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Zweites Kapitel.
Heimkehr in die Fremde

Ferdinand trat am nächsten Morgen aus dem schmutzigen Provinzhotel in den sommerlichen Sonntag der ländlichen Kleinstadt.

Seitdem er gestern die Grenze seines Geburtslandes überschritten hatte, lebte er in einer beengenden Verlegenheit. Er kam sich wie ein Mann vor, der in eine fremd-abgeschlossene Welt geraten ist, in der er zwar geduldet, aber nicht aufgenommen wird. Er gehörte der besiegten gestürzten Herrenschicht an (ach, wie wenig gehörte er ihr in Wirklichkeit an), er sprach deutsch und auch sein Aussehn verwies ihn zu jenen, die als überwundene Feinde galten. Jeder Blick der Grenzbeamten, die seinen Paß verlangten, das Benehmen der Eisenbahner, Kellner, Träger schuf, obgleich ihm niemand unfreundlich begegnete, diese Distanz.

Nichts und alles hatte sich hier verwandelt. Es waren dieselben Menschen, dieselben Straßen, Häuser, Läden, doch sie trugen alle einen andern Ausdruck, der sich selber stark betonte. Bei genauerer Beobachtung konnte man feststellen, daß der ganze äußere Unterschied gegen die Friedenszeit in den Briefkasten bestand, die nicht mehr schwarzgelb, sondern blauweiß gestrichen waren, in den neuen Uniformen, in der veränderten Staatsheraldik über allen Amtsgebäuden und schließlich in den Postwertzeichen der Republik, die in Trafiken verkauft wurden, auf deren Schild der Tschibuktürke Altösterreichs noch immer seine Pfeife schmauchte.

Kleinigkeiten, wie überall! Doch welch gewaltige Erneuerung umschlossen sie! Ein wenig Ölfarbe und Lackanstrich genügte und ein neues Weltalter war hergestellt. Wäre Ferdinand anstatt hierher nach Amerika gekommen, er hätte sich nicht entrückter und unbeteiligter fühlen können als in diesem Lande, das seine Heimat war, und unter diesem Volke, dem er nicht zugehörte.

Gestern, gerade bei seiner Ankunft, war Ferdinand Zeuge eines Aufmarsches gewesen, der auf ihn einen verstimmenden Eindruck gemacht hatte. Ein nationaler Jugendhort, Turn- oder Sportverein, hundert Mann etwa, zog in Schritt und Tritt, einheitlich uniformiert, über die Bahnhofsstraße. Ein Anblick, dem man zur Stunde allenthalben in Europa begegnen konnte.

Ferdinand war stehengeblieben:

Bravo! Vor dreieinhalb Jahren wäre das eine stramme Marschkompagnie gewesen. Und darum Räuber, Mörder und Revolution!? Früher marschierten nur die Soldaten, die es mußten, jetzt aber marschieren schon zwölfjährige Lausbuben freiwillig. Und wie gern tragen sie ihre Uniformen! Meine Herrschaften, ihr wart doch alle so überzeugte Antimilitaristen? Schon vergessen?! Rottet sich die Welt wieder zusammen? Was soll sie anderes tun? Der Mensch ist ein Rudeltier, kein Herdentier, ein Hungerwolf in der Wintersteppe dieser Zeit. Rudeltiere sind feige Raubtiere. Ihr Leben ist auf den Kampf gestellt, aber sie kämpfen nie einzeln. Eins, zwei – Rechts, links! Es liegt in eurer Natur. Und wir haben geglaubt, Revolution sei Durchbruch des Geistes. Wohin sind die Menschen, die Gespräche des Säulensaals zerstoben? Über solche Dinge spricht niemand mehr. Nur den Körper gibt es, Beine, Arme, Muskeln, Leichtathletik, Stafettenlaufen, Boxen. Aktivität und Training der Wolfsrudel! Rechts schwenkt! Zum Platzen ist alles voll von eitlen Körpern. Ihr Gott ist die Hebelübersetzung des Körpers in die Außenwelt: Technik! Heiliger Alfred Engländer, armer Geist in deiner Zelle! Wie gut, daß du keine Ahnung mehr von dieser Umkehrung hast.

Langsam schlenderte Ferdinand, nachdem die Abteilung verschwunden war, vom Bahnhof in die Stadt, um sich ein Quartier zu suchen. Da es schon finster war, sah ihn kein Haus und keine Gasse mit den Augen der Vergangenheit an.

Heute aber – die tiefen Glocken der alten Wallfahrtskirche donnerten – heute brachte ihm seine starke Erinnerungskraft hundert Dinge nahe. In seiner Kindheit und Jugend war er hier vier- oder fünfmal über den Marktplatz gegangen, nicht öfter. Er glaubte aber mit fast schmerzhafter Deutlichkeit alle Einzelheiten des Ortes zu erkennen. Ein häßlicher Erker stieß (wie aus Ferdinands eigenem Traumleben geholt) in einer Seitengasse des Ringplatzes vor. Die glasierten Backsteine jenes gesimsereichen Hauses und die goldenen Ziffern der Jahreszahl 1890 waren ihm wohlvertraut. Das Eisengeschäft an der Ecke kannte er so genau, als führe ihn dort tagtäglich sein Weg vorüber. Er wußte schon vorher, daß in der Auslage neben landwirtschaftlichen Geräten und kleinen Kanonenöfen auch ein rostiger Engel stehen müsse.

Unsere Nerven antworten auf solche Wiedersehenserlebnisse nicht mit Rührung und weichen Gefühlen, wie man es in Büchern oft lesen kann. Der Mensch ist das Gespenst, ist der wiederkehrende Tote seiner eigenen Vergangenheit. Wir müssen nicht erst sterben, um die Gemütsverfassung eines Revenants zu verstehn. Es ist ein dumpfer, unerquicklicher Zustand, der sich danach sehnt und zugleich dagegen wehrt, in den dick-moosgrünen Spiegel des abgelebten Lebens getaucht zu werden. Wer in irgendeiner ihm längst entfremdeten Stadt das Haus aufsucht, wo er seine Kindheit verbracht hat, oder Treppengang und Hof seiner einstigen Schule betritt, kennt diese zwittrigen Gefühle. Sie sind so scheu und zwielichthaft, daß man es kaum wagen kann, sie wahrheitsgemäß aufzuzeichnen. Es lebt in ihnen die Unbefriedigung, wie sie mißlungenen Anstrengungen folgt, die Angst, noch einmal vor eine unlösliche Aufgabe gestellt zu werden, und ein mißbilligendes Staunen darüber, daß unser Leben zwar vertan ist, die alte Hülse aber jenseits des eignen Daseins gleichgültig weiterbesteht, obwohl wir sie mit ihm auf Gedeih und Verderb verbunden glaubten. Dies aber sind nur die verstandesnächsten Elemente des Heimkehrergefühls. Darunter brüten noch Dunkelheiten, die mit der Fragwürdigkeit unsrer lächerlich kurzen Lebensdauer zusammenhängen und mit dem ungerecht verteilten Zeitgesetz, das anders über die Menschen herrscht und anders über die Dinge.

Dieser rostige Eisenengel zum Beispiel grinste seit einem Vierteljahrhundert, vielleicht weit länger noch sein unabänderliches Grabeslächeln. Ferdinand grüßte ihn. Hier stehst du regungslos, sonderbare, unverkäufliche Ware, seitdem ich dich als Kind zum erstenmal an deinem Platz sah und über dich nachdachte. Grauer Engel, welcher Erdenzweck ist dir auferlegt? Gehörst du auf einen Friedhof oder über ein Himmelbett? Ich glaube aber, du hast gar keinen anderen ersichtlichen Zweck als den, die Zeit zu überdauern. Gewiß haben deine Brotherren schon oft gewechselt, und dich besitzt jetzt der Enkel des Mannes, der deine Gestalt verfertigte, oder gar ein ganz Fremder. Engel, die Welt ist untergegangen, und du hast es nicht bemerkt. Wer nicht aus Fleisch und Blut besteht, der ist wie Gott. Vielleicht sehn wir uns noch einmal wieder. Wie kommt es nur, daß du mir so viel bedeutest!?

Ferdinand betrachtete den Engel sehr lange, bis sich sein ganzes Wesen mit der Schwärze eines unbegreiflichen Schauders angefüllt hatte. Dann kehrte er, ohne Hunger zu haben, in das nahe Wirtshaus ein. Hier war er zuletzt als achtzehnjähriger Alumne mit Barbara gesessen, ehe er von seinem Urlaub nach Wien heimkehrte. Der Raum war sich völlig gleichgeblieben. Im Hintergrund stand immer noch der Billardtisch. Nur die Bilder des alten Kaiserpaares über dem Schanktisch hatten dem Porträt des Staatspräsidenten Platz gemacht. Daß alles so war wie es gewesen, flößte ihm Unbehagen ein. Wie unsinnig! Wäre aber das Gasthaus nicht mehr gestanden, so hätte er eine unabweisliche Trauer verspürt.

Nach einer halben Stunde beklommenen Dahinbrütens ahnte er, daß er sich um den Zweck seiner Reise herumdrücke, daß er einen Grund suchte, den Sonntag noch in diesem Ort verbringen zu können. Die altberühmte Wallfahrtskirche fiel ihm ein, die er vor undenklichen Zeiten ein einziges Mal nach dem Tode seines Vaters mit Barbara besucht hatte. An diese Kirche erinnerte er sich nur mehr ganz unbestimmt. Es war selbstverständlich, daß er sie sehn mußte. Froh über diesen Aufschub, den er einschalten durfte, machte er sich auf den Weg.

Er kam in jene Budenzeile, wo noch immer wie damals die fromme Bijouterie der Bauern feilgeboten wurde: Bemalte Kerzen, Gebetbücher, eingerahmte Segenssprüche, Heiligenbilder, Amulette, Kruzifixe aller Größen, Ansichtskarten, Briefbeschwerer, Medaillons, Anhänger, Tabakspfeifen, Schmuckstücke, mit der Abbildung des Wallfahrtstempels geziert. Vorsichtig, wie arme Leute immer, untersuchte Ferdinand seine Brieftasche. Den Betrag für die Rückreise schied er von dem übrigen. Dann begann er darauf loszukaufen. Es war durchwegs wertloses Kleinzeug, das er mit großer Hast erstand, ohne sich Rechenschaft darüber zu geben, ob er mit solchen Geschenken Freude erwecken werde. Ein überströmender Drang, Versäumtes wiedergutzumachen, trieb ihn, diese Spielereien der Gläubigkeit auszuwählen: Ein Medaillon mit dem Bilde der hiesigen Madonna, ein kleines Ebenholzkästchen mit eingelegter Perlmutter und manches andere noch, darunter auch einen Rosenkranz. Ach, warum hatte er nicht in Wien daran gedacht, Geschenke mitzubringen? Mary wollte es nicht glauben, aber der Entschluß, gegen den seine Angst so lange kämpfte, war in Wahrheit ganz plötzlich Sieger geblieben. Dieser fromme Einkauf jetzt entsprang auch dem abergläubischen Versuch, Gott zu bestechen, damit nicht geschehen sei, was vielleicht schon lange geschehen war.

Behutsam steckte er die gebrechlichen Paketchen in seine Aktentasche. Dann entschloß er sich, nicht die bequemen Serpentinen des Kalvarienweges zum Aufstieg zu wählen, sondern die dreihundertsechsundneunzig steilen Stufen der Bußtreppe. Es ist kürzer, sagte er sich, als wolle er vor seiner eigenen Seele in keine zweideutige Lage kommen. Er war zur Stunde trotz des Sonntags der einzige Büßer, der sein Herz strapazierte und jedesmal auf den zwölf Absätzen der Sühnestiege schnaufend stehenblieb. Selbst oben auf der Terrasse vor der Kirche hatten sich heute nur wenige Gläubige eingefunden. Dem wundertätigen Muttergottesbilde schien die Zeit nicht wohlgesinnt zu sein. Es bekam in diesem Jahre – da der siegesbewußte Volksstolz und die neue Staatsfreude noch nicht ganz verrauscht waren – nur wenig zu tun. Im übrigen war das Hochamt schon seit mehr als einer Stunde vorüber.

Als sich das kühle Dunkel der Kirche um ihn schloß, dieser körperlich fühlbare Raum, der von allen andern Räumen verschieden ist, da gab er sich einen Augenblick lang dem so angenehmen Bade in Gott hin. Nur einen Augenblick aber. Denn schon prüften seine Blicke Wände, Wölbung, Altar, Fenster und Laterne. Mittelmäßiges Barock, dachte er, Jesuitenkultur der Provinz ... Sonderbar, er dachte das, oder besser, ein gebildeter Herr in ihm dachte das, während der wirkliche Ferdinand selbst sich über diesen Gebildeten ärgerte, dem die aus Hörsälen, Büchern und Zeitungsspalten entnommenen Fertigbegriffe so eitel-reichlich zuflossen. Er fand solche Naseweisheiten taktlos, konnte sich aber nicht dagegen wehren, daß der unterrichtete Herr sie ihm zum Trotz immer flüssiger hervorbrachte, je mehr er sich ärgerte. Vor der silbernen Weltkugel mit der Schlange zum Beispiel mußte er an Gebharts Paradiesestheorie denken. Angesichts der beiden Märtyrerskelette fielen ihm sogar anatomische Begriffe ein. Es war, als wirke alles, was Ferdinand in dem letzten Jahrzehnt erlebt, erlernt, erlesen hatte, zusammen, um eine mürrische Überheblichkeit in ihm zu erzeugen.

Im Widerstand gegen das naive Heiligtum »gingen ihm die Impfpusteln des Intellekts auf«. Dieses Wort stammt natürlich von Engländer. So widersinnig verwickeln sich die inneren Vorgänge, daß Ferdinand, der kurz vorher – ohne sich einzugestehn, warum – die dreihundertsechsundneunzig Stufen der Bußtreppe erstiegen hatte, jetzt seinen Widerwillen kaum unterdrücken konnte. Das dauerte freilich nur wenige Minuten. Dann ließ er sich müde in einer Bank nieder.

Er schloß die Augen. Jetzt müßte ich eigentlich beten. Woher dieser Gedanke? Wann hatte er zuletzt gebetet? Nein, nicht einmal im Graben von Ferdinandowka III! Halt, nur nicht sich selbst belügen! Hie und da, wenn er nicht mehr weiterwußte, kam ihm schon ein Wort an Gott auf die Lippen. Und dann, was waren denn jene jähen unbegreiflichen Begeisterungen, die ihn zu mancher Zeit auf offener Straße, in seinem Zimmer, in einem Lokal, auf Parkwegen, ja selbst unter Menschen anpackten, seinen Körper schüttelten und herrliche Tränenstürze hervortrieben. Wie weit war er jetzt von diesen geheimnisvollen Begeisterungen entfernt! Und doch wiederholte sein Sinn immerfort: Ich müßte eigentlich beten.

Ferdinand wußte kaum mehr, daß er hier in diesem Dunkel als sechsjähriger Knabe, neben Barbara knieend, schon einmal den vergeblichen Versuch eines Gebetes gemacht hatte: Papa und Mama, kommt her, ich will euer Gesicht sehn. Damit ich für euch beten kann. Ebensowenig aber kann man Fische mit der bloßen Hand fangen wie die scheuen Schatten der Toten ... Auch jetzt wollte er ein Gesicht herbannen. Es entschlüpfte seiner machtlosen Beschwörung. Hinter der rötlichen Schwärze seiner geschlossenen Augenlider jagten sich lästige Albernheiten: Schiffe, Autos, Professorengestalten, Frauenbeine, Buchseiten, Präparate in Spiritus und ganz sinnlose Formen und Flecken. Noch nie war sein Hirn unfähiger zur Sammlung gewesen als jetzt. Eine feindliche Macht schien diese blöde Bilderjagd zu veranstalten, um seine Kraft zu lähmen. Ich müßte eigentlich beten! Ein komischer Gedanke! Er gab's auf.

Rasch wäre er ins Freie getreten, wenn ihn nicht ein seitlicher Eingang gelockt hätte, in das Kirchenmuseum emporzusteigen. Was war das für eine lange Danksagungsgalerie, deren Wände bis zur Wölbung hinan voll Bilder und Trophäen hingen? Eine ähnliche Folterkammer muß ich schon irgendwo gesehen haben. Wo nur? Irgendeine Burg. Ich weiß nicht, was mit meinem Kopf los ist. Gar nichts fällt mir heut ein. Er ging an dem geopferten Zopf vorbei, dessen Haar nach siebzig Jahren noch immer blond war.

Zweifelnd gewahrte er die Krücken, Prothesen, orthopädischen Schuhe. Das ist etwas für meine Herren Kollegen. Der Mediziner regte sich in ihm, der in übernatürlichen Heilerfolgen eine schwindelhafte Scharlatanerie des Himmels sieht.

In einige Bilder vertiefte er sich lange: Eine Lokomotive entwickelt drohenden Riesenqualm, gewillt, das ahnungslos spielende Kind auf den Schienen zu zermalmen ... Mit rotgeöffnetem Höllenrachen springt der tollwutkranke Hund den Wandersmann an ... Ein vom Neubau abstürzender Stein hält sich in furchtbarer Schwebe über dem Haupte des hinzumordenden Arbeiters. Und immer wieder bannt die Strahlenhand der Gottesmutter um Haaresbreite die teuflisch bluttrunkene Bestie der Gefahr. Sie hemmt das Dampfroß, den wütenden Hund, den boshaften Stein.

Ferdinand konnte sich von diesen grotesk gepinselten Gemälden nicht trennen. Eine dramatische Macht ging von ihnen aus, die mit Kunst nichts zu tun hatte und gerade deshalb vielleicht so packend war. Der gebildete Herr von vorhin meinte, daß hier mit schlechten Farben und in lächerlichen Formen die einfach-unmittelbare Wirkung der primitiven Meister erreicht werde, nur durch die ähnliche Tiefe des Glaubens. Aber der wahre Ferdinand, der jetzt wieder Kraft gewonnen hatte, hörte dem gebildeten Herrn nicht mehr zu. In dieser ersten Bildersammlung, die er in seinem Leben gesehn hatte, ging er nun erregt von einem Stück zum andern. Daß er Bekanntes grüße, wußte er nicht. Aber er sog sich fest an den vielfältigen Szenen, nicht anders als ein staunendes Kind.

Zu guter Letzt erstieg er, weil er nun schon so hoch oben war, auch noch den Glockenturm. Er streifte mit der Hand an den dunklen Mantel der hochberühmten Glocke. Sie gab nicht den leisesten Ton von sich. Wie spät war es? Seine Uhr fehlte ihm. Halb zwei, wenn nicht mehr. Er war allein. Kein andrer Schausüchtiger tauchte in der Falltür auf.

Ferdinand trat an eine der Turmluken und sah in das sommergelbe Land hinaus, dessen Horizont sehr weit verblaute. Man erkennt sogar die Pappelallee am Fluß, ganz fern. Eine großartige Aussicht heute. Rechts muß ein größerer Ort liegen. Da, natürlich! Und jetzt etwas westlich der Wald. Über die Richtung war er nicht im Zweifel. Er streckte die Hand aus: Dort!

Als er sie aber zurückzog, standen einige Schweißtropfen auf seiner Stirn. Es war auch heiß genug hier. Da erscholl, ohne daß es ihm auffiel, seine einsame Stimme in der lauschenden Glockenstube:

»Lebt sie noch?«


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