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XXXVII

Den Tag vor Silvester, zwischen Hell und Dunkel, kam bei den jungen Reschkes das zweite Kind an.

Mine war gerade dabei, ihre Küche zu scheuern, mit knapper Not gelangte sie noch ins Bett.

Arthur war nicht zu Hause, er trug für seine Frau die Zeitungen aus; am Morgen hatte sie das noch selber besorgt. Er kam spät wieder; durch den Schnee, der hoch lag und immer noch mit gleicher Stetigkeit fiel, war schwer durchzukommen, und müde war er auch, er hatte den ganzen Vormittag Schnee geschippt. Seit zwei Tagen war er als Hilfsschneeschipper eingestellt; das war ein saurer Verdienst. Trotz der Kälte rann der Schweiß; die Füße, die nicht durch Stiefel mit dicken Holzsohlen geschützt waren, erstarrten, die Hände sprangen auf und bluteten. Er kam sich vor, wie ein Märtyrer.

Als er, hustend und spuckend, vor der Tür seiner Wohnung den Schnee von den Füßen stampfte, streckte sich ihm aus der Küche das Gesicht einer fremden Frau entgegen.

»St – – – Herr Reschke, det sind Se ja woll? Jratuliere! Bei Ihnen is wat Kleenet anjekommen!«

Er trat ein, sich nicht gerade sonderlich beeilend. In der Küche standen mehrere Weiber herum und schwatzten; wie sie hießen, wußte er gar nicht, er hatte sie nur einige Male flüchtig, im Flur oder auf dem Hof gesehen.

Von nebenan aus der Kammer kam ein quiekendes Tönchen, und dann rief Mines Stimme, recht mühsam und schwach: »Is mein Mann da?«

Er stieß die halbangelehnte Tür auf. Da lag sie in der eiskalten Kammer. Ein Lämpchen brannte auf dem Schemel, auf der Diele waren rasch abgestreifte Kleider verstreut. In Mines Arm lag ein wimmerndes Bündel, und Fridchen stand auf den Zehen vor dem Bett und machte, verständig wie eine Alte: »Sch – – sch – – sch – –!«

Arthur beugte sich über das Lager; nun regte sich doch ein leiser Vaterstolz in ihm. »Na, Mine, en strammer Junge, was?«

Ihre geschlossnen Lider öffneten sich zwinkernd. »Du, Arthur?« Ihre blassen Lippen versuchten zu lächeln, aber sie verzogen sich nur wehmütig. »'s is en Mädel!«

»Verfl– –!« Er sprach das Wort nicht aus, aber er fuhr aufs tiefste enttäuscht zurück; förmlich aufgebracht war er – also auch das noch?! Immer Pech, überall Pech! Er schubste Fridchen beiseite, und dann drehte er sich ab und wollte wieder gehen.

Mine rief ihn zurück. Ihre Finger umfaßten mit mattem Griff seinen Arm, ihr bittender Blick suchte den seinen.

»En Mädel, Arthur – aber – sei man gutt – die bringt sich eher durch.«

»Fragt sich nur ›wie‹« sagte er, mit einem Zucken der Lippe.

»Ehrlich un anständig,« flüsterte sie und berührte das Köpfchen der Neugeborenen mit schwacher Hand. – – – – – –

Drei Tage danach zogen die jungen Reschkes zu den alten Reschkes. Der Wirt hatte nicht länger auf die rückständige Miete warten können und wollen. Es ging ihm hart an, die armen Leute herauszusetzen; er fürchtete Bitten und Tränen und mochte sich gar nicht mehr unten sehen lassen, aber was sollte er machen? Er mußte drängen, da waren wieder andre, die ihn bedrängten; und leben wollten alle. Er konnte Kammer und Küche anderweitig vermieten. Für die rückständige Miete behielt er einstweilen die besten Stücke; Schrank und Bett, als Pfand; nur den Küchenrahmen und das bißchen übrige durfte Mine behalten. Sie mußten froh sein, im Keller bei den Alten einen Unterschlupf zu finden.

Es war ein trauriger Einzug in das neue Heim. Arthur war nicht dabei, er war seit sieben Uhr morgens gegangen, Schnee schippen; Vater Reschke war gekommen, um Mine abzuholen. Auf einem Kärrchen fuhr er die paar Sachen fort, und Fridchen saß noch obenauf; Mine ging nebenher, trug das Neugeborene in einem Arm und stützte sich mit der andren Hand auf den Karrenrand.

Die Leute blieben stehen und guckten nach, Gassenjungen pfiffen höhnend – war das ein plundriger Umzug!

Als Mine mühsam die glitschige Kellertreppe hinunterstieg, kamen ihr von unten her ein paar Männer entgegen; die schleppten den schönen Ladentisch weg. Der war Frau Reschkes Stolz gewesen! Wie Eichenholz war er angestrichen, inwendig hatte er Gefächer, und am einen Ende trug er die gelbe Messingwage. Mit ihm war alles Herrschaftliche entschwunden. Nun war der Grünkram nur mehr ein ganz gewöhnlicher, ein ganz erbärmlicher Armeleutsgrünkram. –

Und erbärmlich war auch der Haushalt.

Mine trug nicht mehr Zeitungen aus, schon nach acht Tagen hatte sie ihre Wasch- und Putzstellen wieder aufnehmen müssen – von was sollten sie denn sonst leben?! Lieb wäre es ihr gewesen, wenn Arthur das Austragen übernommen hätte; mit dem Schneeschippen war es doch nichts auf die Dauer – es fing an zu tauen – auch klagte er schon über Brustschmerzen. Aber er widersetzte sich ihrem Wunsch. Nachdem er am ersten Januar, an dem Mine noch gelegen, als ›Zeitungsfrau‹ zum Neujahr gratulieren gegangen war, fühlte er seinen Stolz zu empfindlich dadurch verletzt. Damals hatte er's tun müssen, die Not war zu groß gewesen, keine Feuerung mehr da, keine Suppe für die Wöchnerin, kein Brot für ihn und Fridchen; da war jeder Groschen eine Erlösung.

Aber nun verdiente Mine doch wieder. Das sollte ihm jetzt fehlen, die Hintertreppen abzulaufen, wie ein Bettler an die Türen zu pochen! Ja, wie einen Bettler hatten sie ihn damals behandelt! Als er gemurmelt: ›Die Zeitungsfrau gratuliert zum neuen Jahr,‹ hatten sie ihn angesehn, wer weiß wie, ihm wohl fünfzig Pfennig verabfolgt, aber kein Mensch hatte ihm für die Gratulation gedankt. Nein, solch einer Behandlung setzte er sich nicht wieder aus, da mochte Mine reden, so viel sie wollte! Und dann, mit Weibern um die Wette zu laufen, war das wohl seiner würdig?! Er maulte noch, wenn er daran dachte, und Mine mußte mit einem Seufzer ihren Wunsch aufgeben.

Nur einer war ganz glücklich: das war der alte Reschke. Auf einmal kam er sich vor, wie ein junger Vater. Damals, als seine eignen Kinder klein gewesen, hatte er nicht so viel Zeit gehabt, sich um die zu kümmern, da war er froh, wenn sie ihm nicht in die Quere kamen; jetzt lebte er noch einmal auf in den Enkelkindern. Fridchens Geplapper war ihm eine willkommene Zerstreuung, und das leiseste Quarren der Kleinsten entriß ihn sofort seinem Brüten. Dann wandelte er mit ihr in der Stube auf und ab, mit tänzelndem Schritt, der seinen steifen Beinen wunderlich anstand, und wiegte sie unermüdlich auf seinen Armen.

Jeden Mittag brachte er das sorgfältig verpackte Kind, mochte der Weg noch so weit sein, zur Mutter – zwischendurch mußte sich der Schreihals mit dem Fläschchen behelfen, das er ihm warm machte – und wußte dann jedesmal Wunderdinge von dem klugen ›Trudeken‹ zu erzählen. ›Trude‹ hatte sie genannt werden müssen, darauf hatte er mit zähen Bitten, unter fortwährendem Schnüffeln bestanden. Und es schien fast, als hätte er seine große Trude in der kleinen wiedergefunden.

»Großvater,« sagte Mine oft, fast vorwurfsvoll, »verzieh ihr nich so!«

»I, se is ja man noch so kleen!«

»Schad't nischt. Un ich will's nich haben, Vater!«

Dann lächelte der Alte ganz verlegen.

Mit der Schwiegermutter kam Mine nicht so gut aus; die beiden Frauen gerieten oft aneinander und zwar immer wegen Elli.

Die wurde hübsch, jeden Tag hübscher; viel hübscher noch, als Trude gewesen war. Wenn sie mit tänzelndem Schritt vor der Kellertür hüpfte, und, die Arme hinterm Rücken gekreuzt, mit glänzenden spähenden Blicken die Straße nach allen Seiten überflog, sammelte sich rasch ein ganzer Schwarm um sie. Jetzt waren es nicht mehr die großmütig verteilten Bonbons allein, die die Jungen anlockten.

»Mutter, laß ihr doch mit'n längeren Rock gehn,« sagte Mine.

»I wat! Wat du weeßt! Röcke bis an de Kniee, det is de Mode!«

»Aber se is schon zu groß derzue. Siehste denn nich? Se kucken ihr all uf de Waden! Das 's doch nich anständig!«

»Anständig,« höhnte die Alte, »nanu? Komm du mer man bloß mit ›anständig‹, du bis ooch jrade de Person derzu! Von deine Anständigkeit haben wer ja den Beweis rumloofen!«

»Tuste vielleicht uf Fridchen anspielen?« Mines Stimme zitterte leicht, unwillkürlich reckte sich ihre Gestalt auf. Aber dann sagte sie ruhig: »Bei uns derheeme gehn se: de Beene nackig; un wenn se ausmisten tun, haben se den Rock noch nich emal bis an de Knieen. Ich hab mer nie nich derbei was gedenkt. Aber, daß de ihr so vor de Tür stehn läßt un de Beene zeigen, daß 's ganz was andersch. Bei uns derheeme –«

»Bei euch zu Hause,« schrie die Alte, »nu brat mer eener nen Storch! Die von's Land, na, det sind jrade de Richtigen!«

Mine wollte auffahren, aber sie bezwang sich und zuckte mitleidig die Achseln. Mochte die Schwiegermutter reden, was sie wollte, es kam wirklich nicht darauf an, was die schwatzte! Schwatzen und Klatschen, das war ja noch deren einziger Genuß.

Sie hörte gar nicht mehr hin; erst als der Name ›Bertha‹ fiel, horchte sie auf. »Bertha? Was willste denn mit de Bertha?«

Die Alte triumphierte. »Siehste?! Hab ik det nich jesagt? Ja, deine Freindin, die Bertha, die Unschuld von 'n Lande, von die rede ik ja jrade!«

»Weißte, wo se jetz is?« fragte Mine rasch und plötzlich interessiert. »Keen eenzigmal is se nach de Alvensleben gekommen! Ne, daß se mer ooch nich mal adjö gesagt hat, als se von der Haberkorn gezogen is, de Berthchen!« Sie seufzte. »Ich konnt mer ja nich um ihr kümmern, ich hatt' so sehre viel im Koppe. Haste was von der Berthchen gehört, wo dient se denn jetz?«

»Dient se – jawoll! Kellnerin is se jetz,« platzte die Reschke heraus. »Nach 'n Krach mit die Haberkorn, Kellnerin jeworden! Wat sagste nu? Dein Berthchen! In's Lokal is se, in einen mit Damenbedienung, untenwärtser in de Friedrichstadt, wo die poplig wird. De Büxenstein hat's mich jestern zufällig erzählt. Die hat's von 'n ollen Schnapspantscher drüben. Was die Bertha ihr Prinzepal is, det 's Bekanntschaft von den da drüben – Schnapskolleje!«

Mine stand betroffen.

Die Reschke schwadronierte weiter: »Kellnerin – na, det weeß man ja schonst, det is de Sache ja man bloß 'n Mäntelken umjehängt! Keenen Lohn, eenzig un alleene uf de Trinkjelder anjewiesen un de Prozente, wenn de Kerle jut saufen – na ne! Aber ik habe det von vornerein jewußt, et stand ihr uf de Stirn jeschrieben. Als ik ihr hier in de Türe treten sah, dacht ik: ›Nanu, wie kommt denn de Mine zu die?!‹ So 'ne verlogne Kröte! Ik höre ihr noch zu de Hauptmannsche sagen: ›Ich kann kochen, ich verstehe allens!‹ Jawohl! Un wie se vernascht war! Mir war schonst bange, wenn se immer angesetzt kam. Na, ik habe det meinigte an se jetan, ik habe ihr oft jehörig vermahnt, aber bei die war ja Hopfen und Malz verloren; die war schonst oberfaul. Nu is se mank de Füße. Jloobste 't oder jloobste 't nich?! Die jondelt noch mit 'n ›Jrünen‹ nach 'n Alexanderplatz!«

Mine sagte kein Wort. Aber es war ein langer, nachdenklicher, stummer und doch beredter Blick, mit dem sie die Schwiegermutter maß. Dann, wie sich ermannend, schritt sie rasch zur Eingangstreppe.

Vom Trottoir herab schrillte gerade ein Couplet Ellis; man sah von hier unten nur ihre hüpfenden, rot bestrumpften Beine und hörte das Gejohle der Jungen, die vor der Tür lungerten und beim Refrain einstimmten.

»Kommste gleich runter,« sagte Mine sehr energisch, langte nach oben und zog die Kleine an dem wehenden Röckchen zu sich.


Wenn Mine auch arbeitete von früh bis spät, sie hatte es doch nicht hindern können, daß wieder etwas von der Geschäftseinrichtung, die große Rolle, auswanderte auf Nimmerwiederkehr.

Als sei mit der großen, hölzernen behäbigen Gestalt das letzte Leben des Grünkrams entschwunden, so war es jetzt. Kein Rattern und Quietschen mehr, kein Schwatzen der Mägde über gefüllten Wäschekörben.

Selbst die Klingel unter der Stufe war heiser geworden; sie hätte in die Kur genommen werden müssen, aber das kostete Geld, so unterblieb's, und ihre gebrochene Stimme brachte es nur mehr zu einem kaum hörbaren, schmerzlichen Ächzen.

Auch Mine fühlte nach und nach ihre Kräfte erlahmen; sechs Personen zu ernähren, das war zu viel – dabei war die kleine Trude noch nicht einmal mitgerechnet – und Arthur konnte sie nicht unterstützen; die Schmerzen im Leibe hatten sich wieder eingestellt und auch der Husten. Das Schneeschippen hatte er bald aufgeben müssen, er konnte es durchaus nicht vertragen; und es gab ja auch längst keinen Schnee mehr.

Ein tauender Vorfrühling war da. Von allen Dächern rieselte es, die Sonne steckte ihre spitze Zunge heraus und leckte die Straßen blank. Lag man nachts im Keller wach, so hörte man leises Tröpfeln, die Wände schimmerten im Lampenschein wie silberübergossen, in der Ecke der Küche bildete sich auf dem Estrich ein großer, nasser Fleck. Es roch bei Reschkes schimmliger und modriger, denn je.

»Ik weeß nich, wat det jeben soll,« jammerte Frau Reschke, als man ihr eines Tages auch das Schlafsofa aus der Wohnstube abholte. Nun mußte Elli doch im Küchentischbett schlafen, in dem Grete gestorben war; die Kammer war ja dem jungen Ehepaar nebst den Kindern eingeräumt.

Mutter Reschke rang die Hände über den Verlust des Schlafsofas; nun konnte sie nicht einmal mehr nachmittags ein bequemes Nickerchen halten, in dem sie alle ihre Sorgen vergaß. Wie schön hatte sie oft in der Sofaecke geträumt! Ihre Kinder alle, alle, die sie einmal gehabt, saßen um den Sofatisch und tranken dampfenden Kaffee und aßen zuckerbestreuten Streuselkuchen.

Wenn sie jetzt im Sitzen auf dem harten Stuhl ein wenig eindruselte, kamen ihr keine lieblichen Träume mehr; schon nach fünf Minuten fuhr sie entsetzt auf, der Papagei hatte krächzend geschrieen: »Hunger! Lorchen Hunger!«

Der abscheuliche Vogel mit seinem Geschrei! Nicht mal statt eines Suppenhuhnes war der zu gebrauchen. Wenn man den nur los geworden wäre! Aber kein Mensch wollte was für ihn geben. Sein Gefieder hatte alle Farbe verloren; grau und ruppig war er geworden und zauste sich den ganzen Tag mit dem krummen Schnabel in den Federn. Mit gesträubtem Schopf fuhr er jedem entgegen, der sich ihm näherte, und hackte bösartig nach jedem ausgestreckten Finger.

Die Reschke wütete über den einstigen Liebling. »Dreh ihm 's Jenick um,« sagte sie zu ihrem Mann, »ik kann det bösartige Beest nich mehr riechen!«

Aber da die Schwiegertochter für den Vogel eintrat, wagte Vater Reschke nicht, den Befehl seiner Frau auszuführen. »Was wollt ihr denn nu,« sagte Mine, »ihr habt 'n ja so bösartig gemacht!«

Auch Arthur war für Lorchen. Als er eines Tages, während Mine auf Arbeit war, seine Mutter, in übelwollender Absicht, mit mörderischen Blicken vor dem Käfig fand, drohte er: »Na warte man, laß Mine man nach Hause kommen, denn kriegste aber Krach! Laß du ihn man nur unjeschoren!«

So blieb der Vogel am Leben, sah von seiner staubigen Ecke aus mit listigem Äugeln, wie auch der Regulator von der Wand verschwand, und noch so manches andre, und krächzte dazu sein: »Bande! Lorchen Hunger, Hunger!« –

Es wurde Frühling. Aber im Kellerfenster lagen keine grünrötlichen Rhabarberstengel mehr zum Verkauf aus, und keine hohen Körbe mit jungem Spinat flankierten mehr die Treppe. Ein bißchen verwelktes Wintergemüse, und Kartoffeln, die schon zu keimen anfingen, war alles, was noch zu finden war; aber verkauft wurde auch das nicht einmal. Wenn die Ware so verlegen war, daß sie keinem mehr angeboten werden konnte, aß die Familie sie selber auf.

Mine hatte sich in ihren Rock eine Wachstuchtasche genäht – sie wußte, die Leute sehen es nicht gern, wenn die Putzfrau mit dem Korb kommt – so brachte sie dem Alten und ihrem Arthur immer noch ein besonderes Häppchen mit nach Hause. Aber der Alte steckte sein Teil wiederum Fridchen oder seiner Frau zu; es war ihm jetzt so gleichgültig, was er aß, sehen konnte er doch nicht in der trüben Kellerwohnung, was er auf dem Teller hatte.

Zum Abendbrot schickte man Elli, für zehn Pfennig ›Abschnitt‹ beim Schlächter holen; aber sie kam immer wieder: »Da war nischt!« Wenn sie Freitags mit einem Topf nach frischer Wurstbrühe gehen sollte, behauptete sie jedes Mal: »Er hat heut keene Wurst jemacht,« und doch hing der Stuhl mit der weißen Schürze vor des Schlächters Tür. Sie wollte eben nun mal nicht, darum wurde jetzt Fridchen von der Großmutter zum Einholen verwendet.

Wichtig stolzierte die Kleine davon, ein Körbchen am Arm; glückselig kam sie wieder – solch schöne Wurstzipfel und noch so viel Schinkenfett! Alle Hunde auf der Straße umsprangen sie schnuppernd, sie mußte ihr Körbchen hoch halten und laufen, laufen, so rasch sie nur konnte. Laut weinend kam sie eines Tages heim, die Hunde hatten sie über den Haufen gerannt und ihr das Eingeholte samt dem fettigen Papier aus dem Körbchen gerissen. Sie war gar nicht zu trösten.

Mine, die gerade nach Hause kam, wurde sehr böse – warum war denn Elli nicht gegangen?! Die tat so wie so den ganzen Tag nichts, wenn sie aus der Schule gekommen war; nicht einmal Trudchen wollte sie verwarten. Wenn der Großvater nicht gerade auf dem Posten war, mußte Fridchen auch dafür sorgen.

»Elli?!« sagte die Reschke in ganz verwundertem Ton. »Ellichen – bei'n Schlächter?! Aber se will doch nich!«

»Ich jeh nich nach Wurschtzippel,« murrte Elli und warf die Lippen auf.

»Ne, det sollste ja ooch jar nich, ne, ne,« beruhigte die Mutter und streifte mit einem zärtlichen Blick ihr blondes Töchterchen.

»Morjen gehste,« sagte Mine kühl; und als Elli eine Grimasse schnitt – schwapp – hatte sie eine Ohrfeige weg von der kräftigen Hand, daß sich alle fünf Finger auf ihrer Backe abzeichneten.

Mutter Reschke war empört; mit einem Arm ihre Elli umschlingend, streckte sie den andren gegen die Schwiegertochter aus. Sie fing an zu räsonieren, daß die Wände dröhnten. Aus dem Hundertsten kam sie ins Tausendste; sie warf Mine Sachen vor, von denen diese selber gar nichts wußte, Geschichten, die vielleicht einmal vor so und so langer Zeit mit andren Dienstmädchen passiert sein mochten.

Die ganze chronique scandaleuse der Hintertreppen kam so zum Vorschein.

Es half nicht, daß Vater Reschke seine Frau am Ärmel zupfte; da gab's kein Einhalten, alle Schleusen waren aufgezogen, heraus mußte es.

»Na, denn wer'n wer eben ziehn, ich un Arthur un de Kinder,« sagte Mine endlich und sah der keifenden Schwiegermutter resolut ins Gesicht. »Ärgern wer' ich der nich, un ärgern will ich mer ooch nich, noch zu allem derzue. Gelle, Arthur?!«

Dieser nickte; er gab seiner Frau jetzt immer recht. Deren ruhige Entschlossenheit imponierte ihm. »Jawoll, wir können ja ziehn,« rief er, »wir brauchen uns nich noch runterreißen zu lassen. Wir ziehn, natürlich! Für uns alleine verdienen wer immer genug!«

Sofort unterbrach Mutter Reschke ihr Gequassel; sie bekam nun doch keinen kleinen Schreck – ziehen –?! Um Gottes willen, wenn die zogen, wenn Mine nicht mehr da war, wer gab dann Geld her?! Nur noch ganz leise brummelte sie Unverständliches vor sich hin und wiegte den Kopf.

Vater Reschke hatte seine armen blinzelnden Augen entsetzt aufgerissen. »Du willst ooch weg machen, Mine?! Ach, se lassen uns alle in'n Stich – alle, alle!« Schnüffelnd senke er den Kopf, ein paar Tränen sickerten ihm über die schrumplige Wange.

Mine beugte sich zu ihm. »Ne, Vater, ich laß der nich in'n Stich.«

Da haschte der Alte nach ihrer Hand, tätschelte die, lächelte und strich der Schwiegertochter übers Gesicht.

Sie drängten sich alle um Mine, auch Mutter Reschke; die tat, als sei gar nichts vorgefallen, und klopfte sie kichernd auf den Rücken.

Selbst Elli maulte nicht mehr. Mit schmeichlerischer Gebärde hing sie sich an den Arm der Schwägerin. Ihre schlauen Blicke sahen genug: sie wußte jetzt ganz genau, wer allein noch hier regierte.


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