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Zehntes Kapitel .
Der Bademeister

Die idyllische Kriegszeit Engländers währte ganze drei Wochen. Dann erging an Ferdinand der Befehl, mit seiner Kompagnie nach dem Orte Kolkow abzugehen, in dem sich das Divisionskommando befand. Er trennte sich sehr schwer von seinem Freunde, mit dem zusammen er in großer Innigkeit gelebt hatte. Das schöne Zimmer erbte nun Alfred. Glücklicherweise war Kolkow nur anderthalb Wegstunden weit von Złoczów entfernt, und Ferdinand konnte fast täglich den kleinen Kutschierwagen der Kompagnie um Engländer senden, so daß die Gemeinschaft zwar erschwert, aber nicht aufgehoben war.

In seiner neuen Station sah er auch Ronald Weiß wieder, der in den nächsten Tagen zur Presseabteilung des Kriegsministeriums abgehen sollte. Weiß hatte Ferdinand überflügelt. Er war schon zum Oberleutnant befördert worden und trug alle erreichbaren Auszeichnungen an seiner Brust, sogar die Goldene, die nur selten verliehen wird. Die Pracht der Dekorationen war immerhin ein Widerspruch, wenn man bedenkt, welch scharfen Witz Weiß stets über das gesamte Medaillenwesen auszuschütten pflegte. Bald jedoch stellte sich heraus, daß alle Erlebnisse und Taten seiner Frontzeit nur die unwiderlegbare Bestätigung seiner alten Theorie vom Kriege bildeten. Das Ganze war ein frech erstunkener Schwindel! Dem impotenten Schwachsinn einiger Diplomatenhirne entsprungen, fand, nach einer bekannten Formel, der Schwindel, der sich Politik nannte, seine Fortsetzung im Kriege, das heißt in dem impotenten Schwachsinn einiger Generalshirne. Weißens Lästerung ging so weit, daß er behauptete, es habe in all diesen Jahren zu keiner Zeit und an keiner Stelle eine wirklich bewußte und gewollte Führerhandlung stattgefunden. Wären sie ehrlich, müßten alle Generale zugeben, daß ihr ganzes Feldherrentum darin bestehe, an irgendeinem Frontabschnitt einen Wirbel zu veranstalten und dann zuzuschauen, was sich daraus entwickle. Moderne Strategie sei die Kunst, das Chaos der Zufälligkeiten im Heeresbericht zur Absicht umzufälschen. Ebensowenig, wie sich der Atlantische Ozean mit einem Kochlöffel umrühren lasse, habe eine verlebte Generalstabsgehirnwindung Einfluß auf die stumpfe Eigenbewegung der Massen. Für die Masse selber aber sei der Krieg nichts anderes als eine Folge frech heraufbeschworener Naturkatastrophen, zu denen man abkommandiert werde, um durch Heldentod die Bevölkerung zu vermindern und die Schwerindustrie zu vermehren. »Ich will nicht behaupten, daß es in diesem Krieg keine Helden gibt«, eiferte Weiß weiter, während seine unruhigen Augen auf Ferdinands Antlitz lasen wie auf einem Zifferblatt, – »nein, ich behaupte sogar, daß es in diesem Kriege mehr als genug Helden gibt. Bei jedem Theaterbrand, bei jedem Hauseinsturz, bei jedem schlagenden Wetter finden sich Helden, das ist einmal so. Dann gibt es auch sportliche Naturen, Wettspielmenschen, die von dem Trieb geplagt werden, als Erste und Schnellste durch irgendein Ziel zu gehen. Meiner Ansicht nach aber bleiben diese Helden meistens unbekannt. Ich selber bin das Gegenteil eines Helden. Im Notfall hab ich mich immer benommen wie das Holzstück in einem Wildbach, das seine Richtung nach dem geringsten Widerstand nimmt. Und trotzdem hängt dein Auge mit offensichtlichem Staunen schon eine halbe Stunde lang an der Goldenen, die mir vom Busen glänzt. Ich verrate dir, mein Lieber, daß ich dieses hehre Prunkstück aus minderwertiger Goldlegierung für eine der wenigen aktiven Feigheitsleistungen meines Lebens erhalten habe. Die Sache ereignete sich folgendermaßen. Rückzug, was heißt Rückzug, Flucht bei Görz! Schreckliches Durcheinander! Alles ineinander verfitzt! Die Straße ein Weichselzopf von Honveds, Deutschmeistern, Landwehr, Gebirgsartillerie, Train, Sanität, Pionierequipagen. Ich mitten drunter, hab keine Ahnung, wo mein Bataillon ist und wo Gott wohnt. Die Katzelmacher pfeffern Hunderte von guttempierten Schrapnells über die Straße. Das Gejaule der Verwundeten, grauenhaft! Ich suche irgendeine Deckung. Da stehe ich neben dem Kanzleiwagen unseres Regiments. Aufsitzen und ein Stückel mitfahren natürlich. Unter mir sind Bücher aufgestapelt. Du kennst mich. Kann ich ein Buch liegen lassen? Also, ich fang zu blättern an: Präsenzstandesliste, das Menschenkontokorrent. Dann Urlauberprotokoll, Strafprotokoll, Rapportbuch, Befehlsbuch usw. Plötzlich hab ich einen Quartband in der Hand: Regimentsgeschichte. Hochwichtig, eine Art Fahne! In dieses Tagebuch trägt der Adjutant jeden Abend faustdicke Heldentaten ein. Warum ich den schweren Band unter den Arm genommen und fortgetragen hab? Ich weiß nicht. Auf einmal ein furchtbares Gebrülle! Generalstäbler und Stabsoffiziere werfen sich uns entgegen. Die Infanterie wird in die Maisfelder gejagt. Zurück in die vorbereiteten Gräben! Maschinengewehre drohen den Andersgesinnten. Nur Sanität und Train darf weitermarschieren. Der Wirbel ist ebenso sinnlos wie unbeschreiblich. Eine dreifache Kette von Offizieren sperrt die Straße. Kein Einzelgänger wird durchgelassen. Alles hat seine Abteilung zu suchen. Ich aber gehe auf den Oberst, der die Straßensperre leitet, zu, schwinge mein Buch und rufe begeistert: ›Regimentsgeschichte‹, worauf er, weiß der Teufel warum, achtungsvoll den Weg freigibt. Die Sache mit dem Offizierskordon hat sich natürlich nicht lang gehalten. Eine Stunde später war er durchbrochen. Ich hab zwei Tage lang den Standort meines Regimentes nicht gefunden. Als ich mich dann gänzlich abgerissen und durch einen Streifschuß koloriert mit meiner Trophäe meldete, haben sie über das wiedergefundene Heldenbuch gejubelt, und ich wurde sofort von wegen ›Rettung der Regimentsgeschichte‹ für die Goldene eingegeben. Den Belobungsantrag hab ich mir abgeschrieben und zur Erinnerung aufgehoben ...«

Längst schon hatte sich Ferdinand angewöhnt, den Geschichten Ronalds zu mißtrauen. Auch jetzt war er überzeugt davon, daß dieser die Goldene für eine anständige Leistung und nicht für einen Schwindel erhalten habe. Die Situation der Geschichte mochte wahr sein, der Vorgang selber war gewiß verdreht worden. Je älter der Krieg wurde, umsomehr bemühte sich Weiß, seine Pathetik zu entwerten. Mit Wollust entwertete er sich selber dabei. Sein Glanzbedürfnis suchte neue Befriedigungen. Bei Gelegenheit machte Ferdinand seine Freunde Alfred Engländer und Ronald Weiß miteinander bekannt. Nachdem der arme Reservekanonier seine bebende Scheu vor den goldenen Sternen des Oberleutnants verloren hatte, kam es selbstverständlich zu erbitterten Streitigkeiten. Es drehte sich dabei um die beginnende russische Revolution, die damals den Atem der Welt stillstehen ließ. Überall an der Ostfront flutete eine Brüderlichkeitswelle über die Gräben. Russen, Deutsche und Österreicher vereinigten sich im toten Raum zwischen den Linien und tauschten Lebensmittel, Tabak und Friedensgesinnungen aus. Diese Bewegung erschien den Generalen der Mittelmächte so bedenklich, daß strenge Maßregeln ergriffen wurden, sie im Keim zu ersticken, ehe noch eine scharfe Politik die Russen abstieß und sie zum letzten verzweifelten Widerstand aufstachelte. Ronald Weiß war ein begeisterter Anhänger der russischen Revolution. Er träumte von einem Frieden, den die entfesselten Völkermassen der Soldaten in kurzer Zeit an allen Fronten zugleich eigenmächtig schließen würden. Engländer hingegen hielt von derartigen Revolutionen nicht das Geringste. Sie seien Erscheinungen des Todes, Symptome der Fäulnis, Verwesungszustände der imperialistischen und kapitalistischen Energien. Aus der Zersetzung aber komme keine neue Welt. Das Madengewurle in einem Leichnam sei ein völlig wertloses Leben. Nachdem Weiß gegangen war, tobte Engländer vor Eifersucht: »Was findest du an diesem Unterteuferl des falschen Temperaments«, schimpfte er, was Ferdinand nicht davon abhielt, Ronald zu verteidigen, der übrigens am nächsten Tag vor seiner Abreise nach Wien mit großer Begeisterung von »dem genialen schwermütigen Juden« sprach.

Einmal, als Ferdinand auf Alfreds Besuch wartete, kam anstatt des Freundes ein verzweifelter Brief, in dem der Ärmste berichtete, ihm sei für die nächsten Tage der Ausgang strafweise entzogen worden, weil er wieder einmal eine unmilitärische Antwort gegeben habe: »Das ist infame Soldatenmißhandlung«, schloß der Brief. Ferdinand war ehrlich enttäuscht. Lange und leere Stunden lagen vor ihm. Vor wenigen Wochen noch wäre ihm seine Einsamkeit nicht aufgefallen. Jetzt, nach einer Zeit der Gemeinschaft, bedrückte ihn ein verlassener Nachmittag. Nicht die Besitzlosigkeit macht unglücklich, sondern der Entzug eines Gutes.

Da er es in seiner Stube nicht aushielt, trieb er sich ein wenig im Ort umher. Während er eine Gruppe von jungen Weibern betrachtete, die bei der Dorfmühle mit lässiger Wascharbeit beschäftigt waren, gesellten sich gewisse Erinnerungen zu ihm. Wie verschlampt, verkommen, verschimmelt sahen diese Frauen aus, die breitbeinig mit ihren großen abgelebten Kruppen dastanden, gemein lachten und träge Handgriffe vollführten. Die echten Soldatenhuren und Troßweibsen, die ihre Männer, welche in den Karpaten faulten oder im Karst verschmachteten, längst vergessen hatten. Im Vorjahr, auf dem Rückzug vor der Brussilowarmee, war Ferdinands Bataillon in eine Gegend gekommen, die noch merkwürdig unberührt vom Krieg erschien. Zwei Kilometer vor dem ruthenischen Dorfe Hodow lag ein Bauerngut mit einem schönen Wohnhaus, funkelnagelneuen Stallungen und Scheuern. Später brachte man hier das Kommando unter. Auf dem Gut mußten reiche Leute hausen, denn die Bauernstube war groß wie ein Saal. In ihren buntbemalten Festungen türmten sich zwei Betten auf, und der Ofen war ein Ungeheuer aus grünen und roten Kacheln. In dem Anwesen zurückgeblieben war die Herrin, ein Weib von zweiundzwanzig Jahren mit ruhig-würdevollen Gesten und einem sehr hochmütigen Gesicht. Sie hieß Marinka. Vielleicht aber hatten ihr nur die Soldaten diesen Namen gegeben und sie hieß anders. Ihr zur Seite stand eine Nichte, ein dürres dreizehnjähriges Ding, die, Gott weiß warum, Schuppa gerufen wurde. In dieser Gegend gelang es den Österreichern, den russischen Vorstoß aufzufangen, so daß der stattliche Bauernhof, der in einer von Bäumen wohlmaskierten Mulde steckte, nur wenige Kilometer hinter den eigenen Linien zu liegen kam. Während der ersten Zeit benahmen sich die Mannschaften unbestreitbar respektvoll gegen Marinka. In den beiden Nächten, die Ferdinand auf dem Hofe zubrachte, schlief alles in den Scheunen, und die Offiziere nahmen im Dorf Quartier. Die Kanzlei wurde im zweiten Zimmer untergebracht, die große Stube aber blieb unangetastet. Niemand betrat sie mit kotschweren Stiefeln und verlauster Montur. Marinka aber, die entweder wirklich eine Patriotin war oder sie doch spielte, brachte den Soldaten irdene Riesenschüsseln voll Piroggen heraus. Die Kompagnien wurden vorwärtsgetrieben, und ein heftiger Stellungskampf setzte ein. Erst sechs Wochen später führte Ferdinands Weg wieder an dem Anwesen vorbei. Neugier trieb ihn, einzutreten. Die schöne unnahbare Bäuerin, die so tat als verstünde sie kein Wort, das man zu ihr sprach, hatte Eindruck auf ihn gemacht. Er nahm sich vor, in der Kanzlei irgend etwas zu verlangen. Jetzt war diese Kanzlei schon in der großen Stube untergebracht. Doch wie sah der Raum nun aus? Kotberge und Schmutzbäche überall, die buntbemalten Baldachinpfosten der Betten niedergerissen und kleingeholzt, alles besudelt, zerstört und geschändet. Kein Wunder! Der Krieg hat schließlich größere Schätze vernichtet als eine farbige Bauernstube. Die hochmütige Marinka aber lag auf der Ofenbank, während Ordonnanzen, Telephonisten, Offiziere ein- und ausgingen. Sie lag in einer schamlosen Art da, den Rücken nach oben gekehrt, den Kopf in den Armen vergraben, und schien zu schlafen oder betrunken zu sein, während Schuppa wie ein böser Marder zwischen den Männern umherfuhr. Ferdinand tippte Marinka, die er begrüßen wollte, an die Schulter. Sie wälzte sich schwerfällig von der Bank und blieb mit eingeknicktem Leib sitzen. Ihn traf ein leerer Blick aus verquollenen Zügen. Aber keine tränenverzerrte Schmerzensmiene hätte erschütternder wirken können als diese verkommene Wurstigkeit. Nach vier weiteren Wochen kam ein Unteroffizier dieser Kanzlei in die Stellungen hinaus. Ferdinand erkundigte sich sofort nach Marinka und Schuppa. Sie seien beide angesteckt und schwanger. Man habe sie gestern nach der allgemeinen ärztlichen »Zwangs-Konstatierung« für die weibliche Frontbevölkerung an ein Etappenspital »abgegeben«. »Jetzt sind wir allein im Haus«, meinte der Mann und fügte hinzu: »Schade!« Angesichts der verschlampten Weiber vor der Dorfmühle fielen Ferdinand Marinka und Schuppa ein, und er versuchte darüber klar zu werden, warum weder Alfreds tiefe noch Ronalds gewitzte Reden dem Wesen des Krieges nahe kamen. Nein, mit abstrakten Begriffen konnte man diesen ungemein leibhaftigen Riesen nicht erfassen. Seine Waffen waren nicht nur Mörser, Flammenwerfer und Gasgranaten, sondern auch Lues und Gonorrhoe. Er verdarb den Körper des Menschen, doch ebenso seine Würde. Er bediente sich der Cholera und des Flecktyphus nicht minder als der Krätzen und Läuse. Was es in der Natur Boshaftes gab, alles Höllische gleichsam, das in die Wirklichkeit eingesprengt war, stand ihm zu Diensten. Sollte er auch hundert Jahre dauern, die Erfindungsgabe des Hasses würde er nicht verlieren.

Der Gedanke an schwere Wochen stieg in Ferdinand auf. Er erinnerte sich, daß er oft weniger unter Hunger und Gefahr gelitten habe als an Schmutz, Krätzen und Läusen. Sonderbar war es, daß er, von diesen kribbligen Gedanken aufblickend, sich vor einem Hause fand, das schwarz auf weiß die Aufschrift trug: »Offiziersbad der k. u. k. I. T. D.« Ohne weitere Überlegung trat er ein.

Er war der einzige Gast im Hause. Der Bademeister räumte ihm die größte Kabine ein, brachte in mächtigen Trögen heißes und kaltes Wasser und füllte die Wanne nach des Leutnants Angaben.

Immer wenn Ferdinand in der weichen Erschlaffung eines lauen Bades saß, kamen Kindheitsgefühle, und Barbara tauchte auf. Auch jetzt und hier. Sie nahte in der Gestalt einer großen Müdigkeit. Fast war er schon im Wasser eingeschlafen, als ihn eine sanfte Stimme weckte. Der Bademeister fragte:

»Alles in Ordnung, Herr Leutnant?«

Ferdinand, der nicht recht wußte, ob er wach sei, stammelte benommen: »Ja, danke.«

Der Bademeister, ein großer schlanker Soldat ohne Chargengrad, der eine Lederschürze umgebunden trug, blieb an der Tür stehen und umfing den Badenden mit einem zärtlich-leidenden Lächeln. Das Gesicht dieses Menschen war unnatürlich schmal, der Schädel spitzte sich nach oben lächerlich scharf zu und fiel ohne jeden Hinterkopf senkrecht in den Kragen. Auf der Schädelspitze sträubte sich ein Wirbel weißblonden Haares, dünn wie Vogelflaumgefieder. Der halboffenstehende Mund mit schlaffer Unterlippe sprach von Sanftmut, Güte, Charakterschwäche, nicht anders als die zu ihm gehörende hohe Stimme, während die sehnenstraffe Gestalt diese Gutmütigkeit Lügen strafte.

»Befehlen der Herr Leutnant noch mehr warmes Wasser?«

»Nein, danke.«

»Ich kann auch Glyzerinseife bringen, wenn Herr Leutnant befehlen.«

»Nein ...«

»Oder vielleicht einen Frottiermantel. Wir geben sonst nur Badetücher.«

Warum jage ich den Kerl nicht hinaus, überlegte Ferdinand. Aber die Benommenheit, die sich seiner bemächtigt hatte, raubte ihm fast die Sprache. Der Bademeister zeigte sich immer mehr um das Wohl seines Gastes besorgt:

»Herr Leutnant haben es heute sehr gut getroffen. Ganz allein sind Herr Leutnant heute bei mir. Montag ist immer ein schwacher Tag. Am Samstag aber geht es bei mir zu wie auf der Prager Brücke. Und dabei wollen alle Herren aufgebügelt werden.«

Ferdinand sah erstaunt drein.

»Aufgebügelt? Was heißt das?«

Der Bademeister lächelte zärtlich und nachsichtig:

»Ich massiere nämlich. Herr Leutnant befehlen nachher selbstverständlich auch eine Massage!«

Ferdinand wollte mit ingrimmiger Entschlossenheit »nein« sagen, sagte aber »ja«. Dabei wunderte er sich immerfort, daß der Mann überhaupt keine Augen habe, sondern an ihrer Stelle mattglänzende Klümpchen von nassem Lehm. Er suchte nach einer Ausrede, um sein Jawort zurückzunehmen. Aber der Bademeister stand schon dicht vor ihm:

»Ich massiere im großen Zimmer drüben, das auch sehr angenehm temperiert ist. Es liegt am Ende des Ganges. Herr Leutnant aber können nicht gut über den Gang laufen. Er ist nur gestampft. Herr Leutnant würden sich die Füße schmutzig machen. Strohpantoffeln, wie sich's gehört, haben wir hier keine. Ich habe sie schon längst angefordert. Es ist halt ein Kreuz hier. Ich werd einfach den Herrn Leutnant hinübertragen.«

Ferdinand erschrak:

»Ach was! Ich lauf schon selber.«

Des Bademeisters zärtliche Strenge steigerte sich. Ein leichtgekränktes Zwinkern kam zum Vorschein:

»Herr Leutnant können mit den reinen Füßen nicht über den Gang laufen. Das geht nicht.«

Was soll ich tun? Wär ich doch nie in dieses Haus gekommen! Trotz solch unbegründet nervöser Gedanken erhob sich Ferdinand gehorsam aus dem Bad. Er sah sich nach einer Fluchtmöglichkeit um. Kaum aber stand er, schlug der Bademeister den Frottiermantel schnell um seinen Leib, nahm ihn wie ein Kind in die eisernen Arme und trug die Manneslast im Laufschritt über den Gang in einen dunstigen Raum, der nach feuchtem Holz duftete. Dort lag Ferdinand nun auf einer Pritsche, während ein wildes Ohrensausen ihm den Kopf zu sprengen drohte.

Der Bademeister brachte einen Eimer, in dem er warmen Seifenschaum bereitete, und stellte eine Büchse mit Streupuder an das Fußende der Pritsche. Dann schlug er den Frottiermantel, der Ferdinand umhüllte, auseinander und begann sein Werk an den Beinen zuvörderst. Wahrhaftig, er verstand dieses Amt wunderbar. Ein eigentümliches Wohlgefühl durchlief sogleich den ganzen Körper des Behandelten. Der Meister griff mit seinen gewaltigen Händen nicht etwa roh zu, sondern bestimmt und fein zugleich. Er führte langsame Striche von den Fußknöcheln aufwärts zum Knie, und die Wade genoß dabei eine wundersam wohltätige Schmerzhaftigkeit. Während der Arbeit drang aus seiner Brust ein hohles Summen der Befriedigung, das sich aber zu keiner bekannten Liedmelodie zusammenfügte. Um irgendein Gespräch zu beginnen, fragte Ferdinand:

»Sie waren im Zivil auch Masseur, nicht wahr?«

Das Summen verhallte.

»Jawohl, Herr Leutnant. Ich hab auch diesen Beruf ausgeübt. Im Zehnerjahr war ich den Sommer über Badwaschel und Schwimmeister.«

»Und wo haben Sie im Krieg überall gedient?«

Einen Augenblick lang ruhten die Hände des Bademeisters, weil ihm die Erinnerung Mühe zu verursachen schien:

»In Serbien, Herr Leutnant, in der Bukowina und Gott weiß wo noch.«

»Sie sind Infanterist?«

»Nicht einmal, Herr Leutnant, nicht einmal ein echter Infanterist. Im Frieden war ich Ersatzreservist und hab nur meine acht Wochen gemacht.«

Nun kamen die Oberschenkel daran. Brennende Wohligkeit stieg bis zu den Hüften. Aber auch auf den Masseur schien das Lustgefühl, das er verursachte, überzugreifen. Wiederum drang das hohle Summen aus seiner Brust. Es glich dem langen, melodischen Knurren im Leibe großer Katzentiere, die sich hinter den Käfigstäben des zoologischen Gartens sonnen. Damit dieser sonore Summgesang ein Ende nehme, stückelte Ferdinand das Gespräch weiter:

»Aber im Graben draußen sind Sie ja doch ein Soldat wie alle andern gewesen.«

Der Bademeister griff nach der Bürste:

»Herr Leutnant, ich melde gehorsamst, ich bin nie im Schützengraben gewesen.«

»Wo waren Sie denn eingeteilt? Bei der Proviantur?«

»Auch nicht bei der Proviantur, Herr Leutnant. Ich bin immer in Divisionsverwendung gestanden.«

Das Wort »Divisionsverwendung«, so sanftmütig ausgesprochen, kam Ferdinand sehr komisch und sehr doppeldeutig vor.

»Was für eine Verwendung, sagen Sie?«

Der Bademeister stand nun am Kopfende der Pritsche hinter Ferdinand. Seine Hände vollführten auf den Schulterblättern des Liegenden einen anmutig klatschenden Triller. Ohne diese Musik zu unterbrechen, sprach er in der gleichen ruhigen Art weiter:

»Ich war nämlich bei der Division als Freymann eingeteilt.«

Dieses altertümliche Wort, dessen Sinn Ferdinand nicht verstand, traf ihn wie Eiseshauch. Mit Überwindung wiederholte er es fragend:

»Freymann?«

Der Bademeister aber brach, als hätte er nun der Kränkungen genug hinuntergeschluckt, das Verhörspiel ab:

»Herr Leutnant wissen doch selbst sehr wohl, daß ich Scharfrichter war. Das ist ja bei der Division bekannt.«

Lange Stille, während derer der Bademeister des Leutnants Arme auf das angenehmste knetete. Erst viel später brachte Ferdinand zwei Worte heraus:

»Und jetzt?«

Der Mann hielt einen Augenblick inne, um neuen Seifenschaum zu holen:

»Jetzt, Herr Leutnant, schon lange nicht mehr. Jetzt kann man bei uns die gesetzliche Art nicht mehr brauchen. Es sind zu viele. Sie werden gleich erschossen und nicht mehr gehängt. Aber damals, Herr Leutnant, in den ersten Monaten, in Serbien und in der Bukowina, da haben sich die Divisionen um mich gerissen. Man muß nur denken, was es damals alles gegeben hat: Zivilisten, Spione, Popen, Komitatschis ... Jetzt sind es nur lauter eigene Soldaten, lauter Hochverräter und Politisch-Unzuverlässige. Das ist doch eine ganz andere Sache! Ja, ja, Herr Leutnant.«

Ferdinand hatte die Empfindung, er klebe an der Pritsche fest und werde nie wieder loskommen:

»Und Sie haben sehr viele Menschen ...«

»Es werden vielleicht an hundert gewesen sein. Nicht gar viele ... Bitte sich auf den Bauch zu legen, Herr Leutnant.«

Ferdinand sprach nun erdwärtsgekehrt:

»Aber es muß doch entsetzlich schwer sein, Menschen zu töten.«

Der Bademeister streute mit einer Gebärde schmerzlicher Verkanntheit den Puder auf Ferdinands Rücken:

»Herr Leutnant, bitt gehorsamst um Verzeihung. Ich hab nie niemanden getötet, ich hab nur dem Gesetze Genüge getan.«

Er hüllte diese juristische Wendung in eine abgenützte und dialektgefärbte Getragenheit:

»Ich hab nach Urteil und auf Befehl der Vorgesetzten oder Höheren gearbeitet. Mein Gewissen ist rein ...«

Ferdinand, der nun wieder auf dem Rücken lag, schielte nach den Händen des Bademeisters:

»Und doch ... Ihre Hände da ... Sie haben natürlich auf Befehl gehandelt ... Aber durch Ihre Hände da ... Wie man's auch nimmt.«

Es waren auf den ersten Blick keine häßlichen Hände: groß, knochig, mit überaus langen Fingern. Es hätten die Hände eines Virtuosen sein können, wären nicht die letzten Fingerglieder alle in abscheulicher Weise verunstaltet gewesen, knollig, verbogen und ohne Nägel. Der Bademeister reckte sich hoch:

»Nicht wahr, der Herr Leutnant sind neu in Kolkow? Sonst würden der Herr Leutnant keine schlechte Meinung von mir haben. Keiner der Herren hat eine schlechte Meinung von mir. Seine Exzellenz, den Herrn Feldmarschalleutnant, massiere ich täglich um acht Uhr früh. ›Spengler‹, sagt er gern zu mir, ›Sie haben Patentpratzen!‹ Ich bin ein guter Familienvater, Herr Leutnant. Über mich hat sich noch niemand beklagen können, auch die armen Teufel nicht, denen ich auf Befehl hab helfen müssen. Menschlich muß man sein, Herr Leutnant, und auf den Griff kommt es an. Den Griff hab ich halt heraus, da gibt's nichts. Und daß der Griff nicht sehr unangenehm ist, Herr Leutnant, dafür hab ich auch meine Beweise ...«

Und er neigte sich tief zu Ferdinand nieder, als müsse er ihm ein sehr pikantes Geheimnis anvertrauen. Das Flaumgefieder eines Vogels tanzte auf der absurden Schädelspitze:

»Bei meiner Ausführung, Herr Leutnant, ist noch jedem das Glied gestanden! Das kann ich beschwören.«

Ferdinand setzte sich auf:

»Sind Sie nun fertig?«

Der Virtuose strich noch einmal mit liebkosendem Streicheln über sein Werk.

»Fertig, Herr Leutnant! Ich bringe die Kleider.«

Ferdinand vollendete seinen Anzug erst vor dem Tor. Andere Offiziere sahen ihm erstaunt und mißbilligend nach. Als er zu Hause ankam, warf sich neuerdings die schwerste Müdigkeit auf ihn. Er legte sich, wie er war, aufs Bett und befahl dem Burschen, ihn nicht zu wecken. Er hörte noch, wie Josef ihn mehrmals auffällig ernsthaft vermahnte:

»Herr Leutnant, eine wichtige Sache ist von der Division gekommen, ein dicker Brief mit Dienstzettel. Sie haben auch schon zweimal von der Kanzlei angerufen, daß Herr Leutnant den Empfang gleich bestätigen soll.«

Ferdinand überlegte in seiner Betäubung: Die Division? Unmittelbar an mich?! Das ist etwas sehr Ernstes! Sie haben telephoniert, Bestätigung verlangt? Das ist vielleicht etwas Schreckliches. Ein versiegeltes Kuvert, Herr Gott! Ach was? Warum soll ich mir die Nacht verderben? Ich bin ja so müde. Muß ich denn immer zu Hause sein? Jetzt hab ich dienstfreie Zeit. Das Schreckliche läuft mir nicht fort. Jetzt darf ich schlafen, wer weiß, vielleicht zum letzten Male schlafen! Und ohne sein Gesicht von dem Briefe auf dem Tisch abzuwenden, der in der Dämmerung leuchtete, ergab er sich dem Nichts.


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