Christoph Martin Wieland
Der neue Amadis
Christoph Martin Wieland

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Sie zogen demnach mit einander. Der Morgen röthete schon
Der Berge Stirn, als Anti-Seladon
(So hieß der Ritter) vermeynt, er entdecke
Nicht weit von den Zelten, an einer Rosenhecke,
Ich weiß nicht welche Gruppe, die jenem Götterpaar
In Vulcans Netze von ferne nicht ungleich war.
Er nähert sich und sieht auf einer reichen Tapete
Den schönen Parasol in süßer Morgenruh.
Das übrige, was ich zu sagen erröthe,
Geneigte Leser, denkt hinzu!
Ob eine der Cammerfräulein, wie glaublich scheinen könnte,
Sich an dem Unbestand der schönen Colifischon
Auf diese Art zu rächen, ihm vergönnte,
Sey wie es will! Man spricht nicht gern davon!
Genug, Herr Anti-Seladon,
Zufrieden, den Fächer, den ihm mit Hülfe seiner Tante
Der Stutzer vor einem Jahr und etlichen Monden entwandte,
An seiner Seite zu sehn, hielt nicht für nöthig, ihn,
Um dieser Kleinigkeit willen, im Schlaf zu unterbrechen.
Er nahm den Fächer weg, und ohn' ein Wörtchen zu sprechen,
Grüßt' er die Mohren, und dreht sein Reitpferd wieder dahin,
Woher er gekommen. Und recht geschah dem Thoren,
Der seine Zeit mit Schlafen bey einer Freundin verlohren!
Nie wird er wieder den Fächer in seinen Händen sehn!
Hätt' er gewacht, dieß wär ihm nicht geschehn!

Die Mohren, welche dem Spiele von ferne zugesehn,
Begriffen, ob sie gleich nichts von der Sache verstunden,
Das sicherste sey, schnell ihres Weges zu gehn.
Was hätte der Herr gedacht, hätt' er sie hier gefunden,
Und seinen Fächer nicht? Nichts wissen, nichts hören noch sehn,
Führt sicher durch die Welt.
Nichts wissen, nicht hören, nichts sehn, führt sicher durch die Welt.
Eine goldene Regel! – Unser Dichter scheint hier auf den Merry Andrew, eine Erzählung des Prior's, anzuspielen; wo Merry Andrew eine Person, die mit unserm Hanswurst nahe verwandt ist, mit einer Ochsenzunge in der rechten, und einer Blutwurst in der linken seinem Cameraden seine Philosophie beybringt. Er sagt ihm:

To tongue or pudding thou hast no pretence.
Learning thy talent is, but mine is sense.
That busie fool I was, which thou art now,
Desirous to correct, not knowing how;
With very good design, but little wit,
Blaming or praising things as I thought fit.
I for this conduct had what I deserv'd
And, dealing honestly, was allmost starv'd.
But thanks to my indulgent stars, I eat,
Since I have found the secret to be great.
O Dearest Andrew, says the humble droll,
Henceforth may I obey and thou controll:
Provided thou impart thy usefull skill.
Bow then, says Andrew, and for once, I will.
Be of your Patron's Mind, what e'er he says
Sleep very much, think little, and talk less:
Mind neither good nor bad, nor right nor wrong,
But eat your pudding, Slave, and hold your tongue!

»Ein Mann wie du, hat keine Ansprüche an Ochsenzungen und Puddings zu machen: Gelehrsamkeit ist dein Talent; das meine, Verstand! Ich war just auch so ein geschäftiger Narr wie du, und wollte alles reformieren, ohne zu wissen, wie; mit sehr guter Absicht, und sehr wenig Klugheit lobte oder tadelte ich die Dinge dieser Welt, so wie ich glaubte daß sie es werth seyen; und dafür gieng mirs auch wie ich verdiente; ich war ein ehrlicher Kerl, und verhungerte. Aber Dank sey meinen günstigen Sternen, ich habe zu essen, seitdem ich das wahre Mittel ausgefunden habe, wie ein ehrlicher Kerl sein Glück machen kann. O bester Andrew, sagte sein Camerad mit demüthiger Miene, theile mir dein Geheimniß mit, und von Stund an wollen wir unsre Rollen tauschen; du sollst der Herr seyn, und ich der Diener. So bücke dich dann, versetzte Andrew, und höre! – Gieb deinem Patron immer recht, er mag sagen was er will; schlafe viel, denke wenig, und rede noch weniger; bekümmere dich nichts darum, ob die Sachen gut oder böse sind, recht oder unrecht gehen, sondern friß deinen Pudding, Sclave, und halt dein Maul!« Ein ehrwürdiger Prälat (setzt der Autor hinzu) hielt in seiner Kutsche mit Sechsen still, um einen Augenblick über die Einfälle unsers Hanswursten zu lachen. Aber sobald er ihn diese goldne Regel geben hörte, rief er: der Bursche ist warlich kein Narr! fahr zu, Kutscher!

Kraft dieser Regel schlichen
Die Mohren sich davon, und waren kaum entwichen,
Als Parasol dem Schlummer sich entwand.
Nun denket selbst, da er sein bestes Theil, den Fächer,
Der ihm zur Seite gelegen, nicht fand,
Was zwischen ihm und der Nymphe für eine Fehd' entstand!
Cupido, da er einst Bogen und Köcher
An Ganymeden verspielte,An Ganymeden verspielte. Seh. die Erzählung, Cupido und Ganymed, in Prior's Poems Vol. I. P. 83 der Glasgauer Ausgabe von 1751. gebehrdete sich,
So groß der Schade war, nicht halb so jämmerlich.
Zu welchen Proben mußtest du dich,
Um seinen Argwohn zu beschämen,
Zu sehr beleidigte Nymphe, bequemen!
Wo suchte der Wüthende nicht? Zu welchem Ersatze verband
Ihn ihre siegende Unschuld! Allein sein ganzer Verstand
War von dem Augenblicke, da er kein Mittel mehr fand,
Zu hoffen, er habe sich betrogen,
In einen Seufzer gewickelt, dem Monde zugeflogen.Dem Monde zugeflogen.
Alles, was die Erdenbewohner von ihrem Verstande verliehren, so wenig oder viel es ist, fliegt in den Mond auf, sagt Ariost, und wird da in gläsernen Fläschchen von unterschiedlicher Größe aufbewahrt, an deren jedem ein Zettelchen, mit dem Nahmen des Eigenthümers, befestigt ist. S. Orlando Furioso Canto XXXIIII. 82-87.

Er schlägt sich vor die Stirn, flucht seinem Schlaf, und dräut,
Wofern das Fräulein ihm ihr seidnes Strumpfband leyht,
(Allein daran sey, spricht sie, nicht zu denken)
Wie Neukirchs Corydon, zu gehn,
Und seinen Rumpf an einen Eichbaum zu henken.
Der arme Stutzer! Wir müssen gestehn,
Die Größe seines Verlusts war kaum zu übersehn.
Es lag in diesem Phönix der Fächer
Ein Zauber, dem zu widerstehn
Kaum möglich war. Wo war ein größter Sprecher
So lang er ihn besaß? Wer fand die Schönsten schwächer
Als Parasol? Der Wunsch den Fächer zu sehn
Versuchte Vestalen sogar, die Clausul einzugehn!
Wie konnte man essen und trinken, und schlafen; und athmen und leben,
Und nicht den Fächer sehn? In diesem Fall' allein
Kann sich die Weisheit selbst vergeben,
Ein wenig schwach zu seyn.
Und solch' ein Fächer, der einzige auf Erden
In seiner Art, war hin! Wer sollte nicht rasend werden!

War von Verdiensten die Rede, und von persönlichem Werth,
So hatte kein Sterblicher minder als Parasol zu bedeuten.
Ein wahrer Pantin! dergleichen die Gallischen Damen vor Zeiten
Am Halse trugen;Ein wahrer Pantin. u.s.w. Die possierlichen kleinen Kartenmännchen, welche unter dem Nahmen Pantins vor etlichen und zwanzig Jahren zur allgemeinen Unterhaltung der schönen Welt in Paris dienten, gehören unter die transitorischen Erfindungen des französischen Witzes, von denen die Nachwelt Mühe haben wird, sich einen Begriff zu machen, und um deren willen ein Journal der Moden eine Sache wäre, wodurch sich einer von den müßigen schönen Geistern dieser Nation sehr verdient machen könnte. – ein Ding, das herum im Zimmer fährt,
Sich lächelnd im Spiegel begaft, stets tausend Kleinigkeiten
Zu sagen hat und zu tändeln, und, wenn man an Männern es mißt,
Von allen Kleinigkeiten die größte Kleinigkeit ist.
Ein blasses Gesichtchen dabey, ein paar gespindelte Beine,
Ein Mund, in den er oft beißt, damit er röther scheine,
Und Zähne, die er zu bläcken nicht eine Minute vergißt,
Dieß alles, in eine Figur, die ein Hauch von der Stelle zu blasen
Genug war, zusammengescherzt, und aufgedunsen mit Wind,
Zu früh der Natur entwischt, an Geist ein wenig Kind,
Von einem Affen der Witz, das Herz von einem Hasen,
Ein solches Ding mag allenfalls zu Paris
Zur Kurzweil jungen Coketten und alten Messalinen
Zum Vorspiel oder vielleicht zum Intermezzo dienen,S. Petron. Satyr. p. m. 70. und Brochure à la mode p. 57. & S.
Denn dort ist ohnehin der Narren Paradies.
An jedem andern Orte war ohne seinen Fächer
Sir Parasol ein armer Lanzenbrecher.
Auch fühlt' er sich selbst so gut, daß ihm seit seinem Verlust
Nichts dringender scheint, als gleich das Feld zu räumen.
Er ist zu gut des Spottes sich bewußt,
Der ihn bey Bambos Tochter erwartet, um länger zu säumen;
Und hat die Grausamkeit, von seines Nymphchens Brust
Sich wie ein anderer Aeneas loszuwinden;
Geht, seine Knaben und seinen Riesen zu finden,
Läßt (da die Bewohner der Zelten, von spätem Schlafe besiegt,
Noch in den ersten Träumen lagen)
Sein Pferdchen sich satteln, und eilt, schlecht mit sich selbst vergnügt,
Der Tante Mab sein Unglück zu klagen.


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