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Zum ersten November hatte Arthur eine Stube in der Bahnstraße gemietet; das Haus war erst im Oktober fertig geworden. So waren sie die ersten Bewohner dieser Stube, und Mine hatte Muße, vor ihrem Einzug die farbbeklexten Scheiben zu reinigen und die Hobelspäne und Tapetenfetzchen auszufegen.
Da der erste November auf einen Sonntag fiel, stand nichts im Wege, daß auch gleich die Hochzeit gefeiert wurde. Am zweiten November sollte Arthur die Hausdienerstelle antreten, die ihm Herr Müldner bei einem Bekannten in einem Gummiwarengeschäft auf der Leipzigerstraße verschafft. Fünfzehn Mark gab's die Woche. So würde es schon gehen; denn Mine wollte auch nicht faul sein, sich Aufwarte-, Wasch- und Reinmachstellen suchen.
Nur die Sorge um Fridchen fiel ihr wiederum schwer aufs Herz. Sollte das Kind wieder eingeschlossen werden? Nein, nein! Ein neues Bangen ergriff sie; da meldete sich Grete: »Ich wer' ihr verwarten!« In der Freude ihres Herzens umarmte und küßte Mine das blasse Mädchen. Und da brummte auch plötzlich der alte Reschke: »Se kann ja ooch bei mir spielen, die Kleene. Wie Trudeken so kleen war, krabbelte se ooch immer unten uf 'n Boden zwischen meine Beene rum un war kreuzfidel!«
So war Mine dieser Sorge ledig, während Mutter Reschke noch immer mit der ihren kämpfte: wen sollte man zur Hochzeit einladen?! Lumpen lassen durfte man sich keinenfalls, damit es nicht ›so aussah‹ vor den Leuten.
»Uf jeden Fall,« hatte sie zu ihrem Mann gesagt, »laden wer deinen Schwager, den Heinze aus Golmütz un seine Frau ein, denn sind wir de Nobeln. Det se kommen, jloobe ik nich, aber mit 'n Hochzeitsjeschenk dürfen se sich denn doch nich lumpen lassen. Vielleicht 'n Paar fette Jänse, en paar Schinken, schöne Landleberwurscht, an Ende en janzet halbet Schwein – Jotte, man sieht ja mehr uf de Jesinnung – wat de Leute von 'n Lande so jrade haben!«
Frau Reschkes Empörung kannte keine Grenzen, als der Schwager Heinze sofort, kurz und ohne Grund, auf die Einladung abschrieb; kein Wort für Mine, keinen Gruß und – auch kein Geschenk. Mine mußte viel von der Schwiegermutter deswegen anhören. »Bande,« schimpfte die Aufgebrachte, und ›Bande‹ schrie der Papagei nach; das hatte er nun noch hinzugelernt.
Eine große Hochzeit würde es nicht werden, obgleich Frau Reschke alles zusammen lud, was nur in den Keller kam; ›Lahme und Blinde,‹ wie Arthur bitter sagte. Sie sagten alle ab. »Es is ihnen nich fein jenug,« klagte die Reschke. »Un se sind sicher so poplig un machen ooch nich mal en Jeschenk!«
Da war die Bertha doch anders! Frau Reschke, die immer mit ihr in Verbindung stand, Sachen von ihr in Verwahrung hatte, sie sogar zuweilen zwischen Hell und Dunkel besuchte, hatte ihr gleich die Verlobung angezeigt. Umgehend war eine hochfeine Gratulationskarte zurückgekommen – ein Amor, zwei Herzen mit einem Pfeil durchbohrend; unter Rosengewinden die Inschrift: ›Innigsten Glückwunsch‹. Die war nobel, die mußte eingeladen werden. Und Bertha, die es jetzt in einem Chambregarnie mit sehr viel Arbeit – der Lohn war in Hinblick auf das Trinkgeld, das besonders die Herren spenden sollten, auch nicht gut – miserabel getroffen hatte, sagte zu. Sie schrieb, ›es sei ihr bei der Schinderei leider nicht möglich, noch einmal vorher zu kommen, um ihre geliebte Freundin in die Arme zu schließen; doch würde sie sich am Hochzeitstag schon ganz früh einfinden, um selber der holden Braut den Kranz aufs Haupt zu setzen.‹
Hauptsächlich, um dem Jammer der Mutter wegen der mangelnden Hochzeitsgäste ein Ende zu machen, hatte Arthur noch Herrn Bartuschewski eingeladen, den ›Vizewirt‹ des neuen Hauses in der Bahnstraße, der parterre im Hof wohnte und Beleuchtung und Wasserleitungsangelegenheiten, Treppen- und Trottoirreinigung unter sich hatte. In der Frau entdeckte man noch dazu eine gute alte Bekannte – die junge, bleichsüchtige Marie von Rentiers. Jung schien die jetzt zwar nicht mehr, aber bleichsüchtig war sie noch immer. Blutleer und schwach stand sie unter den Vieren – drei Stiefkinder und ein eignes, – die sie umtobten; das fünfte Kind war auch nicht mehr fern. Mit großer Freudigkeit nahm das Ehepaar die Einladung an; Herr Bartuschewski litt an chronischem gutem Appetit, und Marie hatte, wie früher, immer noch extra Gelüste.
Aus Erkenntlichkeit für die Einladung borgte Herr Bartuschewski ein paar Holzböcke aus dem Keller, die die Tapezierer vergessen hatten; mit darüber gelegten Brettern und einem weißen Tuch gedeckt, verlängerten sie den Eßtisch. Und Marie, die in ihren Mußestunden Papierblumen zum Verkauf fertigte, spendierte davon einige zur Tafelausschmückung.
Es war seit seiner Verlobung das erste Mal, daß Arthur lächelte, als er am Vorabend seiner Hochzeit die blitzblank hergerichtete Stube musterte. Mit einem tiefen Atemzug trat er ans Fenster des hochgelegnen Zimmers und schaute hinab auf das Häusermeer mit den funkelnden Lichtsternchen, und dann weit entlang den breiten Schienenstrang der Potsdamer Bahn.
»Da sehn wer de Bahn fahren,« sagte er zu Mine, die auf den Knieen lag und noch einmal mit dem Scheuertuch die Wandleiste entlang wischte. »Da können wer uns einbilden, wer reisen mit, wie de Kapitalisten.«
Sie verstand ihn nicht. »Wenn wer nur immer satt haben,« sagte sie und sah sich befriedigt um.
Viel war nicht in der Stube: ein Bett, ein Korb für das Kind, ein Tisch, vier Stühle, ein Kleiderschrank, ein Spiegel – alles auf Abzahlung. Neben dem Eisenöfchen, das zugleich als Kochherd diente, hing ein Küchenrahmen; den hatte Vater Reschke gestiftet. Jedes Töpfchen, jeder Kochlöffel war mit himmelblauem Bändchen gebunden.
Als Mine in den Keller zurückkam – seit sie aus dem Dienst war, schlief sie die letzten paar Nächte dort, Arthur nächtigte schon in der neuen Wohnung, Mutter Reschke hielt auf Sitte und Anstand, – wartete ihrer eine Überraschung. Ein Paket, ein Paket von zu Hause.
Die Adresse lautete:
›vrau mine reschke (heinzes mine)
berlin in geller göbenschtraße 8.‹
Wer hatte das geschrieben?! Mine hatte noch nie ihrer Mutter Handschrift gesehn. Mit zitternden Händen riß sie die Verpackung auf. O weh, lauter Eier in einem alten Korb – zerbrochen, trotz dazwischen gestreuten Häcksels! Die gelbe Suppe lief ihr über die Finger.
Und dazwischen ein grobes Briefblatt, ganz durchnäßt, die Schrift kaum mehr zu entziffern:
›lübe dochder Ich gradelir der su deine huxt. heinze weeß nischt derfohn
deine Lübe Muter‹
Mine mußte weinen. Weinte sie darum, weil die Eier alle zerbrochen waren? Sie wußte selbst nicht warum; die Tränen kollerten ihr nur so über die Backen.
Frau Reschke jammerte; sie war ganz außer sich über den Verlust der schönen, frischen Eier. Mit einem Löffel suchte sie das noch Brauchbare in einen Topf zu schöpfen; wenn auch ein paar Häckselstückchen mit hineinkamen, das machte nichts, zu einem Napfkuchen war's noch zu verwenden. Sie brachte Mehl und Milch herzu und schickte Elli zum Bäcker nach Hefe.
Mine war zu nichts zu gebrauchen, sie stand und sah immer starr auf die Trümmer des eingedrückten Korbes.
Da gellte vorn die Klingel. Elli kam atemlos zurück. »Mama,« sagte sie mit dem ganzen, ihr anerzogenen Respekt vor dem Reichtum, »komm man rasch, die Reiche von oben! Mama, man los!«
»Jotte doch, die Eile! For 'n Sechser Mohrrüben, wat? Aber warten lassen will man ihr ja doch nich. Ik bin jrade bei's Kneten; jeh du man, Mine, aber en bißken fix, dalli, dalli!«
Fräulein Haberkorn stand im Laden, ihr schwarzes, abgeschabtes Ledertäschchen am Arm. Richtig, für fünf Pfennig Mohrrüben, und dann noch für fünf Pfennig Petersilie! Mine gab ihr reichlich, reichlicher, als Frau Reschke zu tun pflegte.
Da sahen die schwarzen Augen sie weniger stechend an, das magere, strenge Gesicht hellte sich etwas auf. Gewissermaßen entschuldigend sagte die Dame: »Ich brauche nur so kleine Portionen, ich esse so wenig. Von Gemüse kann ich nur Mohrrüben vertragen.«
»O, die sind ooch sehr gesund,« versicherte Mine, »besondersch gegen Würmer.«
»Die habe ich nicht, Gottsei Dank!« Fräulein Haberkorn verzog den Mund zu einer Art von Lächeln, dann fixierte sie das Mädchen scharf. »Sind Sie nicht die Schwiegertochter der Frau Reschke?«
»Ja.«
»Sie scheinen mir eine ganz verständige Person. Würden Sie nicht nebenbei eine Aufwartstelle übernehmen?«
»I natürlich, das will ich ja gerade!«
Die Dame sah sie wieder scharf an. »Bei mir?«
Nun bekam Mine doch einen kleinen Schreck; bei Fräulein Haberkorn hielt keine Aufwärterin aus, wie im ganzen Hause bekannt war. Das mußte doch einen Grund haben. Alle vier Wochen hatte die eine andere!
Aber was schadete das, sie konnte es ja einmal versuchen, es war doch gleich zu Anfang ein schöner Zuschuß. So sah sie dem Fräulein offen ins Gesicht. »Wenn Se mer haben wollen!«
»Gut, dann kommen Sie morgen früh.«
»Morjen –?! Entschuldigen Se, da is mein Hochzeitstag.«
Die Dame machte ein verdrießliches Gesicht. »So – na, die paar Stunden würden Sie sich wohl abmüßigen können. Aber dann übermorgen, um sieben Uhr, pünktlich!« Sie hob mahnend den Zeigefinger. »Vergessen Sie nicht!«
»Wo wer' ich?! Da haben Se de Hand druf!« Mine ergriff die dünne, in einem schäbigen schwarzen Glacé steckende Hand und schüttelte sie herzhaft.
Des Fräuleins Blicke drückten Verwunderung aus bei dieser treuherzigen Zutraulichkeit. –
Frau Reschke war sehr ungehalten, daß Mine nicht gleich ausgemacht, wieviel sie für den Monat bekommen sollte. »Mindestens fufzehn Mark. Hättste man dreiste gefordert; ordentlich schrauben, die sitzt jetzt in de Klemme. Und se hat's ja derzu. Det sieht se jar keener an, wie ville Dausende die hat. Sieht aus, als wollt se ansprechen jehn. Keen Armer kriegt ooch an ihre Türe wat, da macht se Krach; aber wenn eener kommt mit de Liste for Kirchenbau oder for sonst 'nen wohltätigen Zweck, da steht se angeschrieben mit jroße Summen. So 'ne, die da so jroßartig sind, die knappsen jerne wo anders. Sieh man zu, det se ordentlich berappt.«
»Wer' schon,« sagte Mine, aber ihre Gedanken waren nicht dabei. Morgen war ja ihr Hochzeitstag! Sie tat alles, was noch zu tun war, ganz mechanisch, wie im Traum.
Am Abend kam Grete zu ihr in die Kammer geschlüpft, die Schuhe in der Hand, damit die Eltern ihren Tritt nicht hörten. Sie legte Mine, die schon im Bett war, zwei Büchelchen auf die Decke: ›Heilsarmee-Liederbuch‹ und ›Bekenntnisse eines glücklichen Heilsarmeesoldaten‹.
Liebevoll sah sie auf die im Schlaf Befangene nieder, bückte sich und hauchte ihr ins Ohr: »Da, das Beste, was ich habe. Halleluja!«
Aber Mine brummte etwas Unverständliches und drehte sich auf die andre Seite. Da schlich Grete wieder fort. –
Der Sonntag war mild und sonnig. Frau Reschke war unglücklich über das Wetter; sie hätte es lieber gehabt, wenn es der Braut in den Kranz geregnet, das brachte Glück. Aber Mine war froh über den trockenen Boden und den wolkenlosen Himmel; da machten sie ihr doch nicht gleich Schmutztappen auf die frischgestrichenen Dielen.
Der Tag hatte überhaupt gut begonnen. Müldners Kinder waren dagewesen und hatten das Hochzeitsgeschenk der Eltern überbracht: ein herrliches Kaffeeservice, goldgerändert, mit rosa Gänseblümchen und grünen Blättchen bestreut. Mine war ganz außer sich vor Entzücken; am meisten war sie beglückt über das kleine Sträußchen, das ihr Irma, die auf dem Arm des neuen Mädchens, einer unfreundlichen, verdrossenen Person, auch mitgekommen war, schenkte. Sie herzte und küßte das Kind, das ihr so viele schlaflose Nächte bereitet, mit einer stürmischen, dankerfüllten Zärtlichkeit.
Während das Brautpaar, von Vater Reschke und Herrn Bartuschewski als Zeugen geleitet, auf dem Standesamte war, erschien Bertha. Sie brachte Kranz und Schleier mit. Frau Reschke prüfte mit Kennerblick den Kranz: »Ne, Berthchen, aber sehr niedlich! Als wenn er künstlich täte sein!«
»Das is er ja auch,« sagte Bertha stolz, »sehn Se: Wachs!« Und sie ließ Frau Reschke die fingergliedlangen wächsernen Orangenblütenknospen fühlen, die mit glänzendgrünen, gewachsten Blättern zu einem handhohen Diadem gewunden waren. Nun kannte die Bewunderung keine Grenzen – künstlich! »Jroßartig, Berthchen, jroßartig! Wie Sie nobel sind!«
Als Mine zurückkam, sollte sie gleich aufprobieren, aber, sehr rot werdend, nahm sie rasch den Kranz wieder herunter. »Ne, ne.«
Da fuhr die Schwiegermutter auf: »Nanu, was denn los? Zu dämlich, de willst nich? So wat Scheenet, so wat jroßartig Jeschmackvollet!«
»Ne, er kommt mer nich zu,« sagte Mine leise und schlug den Blick nieder.
»Nanu wird's Tag! Wer sind doch nich uf 'n Dorfe, mank de alten Moden?! Wer sind in de Stadt, bei ufjeklärte Leute. Natürlich setzste ihm uf; wat sollen denn sonst de Leute denken?!« – – –
So saß denn Mine jetzt in ihrer Wohnung und ließ sich von Bertha schmücken.
Die beiden Freundinnen waren allein in der Stube, Arthur war auf Mines Bitten gegangen, um sich rasieren und das Haar schneiden zu lassen, so stoppelig und zottelig sollte er doch nicht vor den Altar treten.
Mine saß regungslos, während Bertha ihr mit der Brennschere auf dem Kopf herum arbeitete und dabei in einem fort schwatzte: »Das Haarbrennen hab ich bei der Schmettana gelernt, aus'm Effeff. Wenn ich nich so'n Pech hätte, könnt ich bei 'ner Gräfin als Jungfer sein. Na, bei der Schmettana, da kriegt eine schon was zu sehen! Manchmal muß ich mer totlachen – nich richtig lesen und schreiben konnt se, aber seidne Hemden und seidne Hosen un seidne Unterröcke. Riesig nobel! Eigentlich war se ganz nett, manchmal waren wer wie de Schwestern, un dann erzählte se mer alles. Aber wenn se denn ihre Mucken kriegte, wurd ich ooch tück'sch; von so eine wird man sich doch nischt gefallen lassen! Denn brannt ich se beim Frisieren gehörig mit de Brennschere. Halt doch still, Mine!«
Ihre flinken Finger zupften hier und zupften da, das straffe Haar der Braut war schwer zu kräuseln. Der Geschicklichkeit Berthas gelang es aber doch; wenn es auch ein wenig verbrannt roch, bald sträubte es sich in einem Lockenwust um Stirn und Schläfen. Nun noch den ellenlangen Schleier befestigt; dann den Kranz.
»Fertig,« sagte Bertha wohlgefällig und half der Braut in die Taille des schwarzwollnen Kleides. Das war noch dasselbe, das sich Mine ein Jahr vor Fridchens Geburt angeschafft; es war noch so gut wie neu, nur an den jetzt doch ausgelassenen Nähten zeigte es blanke Stellen.
Grete brachte Fridchen, die sollte auch fein gemacht werden. Das Kind schrie, als sich ihm die Mutter mit dem fremdartigen Kopfputz entgegen neigte.
Auch Bertha machte Toilette; in einem Karton hatte sie ihren Hochzeitsstaat mitgebracht: ein elegantes, weißwollnes Kleid, noch von der Schmettana stammend, mit viel Spitzenschmuck und langwallenden Seidenbändern. Sie trippelte gerade mit bloßen Schultern, im gestickten Unterrock, in fein gewebten Strümpfen und ausgeschnittnen Lackschuhen, um den gedeckten Tisch, als Arthur wiederkam. Er betrachtete sie mit großen Augen – die hätte eine schöne Braut abgegeben!
Um dreiviertel zwei war die Trauung. Frau Reschke hatte auf einer kirchlichen bestanden; alle feinen Leute machten es so: erst standesamtlich, dann kirchlich. Und dann auch nicht eine Trauung in der Schummerstunde mit Gott weiß was für Volk zusammen, nein, eine für sich ganz allein, am hellichten Mittag; über die paar Mark, die das extra kostete, kam man wohl auch noch weg. Und das mußte man ja auch rechnen, daß Fridchens Taufe, bei der allgemeinen Taufe um zwei Uhr, gar nichts kostete. Das Kind konnte schon ›im Rummel mit abgemacht werden,‹ da kam's nicht darauf an; und bequem war es, auf die Weise gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, das lästige zweimal in die Kirche Laufen fiel so weg.
Bald nach eins schon kam die Brautkutsche; Mutter Reschke hatte sie für ihren Arthur bestellt. Sämtliche Kinder der Nachbarschaft und auch viele Erwachsne umlagerten das Tor und gafften neugierig, wie das Brautpaar im Fond, Bertha mit Fridchen auf dem Rücksitz Platz nahmen.
Während sie nach der Lutherkirche rollten, sprach Mine kein Wort, auch Arthur nicht. Sie sah unentwegt in ihren Schoß; er blickte zum Fenster hinaus und rückte an dem vom Vater entlehnten Zylinder.
An der Kirche wurden sie von ihren Angehörigen erwartet; Vater Reschke, der zur Vorfeier ein paar Weiße mehr getrunken, war sehr vergnügt, Mutter Reschke dagegen sehr erregt. Ihre Lippen zitterten, als sie die Schwiegertochter von Kopf bis zu Füßen maß – wahrhaftig, sie hätte dem Arthur 'ne andre gegönnt! Daß der arme Junge so reinfallen mußte! Sie nahm sofort Berthas Arm und ging mit der auf die Seite.
Frau Bartuschewski war in der Wohnung des jungen Paares zurückgeblieben, um den Kaffee zu kochen; Grete begoß zu Hause im Keller den Schweinebraten. Herr Bartuschewski hielt Arthur am Rockknopf und fragte ihn besorgt, ob das Bier auch reichen würde. Elli hatte sich von der Mutter Hand losgemacht und ließ ihre blaue Schärpe und ihr weißes Kleidchen, in dem sie erbärmlich fror, von einem Rudel Gassenkinder bewundern.
So stand Mine ganz allein.
Ihre Augen irrten über den weiten Platz mit den blütenleeren Büschen und den kahlen Bäumen; der Herbstwind spielte mit einem letzten braunen Blatt und fegte es wirbelnd in die Gosse.
Mines Blick suchte Fridchen – ach, wenn sie die doch wenigstens auf dem Arm hätte halten dürfen!
Sie war froh, als der Küster ihnen die Sakristei aufschloß. Mit ihnen zugleich traten eine Menge Frauen und Männer ein, kleine, vermummte und verhängte Bündel tragend, die sich, nachdem innen die Schleier gelüftet, als die der Taufe um zwei gewärtigen Täuflinge entpuppten. Mines gesenkter Blick hob sich unwillkürlich – war wohl ein einziges jener Kinder so hübsch und lieb, wie Fridchen?! Sie verglich im stillen und vergaß sich so ganz dabei, daß sie zusammenschreckte, als der Küster sie am Ärmel zupfte. Mit einer würdevollen Handbewegung wies er auf die Pforte, die aus der Sakristei in den Innenraum führte.
Arthur bot ihr den Arm; sie stolperte über ihr Kleid, irgendwo verfing sich ihr Schleier, ihr Herz pochte rasch und setzte dann wieder den Schlag aus; sie genierte sich so.
Von der Höhe dieser Wölbung war sie ganz überwältigt, das war etwas andres, als die kleine Dorfkirche daheim! Sie fühlte sich erschreckt, bedrückt, gedemütigt unter diesen himmelanstrebenden Pfeilern. Durch farbige Fenster fiel gedämpftes Licht. Vor ihre Augen legte sich's wie ein Schleier, undeutlich nur sah sie den bunten Mosaikboden, auf den ihre Füße traten.
Unsicher schritt sie zum Altar. Der Geistliche sprach rasch, sie verstand nicht, was er sagte. Ganz fern drang das Brausen der Straße in die kirchliche Stille.
Nichts Altvertrautes war um sie, nichts Liebbekanntes, alles neu, fremd – alles, alles! Und fremd war auch der Mann an ihrer Seite, ganz fremd! Sie selbst ein losgelöstes Blatt, abgerissen von dem Baum, an dem es bisher gehangen.
Mine fühlte, wie sich ihr Herz zusammenzog; heiß stiegen Tränen in ihre Augen – da – ein gelallter Laut in der fremden beängstigenden Weite! Fridchens dünnes, schwaches Stimmchen!
Nein, nicht weinen! Ein Aufleuchten kam in ihren Blick. Sie neigte sich näher gegen die jugendliche Gestalt an ihrer Seite – er war doch der Vater ihres Kindes!
Als der Geistliche ihre Hände zusammenfügte, drückte Mine die Hand ihres Mannes mit aller Kraft.