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Am selben Tag, einige Stunden bevor Bertha bei Reschkes vorfuhr, war Arthur wieder dort erschienen. Er kam mit Sack und Pack; viel war es nicht, er konnte es bequem allein tragen, das Beste war versetzt.
Den Hut schief auf das ungeordnete Haar gerückt, anscheinend sorglos pfeifend, trat er in den Keller ein; aber sein Blick war scheu. Die Klingel schrillte und zeterte und keifte bösartig. Mit einem kurzen Lachen warf er sein Paket hin. »Morjen! Da wären wer ja wieder in dem alten Loch!«
Ellichen, die ihn mit einem Freudengeschrei:
»Das is der Arthur
Mit seiner Haartour,«
begrüßte, bekam eine Ohrfeige, daß ihr der Kopf wackelte. Mit lautem Geheul stürzte sie gegen die Glastür.
»Er haut mir! Der freche Bengel haut mir!«
Sie weckte dadurch Vater Reschke, der noch schlafend, also unsanft aufgeschreckt, mit einem zornigen Grunzen nach seinen Pantoffeln suchte.
Besorgt stürzte Mutter Reschke hinterm Ladentisch vor. »Elli, hälste's Maul. Verdammte Jöhre! Athur, aber um Jotteswilln, Athur, wat fällt dich denn ein?! Hier haste 'ne Schoklade, sei man stille, Ellichen! Kinder, vertragt euch doch, ihr macht einen ja janz nerfös!«
»Se soll das nich singen,« brummte Arthur. »Willste stille sein?! Untersteh dich noch mal!«
Elli hatte nicht nötig, wieder aufzukreischen, schon riß Vater Reschke die Glastür auf. Er stand auf der Schwelle in heruntergetretnen Filzpantoffeln und zog sich mit beiden Händen das Beinkleid herauf.
»Zum Donnerwetter, was 's denn los?! Krach, an'n frühen Morjen?!«
»An'n frühen Morjen –?!« rief Frau Reschke sehr spitz. »Det könnte man nu jrade nich behaupten. Jleich zwölwe! Du solltest man lieber Tojilette machen!«
»Wer' schon,« brummte er. »Sei nur nich jleich so jroßschnauzig! Nanu, Arthur? Was soll denn das allens?!«
Elli hatte sich über das in Zeitungspapier verpackte Bündel hergemacht und entrollte die Habseligkeiten des Bruders. Verdrießlich stieß Herr Reschke mit dem Fuße danach. Er war jetzt oft schlechter Laune, nicht nur, weil seine Frau ihn jeden Tag wegen der in der Zentral-Halle gemachten Einkäufe herunterriß und ihm die Schuld an der abnehmenden Frequenz des Kellers in die Schuhe schob, sondern auch, weil ihm seit einiger Zeit seine Augen zu schaffen machten. Er hatte sich schon eine Brille gekauft und konnte doch nicht gut sehen. Wenn er an die Helle des Tages kam, tränten ihm die Augen, und er blinzelte. Er schob's auf das nahende Alter: über die Mitte fünfzig hinaus, da war nicht viel mehr zu wollen. Mit einer Art Sehnsucht fing er an, jener Zeit zu gedenken, in der er als Knabe wie ein Falke weithin über die grüne Flur geschaut.
Jetzt warf er seiner Frau einen bösen Seitenblick zu und grämelte: »Nich mal ausschlafen, immer kujonieren – – Nanu, Arthur, wozu schleppste denn det allens her? Was?!«
Arthur wechselte mit seiner Mutter einen schnellen Blick.
Diese sagte rasch: »Athur wird 'n paar Tage bei uns bleiben. Mit de Stelle bei 'n Rechtsanwalt is nischt los. Ik habe ihn ooch zujeredet; det hat er nich nötig. Bis sich wat Bessres finden tut, kann er uns ja helfen!«
»Helfen –?! Wer haben ja alleene nischt zu tun!«
»Ja, du! Det du nischt tust, weeß ik ja leider schonst lange. Wer ständen heut anders da, wenn du 'n andrer Mann wärst! Aber mit dir is ja nischt zu wollen, keen Hund aus'n Ofen zu locken. Na ne – kommste nich heute, kommste morjen! Ins Bette liegen bis Mittag, eene Weiße nach de andre kippen! Un ik kann mir alleene in'n Laden schinden, de Beene in'n Leib stehn, wejen 'nen Sechser den Mund fusselig reden!«
»Na, ich meene, zu übernehmen brauchste der ooch jrade nich mehr, Mutter! Stunden, wo keene Katze kommt. Morjens, leider Jotts, ooch man wenig los!« Er zuckte die Achseln. »Kinderspiel!«
»Kinderspiel – wat?!« Nun wurde die Reschke giftig. »Hast du 'ne Ahnung! Du weeßt ja jar nich, wat Arbeet is! Det sage ik der, verhungern könntste, wenn ik nich wäre! So 'n fauler Kopp!«
Nun ärgerte sich Reschke wütend, aber er wagte es nicht recht, den Ärger an seiner Frau auszulassen. So fuhr er den Sohn an:
»Also schonst wieder keene Stelle? Is det erhört? Schämen sollste der, immer rumlungern, den Eltern uf de Tasche liegen! Det hat nu 'n Ende! Entweder du has in zwei Tagen 'ne neue Stelle oder ich wer' der zeigen, wo der Zimmermann das Loch jelassen hat!«
»Untersteh der,« kreischte Frau Reschke laut auf. »Athur kann so oft kommen, wie er will, un so lange, wie er will. Athur, jeh man rin, mein Sohn, un lege deine Sachen in de Kammer ab. Sowie Trude aus 's Jeschäft kommt, soll se ausräumen. Jeh man, jeh,« ermutigte sie ihn, als er noch zögerte. »Det wäre ja noch schönter, den Sohn det Haus verbieten!«
»Sohn – Sohn –?! Hahahaha!« Reschke schlug eine dröhnende Lache auf.
»Jawoll,« schrie sie, »Sohn! Da is jar nischt zu lachen!«
Und als ihr Mann sich mit einer Grimasse von der Schwelle zurückzog, rannte sie ihm nach. »Ik habe bare Siebenhundert in de Ehe jebracht, ik wer' doch wohl Athurn nich det Haus verbieten lassen – meinem Sohn!«
» Dein Sohn, jawoll, aber nich mein Sohn,« brüllte er ihr entgegen.
Krach, schlug sie die Tür hinter sich zu. Die Kinder im Laden hörten die Eltern drinnen weiter zanken.
Mit einem Stöhnen sank Arthur auf die umgestürzte Tonne und hielt sich die Augen mit beiden Händen zu. Er wollte das Gezänk drinnen nicht hören, und doch lauschte er darauf; es drang ihm wie mit Donnergetöse in die Ohren.
»Ei weih,« flüsterte Elli, die, auf den Zehenspitzen stehend, den Kopf vorgestreckt, mit gespannter Aufmerksamkeit horchte, »nu jibt's Dresche!«
Da sprang Arthur auf. Sein Gesicht zeigte einen verwilderten Ausdruck. Es war ihm, als stürzten die Kellerwände auf ihn ein. Und stieg da nicht auch Mine die Kellertreppe hinunter und versperrte ihm mit ihrer Gestalt noch den Ausweg zu Licht und Freiheit?!
»Geh man rein, Ellichen,« stieß er mit gepreßter, seltsam bebender Stimme hervor, »geh man rein!«
Und als sie ins Zimmer schlüpfte, halb von ihm gedrängt, halb von der Neugier gezogen, sah er sich mit keuchendem Atem verstört um.
Fort, fort, hier konnte er nicht mehr bleiben! Hier hielt er's nicht aus; er mußte fort! Heraus aus dem Keller!
Sein unstet irrender Blick traf den Ladentisch – keine Mark, keinen Groschen! Und da war die Kasse! – – – – – –
Der Schlüssel steckte – nein, der Schub stand sogar halb offen. Viel war nicht darin, lauter kleine Münze – halt, da ein Goldstück im besondren Gefach und verschiedene Fünfmarkscheine!
Hastig griff er zu. – – – – – Nein, nicht alles! Er warf die Scheine wieder zurück. Nur das Zwanzigmarkstück, um sich vor der ersten Not zu schützen! Wiedergeben würde er's ihnen bald!
Seine Pulse hämmerten, das Blut war ihm zu Kopf gestiegen und rauschte in seinen Ohren – – – – Dieb, Dieb! Die Augen quollen ihm aus den Höhlen. Zitternd sah er sich um, zögernd.
Jetzt ertönte drinnen ein wütender Fluch, ein Krachen, Poltern und Klirren. Tritte näherten sich der Glastür.
Da raffte er sein Bündel zusammen, da stürzte er fort.
Als Mutter Reschke, wenige Augenblicke später, mit einem ganz dick aufgelaufnen Auge aus der Stube kam, war der Keller leer.
»Wo is denn Athur?« fragte sie Elli, die wie ein Eidechschen hinter ihr herschlüpfte.
»Weg,« sagte die Kleine gedankenlos; sie war eben dabei, zu überlegen, was sie jetzt wohl am besten der Mutter abluxen könnte. Wenn die Eltern uneins waren, blühte ihr Weizen; da suchte jeder Teil sie auf seine Seite zu ziehen, und am Ende erlangte sie von beiden etwas.
Als Trude nach Hause kam, widersetzte sie sich, die Kammer zu räumen; sie bat und weinte: nur nicht wieder bei Grete schlafen! Es half ihr nichts, sie mußte ihre Sachen wieder in die Küche tragen. Aber sie murrte und trotzte – da blieb sie lieber die halbe Nacht weg! –
Trude hätte es am Abend nicht nötig gehabt, so lange auszubleiben. Als sie, zum ersten Mal seit Monaten wieder, sehr spät an die Blaulackierte trommelte, trotzigen Gesichts, den Hut verwegen auf dem verwehten Haar, öffnete ihr Grete und wisperte ihr zu, sie solle nur leise in ihre Kammer schleichen, Arthur sei nicht da.
»Was, Arthur nich gekommen? Das 's ja famos. Hätt' ich das jewußt!« Jetzt erst bemerkte sie, daß Grete weinte.
»Na, was 's denn schon wieder los? Dresche jekriegt?«
Grete gab keine Antwort, sie schüttelte nur den Kopf und schluchzte herzbrechend.
»Na, so was,« sagte Trude leichthin. Das hatte für sie weiter kein Interesse. Sie war todmüde und empfand nur, erleichtert, die Wohltat, jetzt in der Kammer schlafen zu können.
Aber allein genoß sie ihr Bett doch nicht; sie fand Bertha darin vor, die bei Elli auf dem Sofa hatte kampieren sollen, es sich jetzt aber, da Arthur nicht da, auf dem besseren Lager recht bequem gemacht hatte. Sie lag querüber, Trude mußte sie wecken, wenn sie auch Platz finden wollte.
Verschlafen fuhr Bertha auf. Als sie in Trudes verdrossenes Gesicht sah, lachte sie und wurde hell wach. Sie setzte sich schnell auf und stützte den Kopf in die Hand; die langen blonden Haare rieselten ihr über den bloßen Arm. So sah sie zu, wie sich Trude beim Schein eines flackernden Kerzenstümpfchens entkleidete.
»Schön amüsiert, Fräulen Trudchen?« Sie kniff die goldigen Wimpern zusammen und blinzelte schlau die andere an.
»Ne!« Trude schleuderte die Stiefelchen aus, daß sie bis in die Ecke flogen.
»Na, seien Se nur nich so böse, Fräulen Trudchen! War ›er‹ denn nich da?«
»Wer ›er‹?«
»Na, ich meinte ›er‹! Se wissen doch, Potsdamerstraße, fängt mit 'n L an!«
»Was jeht mich der an?!« Husch war das Licht ausgeblasen und Trude im Bett.
Da lag sie ganz abgemattet und konnte doch nicht schlafen. Es drängte sie, Bertha über Leo Selinger auszufragen. Aber sich mit dem Dienstmädchen so vertraut machen – das paßte sich doch nicht! Und doch brannte sie vor Neugier.
Bertha half ihr aus diesem Dilemma, indem sie von selber zu schwatzen begann und haarklein alles über Leo Selinger berichtete. Das war mal einer!
Mit funkelnden Augen und fieberheißen Wangen lauschte Trude – dem gönnte sie's, daß die Bertha ihm ordentlich die Zähne gewiesen! Schade, daß sie ihm nicht auch so Bescheid gesagt hatte! Aber nun hatte er's doch noch gut gekriegt! Ein tiefer Atemzug hob ihre Brust, und sie drückte Berthas Hand.
So kam es, daß sich in dieser Nacht eine rasche Freundschaft zwischen den beiden entspann. An Schlaf dachten sie nicht, sie erzählten sich zu interessant.
Mit dem Fräulein, das am selben Lager wie sie bediente, mit dem Bräutigam dieses Fräuleins und dem Bruder des Bräutigams, war Trude den Abend im Wintergarten gewesen, dann in einem Bierlokal und dann in einem Nachtcafé. »Sie können ja auch mal mitjehn,« sagte sie zu Bertha. »Ziehn Sie sich recht schick an, denn merkt Ihnen keiner was an. Ich stelle Sie als meine Cousine vor. Morjen abend, was?! Der Bruder hat mich nach Hause gebracht – nur bis in die Nähe, er braucht nicht zu wissen, daß ich in'n Keller wohne – ich habe ihm zwar nischt versprochen, aber er wird schon wieder vorm Jeschäft rumflanieren. Vielleicht, daß mir's mit Ihnen zusammen mehr Spaß macht!«
»Da wollen wer mal 'nen ordentlichen Fez mit de Jungens machen,« sagte Bertha fröhlich.
Am Morgen waren sie endlich ein wenig eingeschlafen, da erweckte sie ein lautes Gejammer von Mutter Reschke. Arthur war auch mit dem neuen Tag, wie die Mutter gehofft, nicht heimgekehrt. Der arme Junge! Nun war er so gekränkt worden, daß er weggelaufen war! Nun wurde er draußen in dem unsichren Frühlingswetter naß, statt trocken bei Muttern zu sitzen! Jedem, der in den Laden kam, erzählte sie, wie grausam Reschke ihren Arthur behandelt. »Er holt sich jewiß was, ach Jotte doch,« jammerte sie, »bei seine schwache Konschtuzjon!« Und sie nannte Reschke einen Mörder.
Den ganzen Tag konnte sie sich nicht beruhigen; auch Herr Reschke schlich umher, als hätte ihn jemand vor den Kopf geschlagen.
Gestern abend schon hatten sie das Zwanzigmarkstück vermißt, da sie immer nach Schluß des Ladens Kasse zu machen pflegten und dann das Geld unter ihr Kopfkissen legten. Wo war das Zwanzigmarkstück? Kein Winkel blieb undurchsucht. Es mußte gestohlen sein. Grete, die sonst nie im Laden war, hatte ausnahmsweise lange Zeit im dunklen Winkel hinter der großen Rolle gekauert, stundenlang war sie ganz allein dort gewesen.
Sie wurde einem peinlichen Verhör unterworfen; auf die flehend erhobnen Hände erhielt sie derbe Schläge. Die Kellerwände hallten wider von ihrem Gewimmer und dem wütenden Geschrei der Mutter.
Heute morgen nun hatte sich Elli gemeldet – sie wußte was! Mit einem pfiffigen Gesicht flüsterte sie der Mutter etwas ins Ohr. Nein, das war nicht möglich! Vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben erhielt Elli eine schallende Ohrfeige von der Mutter Hand. Arthur sollte das Geld genommen haben – –?! Nein, nein, unmöglich!
Aber heulend beharrte Elli bei ihrer Aussage.
Herr Reschke sagte nicht viel, er sah seine Frau nur mit einem eigentümlichen Blick an und murmelte: »Siehste woll, dein Söhnchen!«
Da brach ein Sturm los. Nein, das konnte die Mutter nicht glauben, das wollte sie nicht glauben! Und Frau Reschke beteuerte und verschwor sich: ein infamer Verleumder, der so was von Arthur sagte!
Aber immer wieder nahm sie Elli im geheimen vor und horchte sie aus; und das Kind, von der eignen Wichtigkeit angestachelt, erzählte immer anschaulicher, wie Arthur in einem fort nach der Ladenkasse geschielt habe, und wie er sie dann überredet, mal zu gucken, was drinnen im Zimmer los sei. »Ich wollte jarnich,« versicherte sie, »aber er schubste mir, un denn sah ich noch, wie er hintern Ladentisch lief und bei de Schieblade jing!«
Frau Reschke weinte. Lange Jahre waren keine Tränen in ihre Augen gekommen, nicht, als ihre Mutter starb, nicht, als sie den Emil, ihr vorjüngstes Kind, begrub – der war ja nur neun Wochen alt geworden! Aber nun weinte sie. Langsam, spärlich nur, entsickerte ihren Augen das ungewohnte Naß. Aber es brannte doppelt.
So schlich der Tag hin. Keine Sonne am Himmel; der Keller erhellte sich heute gar nicht. Wenn ›er‹ doch wieder käme! Vielleicht, daß er in der Abenddämmerung heimlich erschien, aus Furcht vor dem Vater sich nicht recht traute?! Er mußte doch wissen, daß die Mutter ihn nicht im Stiche ließ!
Als es auf den Abend ging, hielt Frau Reschke es in ihrer Unruhe nicht mehr aus; sie schickte Grete nach der Kleinen Mauerstraße, da sollte sie in Arthurs früherer Wohnung nachfragen. Vielleicht, daß er da war!
Sie gab dem Mädchen sogar zehn Pfennige zum Hin- und zehn Pfennige zum Zurückfahren. »Daß de der aber nich unterstehst, 'nen Jroschen zu vernaschen un denn zu laufen,« drohte sie. »Um dir müde Beene zu sparen, lasse ik der nich fahren. Eenzig un alleene wejen Athurn, det ik Bescheid kriege!«
Ganz entsetzt kam Grete zurück. Arthur war seit gestern früh von dort fort, aber die Vermieterin hatte sie festgehalten, als sie sagte, sie wäre die Schwester, und ihr gedroht und den noch rückständigen Rest der Miete verlangt. Und ein Mann war der Frau zu Hilfe gekommen, und beide hatten entsetzlich geschimpft. Nur unter der Versprechung, es den Eltern zu sagen und unter der genauen Angabe von deren Adresse, hatten die bösen Leute sie gehen lassen. Sie zitterte noch.
»O du dämlichtet Frauenzimmer,« schrie Frau Reschke, »dir muß man schon schicken! Da fällt man schön rin! Wat brauchste denn det zu sagen?!«
Ehe sich's Grete versah, hatte sie eine Ohrfeige weg, und sie ging weinend und versteckte sich bei den Hunden.
Schwarze Schatten des Abends krochen in den Keller; so schwer hatte die Dunkelheit noch nie gelastet. Das war mehr als Dunkelheit.
Die da unten schauerten. Mutter Reschke fröstelte, und Vater Reschke, der heute mehr denn je mit den Augen geblinzelt, rückte näher zu seiner Frau. Sie saßen stumm bei trübseligem Lampenschein hinten in der Stube; vorn in den Laden kam heute kein Mensch, der neue Grünkram weiter die Straße hinunter feierte das Jubiläum seines halbjährigen Bestehens. Da gab's Maiwein, ein Glas gratis.
»'s is man ja nur Äppelwein,« sagte Vater Reschke endlich, und dann seufzte er. »Ne, was man nich allens erlebt, det sind auch so 'ne Moden! Na, Mutter, komm, wer wollen uns wieder vertragen!«
Sie hob die geröteten Lider und sah ihn zum ersten Mal heute an, nicht gerade freundlich, aber auch nicht unfreundlich.
»Deine Augen wollen mer ooch jar nich recht jefallen,« sagte sie. »Aber wenn man erst mit'n Dokter anfängt, is keen Loskommen nich – ach ja!«
Er wischte sich die Augen. »Kommt's mir nur so dunkel vor, oder is der's ooch so dunkel?!«
»Ne, ne, es is ooch dunkel hier!«
Sie drehte die Lampe höher, daß sie schwelte, aber doch erhellte der matte Strahl nicht das Zimmer; die Finsternis war stärker.
Sie saßen wieder stumm. – – – – – – – – –
Gegen neun Uhr kam Trude, Bertha hatte sie vom Geschäft abgeholt. Sie waren beide sehr lustig und lachten übermütig. Und doch war ihr Lachen keine Wohltat; Vater Reschke sah mißmutig drein.
»Nanu, was's denn da los?!«
»Wir sind einjeladen!« Trude drehte sich wirbelnd auf einer Fußspitze herum, faßte dann Bertha um die Taille und tanzte mit ihr in die Kammer hinein.
»Von wem denn?« rief Mutter Reschke ihnen nach, ihre Neugier erwachte doch ein wenig. »Von Ladewichen?!«
»I wo!« Ein helles Kichern Trudes antwortete.
»Wat se nu wieder uf'n Kieker hat!« Mutter Reschke schüttelte den Kopf und rückte sich bequem zurecht. »Wenn er sich man bloß erklärte! Du mußt ihn mal den Daumen ufn Ooge drücken, Reschke! Det's doch keene Art, er knutscht ihr ab, aber ›erklären‹ is nich!« Sie seufzte und sank dann wieder in ihre Stummheit zurück.
Drinnen in der Kammer machten die jungen Mädchen Toilette. Sie beeilten sich. Der Bräutigam hatte seine Braut, das Fräulein, das mit Trude am selben Lager bediente, ›versetzt‹ und wartete nun mit seinem Bruder und noch einem Freund des Bruders in einem Restaurant in der Nähe auf die beiden ›Cousinen‹.
Trude frisierte Bertha: sie bauschte ihr das schöne Haar modern auf und brannte ihr Löckchen an den Schläfen und im Nacken. Lächelnd beschaute sich Bertha im Spiegel: so erkannte sie sich kaum wieder, nicht von einer Dame zu unterscheiden!
Und dann bestreute sich Trude mit Reismehl; sie fand das seit einiger Zeit schön, wenn ihre Wangen so interessant bleich waren und ihre Augen dadurch dunkler erschienen und desto mehr funkelten. Bertha mußte ihr mit aller Kraft das Korsett zuziehen, bis die Taille dünn war zum Durchknicken.
So ausgerüstet, schickten sie sich zum Vergnügen an. Sie lachten in einem fort. Lachend stoben sie durch die Stube, hinaus zum Keller, ihr Lachen klang noch zurück, hell und grell und mischte sich mit dem warnenden Gekreisch der Klingel, die ihre eilenden Tritte unvorsichtig aufgeweckt hatten.
Einsam saßen die Eltern. Selbst Elli war nicht da, die trieb sich schon seit dem Nachmittag mit Nachbarskindern herum – weiß Gott, wo die so lange steckte?!
Nur ein Mäuschen kraspelte unterm Sofa, und im Schrank schrapten die Holzwürmer.