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XVII

›Man muß den Jlücke die Hand bieten,‹ war eine beliebte Redensart von Mutter Reschke; darum schickte sie ihre Tochter Trude so oft, als möglich, herüber in Handkes Laden. Elli durfte nicht mehr einholen, immer Trude. Sogar nach Sachen, die sie selber im Laden führten, schickte sie. ›Für zehn Pfennige Salz! Ein halb Liter Petroleum; ein viertel Pfund Kaffee,‹ und so weiter.

Es war ein wichtiger Tag, an dem Trude zum ersten Mal berichten konnte: »Mutter, er hat alle, die vor mir da waren, wohl Stücker sieben, stehen lassen un mich zuerst bedient!«

Frau Reschkes bekümmertes Gesicht hellte sich auf; das war doch eine frohe Aussicht! Und die hatte sie jetzt wahrhaftig nötig, wo ihr armer Arthur so drinne saß. Gestern erst war er dagewesen und hatte Stein und Bein geklagt. War das eine Schinderei! Von morgens früh bis abends spät krumm sitzen wie ein Fiedelbogen, immer die Feder in der Hand, und dann war's immer noch nicht rasch genug geschrieben; nur eine Stunde Mittag, und dann wieder in das finstre Bureau, wo man sich die Augen verdarb. Und alles für fünfzig Mark! Ein Skandal! Nein, lange würde er's da nicht mehr machen, hatte Arthur gesagt.

Wie elend er aussah! Klapperdürr, die Kleider schlotterten ihm ordentlich, und die schwache Linie des dunklen Schnurrbärtchens hob noch mehr die Blässe der blutleeren Lippen.

Die Mutter hatte für ihn in die Kasse gegriffen, leider Gottes war nicht viel darin; der Grünkram in der Kirchbachstraße tat ihnen zu viel Abbruch, und seit sich, sechs Häuser weiter in der Göbenstraße, auch noch ein neuer aufgetan hatte, war gar nichts mehr los. Unerhört, daß Krethi und Plethi die Konzession kriegte! Und was die den Dienstmädchen für Präsente zugaben! Freilich, dagegen konnten reelle Leute nicht ankommen.

Wenn nur der Kommis drüben auf Trude anbiß, dann war alles gut!

Und so hörte denn Trude, wenn sie mittags nach Hause kam, wenn sie abends nach Hause kam – abgespannt und müde – wenn sie morgens gähnend stand und ihr Haar brannte, immer nur von dem ›reizenden Menschen‹. »So 'n Reicher! En eijnet Jeschäft! Da is eene fein raus!«

»Laßt mich zufrieden,« hatte sie zuerst gebrummt, und dann lässig hingesagt: »Meinswegen,« und dann zu guter Letzt doch die Ohren gespitzt.

Am letzten Sonntag des März luden Reschkes ›ihn‹ zum ersten Mal ein.

Da das Wetter angenehm, war vorerst ein kleiner Spaziergang verabredet. Punkt fünf Uhr erwartete Herr Ladewig aus Kottbus die Herrschaften vor ihrer Tür.

Und sie kamen; Ellichen voran. Frau Reschke in schwarzer Seide – die stammte noch von ihrer Hochzeit her – Herr Reschke im Zylinder und Trude mit einem knapp sitzenden Kleidchen von leuchtendem Rot. Sie ging ›per Taille‹ und steckte das Veilchensträußchen, das ihr Herr Ladewig mit einer Verbeugung überreichte, vorn an den Busen.

Alle Herren drehten sich nach ihr um; ihr rotes Kleid schimmerte weithin durch die mattgrün knospenden Büsche des Tiergartens. Der Kommis, der an ihrer Seite, zehn Schritt vor den Eltern, herschlenderte, fühlte sich sehr geschmeichelt. Nun sollte ihn mal einer aus Kottbus sehen! Riesig schneidiges Mädchen!

Er sagte ihr das auch, und sie blinzelte ihn an, den Kopf ein wenig zur Seite geneigt. »Na, na, das werden Sie schon vielen gesagt haben!«

»Ehrenwort, Fräulein, noch nich,« beteuerte er und wagte es, zur Bekräftigung, ihre Hand zu drücken. Sie ließ ihm die zierlichen Fingerspitzen ein paar Augenblicke, ein ganzer Strom prickelnden, begehrlichen Lebens glitt in seine dicken, roten, ewig verfrorenen Finger über.

Frau Reschke, die am Arm ihres Gatten, aufmerksam beobachtend, hinterher rauschte, war sehr befriedigt. »Haste jesehen,« raunte sie, »wie er ihr anplinkert? Sorje man, det er heute ordentlich wat trinkt, denn schießt er los – wetten?!«

»Denn kaufe ich mer'n Militärjaul,« murmelte Reschke, »für nach de Halle zu fahren. Un Sonntags nach'n Jrunewald!«

»I wo, biste verrückt?! Denn setzen wir uns zur Ruhe, sage ik dir. Mit'n Jeschäft is so wie so nich ville mehr los.«

Das sah er ein. »Da haste recht, Amalchen!« Er schob den Zylinder vor und kraute sich den Kopf. »Bei's Bücherführen kommt nischte nich raus.«

»Athur'n wer'n wer denn doch noch studieren lassen,« sagte sie nachdenklich.

»Jetz bist du woll verrückt,« schrie er ziemlich laut und grob. »Arthur hier un Arthur da! Was jeht mir der Bengel an? Nirgendswo hält er aus, der Faulenzer, der –«

»Pst, pst!« Sie drückte seinen Arm.

Und Elli, die an der Mutter Hand einherstolzierte, sagte mit ihrer spitzigen Kinderstimme: »Aber, Papa, er hört dir ja!«

»Ja, Ellichen hat janz recht!« Frau Reschke zitterte vor Empörung. »Du hast keen Herz vor deine Kinder. Wenn der« – sie wies mit dem Blick nach dem voranschreitenden Courmacher – »dir so'n Radau machen hört, schnappt er jleich ab. Biste stille!« Sie kniff ihm in den Arm, und dann rief sie mit süßer Stimme: »Schlag nich so'n Jalopp an, Trudeken, mein Kind! Herr Ladewig kann der ja jar nich beibleiben!«

Trude hatte in der Tat plötzlich ihre Schritte so beschleunigt, als ob sie verfolgt würde. Von weitem glaubte sie in der Siegesallee, dort wo eine schaulustige Menge sich um die neuerrichteten Standbilder drängte, in einer Droschke erster Klasse, im Fond neben einer älteren Dame, einen jungen hübschen Mann zu sehen – Leo! Blindlings stürzte sie in einen schmalen Seitenpfad.

»Komm,« sagte Frau Reschke und hielt ihren Mann, der dem jungen Paar folgen wollte, am Ärmel zurück. »Laß se man alleene!«

Die Eltern mit Ellichen gingen stracks nach Hause zurück. Es war Frau Reschke angenehm, noch ungestört einige Vorbereitungen treffen zu können. Der Tisch war zwar gedeckt, in der Mitte ein vom Gärtner gewundener Blumenstrauß, aber draußen in der Bratröhre kreischte die Pute. Grete, die sie unaufhörlich hatte begießen sollen, lag auf dem Küchentischbett und schlief; kaum, daß eine derbe Ohrfeige sie erweckte.

Das blasse Mädchen stammelte, daß ihm nicht wohl sei, die Glieder so todmüde, der Kopf bleischwer.

»Warum nich jar?! Immer dalli, mach dir man nützlich. Aber daß de mer nachher nich rumhockst, wenn der Besuch da is! Fix, hol mer man en bißken Zucker um überzustreuen, denn wird se schöner braun. Un Vater soll den Wein ufstellen, 'ne Flasche vor jedet Kuwehr! Hier, den Apfelmus kannste rintragen und den Jurkensalat. Daß de mer nich an de Torte rumpolkst und bei de Schlagsahne jehst! Los, was stehste denn noch?!«

»Ich – hab – Hunger,« sagte mühsam das Kind.

»Nanu?! Jetz jibt's noch nischt. Deine Schmalzstullen wer' ik der nachher uf'n Ladentisch lejen. Du kannst der im Laden ufhalten, da kommt keener hin. Hier kannste nich bleiben. So – da – es kloppt schon hinten! Mach, daß de rauskommst, fix!«

Wie ein flüchtiger Schatten verschwand Grete.

Es war noch nicht das junge Paar. Nur Arthur. Blaß und mißmutig kam er nach der Küche, stellte sich an den Herd, die Hände in den Hosentaschen, und sah zu, wie seine Mutter noch frische Butter auf den Braten tat.

»Ihr laßt euch ja nischt abgehn,« sagte er verbissen.

»Nanu? Heute!« Sie hob den Blick nicht von der Pute, auf ihr gerötetes Vollmondgesicht warf der flackernde Schein des Feuers fettig strahlende Reflexe.

»Was is denn los?«

»Na, Trude verlobt sich!«

»So,« brummte er gleichgültig und biß an seinen Nägeln.

»En reizender Mensch! En janz besondrer Mensch!«

Arthur zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich hat er Geld!«

»Wahrscheinlich?! Du bis jut! Ob der Jeld hat! 'ne Partie, 'ne janz jroßartige Partie!«

Er lachte bitter. »Na, wenn Trude denn so 'ne jroßartige Partie macht, dann sorge man dafür, daß von dem reichen Schwager auch für mich was übrig bleibt. Seit gestern bin ich nich mehr beim Rechtsanwalt.«

»Wa – – as?!« Der Schöpflöffel fiel der Mutter aus der Hand. »Jotte doch, Athur, wie du ei'n erschreckst! Ei wei, was wird Vater sagen!«

»Das is mir ganz schnuppe,« sagte er trotzig und stierte mit seinem bleichen Gesicht immer in die Bratröhre hinein. »Der soll man ganz stille sein, und du auch! Ihr seid an allem schuld.«

»An was denn? Wir – schuld? Wat redste denn, Athur! Haben wer der nich ufs Jymnasium jehen lassen?«

»Das habt ihr, haha!« Er gab dem Kohlenkasten einen Tritt, daß er ein Stück weit in die Küche hineinflog. »Und jetzt soll ich mir von dem Bureauvorsteher mit seiner Volksschulbildung grob kommen lassen?! Das paßt mer nich.«

»Nu wird's Tag!« Mutter Reschke stemmte die Arme in die Seiten. »Is's möglich, so eener hat de Dreistigkeit? So eener, der nich ufs Jymnasium war, der nich mal weeß, wie sich jebild'te Leute benehmen! Da haste recht, da stimme ik der bei – von den was jefallen lassen?! – Noch schönter. Ne, det haste nich nötig; da wird sich ebent wat anders finden.«

»Wird verdammt schwer halten,« sagte er düster.

In diesem Augenblick hörte man drinnen Vater Reschkes dröhnenden Baß und Trudes spitzes Lachen.

»Se sind da! Still, Athur, still,« flüsterte hastig die Mutter. »Jeh man rin, mach en freundlichtes Jesichte! Wird sich allens finden. Heut sind wer fidel!« Sie schob ihn zur Küche hinaus. –

Trude war sehr lustig vom Spaziergang zurückgekehrt; sie lachte öfter laut auf, ohne jede Veranlassung, und warf den Oberkörper hintenüber.

Herr Ladewig behielt ein beständiges Schmunzeln bei, schüttelte Arthur freundschaftlich die Hand, zupfte an seiner Piqué-Weste und sah Trude verliebt an; aber er sagte nicht viel. Vater Reschke hatte ihn aufs Sofa genötigt, da saß er nun, hatte Elli an sein Knie gezogen und ließ sie mit seiner Uhrkette spielen.

»Is die von Jold?« fragte die Kleine naseweis. »Kaufst du deine Frau auch eine von Jold?«

Alle lachten.

»Ja, unse Elli,« sagte Reschke stolz, »die is helle!«

Nun trug Frau Reschke die Pute auf und legte selbst vor, dem Gast das größte Stück. Sie nötigte: »Na, man los, Kinder, eßt los! Vater, schenk doch ein! Herr Ladewig, Se werden bessren Mosel jewohnt sind, aber keenen, der so von Herzen kommt! Trude, rück doch zu Herrn Ladewig uf's Sofa, der sitzt ja da so mutterwindalleene, wie der Punkt uf's I.«

»Damit er sich nicht bangt,« sagte Trude und rückte neben den jungen Mann.

Vater Reschke schenkte wacker ein, die Zungen lösten sich, die Unterhaltung kam in Fluß.

Elli lief mit dem Putenbein, das ihr der Vater zum Abnagen gegeben, um den Tisch, zupfte ihre Schwester, zupfte den jungen Mann, nippte aus allen Gläsern und kreischte ausgelassen.

Herr Ladewig erzählte von Kottbuser Spezialitäten, die sein Vater alle am Lager hatte: Gänsebrüste prima Qualität, braunen Baumkuchen mit weißem Zuckerguß und andre Herrlichkeiten.

Frau Reschke schaute ihn ganz verzückt an; dabei troff ihr die Fettsauce vom Mund nieder auf die Serviette, die sie mit zwei Klammernadeln auf dem mächtigen Busen befestigt.

Man war im besten Vergnügen, als es an der Hintertür klopfte. Der dummen Elli, die öffnete, hatte man's zu verdanken, daß Mine hereinstolperte, die sich nicht recht näher traute und unter Stottern eine Ausrede, warum sie gekommen, vorbrachte. Als sie die scheu gesenkten Lider hob und Arthur bemerkte, überflog ein Freudenschein ihr verstörtes Gesicht.

Frau Reschke bot Mine nichts an, nötigte sie nicht einmal zum Sitzen – das hatte gefehlt, daß die heute hier hereinschneite! Nanu, wie sah die denn aus?! Sie war plötzlich so auffallend kühl zu der Nichte, daß diese gedrückt sagte, sie wolle nicht stören und wieder gehen. Niemand hielt sie zurück.

Aber ein letzter Blick streifte Arthur, so flehend, so verzweiflungsvoll, so bedeutsam, daß er sich wider seinen Willen emporgezogen fühlte und unter dem gemurmelten Vorwand, er wolle Mine vorn zum Laden herauslassen, vor ihr her zur Glastür schritt.

Niemand achtete auf die beiden; sie hatten alle mit sich zu tun.

Vater Reschke stieß eben zum so und so vielten Male mit dem Gast an; er war bereits im Stadium der Rührung angekommen und lallte mit tränenverquollener Stimme: »Prost – lieber Ladewig – mein lieber Ladewig, hochverehrter Herr Ladewig – sehr anjenehm – sind nur bei einfachen – prost – bei einfachen Leuten, aber im Schoß – prost – einer jlücklichen Familie!«

Herr Ladewig, vom reichlichen Essen und Trinken angefeuert, lispelte in Trudes Ohr und verschlang sie mit schwimmenden Blicken. Trude selbst sah in ihren Schoß und kicherte unausgesetzt, aber sie litt es, daß Herr Ladewig ihre zarte Taille mit seinen klobigen roten Frost-Fingern umfaßte.

Frau Reschke betrachtete das Paar auf dem Sofa mit wahrhaft mütterlichen Blicken, und Elli machte sich das allgemeine Inanspruchgenommensein zunutze und verschlang noch den letzten Gurkensalat und alle übrig gebliebene Schlagsahne. –

Im dunklen Laden fühlte sich Arthur von Mines kalten, zitternden Händen umfaßt.

»Ich war bei der – ich mußt der sprechen – de warst nich zu Haus – ich hab der gesucht – ich muß der sprechen, Jeses, Jeses, Arthur! Die Angst! Se haben mer gekündigt – der Erschte is vor die Tür – wo soll ich hin?! Was mach ich?! Ich trau mer nich in 'n Dienst. Keiner will mich mehr – kann mich auch keiner mehr brauchen – mer sieht mer'sch ja an! Arthur, Arthur!« Sie klammerte sich an ihn.

Er stand wie betäubt, von einem lähmenden Entsetzen befallen.

»Sag mer doch – Arthur – hilf mer, was mach ich?!«

»Was weiß ich – was weiß ich?« stammelte er.

»O Jeses, Arthur, bedenk doch! Was machen wer? Wenn ich auch tu, als wär's nich, es ist doch da. Un es kommt, es kommt bald! Arthur!« Sie rüttelte ihn verzweifelt.

»Um Gottes willen, nich so laut!« Zitternd legte er ihr die Hand auf den Mund. »Kannste nich zu deinen Eltern? Geh doch zu deinen Eltern!«

»Ne, ne, so laß ich mer nich zu Hause sehn! Nie.« Ihre Stimme erstickte fast, eine glühende Schamröte überzog ihr Gesicht. » So komm ich nich heeme.«

»Ja, was machste denn da – was machste denn da,« sagte er mechanisch, wie geistesabwesend.

Sie schrie laut auf. »Du wirst mer doch nich in Stich lassen, gelle, Arthur?!«

Wären die in der Stube jetzt nicht so laut geworden, sie hätten die Stimme hören müssen, diese einzelne Stimme, die doch wie ein gewaltiger Chor den ganzen Jammer der Kreatur verkündete.

Der Schrei ging unter im Gelächter und lustigen Gedudel.

Zitternd stand Arthur. Eine jähe Verzweiflung überkam ihn, wild sah er sich um: Alles schwarz – schwarz – ewige Finsternis! Kein Lichtstrahl!

Mit den geballten Fäusten hieb er hinein ins feste, undurchdringliche Dunkel. »Verfluchter Keller!«

Sie hing sich an ihn. »Schimpf nich, Arthur, es nutzt nischt. Denk lieber, was wer machen wollen!«

»Da is nischt zu denken, da is nischt zu machen! Daß du's nur weißt, seit gestern bin ich auch meine Stelle los.«

Zurücktaumelnd stieß sie einen unartikulierten Laut aus – das traf sie wie ein Schlag ins Gesicht. Auf diese Stelle hatte sie eine unklare Hoffnung, aber doch immer eine Hoffnung gesetzt. »Los – deine Stelle – du bis nich mehr da – was nu?!«

»Ich wer mich doch nich hudeln lassen,« murrte er, seine Angst unter Trotz versteckend.

»Ach, Arthur!« Sie brach in Tränen aus. Kein lautes Schluchzen, aber ein Schluchzen tief innen.

»Schrei nich so,« fuhr er sie an und preßte ihre Hand, daß seine Nägel ihr ins Fleisch drangen.

»Ich schrei ja nich.« Ihre Stimme klang ganz leise, wie verlöscht. Da packte ihn der Schmerz; in Tränen ausbrechend, umschlang er sie und schluchzte an ihrem Halse.

Stumme Minuten in tiefer Dunkelheit.

Sie hielten sich umfangen wie zwei Verbrecher, zitternd angesichts des Schafotts.

Ein Ruf schreckte sie auf.

»Athur! Athur, wo bleibste denn?«

»Mutter!« Sinnlos vor Furcht, riß der junge Mensch sich los, ließ Mine stehen und rannte zurück ins Wohnzimmer.

Sie war allein im Dunkel – ganz allein! Nein, doch nicht allein! Ein banger Seufzer zitterte durch die Finsternis und antwortete ihrem Seufzer. Fast hätte sie aufgeschrieen vor Schreck, eine feuchtkalte Hand berührte die ihre. Unhörbar war es herangeschlichen, jetzt schmiegte es sich an sie. Es hauchte in ihr Ohr: »Sei nich traurig, Mine!«

»Grete!« Mehr konnte sie nicht sagen, unaufhaltsam rannen ihre Tränen.

Und die häßliche Stimme hauchte:

»Sage es Jesu,
Du hast sonst nimmer
Solchen Freund und Bruder,
Sage es Jesu!«

»Ne, ne, laß mer in Ruh!« Unwirsch riß sich Mine los und stürmte zum Keller hinaus, die Tür hinter sich zuwerfend.


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