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Achtes Kapitel.
Phöbus, der Hahn

»Ich glaube, wir werden uns die Distinktionen heruntertrennen müssen, damit wir nicht durchgeprügelt werden«, sagte Ronald Weiß zu Ferdinand.

Sie traten in ein Haustor. Weiß zog eine Nagelschere aus der Tasche, mit der sie sich gegenseitig die goldenen Sterne vom Uniformkragen und die kaiserliche Rosette von der Kappe schnitten.

»So, jetzt hab ich endgültig abgerüstet«, meinte Weiß. »Die letzte Gage schenke ich dem Vaterland. Nur um die Zigarettenfassung tut es mir leid. Beim Militär hat man wenigstens anständig zu rauchen gekriegt.«

Er verwahrte die Distinktionen behutsam in seiner Brieftasche. Die Vorsicht aber erwies sich als unnötig, denn nirgends in der Stadt war Erbitterung oder beginnender Aufruhr zu merken. Auf gewissen Plätzen kam es zwar zu Ansammlungen, vor dem Parlament, vor dem Ständehaus, vor einigen Ministerien, aber all diese Menschenhaufen bestanden aus nicht minder betretenen als neugierigen Bürgern und aus dem Totenvolk der Frontsoldaten, die nicht wußten, was und wie ihnen geschah. Sie starrten die Schwätzer, die sich zum Mittelpunkt aufwarfen, mit den weitaufgerissenen Schreckensaugen an, die sie aus dem Trommelfeuer heimgebracht hatten. Kein Racheblitz schoß aus diesen Augen. Sie waren bis zum Rand gefüllt von hilfeflehender Ratlosigkeit und rührender Bereitschaft.

Nur auf dem Ballhausplatz schwoll die Menge im Laufe des Vormittags an. Aber der Krawall, in den sie hie und da ausbrach, war recht kleinlaut. Nicht aus gepeitschten Leidenschaften spritzte das Geschrei hervor, sondern weit eher aus einem angestrengten Pflichtgefühl, das der furchtbaren Stunde irgendeinen Beweis von Tätigkeitsdrang entgegensetzen wollte. Verlegen nahm das herrliche Kaunitzpalais, wo das »Ministerium des k. u. k. Hauses und des Äußeren« die Geschicke Österreichs leitete, den Lautschwall eines unklaren Volkswillens entgegen.

Nachdem der Chor einige »Hoch« und »Nieder« absolviert hatte, trat auf den Prunkbalkon des Palastes ein überaus feiner Herr, der in einer Ansprache mit ungarischem Akzent behauptete, der letztgefaßten Initiative des Ministeriums winke Erfolg, der Friedensschluß und somit auch die glückliche Lösung aller Konflikte innerhalb der Monarchie sei nur mehr eine Sache von Tagen. Bis dahin bitte er die vielbewährte Bevölkerung der Reichshaupt- und Residenzstadt, standhaft zu bleiben und Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten. Er breitete vornehm beschwörend die Arme aus, wodurch er das Aussehen eines père noble älterer Komödienschule gewann, der sich demütig und hoheitsvoll zugleich vom Publikum verabschiedet. Seine Gebärde lockte neuerliche »Hoch«- und »Nieder«-Rufe hervor, die zu einem unkenntlichen Lärm- und Gesinnungs-Brei verschwammen.

Weiß machte den Vorschlag, gewisse Spitäler und Kasernen aufzusuchen, wo es seines Wissens revolutionärer zugehe als hier. Ferdinand hängte sich in den Kameraden ein. Ronald war doch ein Prachtkerl. Seine Lebenslüsternheit steckte an. Man konnte wunderbar mit ihm bummeln. Er prägte den Satz:

»Wenn die Welt untergeht, ist es eine Lust zu leben.«

Auch Ferdinand empfand jetzt nichts anderes als diese eigentümlich-gefahrgierige Lust. Die geistige Anstrengung der letzten Tage, der Versuch, sich auf das Kommende vorzubereiten, versank, nun es unmittelbare Wirklichkeit ward. Ferdinand und Weiß waren frei, arm und jung. Abenteuer lagen vor ihnen wie Geschenke. Geduckt schlichen die schäbig gewordenen Bürger ihres Weges. Sie wagten kaum zu atmen. Ihr Leben schien vernichtet. In Ferdinands Ohr aber klang Krasnys Vers nach:

»Was kann ich Besonderes tun?
Ohne Sorge sein!«

In den Grinzinger Baracken, wohin sie sich begaben, ging es ganz anders zu als auf der Straße. Soldatenversammlungen wurden dort abgehalten. Es herrschte ein unentwirrbares Toben und Brüllen, aus dem sich weder die Worte der Redner noch die gefaßten Beschlüsse abhoben. Dennoch sah auch hier der größere Teil der Mannschaft dem Treiben nur mit blinzelndem Erstaunen zu. Während des unerschöpflichen Tumultes holten die Leute ihre Menage. Sie löffelten stehend ihre Schalen aus und brockten andächtig das widerliche Maisbrot ins Essen. Ungerührt gleichgültig stand ein Feldwebel in der Brandung und trug in ein Kanzleibuch irgendwelche »ausgegebene Sorten« ein. Unberührt ruhig waltete er seines Amtes, als wäre er überzeugt, daß derartige lärmende »Vorfallenheiten« dem eisernen Bau des allerhöchsten k. u. k. Dienstes nichts anhaben könnten. Wie er, dachte zur Stunde noch die Hälfte der Soldaten. Hätte eine martialische Erscheinung jetzt die Versammelten mit dem energiegeladenen Worte »Vergatterung« angebrüllt, sie wären auseinandergefahren und vorschriftsgemäß angetreten.

Einige Zivilisten mischten ihr wichtigtuerisches Schwarz in das feldgraue Gewoge. Auf ihren Gesichtern lag schon das finstere Unbehagen der überraschend hereingebrochenen Verantwortung.

»Die initiativen Führer des Jännerstreiks«, erklärte Weiß, »die gestern aus der Haft entlassen worden sind.«

Nichts »Initiatives« gewahrte Ferdinand an diesen Menschen, sondern eher eine hilflose Müdigkeit, wie sie vielleicht eine Folge jeder Kerkerhaft ist. Einer von diesen Männern wurde durch einen zerknitterten Cutaway und längliches Haar zum »weltfremden Idealisten« gestempelt. Er sah aus wie ein kleiner Buchhalter, der die Hälfte seines Gehalts für Konzertbesuch ausgibt. Seine weichmütigen Augen schienen hinter der menschenfreundlichen Brille immer in Tränen zu schwimmen. Weiß machte ihn mit Ferdinand bekannt, dessen Hand er lange, geistesabwesend und ergriffen in der seinigen hielt.

»Sie werden heute nachmittag bestimmt bei Wawra erwartet ...« ermahnte ihn Weiß.

»Ich komme selbstverständlich ... Die Adresse hab ich ja ...«

Und er suchte mit höflicher Verzweiflung, aber vergeblicher Mühe in seiner Tasche nach einem Zettel. Weiß schrieb auf einen neuen die betreffende Straße und Hausnummer. Der Verzweifelte nahm ihn entgegen und schaute erschüttert drein.

»Sie müssen mich entschuldigen, meine Herren, ich weiß wirklich nicht, wo mir der Kopf steht.« Er trat zu einer Gruppe und hörte geistesabwesend-ergriffen ihrer wirren Debatte zu.

»Eine Größe der neuen kommunistischen Partei«, belehrte Ronald seinen Freund.

Am oberen Ende des Raumes waren mehrere Tische zusammengeschoben worden. Auf diese Rednerbühne sprangen in pausenloser Folge tollfuchtelnde Soldaten und peitschten mit ihren Ansprachen die Menge. Diese Ansprachen waren zumeist sehr kurz, denn der Wortschatz der Redner ging schnell zu Ende. Dennoch konnte man, auch nahe herantretend, kaum ein Wort verstehen. Gerät der waschechte Wiener Dialekt in Siedehitze, so versinkt der Sinn des Gesagten allzu leicht in den veränderten Selbstlauten und langgezogenen Endsilben.

Das rasch wechselnde Hinauf- und Hinabspringen der Sprecher übte eine betäubende Wirkung aus. Ferdinand glaubte zuletzt, es sei immer derselbe Soldat, der, irrsinnig geworden, unablässig emporhüpfe, brülle, niedertauche und wieder erscheine.

Nicht die schwärzlichen Herren, sondern dieser Soldat allein war der Ausdruck des allgemeinen Willensdranges. Aber dieser Willensdrang schien keiner gemeinsamen Sache zu gelten und erschöpfte sich in einer sinnlos-gleichbleibenden Bewegung, die dem Tollheitstanz eines beachtungswütigen Ich ähnlich sah.

Nachdem sie eine Stunde lang Staub und Krawall geschluckt hatten, ohne auch nur einen vernünftigen Satz zu hören, verließen Ferdinand und Ronald die Baracken.

Weiß zeigte sich nobel und lud den Freund in ein besonders gutes Restaurant zum Mittagessen. Hier bekam man auch noch in diesen Katastrophentagen seltene oder verbotene Gerichte. Die prickelnde Bummelstimmung stieg wieder auf:

»Also, ich sag dir«, prahlte Weiß, »alle großen Momente der Weltgeschichte schauen so aus wie diese Versammlung. Auch zu Beginn der Französischen Revolution haben die Leute durcheinandergebrüllt und nicht gewußt, was eigentlich los ist. In »Schlossers Weltgeschichten aber kann man lesen: ›Am vierundzwanzigsten desselben Monats beschloß Mirabeau ...‹ Einen Dreck beschloß Mirabeau! Er ging spazieren, so wie ich heute. Und in hundert Jahren wird man in der neuesten Auflage vom Schlosser lesen: ›Zu Ende desselben Monats beschloß Ronald von Weiß, der ähnlich wie Mirabeau einem altadeligen Geschlechte entstammte, die Zügel der großen Revolution zu ergreifen ...‹ Ganz genau so wird man es lesen. Glaubst du nicht? Wie? Was?«

Auf Ronalds lustigem Indianergesicht leuchtete die sympathische Lausbüberei, mit welcher er ernsthaft jene Entdeckung zu verfechten pflegte, Napoleon sei nicht aus Korsika gebürtig, sondern ein junger Mann namens Neplatil gewesen, den das Schicksal an die Kriegsschule von Brienne verschlagen habe, um aus ihm den großen Korsen zu machen.

Ferdinand lachte:

»Wirst du daran zweifeln, ob du gelebt hast, wenn du eine geschichtliche Figur geworden bist, Weiß?«

»Die Frage, mein Lieber, zeigt, daß du nicht umsonst die Ausbildung des Säulensaals genossen hast«, meinte Weiß voll Anerkennung.

Indessen war es drei Uhr geworden. Auffällig leer lagen die Straßen.

»Wir haben gerade noch Zeit, einen schwarzen Kaffee zu trinken«, stellte Weiß fest. »Um halb vier aber müssen wir zu der illegalen Sitzung gehen ...«

»Davon weiß ich ja gar nichts. Kann ich denn dorthin überhaupt mitkommen?«

»Du bist vielleicht eine wichtigere Nummer, als du selber weißt«, orakelte Ronald.

Ferdinand war sehr damit einverstanden, einer »illegalen« Sitzung beizuwohnen. Ohne davon zu sprechen, spürte er in allen Gliedern die Größe dieser Tage. Die Sucht nach unerhörten Ereignissen berauschte ihn. Wie verschwörer-kühn klang schon dieses Wort: Illegal! Auf einmal platzte solch ein Begriff in die Zeit, den gestern noch die wenigsten gekannt hatten. In eine stolze Sinn-Wolke war das Wort eingehüllt. Nur Auserkorene durften es gebrauchen.

Die illegale Sitzung fand in einem Atelier statt, ziemlich weit draußen im siebenten Bezirk. Als Weiß und Ferdinand eintraten, waren in dem Raum schon etwa fünfzehn Herren versammelt. Gebhart begrüßte Ferdinand mit großer Wärme. Er machte einen ungewöhnlich feierlichen Eindruck. Auch Stechler war da.

Wawra, der kleine tschechische Musiker, der in dem Atelier wohnte und es bewachte, vertrat den abwesenden Hausherrn. Wie die meisten Tschechen hatte er den ganzen Krieg über eine korrekt-undurchdringliche Miene zur Schau getragen. Heute aber gelang es ihm kaum mehr, seinen Gleichmut zu wahren. Der blonde Schopf hing ihm erregt in die Stirn. Unwillkürliche Verzerrungen überschauerten sein Gesicht. Es war ja nicht zu ertragen. Zur gleichen Stunde riefen sie in Prag vielleicht schon die Republik aus. Seit drei Jahrhunderten Sklaverei der erste Tag der Unabhängigkeit. Sein Volk frei! Und er mußte hier in dieser rückenmarkslahmen Stadt sitzen, unter kastrierten Schwätzern, die nirgends hingehörten und sich deshalb so wichtig machten. Haargenau vor dreihundert Jahren hatte das Elend und die Entehrung der böhmischen Nation eingesetzt, als man damals die kaiserlichen Statthalter aus einem Fenster des Hradschins in den Hirschgraben warf. Würde man heute die Epoche der Sklaverei mit einem zweiten Fenstersturz beschließen? Ein Statthalter stand ja wiederum zur Verfügung. Oh, Wawra wäre am liebsten durch die Straßen Wiens gerannt und hätte geschrien. »Herunter vom Gehweg! Jetzt seid ihr die Sklaven und wir sind die Sieger!«

Da dies nicht möglich war, beugte er sich, um seinen leidenschaftlichen Gemütszustand zu verbergen, über eine merkwürdige Umfriedung, die einen Teil des großen Atelierraumes einnahm. Es war eine Art offenen Käfigs, in dem ein paar Hühner, von einem großen und unnahbaren Hahn beaufsichtigt, Körner pickten. (Selbstversorger nannte man damals die Besitzer von solch städtischer Landwirtschaft und Viehzucht, die in Wohnräumen oder Stiegenhäusern untergebracht war.) Wawras harte Sprechweise konnte den zitternden Triumph nicht verhehlen:

»Schön ist der Hahn! Was? Er heißt auch Phöbus.«

Und er setzte hinzu:

»Man könnt ihn vielleicht auch Chantecler nennen. Ist er nicht das Wappentier der französischen Nation?«

Er hatte das Gefühl, durch die Erwähnung des Siegers einen scharfen Hieb geführt zu haben. Niemand verstand seinen Angriff. Wawra galt als guter verläßlicher Sozialist. Jetzt aber konnte er kaum die Tränen zurückhalten vor nationaler Siegestrunkenheit und vor Schmerz, der Heimat in diesen glorreichen Stunden fernbleiben zu müssen.

Das allgemeine Interesse wandte sich von den Hühnern ab.

Stechler entwickelte einen großzügigen kunstrevolutionären Plan. Er tat dies mit Begeisterung, mit vorstädtisch gefärbten Wissenschaftlichkeiten und mit fühlbarer Angst, nicht vollgenommen zu werden.

Das bisherige Ausdrucksmaterial der Kunst, behauptete er, sei bürgerlich; bürgerlich die Formenwelt der Malerei, bürgerlich die Syntax der Sprache, bürgerlich das Tonartensystem der Musik. Eine der brennendsten Aufgaben der proletarischen Diktatur müsse es demnach sein, das Eindringen des vergiftenden bürgerlichen Formenschatzes in die neue Zeit und in die neue Kunst zu verhindern. Mit aller Kraft sei dahin zu wirken, daß nicht das künftige Kommissariat für Volksbildung in die Hand irgendeines alten sozialistischen Parteitrottels falle, sondern an einen wirklich modernen Mann (er für seine Person schlage Archer vor), der, zum Radikalismus ehrlich entschlossen, von Staats wegen den Gebrauch schon vorhandener Worte, Sätze, Tonarten, sowie jegliche Abbilderei der Natur verbiete.

Gebhart erhob sich. Sein verwittertes Knabengesicht lächelte höflich. Er forderte je früher je besser ein »Ministerium zur Liquidierung der bürgerlichen Familie und Sexualität«. Er sagte nicht »Volkskommissariat«, sondern wirklich und wahrhaftig »Ministerium«, welches Wort er mit dem altösterreichischen Beamtentonfall aussprach, der ihm eigen war. Hingegeben leuchtete er und schien das Groteske dieser Wortverbindung gar nicht zu spüren. Weiß konnte sich eines Witzes nicht erwehren, den ein anderer ausschmückte. Man lachte. Ein unernster Ton kam in die illegale Sitzung, noch ehe sie recht begonnen hatte.

Der weichmütige Herr im zerknitterten Cutaway, den Ferdinand heute in den Baracken kennengelernt hatte, fühlte als Politiker nun die Verpflichtung, die verfahrene Debatte auf den rechten Weg zu bringen:

»Genossen, was Sie hier vorbringen, ist gewiß alles sehr wichtig. Aber Kulturfragen kommen vorderhand noch nicht in Betracht. Es handelt sich um die Machtergreifung. Bleiben Sie, bitte, bei der Wirklichkeit!«

»Das können die Genossen ja gar nicht ...«

Dieser Satz kam aus der Ecke des Ateliers her, wo der Hühnerstall aufgeschlagen war. Ein Mann hatte ihn ausgesprochen, der einen schwarzen Sweater, Militärhosen und Wickelgamaschen trug. Nicht sofort erinnerte sich Ferdinand, daß er diesen Menschen in der Küche des Dunajower Wunderrabbi schon gesehen hatte. Fragend neigte er sich zu Weiß.

»Elkan heißt er und soll bei der Oktoberrevolution in Petersburg eine Rolle gespielt haben«, flüsterte Ronald.

Elkan sprach kein übles Deutsch, trotz des starken russischen Beiklangs. Es war aber eine bewußte, eine gepflegte Gebrochenheit in seiner Ausdrucksweise, denn er schien ein fabelhafter Wortbeherrscher auch im Deutschen zu sein. Noch stand er mit der unverkennbaren Scheu eines Fremden in jener Ecke. Die Magerkeit seiner Gestalt, sein merkwürdiger Anzug, das lauernde Abseitsstehn gaben seiner Haltung etwas unangenehm Feiges. Er glich einem verhaßten Tier, das das Rudel von ferne feindselig und gierig betrachtet. Aber die Lage veränderte sich unaufhaltsam. Elkans scharfgeschnittenes Gesicht, die wachsende Entschiedenheit seines Wesens und ein rasender Hochmut gewannen Schritt für Schritt Raum. Selbst Gebhart – ein Schwärmer, der freilich bis ans Ende ging, aber ein Schwärmer – wurde eingeschüchtert. Die andern, nur allzusehr jeder Entwertung zugänglich, waren schnell zur Unterwerfung bereit.

»Die Genossen wissen von der Wirklichkeit wenig«, fuhr Elkan mit frecher Angriffsbereitschaft fort, »die Revolution aber ist eine furchtbare wirkliche Sache. Was Sie da zusammengeredet haben, Genossen, ist alter literarischer Kohl, sind Ästheten-Sorgen von 1910 und der typische Zeitvertreib von kleinbürgerlichen Intellektuellen ...«

Es war sehr still geworden.

»Das Proletariat braucht vorläufig die kleinbürgerlichen Intellektuellen, aber sie werden ihre Träumereien der Disziplin unterwerfen müssen.«

Gehört er denn zum Proletariat, fragte sich Ferdinand. Er sieht nicht so aus, als hätte er im Leben auch nur eine Stunde mit der Hand gearbeitet.

Elkan reihte seine schneidenden Sätze weiter aneinander:

»Im Jahre 1905 haben wir Russen« (das »wir« hatte einen übertriebenen Klang) »den Fehler gemacht, eine gefühlsmäßige und idealistische Revolution anzufangen. Wir haben es blutig bezahlen müssen.«

Elkan hatte sich bisher vom Hühnerstall nicht fortgerührt. Daß er diese Entfernung zwischen sich und den anderen wahrte, wirkte trotz seiner scharfen Worte wie ein Rest von Angst und Schüchternheit. Jetzt aber trat er vor und rief laut:

»Die Revolution ist kein Gedicht und kein Aufsatz in einer futuristischen Kunstzeitung ... Sie ist eine Integralrechnung!«

Aha, ein falscher Ton! Es ging wie eine Erleichterung durch die Gesellschaft. Der zugespitzte Satz und der pathetische Schritt beeinträchtigten sogleich Elkans Wirkung, denn das Spiel des menschlichen Überlegenheitskampfes schwankt bei der feinsten Unechtheit.

Ein älterer Mann kam zu Worte. Es war ein Bankbeamter mit einer mächtigen Glatze, demütigen Hängebäckchen und plattgedrückter Nase. Dieses Gesicht wirkte wie eine allegorische Darstellung der Menschenfurcht. Die schleppende, gleichsam schlaftrunkene Stimme des Bankbeamten warnte. Er stehe länger in der Bewegung als all die Leute, die seit ein paar Tagen das Maul aufreißen. Was man jetzt zu hören bekomme, sei verantwortungsloses Gewäsch, das sich auf Kosten des Proletariats und seiner ruhigen Entwicklung wichtigmachen wolle. Gerade wer wissenschaftlich materialistisch denke, müsse sich klar darüber werden, daß der historische Augenblick der Machtergreifung noch nicht gekommen sei. Die Niederlage des preußischen Militarismus müsse zugleich als ein Sieg des westlichen Hochkapitalismus gewertet werden. Darin liege die tiefere Wahrheit der Ereignisse. Die Weltrevolution sei eine aufgeregte Wahnvorstellung.

»Wir stehen«, schloß der Besonnene, »vor gar keiner Revolution, sondern nur vor einer schweren Elementarkatastrophe.«

In diesen Stunden konnte die ruhige Auffassung des Bankbeamten nur verstimmend wirken. Elkan hatte es leicht, den alten Sozialdemokraten verächtlich zu machen.

»Die Geschichte mit der Naturkatastrophe«, sagte er gelangweilt, »ist eine der abgetragenen Phrasen des vorkommunistischen Rußlands. Sämtliche Zeretelis und Kerenskis bei uns haben mit der ›Naturkatastrophe‹ nur so herumgeworfen. Naturkatastrophen, Genossen, sind immer reaktionär. Die Revolution ist kein Elementarereignis, sondern ein Willensakt. Wir Bolschewiki wollen die Katastrophe benützen wie Dampf und Elektrizität ...«

»Bitte, Rußland ist ein ganz anderer Fall. Wir sind hier Gott sei Dank nicht in Asien«, warf der Bankbeamte ein.

Der Herr im zerknitterten Cutaway erwog:

»Unsere Bedingungen dürften für die Revolution nicht ungünstiger sein als die russischen.«

»Sie sind viel günstiger«, entschied Elkan. »Ihr besitzt in Mitteleuropa eine ausgebildete Maschinerie, die uns fehlt.«

Auch der Begriff »Maschinerie«, was so viel wie Industrieanlagen bedeutet, war eines jener Kunstworte, durch die sich der Eingeweihte vom Laien abheben wollte. Ferdinand staunte, bis in welche Ritzen eines anscheinend so sachlichen Gesprächs die Eitelkeit eindrang.

Ehe noch über diesen Gegenstand ein Streit entstehen konnte, hob der Russe die Hand:

»Genossen, ich hasse jede ideologische und hochpolitische Zeitverschwendung. Ich bitte Sie, mir ein paar Minuten Redezeit zu gewähren, damit ich sagen kann, wie meine Freunde und ich die Lage beurteilen.«

Der Herr im Cutaway verneigte sich.

»Aber, ich bitte sehr, wir sitzen hier doch ganz formlos beieinander ...«

Und zur Gesellschaft gewandt:

»Unterbrechen Sie, bitte, den Genossen Elkan nicht!«

Elkan nahm behaglich Platz. Er reckte genießerisch seine Glieder in dem allgemeinen Schweigen und in der unbeschränkten Redezeit, die er sich erobert hatte. Wie ein Raucher das Aroma der Zigarette langsam in die Lunge zieht, damit es den ganzen Körper durchdringe, so ließ sich Elkan vom Aroma seiner gewonnenen Überlegenheit durchdringen.

»Eines müssen Sie sich klarmachen, Genossen«, begann er in seiner verletzend-belehrenden Weise, »daß es in diesem Moment auf die organisierte Arbeiterschaft nur in zweiter Linie ankommt. Darin liegt unsere große Chance, den alten Führern die Macht zu entwinden. Die Revolution ist gegenwärtig ein rein militärisches Problem. Ich bin in der Lage, Ihnen Dinge verraten zu können, von denen Sie natürlich keine Ahnung haben. Es handelt sich im Süden nicht um eine gewöhnliche Niederlage. Meine Freunde und ich haben Meldungen, daß sich seit Tagen die österreichisch-ungarischen Frontabschnitte in voller Auflösung befinden. Die Truppen verlassen ihre Stellungen, plündern die Depots und stürmen die Zugsgarnituren. Die Offiziere fliehen, halten sich versteckt oder versuchen es, sich dem Chaos anzubiedern. Irgendeine Befehlsgewalt besteht nicht mehr, ebensowenig wie eine allgemeine Idee, die dem Treiben eine Richtung gibt. Die Parole heißt, wir wollen nach Hause. Die riesigen Massen fluten zurück und wissen nicht, was geschieht. So liegen die Dinge, Genossen! Die nächste und einzige Aufgabe der Revolution aber ist es, diese zurückströmenden Truppen in die Hand zu bekommen und ihre Wut in klassenkämpferische Energie zu verwandeln. Wenn das gelingt, ist alles entschieden, die Arbeiter werden mitgerissen, die sozialpatriotischen Führer fortgejagt und die Bourgeoisie überwältigt. Dieses Ziel muß klar festgehalten werden. Es drohen natürlich unendliche Gefahren. Der Nationalismus vor allem. Er ist die kleinbürgerliche Hintertür, durch welche man die soziale Erbitterung ins Haus der Reaktion lockt. Alle Nationalverbände der österreichischen Völker haben ihre Leute an die Front geschickt, um auf dem Feuer der Meuterei ihre spießerhafte Bettelsuppe zu kochen. Eine andere Gefahr ist die ›Gemütlichkeit‹ dieser Stadt. Ich habe vor dem Krieg schon viele Jahre lang in Wien gelebt. Ich kenne es. Achten Sie auf eines, Genossen! Wir dürfen uns nicht durch kleine Teilerfolge betrunken machen lassen. Es genügt nicht, daß uns hier in Wien eine verkommene Rotte von Urlaubern, Invaliden, Tachenierern und Radaumachern zufällt, von denen alle Spitäler und Kasernen voll sind. Wir brauchen wirkliche Soldaten, Frontsoldaten! Und wir brauchen nicht nur ein paar Kompagnien, sondern ein paar rote Divisionen, die sofort errichtet werden müssen.«

»Aber die Entente?« fragte jemand.

Dieser Zwischenruf machte Elkan nicht irre:

»Die Entente kennt nur eine Militärpolitik: Das Eindringen bolschewikischer Ideen in die eigenen Heeresmassen zu verhindern. Ich kann Ihnen, Genossen, aus bester Quelle mitteilen, daß ihr das auf die Dauer nicht gelingen wird. Italien ist so nahe schon an der Revolution, daß ihm nur ein aufgebauschter Sieg über die nächsten Monate hinweghelfen kann. Es wird niemals wagen, Truppen in ein Land zu schicken, wo die Revolution siegreich ist. Wir werden selbstverständlich auch eine gute Preßzentrale brauchen, die im Ausland Schreckensnachrichten über unsern Fanatismus, unsre Grausamkeit und Stärke wirksam placiert.«

»Und wie stellt sich der Genosse Elkan die Errichtung einer Roten Armee vor?« fragte Weiß.

Elkan sah belästigt zur Seite:

»Das sollte der Genosse Weiß besser wissen als ich, denn er ist Offizier. Man wird im allgemeinen die Genossen Offiziere scharf heranziehen müssen.«

Damit bin ich gemeint, spürte Ferdinand.

Im Laufe einer halben Stunde hatte sich Elkan aus einem unsicher-überheblichen Menschen in einen aufgeblasenen Napoleon verwandelt. Er saß mit übergeschlagenen Beinen auf einem Stuhl, während andere um ihn herumstanden. Es war wie ein dekoratives Bild: ›Im Zelte des Feldherrn‹. Elkan schien sogar weit weniger mager zu sein als vorher. Seine Dürftigkeit hatte einer stolzen Sättigung Platz gemacht. Solche Verwandlungen kann eine verdurstete Seele leibhaftig erzeugen, wenn sie sich mit Überlegenheitsgefühlen anschlemmt. Mit der Miene eines Mannes, dessen richtunggebender Geist sich leider auch um Kleinigkeiten kümmern muß, ging er auf Ronalds Frage ein:

»Das Detailprogramm wird Sache eines militärischen Ausschusses sein müssen. Ich für meine Person glaube, daß es wichtig ist, schon in den nächsten Tagen die Bahnhöfe von Wien, Innsbruck, Salzburg in die Hand zu bekommen. Es muß auch so schnell wie möglich das Einvernehmen mit den Eisenbahnern gepflogen werden, die schon zum größten Teil von den Sozialdemokraten abgefallen sind. Ehe die Truppentransporte noch wissen, was los ist, werden sie uns gehören.«

Ein Mann betrat mit zwei großen Paketen das Atelier. Elkan erhob sich:

»Ah, der Genosse bringt uns die Flugblätter ... Das Atelier ist doch vollkommen zuverlässig? Wie?«

Alle begannen nun Wawra, den Musikanten, als einen alten und bewährten Kämpfer zu loben. Man suchte ein Versteck für die Flugblätter. Endlich wurden sie im Hühnerstall verstaut. Gebhart, dessen Anarchistenherz die Verschwörungsgesten liebte, häufte eigenhändig Stroh über die beiden Pakete.

Jemand hatte eine Flasche Schnaps in die illegale Beratung mitgebracht. Dies war ein sehr einheimischer Zug. Der Ernst der Lage schloß das bißchen Vergnügen nicht aus, ja forderte es sogar.

Die meisten der Anwesenden waren der gleichen Meinung. Elkan aber mit seiner hochfahrenden Sachlichkeit wirkte bedrückend. Der Schnapsspender schämte sich, seine Flasche kreisen zu lassen, und stellte sie für eine günstigere Gelegenheit neben die Flugblätter in dem Hühnerstall bereit.

Die Wechselrede, die sich nun entspann, zeigte, daß der scharfe Kriegsplan der Russen der Mehrzahl einleuchtete oder wenigstens ihr keinen Widerspruch entlockte. Man war hier aus unbestimmter Leidenschaft und aus Neugierde zusammengekommen, ohne sich über die Marschrichtung den Kopf zerbrochen zu haben. Elkan wies einen logisch überzeugenden Weg. Heute waren unter dem Schlagwort »Rache für den Krieg« die bewaffneten Massen fraglos zu gewinnen. Weiß schauderte unter der abenteuerlichen Phantastik dieser Vorstellung. Noch nie, seit die Welt bestand, hatte es ein stärkeres Werbewort gegeben. In allen Ländern, bei allen Nationen mußte es einschlagen und das Bild der Erde verändern. Auch Gebhart war hingerissen von solchen Gedanken. Daß ein so tiefer Verfechter der Gewaltlosigkeit in militärischen Bildern schwelgte, war in jenen Tagen der Tollheit nichts Auffälliges. Nach vier Jahren beispielloser Erniedrigung schrie jede Seele, die von ihr getroffen war, nach Rache. Nur die ältere Generation und die geschütztesten Stände konnten das nicht verstehn. Der alte Bankbeamte hielt sich die Ohren zu und verließ mit einem Kassandraruf das Atelier.

»Sind wir uns klar über die Parole?« fragte Elkan. »Zunächst Gründung einer roten Wehr als Kerntruppe!«

Hände erhoben sich.

»Ich bitte also die militärischen Genossen, sich bereitzuhalten.«

Wie komisch ist doch die Welt, dachte Ferdinand. Vor ein paar Wochen bin ich dem Militär entlaufen. Und heute gehe ich, nichts ahnend, in den fünften Stock eines ganz gewöhnlichen, harmlosen Hauses und scheine wieder »einrückend gemacht« zu sein. Wer mag unter diesem Atelier wohnen? Kleine Geschäftsleute. Stille Familien. Ein Zahnarzt. Ein Schreibmaschinenbureau. Wir heroben würfeln über ihr Schicksal, und sie wissen nichts davon. Das hat etwas Großartiges. Und er lächelte leichtsinnig zu diesem Gedanken, denn das sonderbare lustvolle Erwartungsgefühl (man könnte es fast »Bewußtsein der Geschichte« nennen) prickelte immer stärker in ihm.

Inzwischen gab Elkan, dessen Kopf nun ganz welterobererhaft aus dem schwarzen Sweater hervorwuchs, neue Verhaltungsmaßregeln:

»Wir werden heut abend alle die große Soldatenversammlung in den Drehersälen besuchen. Melden Sie sich so oft wie nur möglich zu Wort. Es wird keine besondere Kunst sein, in dem richtungslosen Geschwafel schnell einige Führerpositionen zu erstürmen. Heute abend aber ist es noch nicht ratsam, das Schlagwort von der Roten Wehr oder Roten Garde in die Menge zu werfen. Diese Parole könnte im gegenwärtigen Augenblick ein paar Generalen und der alten Macht den Mut der Verzweiflung geben. Das ist ganz überflüssig. Wir dürfen ruhig auf ihren vollkommenen Nervenzusammenbruch warten. Auch die wahren Verhältnisse an der Front werden erst morgen oder übermorgen klar sein. Halten Sie sich deshalb lieber an Allgemeinheiten, fordern Sie eine neue Weltordnung, die Abschaffung des Krieges und ähnlichen pazifistischen Blödsinn. So im Gespräch darf man natürlich die Aufstellung einer Roten Armee propagieren. Es ist wichtig, daß in den nächsten Tagen diese Idee dem Anschein nach aus der Masse selber taucht. Man könnte auch schon beginnen, Abzeichen zu tragen. Das wirkt ansteckend.«

Weiß war Feuer und Flamme:

»Ja, das ist sehr wichtig. Wir müssen schon als Vertreter der sozialen Republik zu Dreher kommen. Zivilisten mit roter Armbinde! Militärpersonen mit rotem Band auf der Kappe! Morgen laufen dann Tausende so herum. Wer verschafft uns roten Stoff?«

»Ich«, schrie Wawra, der bisher ziemlich teilnahmslos in die Betrachtung des königlichen Hahnes Phöbus versunken war:

»In der Bodenkammer nebenan liegt eine ungarische Fahne, die sie immer mit hinausgesteckt haben, wenn die großen Siege unserer glorreichen k. u. k. Armee amtlich verlautbart wurden. Hahaha! Eingedenk der Lorbeerreiser, Gut und Blut für unsern Kaiser! Hahaha! Lemberg noch in unserm Besitz ...«

Mit diesem Triumphruf, den er mehrmals wiederholte, stürzte er ab und kam nach einer Weile samt einer riesigen Fahne wieder, die er hinter sich herschleifte. Rot, Weiß, Grün! Oh, welche Freude, den verdammten Magyaren ein Stück blutiges Rot aus dem Leibe zu reißen! Niemand bemerkte die Gefühlswallungen, die Wawra schüttelten. Vier Jahre Verstellung hatten ihn gelehrt, eine Maske zu tragen. In seinem Siegesübermaß lief er zu dem Schneider im zweiten Stock und lieh sich eine große Schere und Sicherheitsnadeln aus. Auch verzichtete er nicht auf die Schicksalsgunst, das Rachewerk selber zu üben, und schnitt leidenschaftlich Stück für Stück aus Ungarns Fahne. Da habt ihr es nun, ihr Awaren, die ihr euch zu unseren Herren aufgeworfen habt! Mit welchem Recht, halbasiatisches Pack, hast du und deine Gentry die erste Geige gespielt? Da hast du es nun! So, so, so! Wo ist deine Kultur? Wo sind deine großen Komponisten, dein Smetana, dein Dvořak? Nichts als Csardas und Zigeuner, Zigeuner und Csardas! So, so, so! Das rote Tuch lag auf den Knien des Rächers, das weiße und das grüne fiel zur Seite hinab.

Während dieser Arbeit erschien ein dunkler Kopf in der Tür: Koloman Spannweit.

»Was wissen Sie Neues, Herr Chefredakteur?« scholl es ihm entgegen.

Er sah sich witternd um und sagte mit der müden Nachlässigkeit, die ein Zeitungsmensch großen Ereignissen entgegenbringt:

»Revolution und Unabhängigkeitserklärung in Prag.«

Einige riefen:

»Hoch Wawra!«

Der aber schnitt flink und gleichmäßig rote Bänder aus dem Fahnenstoff, wobei er den Kopf tief über seine Arbeit gesenkt hielt.

»Wie ist die Stimmung oben, Spannweit, bei Hof, Regierung und so weiter?« fragte Weiß.

»Benebbicht ist gar kein Wort mehr«, erwiderte ruhig der Mann der Information.

»Werden sie auf die Revolutionäre schießen lassen?« erkundigte sich ein Ängstlicher.

»Wer soll schießen?« Spannweit zuckte die Achseln. »Wen haben sie zum Schießen? In der Rossauerkaserne sind nicht einmal die Ordonnanzen für die Aborttour übriggeblieben. Heut hat mich die hohe Staatspolizei in der Redaktion angerufen. Wie ich die Lage beurteile? Ausgerechnet mich rufen sie an. Weit gebracht!«

»Und was haben Sie geantwortet?« forschten einige Stimmen.

»Ich hab ihnen natürlich geantwortet, daß ich die Lage sehr gut und sehr ruhig beurteile ... Aber was ist hier bei Ihnen los, meine Herrschaften?«

Elkan hatte sich längst von seinem Feldherrnsitz erhoben. Er zog den Sweater über die Hüften hinunter. Man spürte, daß er sich selber gefiel, was auch die Koketterie bewies, mit welcher er die Kehllaute der russischen Aussprache übertrieb:

»Was los ist? Wir haben alle durcheinandergeredet. Das ist los ... Übrigens, wenn Sie Neues erfahren wollen, kommen Sie heut abend zu Dreher. Dort ist eine große öffentliche Versammlung.« Spannweit zwinkerte:

»Brüderln, wann das so weitergeht, wer weiß, was wir alles erreichen können!«

Er wandte sich liebenswürdig an Ferdinand:

»Nun, Herr Leutnant, beschreiten Sie auch die revolutionäre Laufbahn?«

Ein ekelhafter Mensch! Ferdinand, der sonst immer Höfliche, konnte sich nicht überwinden und trat schweigend einen Schritt zur Seite. Dieser ablehnende Schritt zwang Spannweit zuerst eine Schmeichelei ab:

»Sie gehören zu den ganz Wenigen, die auch in gefährlicheren Zeiten etwas gewagt haben ...«

Ferdinand konnte, obgleich es ihm selbst peinlich war, noch immer nichts sagen. Spannweit, trotz seiner Erfolge maßlos empfindlich wie jeder vom Ursprung an Erniedrigte, fragte scharf:

»Wie meinen?«

Ferdinand wurde rot, lächelte wirr und brachte verlegen hervor:

»Pardon ... ich hab Sie nicht genau verstanden ...«

Höchste Zeit! Einige standen schon aufbruchsbereit an der Tür. Es wurde die Weisung ausgegeben, sich nach der Abendversammlung wiederum hier im Atelier einzufinden, um die Richtlinien des nächsten Tages zu beschließen. Wawra erhielt den Auftrag, die Wohnung ja nicht zu verlassen und die Konterbande treu zu beschützen. Er versprach alles und drängte die Letzten ungeduldig zur Tür hinaus.

   

Die große Abendversammlung bot anfangs ein ähnliches Bild, wie es Ferdinand schon einmal in den Baracken erlebt hatte. Einzig in der Form ging es ein wenig parlamentarischer zu. An einem langen Tisch saßen ein paar Chargen und Soldaten, in denen man unschwer Kanzleipersonal erkennen konnte. Unter ihnen schwang unablässig ein Korporal mit einem hübschen verwegenen Gesicht die Präsidentenglocke. Vergeblich versuchte er eine Reihenfolge in den Auftritt der Redner und den Gang der Debatte zu bringen, denn ohne Ordnung sprangen die Leute aufs Podium, schrien einige Sätze in den Saal und machten sich daraufhin eiligst davon. Was sie sagten, war immer das gleiche und bewies, daß sie von dem Zustand des Staates und den Möglichkeiten der nächsten Tage keine blasse Vorstellung hatten. Sie forderten die sofortige Beendigung des Krieges, die Abstrafung mißliebiger Vorgesetzter, den Entzug aller Vergünstigungen für die Offiziere und ähnliche Dinge mehr, die eher einer kleinlichen Meuterei als einer zielbewußten Aufstandsbewegung entsprachen.

Merkwürdig war es, daß die Leute, während sie vor der Menge standen, von Lampenfieber und Rednereitelkeit ergriffen zu sein schienen. Ihre Wangen glühten weniger von revolutionärer Erregung als von kindischer Verlegenheit. Sie gebrauchten mit Vorliebe die hochtrabenden Wendungen, die sie aus ihrer Zeitung kannten. Die Stunde schritt vor. Kein sinnvoller Antrag, kein klares Ziel entrang sich dem Lärm. Nichts anderes geschah, als daß dieses Soldatenvolk einander sein Leid klagte und sich gegenseitig in Wut zu bringen suchte.

Elkan hielt sich im Hintergrund und verhandelte ruhig mit ein paar Zivilisten, die Ferdinand nicht kannte. Seine Behauptung »Meine Freunde und ich« beruhte also auf Wahrheit. Die Ereignisse waren demnach mehr als ein Ausbruch des allgemeinen Kriegshasses und unerträglichen Hungerelends. Drahtzieher standen hinter ihnen. Gewiß nicht nur Elkan und seine Gruppe. Vielleicht wurde auf vielen Seiten zielbewußt gearbeitet, ohne daß es sich noch fühlbar machte. Von den Teilnehmern an der illegalen Sitzung hatte außer dem Herrn im zerknitterten Cutaway noch niemand gesprochen. Elkan wandte sich an Weiß und bat ihn, sich zum Worte zu melden. Die Ansprache eines Offiziers werde starke Wirkung üben.

Weiß bahnte sich einen Weg aufs Podium. Zunächst herrschte eine kühle und mißtrauische Stimmung. Die Sterne waren zwar fort, aber der Herr blieb kenntlich. Ronald begann zaghaft. Seine Phrasen schlugen nicht ein. Tonfall und Färbung kamen dem Ohr der Menge fremd vor. Plötzlich aber hatte Weiß den glänzenden Einfall, sich die goldene Tapferkeitsmedaille von der Brust zu reißen und mit großartigem Schwung in den Saal zu werfen. Dies war der erste starke Augenblick des ganzen Abends. Die Leute tobten. Durch die mächtige Wirkung beflügelt, glückte dem Redner ein Scherz, der populär genug war, in jedem Winkel der Versammlung verstanden zu werden. Das entfesselte Gelächter wirkte kräftigend wie eine Entscheidung. Was keiner blutrünstigen Tirade gelungen war, das Opfer der Medaille und ein grober Witz banden das kopflose Nebeneinander zu einer Einheit. Der Name »Genosse Weiß« pflanzte sich laut durch den ganzen Saal fort. Drei Minuten hatten genügt, und ein Führer war erstanden.

Ganz betäubt von seiner Wirkung und von neuen Anhängern umringt, trat der Siegreiche zu den andern. »Gut«, sagte Elkan sachlich, als wäre hiermit etwas lang schon Geplantes pünktlich eingetroffen, »Sie müssen dann später noch einmal sprechen.«

Weiß versuchte jetzt seinerseits, Ferdinand zu einer Rede anzueifern:

»Willst du nicht hinaufgehn? Es ist wirklich eine Sensation ...«

Wie einer, der ein erfrischendes Bad genommen hat, lud er den andern ein, nun auch ins Wasser zu steigen.

Ferdinand gab keine Antwort und löste sich unauffällig von der Gruppe. Er hatte Angst, daß er unter einen unerwünschten Zwang geraten könne. Neugierig durchstreifte er die großen Versammlungsräume. Die Menge war mittlerweile beängstigend gewachsen. Zu den Soldaten stießen jetzt Hunderte von Arbeitern. Sie sahen aufmerksam und prüfend drein. Man spürte sofort: Diese da lassen sich nicht überrumpeln. Scharfe Frauenstimmen begannen den unentwirrbaren Lärmakkord zu krönen. Die Sache mit den Abzeichen hatte Erfolg gehabt. Immer häufiger wurden die rotumschlungenen Kappen. Die blutigen Tropfen gaben dem Bild auf einmal Energie und Furchtbarkeit. Ferdinand verwunderte sich über die geheimnisvolle Macht der Nebensachen. Das Symbol zog die Wirklichkeit herbei.

In Gedanken verloren, geriet er wieder in die Nähe des Podiums. Weiß stand zum zweitenmal oben. Nun aber war nichts Anfängerhaftes mehr an ihm zu bemerken. Wie ein alter ausgepichter Demagog beherrschte er die Wirkung. Welch ein Talent! Er ging sogar – dies erfüllte Ferdinand mit besonderer Hochachtung – ganz frei und keck auf der Bühne umher, während er sprach. Die Menge lachte ihm mit jener unerschöpflichen Kreditfreudigkeit zu, die sie ihren Lieblingen gewährt. Wo nahm Weiß auf einmal den herzhaft urständigen Ton her, mit dem er seinen Willen auf die Menge übertrug? Es sollten morgen – so forderte er – in allen Spitälern und Kasernen Wiens Soldatenratswahlen vorgenommen werden. Pflicht der gewählten Vertrauensmänner sei es dann, dafür zu sorgen, daß keine Eigenmächtigkeit und nichts Unvorsichtiges geschehe. Alle aber müßten Gewehr bei Fuß des Augenblickes harren, da an sie der Ruf ergehen werde. Bis dahin solle jeder revolutionäre Soldat durch unermüdliche Aufklärung schwankende und widerwillige Kameraden in sein Lager hinüberziehen. Der Redner schloß mit dem Ruf:

»Nieder mit dem Krieg! Es lebe die Revolution!«

Nach dieser Ansprache war »Genosse Weiß« der populärste Name in dem weiten Saal. Schon hatte sich ein Stab jüngerer Soldaten gebildet, der ihm dicht auf den Fersen blieb. Er war eine Macht geworden.

Als er eine Viertelstunde später gemeinsam mit Ferdinand zum Tor hinaustrat, näherte sich ihm ehrfurchtsvoll ein junger Gefreiter, dem die reinlichste Begeisterung aus den Augen sah:

»Genosse Weiß, wann soll ich morgen bei Ihnen gestellt sein?«

Mit der gelassenen Ruhe eines Divisionsgenerals zündete sich Ronald eine Zigarette an:

»Um neun Uhr!«

Dann aber, als sie weitergingen, meinte er:

»Rührend! Was? Wie?«

Ferdinand kam von einem Gedanken nicht los:

»Heute mittag haben wir noch Witze gemacht. Und jetzt bist du wirklich zum Mirabeau geworden. Ist das nicht verrückt?«

Weiß versuchte die Erregung, die noch immer sein ganzes Wesen spannte, durch die übliche Ironisierung loszuwerden:

»Ich sag's dir ja immer ... Nur so entsteht Geschichte ... Man hat keine Ahnung ... Man geht im Walde so für sich hin ... Und plötzlich reiß ich mir die Goldene vom Heldenbusen ... Wie? Was?«

»Wann ist dir dieser Einfall gekommen?«

Weiß zögerte einen unfühlbaren Moment mit der Antwort:

»Nachher, mein Lieber! Vorher ist mir der Einfall bestimmt nicht gekommen. Das weißt du doch selbst genau, daß uns die besten Einfälle erst dann kommen, wenn wir sie schon ausgeführt haben. Auf einmal hab ich's halt getan. Ich schwör dir, keine Sekunde lang hab ich drüber nachgedacht. So entsteht Geschichte! Gott weiß, was daraus werden wird. Es hat übrigens sehr stark gewirkt?! Nicht wahr?«

Ferdinand bestätigte es. Ronald aber begann sich seiner Frage zu schämen. Er blieb stehn und wurde ganz weich:

»Die Sache ist natürlich ganz anders ... Leider hab ich bei dir das Gefühl, daß du mich noch immer nicht verstehst ... Du fällst halt auf alle meine Witze herein ... Ich nehm natürlich auch meine Witze ernst ... Aber es ist nur ein Ernst ersten Grades ... Ein anderer hätte die Goldene nicht weggeworfen ... Und warum hab ich sie weggeworfen? ... Weil ich eben trotz aller Witze ein Revolutionär bin ... Seitdem ich denken kann, bin ich ein Revolutionär ... Schon in der Schule war ich's ... Ich hätt mich zum Beispiel zu Tode geschämt, ein Vorzugsschüler zu sein, obgleich mir's leichtgefallen wär ... Meine Lausbüberei war kein Übermut, sondern Gesinnung ... Das haben die Soldaten genau gespürt, und das ist der Grund ihres Vertrauens ... Man hat es in sich ... Und jetzt lach mich aus, weil ich das sag: ... Vieles ist ein Schwindel, aber nichts ein Zufall!«

Er schob die Kappe in den Nacken und schlenderte weiter. Nach einer Weile aber hängte er sich innig in Ferdinand ein:

»Weißt du, seit wann ich ein bewußter Revolutionär bin? ... Seit meinem vierzehnten Jahr ... Und weißt du, was mich zum Revolutionär gemacht hat? ... Ein Pferd! ... Und noch dazu ein Pferd in einem Buch ... Kennst du Zolas ›Germinal‹? ... Erinnerst du dich an das Pferd, das sein ganzes Leben im Schacht zubringen muß? ... Ein herrliches Symbol ...«

Ferdinand fühlte, daß Ronald ehrlich bewegt war, weniger wohl wegen des Pferdes in ›Germinal‹ als wegen des Geschehenen, das sein ganzes Lebens- und Zukunftsgefühl verwandelt hatte.

Sie bogen in die Straße ein, in deren Eckhaus sich das Atelier befand. Trotz der nächtigen Stunde war die Gasse mit Lärm erfüllt. Etwas Ungewöhnliches schien sich ereignet zu haben. Eine Menschengruppe umgab einen flammenden alten Herrn, dessen Stock tobsüchtig das Pflaster bearbeitete. Vor den Toren standen die Hausbesorger. Alle gafften in die Höhe zu dem letzten erleuchteten Fenster des Eckhauses hinauf, in dem hie und da ein schreiender Mensch sichtbar wurde. Ferdinand konnte die heiseren Triumphrufe nicht verstehn, die jener Mensch herabschleuderte.

Der alte Herr aber schien nicht zu den Bürgern zu gehören, die sich unter der Wucht des Zusammenbruches niederduckten. Er hatte den Schlapphut vom Kopf gerissen. Sein Bart wehte, seine Glatze schimmerte, sein Stock schlug Funken aus dem Pflaster. Er schrie ganz gehörig:

»Wache! Wache! Das muß man sich ja doch nicht gefallen lassen! Wir sind in einer deutschen Stadt! Die Sache hat eine Grenze! Das ist offener Hochverrat! Die Gesetze bestehen noch! Man muß es dem Gesindel zeigen! Verräterbrut, gemeine! Jetzt draht die Bagage noch auf! Hochverrat! Wache! Wache!«

Kein Zweifel, hier handelte es sich um Wawra, der dort oben am Atelierfenster einen schattenhaften Wahnsinnstanz vollführte. Die Hausbesorger schüttelten erschrocken die Köpfe. Keiner von ihnen rührte sich.

Schwerfällig tauchte ein unfroher Schutzmann auf. Auch die Polizei wußte nicht, wohin sie gehörte, und hatte einen berechtigten Respekt vor unvorhergesehenen Amtshandlungen. Der lodernde Greis stürzte sich auf den Wachmann und überschüttete ihn mit zusammenhanglosen Forderungen, in denen die Worte »Hochverrat« und »Standrecht« die Hauptrolle spielten. Dabei stocherte er mit dem Stock zu dem fernen, lichterfüllten Fenster empor, aus dem neuerdings ein Schwall von Geheul brach, dessen Sinn nicht zu enträtseln war.

Ferdinand durchzuckte der Gedanke an die Flugblätter.

Weiß beruhigte den Polizisten:

»Der Herr dort oben im Atelier ist unser Freund ...«

»Also, dann folgen Sie mir bitte, meine Herren«, murmelte melancholisch der Ordnungsmann und ließ die beiden durchs Haustor treten, das er dem alten Patrioten vor der Nase zuschlug. Weiß und Ferdinand stürmten die Treppen empor, während der Schutzmann langsam nachstapfte.

Das Atelier stand weit offen. Folgender überraschende Anblick bot sich dar. Der ganze Fußboden war ringsum mit den aufrührerischen Manifesten bedeckt. Auf dem Tisch lagen die Scherben der Schnapsflasche. Wawra aber tanzte schweißbedeckt im Raume umher. Wenn er zum Fenster kam, so heulte er mit unkenntlich rauhgebrüllter Stimme fanatisch in die Nacht:

»Es lebe Masaryk! Es lebe die unabhängige tschechische Republik! Es lebe unser Volk!«

Das Denkwürdigste dieses Anblicks war weder Wawras Tanz noch sein Geheul, sondern der Hahn Phöbus. Er thronte unbeweglich wie ein heraldisches Tier auf dem blonden Schopf des Musikers, ohne durch die mächtigen Schwankungen seines Thrones aus der Fassung zu geraten. Nur hie und da stellte er durch eine matte Regung der unbeholfenen Flügel das Gleichgewicht her. Seine schwarzen stumpfen Augenknöpfe glühten weise und boshaft. Es fehlte nur noch, daß er mit einem morgendlichen Hahnengruß die lastende Nacht zerrissen hätte. Dies aber ließ er sein.

Schon klomm der schwere Polizeischritt die letzten Stufen empor.

Entsetzt sahen die Freunde all die vielen Flugblätter, deren Anblick ›Arbeiter und Soldaten‹ gewaltig in die Augen stach. Es war zu spät, das verstreute Papier zu verstecken. Ferdinand wollte sich auf Wawra werfen, um ihn zur Ruhe zu zwingen. Als Phöbus diese feindliche Absicht merkte, schoß er rote Wutblicke und bewegte kampfbereit die Flügel. Wawra aber verdoppelte nur seine Rufe und Sprünge. Da er sich gereizt fühlte, ließ er nun auch Wilson und Clemenceau hochleben.

Der Polizist trat in die Tür. Weiß stellte sich lachend vor ihn hin und bot ihm Zigaretten an:

»Sie sehn, es ist nichts als ein ganz gewöhnlicher Rausch. Wir werden ihn schon garantiert ins Bett bringen, Herr Inspektor.«

Dieser blinzelte die tanzende Manneserscheinung mit dem Hahn auf dem Haupte ungläubig an, warf einen langen Blick auf die Flugblätter, nahm mit vorsichtigen Fingern eine Zigarette aus Ronalds Dose und salutierte:

»Danke, Herr ... Herr ...« (die Sterne waren fort, die Charge nicht zu erkennen) »... Herr Hauptmann ...«

Weiß lachte:

»In zehn Minuten schläft er. Sie können ohne Sorge nach Hause gehn, Herr Inspektor ... Ich übernehm die Verantwortung.«

Der Inspektor zögerte. Immer wieder betrachtete er mit verlegener Höflichkeit die Flugblattüberschwemmung, auf der Wawra mit Phöbus in unerschöpflichen Tanzfiguren dahintorkelte. Er keuchte schrecklich, und seine Stimme war schon ganz erloschen. Weiß befleißigte sich des volkstümlichsten Wienerisch, dessen er fähig war:

»Sehn S', Herr Inspektor, da laßt sich halt nix machen. Kaner waß, was morgen gschicht ... Die Leutln san alle aus'm Häusl ... Die näxten Täg wer m'r noch an ganz andern Bahöll erlebn.«

»Das kann schon sein, Herr Hauptmann«, sagte der Polizist und salutierte wieder. Dann umfaßte er mit einem letzten Blick Tänzer, Hahn, Flugblätter und näherte sein Gesicht vertraulich-bittstellerisch dem vermeintlichen Hauptmann:

»Es ist schon möglich, daß was kommt ... Aber meine Herren ... Wann ich jetzt geh ... nämlich ... Die Nachtruhe darf nicht gestört werden.«


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