Ist ganz ein ander Ding! (spricht Fräulein Dindonette)
Sie sähens ihm beym ersten Anblick nicht an;
Allein Sie haben gewiß dergleichen nichts, ich wette,
Gehört noch gelesen, – es wäre denn Bonbeninguette.Es wäre denn Bonbeninguette.
Dieses Ideal eines ächten Conte de ma Mere l'oye in der kleinen Farce, die Feen betitelt, befindet sich im 6ten Theil des Theatre Italien de Gherardi, pag. 637.

Wohlan! – »Es war einmal – doch etwas beding ich mir aus,
Herr Ritter; Sie müssen mir versprechen,
So still zu seyn wie eine Maus,
Und bis ich fertig bin mich nicht zu unterbrechen!
Und also war einmal ein König im Feenland,
Der hatte sieben Schlösser, und sieben silberne Thürme
Auf jedem Schloß, und auf jedem Thurme stand
Ein goldner Hahn; – Nun zählen Sie, sieben Thürme
Und eben so viele Hähne – »Es kann nicht fehlen, Madam,«
»So hören Sie nur! Sie sollen die Ursach bald erfahren.
Die goldnen Hähne zu zählen, ob keiner fehle, kam
Der König alle Tage, ich glaube, zweymal, gefahren,
Und zählte; denn, merken Sie Sich's! die goldnen Hähne waren
Von einer Fee so künstlich gemacht,
Daß man gewettet hätte, sie lebten.
Sie krähten die Stunden bey Tag und bey Nacht,
Und witterten sie von fern ein Fräulein vom Hofe, so schwebten
Sie mit den Flügeln, und strotzten an allen Federn, und strebten
Sich loßzumachen, wiewohl vergeblich; es war
Recht drollig zu sehn. Nun kam, wie ich sagte, der König,
Und zählte sie Morgens und Abends. Da ward er einsmals gewahr,
Daß einer fehlt'. Er erschrack, und zählte sie, Paar und Paar,
Und einzeln, zweymal und dreymal, und immer war einer zu wenig;
Nur acht und vierzig; und vierzig und Neun,
So viel als Thürme, sollten's seyn!
Nun, denken Sie, wie sich der König dabey gebehrden mochte!
Er fuhr wie ein Kreisel herum, und flucht' entsetzlich und pochte,
So arg, daß alles davon lief – Doch, Nein!
Ich irrte; sein Hofnarr blieb, als alle liefen, stehen;
Dies war sein Vorrecht. Denn, wenn der König manchmal
Nicht wohl bey Troste war, und seinem Canzler befahl,
Ihm, was Sie wissen, zu thun, (und dann war's Zeit zu gehen!)
So konnt' er von allem, was einem Menschen gliech,
Nur seinen Narrn und Affen um sich leiden.
Herr Bruder, sagte der Narr, du bist für einen gescheiden
Gekrönten Kopf nicht halb so klug als ich.
Ich will den Meinen verlieren, die Kappe sammt den Schellen
Mit einbedungen, dein Hahn soll sich bis morgen stellen!
Weiß deine Majestät denn nicht,
Wie sehr das Frauenvolk bey Hofe
Von der ersten Kammerfrau an bis zu der untersten Zofe
Den Hähnen in die Augen sticht?
Der mangelnde war fast größer als ein Trappe,
Und ärger als Leda's Schwan auf hübsche Mädchen erpicht.
Es steckt ein Geheimniß darunter. Ich setze meine Kappe
An eure Krone, mein Herr, wofern er diese Nacht
Den Jupiter nicht mit einer von unsern Damen macht;
Und thut er's, so nennt mich – langsam, wenn ich ihn nicht ertappe.
Nun müssen Sie wissen, Herr Ritter, der König in Feenland
Hatt' eine Tochter, so schön wie Sonne, Mond und Sterne,
Und nicht, wie manche Princessin, nur etwan schön von ferne,
Sie wurde schöner, je näher man vor ihr über stand.
(So gliech sie Ihnen, Madam, sprach Amadis sehr galant;
Sie sind ein Schmeichler, erwiedert Dindonette,
Es ist ja doch nicht Ihr Ernst! – Der Ritter seufzt und schwieg.)
Nun hatte (fuhr sie fort) die schöne Landerirette,
So hieß die Princessin, so oft sie auf ihren Zelter stieg,
Zum wenigsten vierzig Prinzen, die alle in die Wette
Sich um die Ehre bewarben, der schönen Landerirette
Den Fuß in den Bügel zu setzen, und wenn sie abstieg, ihr
Vom Pferde zu helfen. Allein sie that so stolz, als hätte
Sie keine Augen, und brachte durch ihren Kaltsinn schier
Die Prinzen zur Verzweiflung. Sie nannten sie Tygerthier
Und Felsenherz, und dergleichen, und fluchten Donner und Wetter.
Sie lachte dazu, gieng ihres Weges, aß
Und trank, und schlief, und wurde stets schöner und fetter.
Die armen Prinzen hingegen, die wurden vor Uebermaß
Der Liebesschmerzen so grün und mager, als fräßen sie Gras.
Nun begab sichs, des Tags, da der König den goldnen Hahn nicht fand,
Daß just die schöne Prinzessin alleine
Spatzieren gieng, in einem kleinen Hayne
Von Myrthen, um deren jede ein Rosenstock sich wand.
Sie werdens nicht übel nehmen, ein Mäntelchen ohne Mieder,
Und leichter als ein Wölkchen ein seidner Unterrock
War aller ihr Putz. Sie wirft an einem Rosenstock,
Um auszuruhn, auf kurzes Gras sich nieder,
Lehnt sich ein wenig zurück, und fängt zu schlummern an.
Da kommt, o Wunder! ein großer goldner Hahn
Mit vollen Segeln angeflogen,
Der, ohne ein Wort zu sagen, sich auf ihr niederläßt.
Herr Ritter, wurden Sie nie vom Alp im Schlafe gepreßt?
So war ihr. Sie konnte nicht schreyn, sah lauter Regenbogen
Vor ihren Augen, und wußte nicht wie ihr geschah,
Als der Hahn, ich weiß nicht wie, sich seines Vortheils ersah,
Und schnell aus seinem smaragdenen Schnabel
Ein kleines Ey, kaum größer als eines Colibri's,
In ihren Busen rollen ließ.
Sie lächeln? Denken Sie etwan, es sey nur eine Fabel?
Im Feenlande, mein Herr, (spricht meine Amme) geschehn
Wohl närrschere Dinge als dies. Man hat sie nach der Wahl!
Den Bal, zum Exempel, den sollten Sie sehn,
Den König Strauß in seinem grünen Saal
Dem König von Isma zu Ehren gegeben!S. Ah! quel Conte! Conte politique & astronomique par Mr. de Crebillon, le fils Part. III. L. 2. ch. 3.
Das muß ich gestehn, was ich in meinem Leben
Zu sehen mir wünschte, das wär' ein solcher Bal!
Wer weiß auch, was heut oder morgen einmal
Begegnen kann! Es läßt sich vieles erleben.
Doch, daß ich den Hahn nicht vergesse, der, wie Sie wissen, ein Ey
Der schönen Landerirette – Hier ward durch ein Geschrey
Im nächsten Gezelt, der König der Mährchen unterbrochen.
Sie hatte das letzte Wort nicht völlig ausgesprochen,
So stürzt erschrocken und keuchend ihr kleiner Mohr sich herein.
Princessin, Ihr Eichhorn – »O Götter! was kann geschehen seyn?
Sprich, Unglückseliger, ists gestorben? So komm nur nimmer
Vor meine Augen!« – Nein, entlaufen ist es nur,
Entschlüpft in den Wald. – »Die arme Creatur!
Ich ließ sie ganz aus der Acht. Ich trug das Närrchen sonst immer
Im Arm. Verzeyhn sie, mein Herr,« – und ohne weiters fuhr
Mit einem tiefen Knicks mein Fräulein aus dem Zimmer.

Der Ritter, der während des Mährchens, mit dem
Das gute runde Geschöpf ihn sehr zu ergötzen gedachte,
Zwey mächtig große Augen an seine Dame machte,
Fand dieses Abentheuer nicht halb so angenehm
Als wir vielleicht, die nichts dabey verliehren.
O! sagt er beschämt zu sich selbst, zu schwacher Amadis!
Wie oftmals wird dich noch die Phantasie verführen!
Die Gans, von der sich der König zu Isma verführen ließ,
War's doch von außen nur! Doch, dieser Dindonette,
Was gieng ihr, wenn sie nicht den schönen Busen hätte,
Zur Gansheit ab? – Vergebens, allzugewiß
Vergebens, hoffst du die Schöne zu sehen,
Die deiner Empfindung entspricht, und diesem Bilde gleicht,
Das, wie ein elysischer Schatten, dir scheint entgegen zu gehen,
Mit leiser Stimme dir ruft, die Hand dir liebend reicht,
Und, wenn du glaubst es zu halten, entfleucht.
Doch nein; Sie täuschet mich nicht die schönste der Ideen,
Sie kann kein Hirngespenst seyn! Mit unermüdetem Lauf
Sucht mein verlangendes Herz ihr schönes Urbild auf.
Ja, suchen will ich dich durch alle Zonen der Erde!
Mein Genius flüstert mir zu, daß ich dich finden werde.


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