Christoph Martin Wieland
Der neue Amadis
Christoph Martin Wieland

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So stunden die Sachen, als Antiseladon
Und unser Held mit aufgezognen Visieren,
Die Speere gesenkt, sich Leopardens Thron
Mit Ehrfurcht nähern, dann behende von ihren Thieren
Heruntersteigen, und sich und alles, was
Sie Liebes und Gutes zu ihren Diensten vermögen
Nach ritterlichem Brauch der Dame zu Füßen legen.
Allein kaum warf der rauhe Boreas
Den ersten Blick auf unsern schönen Ritter,
So zog ein schwarzes Ungewitter
Auf seiner Stirne sich auf. Sein Auge funkelt Wuth,
Die Sehnen schwellen, es kocht sein feuriges Blut,
Die Wange glüht, erblasset, färbt sich wieder
Mit dunklerm Roth, die dicke Lippe wird blau,
Und ohne daß der Respect vor seiner gebietenden Frau
Zurück ihn halten kann, wirft er vor ihr sich nieder,
Und schnaubt: der Knabe hier, der Ihrer Majestät
Sein fades Mädchengesichte zu weisen
Gelüsten sich läßt, ist, wie er steht und geht,
Ein doppelter Schurke; ihm soll's mein blankes Eisen,
Gestatten Sie mir's, in seine Zähne beweisen;
Beweisen, daß er am Himmel, an seiner Ritterstreu
An allen Damen, und mir ein feiger Verräther sey.

Du lügst es, Cannibal, fällt Antiseladon
Ihm trotzig ein, und wirft den Handschuh nieder.
Wer spricht von dir? versetzt mit verächtlichem Ton
Der Enkel Facardins; nimm deinen Handschuh wieder
Vom Boden auf, und sieh in sichrer Ruh
Dort, hinter den Mädchen, dem Spiel, das dich nichts angeht, zu.

Du lügst es, sag ich, erwiedert der Ritter der blauen Waffen,
Und wiederhol' es, du lügst; der schöne Ritter hier,
Den du zu lästern wagst, erwiese, Feiger, dir
Durch seine Rache mehr Ehre, als du verdienst. Mit mir
Hast du's zu thun; mein Arm soll Rache ihm schaffen!
Die Göttin, deren Ohr dein Lästermund entweyht,
Hat, mir dazu den Beyfall abzuschlagen,
Zu viel Gerechtigkeit.

Gut, ruft der Andre; ich seh aus deiner Hastigkeit,
Du habest mehr als eine Haut zu wagen.
Doch geb' ich noch eine Minute dir zum Bedenken Zeit.
Nicht länger geprahlt, ruft Jener; fort, mache dich bereit!

Der schöne Held stund während dieser Scene,
An seine Lanze gelehnt, mit einem Anstand da,
Als gieng' ihn das, was um ihn her geschah,
Nicht näher an, als einen der Söhne
Des Priesters Johann.Eine Benennung, welche albern genug klingt, unter welcher ehemals die Europäischen Wanderer, Reisenschreiber und andre Scribenten von dem Kaiser von Abissinien zu sprechen pflegten. Ein wenig stieg ihm das Blut
In seine Wangen, doch nur, um ihrer blühenden Schöne
Mehr Reiz zu geben. Die Nymphen wurden ihm gut,
Sobald sie ihn sahen, und da er so unerschrocken
Den drohenden Mann nur zu verachten schien,
Da blieben wenig Augen trocken.
Aus jedem glänzte Bewundrung, mit zärtlicher Angst vermischt,
Dem schönen Ritter entgegen; der itzt den Wortstreit endet.
Indem er mit diesen Worten sich an die Königin wendet:
Von welchem Dämon angefrischt,
Der Ritter hier, vermuthlich des Lebens überdrüßig,
Mich anfällt, weiß ich nicht. Nie hab ich ihn gesehn.
Doch, ist er ja zu sterben schlüßig,
So soll ihm wie er will geschehn!
Mehr Worte wären überflüßig.
Mein Nahm' ist Amadis – So süß
Klingt meiner nicht, ruft jener; doch pflegen deinesgleichen
Vor seinem bloßen Klang schon länger zu erbleichen,
Als deine Amme der Windeln dich entließ.
Nimm, spricht kaltsinnig Amadis,
Nimm deine Lanze, Mann, und höre auf zu prahlen!
Und du (so redet er gebückt die Göttin an)
Du, deren Augen den Stolz in meine Seele strahlen,
Nach deinem Beyfall zu streben, begünstige meinen Stolz
Mit einem ermunternden Blick! – Nach diesem Ritter-Gebete
Umfaßt er kühn den Speer von Ebenholz,
Und tritt so fröhlich als einer, der bey der Lydischen Flöte
Zum Tanz auf Rosen hüpft, einher.
Die spröde Göttin selbst scheint ihm mit wärmern Blicken
Geheime Wünsche nachzuschicken;
Und unser Held – wie oft, wie zärtlich er
Nach ihr sich umgesehn, erröthen wir zu melden.
Wir loben zwar an einem tapfern Helden
Ein fühlend Herz; allein an jeden Gegenstand,
Der schöne Augen hat und einen schönen Busen,
Sein Herz zu verlieren, sogleich in vollem Brand
Zu stehen, wie er! – und lauter Grazien, Musen
Und Zwitter von Pallas und Venus in allen Frauen zu sehn,
In Bambo's Töchtern so gar, wovon fünf nach einander
Die Ehre gehabt, sein Herz in ihrem Wirbel zu drehn;
Dieß würde mit allen Thaten des großen Alexander
Nicht gut gemacht! – Allein! so war er nun;
Von einer affaire de Cœur zween Tage auszuruhn,
War für sein zärtliches Herz die unausstehlichste Plage;
Ja, Ferafis schwur, er hab' an einem Nachmittage
Ihn zwoen verschiednen Damen, mit solcher Energie,
Daß ihm die Thränen die Backen heruntergeloffen,
Beweisen gehört, er fühle für jede, was er noch nie
Vorher gefühlt; und dieß nicht aus Galanterie;
Es war sein Ernst; und gieng dann, wider Verhoffen,
Am nächsten Tage vielleicht der Paroxysmus vorbey,
So war ihm, als ob er aus einem bezauberten Traum' erwache;
Er hätte geschworen, daß alles würklich sey,
Was ihm geträumt; und kurz, in diesem Fache,
Dank seiner Schwärmerey! war unser armer Held
Ein Don Quischott, so gut als einer in der Welt.
Wie weit er mit Leoparden die Sache
Getrieben hätte, das bleibt dahin gestellt.
Zum Glück für ihn und uns ruft ihn die Ehre zu Feld.
Denn Boreas tummelt sich schon auf seinem Dänischen Pferde
In weiten Kreisen herum, und strotzt nach Möglichkeit;
Ihr dächtet, Roß und Reuter werde
Von Einer Seele belebt; sie wiehern beyde nach Streit,
Und werfen die Nüstern empor, und stampfen verächtlich die Erde.
Und nun, nachdem auch unser Held
Sein edles Pferd, den Enkel des schnellen Bajardo, beschritten,
(Den, wie ihr wißt, Rinaldo von Montalban geritten)
Und kurz, sich nach des Zweykampfs Sitten
Mit eingelegtem Speer an seinen Platz gestellt,
Nun – glaubt ihr, werden wir, die Zeit euch zu vertreiben,
Den schrecklichsten Kampf, der je gewesen, beschreiben?
Nicht ich! Aus mancherley Gründen; Fürs Erste, weil ich Streit
Und Fehden jeder Art, auf hundert Meilen weit,
Von ganzem Herzen so sehr wie Sancho Pansa hasse,
Man streite nun im Ernst, um Köpfe, oder zum Spaße,
De lana caprina, mit Lanzen, mit Federn, oder auch
Mit Hasenpappeln nur, womit nach neuestem Brauch
Die leichten critischen Truppen am Musenberge sich schlagen;
Fürs zweyte, weil wir von Dingen, wovon wir nichts verstehn,
(So wenig, mit ihrem Beyspiel hierinn uns vorzugehn,
Sehr weise Leute Bedenken tragen)
Nicht gern Gemählde nach Art des Mahlers wagen,
Der unter seine Figuren aus kluger Vorsicht schrieb,
Dieß ist ein Schaf, und dieß ein Hühnerdieb.
Wir könnten zwar, wo uns die Farben fehlen,
Den Ariost, und den er selbst bestahl,
Den alten Amadis bestehlen,
Den Theuerdank, die Ritter vom Gral,
Den Herkules, und andre dicke Bücher
Von diesem Schlage; wir wären zum wenigsten sicher,
Daß unser Plagiat dem Völkchen, das aus Pflicht
Schnell schreiben muß, und ungleich schneller lesen,
Verborgen bliebe, so gut als ihm verborgen gewesen,
Wie oft Freund Lucian aus unserm Munde spricht.
Doch, ohne die Gründe zu häufen, der erste und letzte von allen
Gilt tausend, und tausend dazu; denn kurz, wir wollen nicht;
Und lassen uns, wie billig, gerne gefallen,
Wenn mancher denkt, wir können nicht.
Wir selbst bekennen ohne Röthe,
Non omnia possumus omnes. Doch kommen, zu gutem Glück,
Zween eiserne Männer auf einer alten Tapete
In ächtem Gothengeschmack, die diesen Augenblick
Uns gegenüber hängt, dem Dichter zu Hülfe. Sie rennen
Auf Pferden, wie Elephanten mit stolzen Büschen geschmückt,
Die Lanzen eingelegt, die Augen zugedrückt,
In voller Wuth, so schnell die Rosse traben können,
Einander entgegen; es zittert unter dem Schlag
Der mächtigen Hufe der Boden, die Rosse schnauben Flammen,
Die Ritter Tod; und itzt, itzt stoßen sie zusammen,
Mit solcher Macht, daß beyden auf einmal der Tag
Vorm Aug' erlischt, und beyde, so festgeschlossen
Sie saßen, dem Sattel entrückt, mit ihren taumelnden Rossen
Zur Erde stürzen. – Von Wort zu Worte war dieß,
Was wir zu schildern hatten; und, Dank der alten Tapete!
So schlecht es ist, so hätten wirs gewiß
Nicht halb so gut gemacht! – Der schöne Amadis,
(Für den manch heimlich Stoßgebete,
Indem der Zwerg zum Angriff bließ,
Aus schönen Lippen vergebens emporgestiegen)
Lag noch in Ohnmacht da, nachdem sein Gegner schon
Sich wieder aufgerafft, der itzt mit gierigen Zügen,
Der Rache Wollust trank. Doch Antiseladon,
Von Wuth entbrannt, den Trogloditen siegen,
Und seines Freundes animulam blandulamAnspielung an den bekannten Schwanengesang des Kaiser Hadrian, animula, vaglula, blandula &c. wovon die Fontenellische Uebersetzung, in ihrer Art, ein Meisterstück ist.

Ma petite ame, ma mignonne
Tu t'en vas donc, ma fille, & Dieu sçache, où tu vas;
Tu pars seulette, nue, & tremblotante, helas!
Que deviendra ton humeur folichonne?
Que deviendront tant de jolis ébats?


Zum Orkus flattern zu sehn, – Wirf, ruft er, deinen Kamm
Noch nicht so hoch; du hast noch mehr zu besiegen;
Zieh, Feiger! hoffe nicht, der Rache zu entgehn;
Nicht unbegleitet soll mein Freund den Acheron sehn;
Du folgst ihm, oder ich! – »Dein Wille soll geschehn;
Ruft jener (und beyde ziehn) laß sehn, wer von uns beyden
Die Ehre haben wird. (Sie fechten) Dieses hier
Soll, denk' ich, unsern Streit entscheiden!«
Nicht doch, versetzt der blaue Cavalier,
Sie irrten, wie Sie sehn, Herr Ritter! Meine Manier
War immer in solchen Fällen nur, durch die Klinge zu sprechen.
Itzt folgte Schlag auf Schlag – und während die Herren nun
Ihr möglichstes thun, einander die Hälse zu brechen,
Sagt, Leser und Leserinnen, was soll der Dichter thun?
Von beyden muß Einer sterben; dieß läßt sich ohne Verletzung
Von unserm Plan nicht ändern; nur ist die Frage, wer?
Wir möchten doch aus billiger Schätzung
Des Lesers, der vielleicht von beyden einem mehr
Gewogen ist als dem andern, in einer so wichtigen Sache
Nicht ohne seinen Rath zu Werke gehn. Die Rache
Des schönen Amadis wird nicht in Rechnung gebracht;
Er ist nicht halb so todt, als man vielleicht gedacht.
Zwar wollten wir wetten, daß Boreas wenig Gönner
Noch Gönnerinnen hat; jedoch sein Widerpart
Ist augenscheinlich auch keiner der tugendhaftesten Männer.
Er giebt sich zwar für einen gewaltigen Kenner
Des weiblichen Herzens; doch, weder die Art
Von seiner Theorie, noch von den Mitteln und Wegen,
Wodurch er sie erlangt, kann uns zur Nachsicht bewegen.
Wir wollen indessen sub rosa gestehn,
Wir haben uns Mühe gegeben, von einer Anzahl Schönen,
Die uns die Ehre thun, bey unsern Versen zu gähnen,
In aller Stille die wahre Gesinnung auszuspähn.
Aus Einem Mund' erklärten sich alle sehr gütig
Für Antiseladon. »Man sähe, sagten sie, leicht,
Sein Herz sey nicht so schlimm, als wie er selbst vielleicht
Aus falscher Eitelkeit glaube. Verwegen, übermüthig,
Leichtsinnig, flatterhaft, undankbar, ungerecht,
Dieß wären im Grunde vielmehr die Fehler von seinem Geschlecht,
Als seinem Charakter, kurz, sie wollten ihm gerne vergeben,
Er könne vor ihrer Rache, so lang' er wolle, leben!«
So sagten die holden Geschöpfe. Und da man Ursach hat,
Zu glauben, daß ein allgemeiner Rath
Des ganzen Schönen Geschlechts hiezu die Stimme gäbe:
So sterbe Boreas, und Antiseladon lebe!


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