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Es hatte sich für Bertha nichts gefunden. Was wollte sie denn eigentlich auch?!
›De Dame spielen,‹ sagte Mutter Reschke mit einem maliziösen Lächeln. Sie war lange nicht mehr so gut auf Bertha zu sprechen; das war ja unerhört, daß die nun schon acht Tage den jungen Leuten auf dem Hals saß! »Konnte die nich bei mir kommen?!«
Aber Bertha gestand Mine ein, daß sie nicht so gut bei Kasse sei, um bei Mutter Reschke zu wohnen, »'s kommt mer ja nich drauf an; wenn ich's hab, geb ich's gerne. Aber nu hab ich's eben nich; das Hemd vom Leibe kann ich mer doch nich runterschwatzen lassen!«
So behalf man sich in der einzigen Stube.
Arthur hatte dem Gast galant seinen Platz im Bett abgetreten und schlief auf einem vom Nachbarn geborgten Strohsack hinter dem Kleiderschrank.
Während Mine nach schwerem Tagewerk den traumlosen Schlaf tiefster Ermüdung schlief, lag Bertha mit offnen Augen und starrte in den Mond, der durchs unverhängte Fenster bleich herein sah. Er beschien die ganze Dürftigkeit. Berthas Augen wurden immer größer, ihre Blicke angstvoll, fast entsetzt. Sie kniff die Lider zu und stieß einen Seufzer aus; und aus der Ecke hinterm Schrank antwortete ein andrer Seufzer. Hin und her, in rastloser Unzufriedenheit warf sich Arthur auf seinem Strohsack.
Am Tag war Bertha heiter. Da nähte sie ein bißchen, häkelte ein bißchen, gähnte ein bißchen, kochte Arthur das Essen und schlenderte mit Fridchen spazieren.
Mine war jetzt alle Tage auf Arbeit, mußte sie doch doppelt verdienen – Arthur war stellenlos. Der Prinzipal war seiner Kündigung zuvorgekommen und hatte ihn entlassen. War das 'ne Manier, einen fleißigen Arbeiter brotlos machen?! Er fand beim Budiker immer einen Kreis teilnehmender Schicksalsgenossen.
Wahrhaftig, da verging einem doch alle Lust, wieder neuer Beschäftigung nachzugehen! Nur auf Mines ewiges Quälen hin entschloß er sich, Arbeit zu suchen.
Alle Tage ging er aus, blieb Stunden und Stunden weg, schlenderte langsam übers Trottoir, stand, die Hände in den Hosentaschen, vor einem Schaufenster oder nahm die Arbeiten an seinem Neubau in Augenschein. Überall gab's was zu sehen, was zu begutachten. Da war eine Pferdebahn aus den Schienen gesprungen, da ein Pferd gestürzt, hier wurde an der Kanalisation gearbeitet, dort ein Betrunkener vom Schutzmann beim Kragen gepackt. Immer stand Arthur mitten in dem sich ansammelnden Menschenhaufen.
Auch bei seiner Mutter saß er viel, vorn im Laden. Nach hinten in die Wohnstube ging er nicht, da hielt sich der Alte auf; der war ihm zu langweilig, zudem hatte er eine Vorliebe für die Schwiegertochter gefaßt. Jedes Wort, das der zu Mines Lob sagte, reizte Arthur.
Er war nicht eben freundlich, wenn Mine abgearbeitet nach Hause kam. Wie sah die aus! Der richtige ›Trampel‹! Vergleichend flog sein Blick zu Bertha hin – wie lustig, wie zierlich! Jede ihrer weichen, wiegenden Bewegungen, ihr spitzbübisches Lächeln, ihr kühler und doch so sprechender Blick, alles an ihr lockte ihn.
Heute hatte er von sechs bis zehn beim Budiker gesessen, sein Kopf war rot, als er nach Hause kam. Noch war Bertha allein; seine Augen flammten auf. Sie saß am Tisch, hatte eine Näherei vor sich liegen, tat aber nichts. Gähnend blinzelte sie ins Licht. Da trat er rasch hinter sie, faßte sie fest um die Taille und drückte ihr einen heißen Kuß auf den Nacken, über dem die goldnen Härchen wie weicher Flaum lagen. Aber schneller als zu ahnen, drehte sie sich um und schlug ihm eine Ohrfeige, die ordentlich knallte.
In diesem Augenblick trat Mine ein. Sie wurde sehr blaß; sie sagte nichts, nur einen Seufzer stieß sie aus, als sie sich bückte, um die feuchten Strümpfe von den Füßen zu streifen. Den ganzen Tag war sie schon nicht recht wohl gewesen, so müde und schwindelig, jetzt lag es ihr auf dem Magen wie Stein.
Am nächsten Morgen war sie noch immer blaß und still, da tuschelte ihr Bertha ins Ohr: »Sei man ruhig, Mine, so sind se alle. Der Arthur is noch lang nich der schlimmste. Mir wirste nu los, heut noch geh ich nach 'ne Stelle!«
Ein schwaches Lächeln huschte über Mines ernstes Gesicht und glättete für einen Augenblick die Falten auf ihrer Stirn.
Als sie die Treppen hinunter zur Arbeit ging, tönte vom Hof herauf ein Poltern und Krachen, ein dröhnendes Schimpfen, ein Frauen- und Kindergekreisch. O weh, das kam wieder von Bartuschewskis! Sie hatten noch dazu ein Fenster auf.
Mine blieb lauschend stehn und drückte die Hand gegen das klopfende Herz. Nein, so war ihr Arthur denn doch nicht! Bertha hatte recht, Arthur war noch lange nicht der schlimmste. Wenn er doch nur erst wieder eine Stelle hätte, dann war alles gut!
Den ganzen Tag konnte sie nichts andres denken: Hätte er nur eine Stelle! Sie war wie besessen von diesem Wunsch. Ihre Seele war nicht bei der Arbeit. Die Geheimrätin, bei der sie den Salon reinmachte, hatte gar nicht unrecht, wenn sie heute über die Putzfrau klagte. Hatte die doch in ihrer Zerstreutheit eine Vase vom Kamin gehoben, grade da, wo sie gekittet war, und so das Stück natürlich wieder abgebrochen.
Es war ein trauriger Tag für Mine.
Für Bertha war er auch nicht heiter gewesen.
Stundenlang hatte sie in dem dunstigen Lokal des Mietsbureaus in der Jägerstraße gestanden. Sie hatte dieses aufgesucht, trotz des weiten Weges, weil es billig, jederzeit dort Nachfrage und Angebot war, und weil es sie, in einer Art von Sehnsucht, mit einem instinktmäßigen Trieb, immer wieder nach dem Herzen der Stadt, in die Nähe der Friedrichstraße zog, wo das Blut der Großstadt lebhafter pulst, die Schaufenster glänzender locken, die elektrischen Lampen der Restaurants bis spät in die Nacht dem bunten Gewimmel auf den Trottoirs leuchten.
In ihrem kokett-einfachen Anzug stand Bertha, recht sichtbar, gleich vorn am Eingang des Mietsbureaus. Man hatte ihr, als einem Lockvogel, diesen Platz angewiesen. Sie war verschämt und biß sich auf die Lippen – war sie nicht eigentlich heruntergekommen, daß sie hier stand? Mit welcher Verachtung hatte sie früher auf die Mädchen geblickt, die von hier aus einen Dienst suchten; das war gar nicht guter Ton.
Aber bald hob sie die gesenkten Lider; sie merkte, daß sie gefiel. Nicht eine Dame ging vorüber, die sie nicht ansah. Sie wurde gemustert und musterte wieder.
Die Aufseherin rief sie immer wieder heran, um sie vorzustellen. »Sie suchen ein perfektes Hausmädchen – sehn Se mal, meine Dame, was?! Janz wie für Ihnen gemacht! Schick, sauber, jewandt, en hochherrschaftliches Mädel! Na, Fräulein, sprechen Se doch mal mit die Dame! Achtzig Taler – nich drunter? Ach was, Sie werden sich schon einig werden!«
Besonders der Herr, der das Ganze unter sich zu haben schien, der mit Adlerblick Kommende und Gehende, Suchende und Findende überflog, wandte Bertha sein Wohlwollen zu. Die Mädchen, rechts und links, plump und stupsnasig, wurden gar nicht beachtet; immer wieder mußte Bertha ihr Buch zeigen, Alten und Jungen, Großen und Kleinen, Dicken und Dünnen, Herren und Damen. Aber bald wurde sie verdrossen; es führte doch zu nichts. Die sie erst so eingehend betrachtet, machten lange Gesichter, wenn sie das Zeugnisbuch gesehen, und zogen ab, obgleich Berthas Gönner versicherte: »Zeugnisse wollen gar nichts sagen, meine Herrschaften, das wissen Sie doch so gut wie ich!«
Nur ein Dicker, in einem flockigen Überzieher und mit speckig glänzendem Hut, hielt stand. Als er die Zeugnisse betrachtete, lächelten seine wulstigen Lippen eigentümlich, er zog sie breit und schmatzte.
»Ich suche 'n Mädchen für alles,« sagte er ganz vertraulich zu Bertha, trat dicht an sie heran und musterte sie wohlwollend mit dem geschäftskundigen Blick seiner zugedunsenen Augen. »Viel Arbeit is nich. Wissen Se, kochen brauchen Se nich. Dafür habe ich 'ne Mamsell; wir wohnen oben im Haus, aber wir essen unten. Ich schicke Ihnen Ihr Essen rauf, oder besser noch, Sie kommen runter und holen sich's, bei der Jelegenheit können Se sich jleich unten en bißchen umkucken.«
Der Bureauchef, der den Dicken zu kennen schien, mischte sich jetzt ein. »Das ist 'ne Stelle, ganz für Sie passend, Fräulein! Herr Lehmann hat ein großartiges Geschäft. Geht gut, was?« Lächelnd schlug er den Dicken auf die Schulter, und dieser schmatzte wieder. »Herr Lehmann hat ein feines Restaurant, hier in der Nähe. Damenbedienung. Frequente Gegend. Lehmann, was, achtzig Taler, die geben Sie dem Fräulein doch?«
Die beiden Männer wechselten einen raschen Blick. Lehmann nickte. »Die jeb ich.« Und dann überliefen seine schlauen Augen wieder prüfend die hübsche Mädchengestalt.
Bertha sagte kein Wort. Damenbedienung – hatte sie recht gehört?! Ihre Stirn krauste sich, sie wurde abwechselnd rot und blaß. Aber achtzig Taler! Jetzt öffnete sie den Mund, jetzt schloß sie ihn wieder; unschlüssig biß sie sich auf die Lippe.
»Na,« drängte Herr Lehmann, »wie is es denn? Los, los! Bei uns stehen Se nischt aus. Sie sind fast immer alleine oben, meine Frau sitzt am Büfett. Un sollt's Ihnen oben zu langstielig werden, denn kommen Se eben en bißken runter. Was?« Er lächelte wieder vertraulich und trat noch dichter an sie heran. »Vielleicht jefällt's Ihnen unten; da is immer was los. Passen Se mal auf, Sie machen bei uns noch Ihr Jlück!«
Bertha schaute ihn starr an, immer weiter öffneten sich ihre Augen. Sie sah nicht mehr das dicke, fettig glänzende Gesicht – immer weiter ging ihr Blick – immer weiter. Eine endlose Perspektive tat sich vor ihr auf – wenig Arbeit, viel Amüsement – – – ihre Nasenflügel blähten sich, eine jähe Blutwelle stieg ihr zu Kopf, lüstern leckte das Züngelchen über die röter gewordenen Lippen – wenig Arbeit, viel Amüsement, aber – aber – – – unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück, ein Erbeben ging durch ihre Gestalt. Ihr starrer Blick belebte sich und richtete sich spöttisch auf den Dicken.
»Ne,« sagte sie, ohne jeden Respekt im Ton, den Kopf zurückwerfend, die Mundwinkel herunterziehend. »Restorang – Damenbedienung – da müssen Se sich schon wo anders umsehn. Ich danke!«
Sie wendete sich ab, jedes weitere Wort schien an sie verschwendet; Herr Lehmann mußte abziehn.
Bertha blieb allein, aber sie stand mit verdrossner Miene, müde und abgespannt, gleichgültig geworden gegen all die musternden Blicke.
Der schlecht gelüftete Saal, vom muffigen Kleidergeruch, vom Seifen- und Pomadenduft der Dienstsuchenden, vom Zigarrendampf, der den Männern, vom Parfüm, das vielen Damen anhaftete, von Schweiß und Staub durchdunstet, schien sich mit ihr zu drehen. Sie faßte sich an den Kopf. Ihre starrblickenden Augen sahen nichts als einen grauen Nebel, vom flackernden Licht trübselig brennender Gasflammen durchzuckt.
Es war heiß, übervoll. Und immer noch kamen Leute. Hin, her – herein, heraus. Und immer noch standen Mädchen in langen Reihen die Wände entlang, sich müde gegen die weißgetünchte Mauer lehnend. Und immer noch schritten Suchende die Reihen ab. Das war ein fortwährendes Summen und Surren, nur unterbrochen von den kreischenden Stimmen der Ordnerinnen.
»Hier wird ein Mädchen für alles verlangt! Mädchen für alles – sechzig Taler!«
»Ich!« Eine schmächtige Gestalt löste sich von der Mauer ab und trat verdrossen vor.
»Köchin! Eine Köchin gesucht! Achtzig Taler! Fünfundachtzig Taler!«
»Hier!«
»Ein Kindermädchen, vierzig Taler! Ein Kindermädchen! Keins da?!«
Niemand rührte sich, keine der Dienstsuchenden trat vor.
»Kindermädchen, ein Kindermädchen, vierzig Taler!«
Ein unterdrücktes Gelächter huschte durch die Reihen; die Gestalten längs der Wände stießen sich naserümpfend an.
»Ein Kindermädchen, vierzig Taler!«
»Is nich,« antwortete eine dreiste Stimme von irgendwo her. Und das unterdrückte Gelächter wurde lauter.
Immer drückender wurde die Luft im Saal. Eine prickelnde Unruhe überkam Bertha, nervös zupfte sie an ihrem Zeugnisbuch. Sollte sie gehen oder noch bleiben? Seit vier Uhr stand sie nun hier, jetzt ging es auf acht! Einen finstren Blick von unten herauf werfend, schritt sie zum Ausgang.
Da zupfte sie jemand am Ärmel.
»Sie, sind Se's denn wirklich?!« Eine blasse, schmächtige Blondine drängte sich neben Bertha heraus. »Jehn Se mit? Ich jehe auch. Heute sind ja jar keene richtigen Herrschaften hier – mies! Nanu, kennen Sie mir denn nich mehr? Wissen Se noch, bei de Reschke in'n Keller?! Un Sonntags in Halensee? Ich ging damals mit einen von de Maikäfer. So 'n Jroßer mit 'n schwarzen Schnäuzerchen tanzte immer mit Ihnen los!«
Nun kam es Bertha plötzlich in Erinnerung – das war ja die Minna von Doktor Ehrlich! Fast hätte sie die nicht wieder erkannt mit den tiefen Löchern in den Backen; Zähne hatte die auch verloren, vorn saßen ein paar falsche, schlecht passende. Die Kleidung zeigte auch nichts mehr von der früheren, damenhaften Eleganz, die den Neid der ganzen Göbenstraße erweckt.
Minna schien Berthas verwunderten Blick richtig zu deuten. »Habe viel Pech jehabt,« sagte sie heiser und hüstelte trocken. »Krank war ich auch lange. Un wie jeht's Ihnen?« Ihre Augen forschten neugierig. »Na, auch nich extra, was? Sonst bejejenten wir uns doch nich hier!«
Bertha fühlte sich in ihrer Eitelkeit verletzt. »Mir?« sagte sie rasch. »Ausgezeichnet! Ganz famost! Ich gehe vorderhand garnich in Stellung; ich bin bei meiner Cousine zun Besuch, die is glänzend verheiratet un die läßt mer nich weg. Nur für 'ne Freundin – ne, eigentlich aus pure Neugier bin ich hergekommen, wollte mal sehen, was hier los is. Puh –!« Sie fächelte mit dem Taschentuch ihr erregtes Gesicht. »Das is nischt für mich!«
Die andere lächelte ungläubig. »Also so gut? Was Se nich sagen! Na, denn sind Se ja fein raus!« Sie schob ihren magren Arm unter den Berthas.
So drängten sie sich zwischen den Männern durch, die vor dem Eingang des Mietsbureaus Spalier bildeten. Berthas hübsches Gesicht wurde begafft; da – ihr Arm zuckte in dem Minnas – da war auch noch der Dicke!
Seine wulstigen Lippen lächelten vertraulich; er erkannte sie!
Hastig lief er übers Trottoir.
»Na, was 's denn los? Was rennen Se denn so?« keuchte Minna, sich noch fester anhängend. »Der Atem jeht einen ja futsch!«
Bertha sah sich scheu um – niemand folgte ihr. Und dann ging sie langsamer.
Minna schwatzte unentwegt. »Ne, wie ich mer freue, Sie zu sehn, Berthchen! Ja, das waren noch fidele Zeiten dazumal! Wissen Se noch, die Aujuste mit ihre Ehrbarkeit? Das scheinheilige Luder! Denken Se man an! Jroschen hat se sich jemacht, das können Se doch auch beschwören, un bei'n Rechtsanwalt in de Jägerstraße kam se mit'n Krach weg; aber was denken Se woll?! Kriegt 'ne Stelle bei'n ollen Rentier. Den mag se ordentlich beschuppst haben mit ihre Ehrbarkeit: – ›sieh mer nich an, rühr mer nich an, ich hab die Tugend mit Löffeln jefressen‹ – jawoll! Un was denken Se, jetzt heirat er ihr!«
Sie erwartete einen Ausbruch des Erstaunens von Bertha, aber diese blieb stumm.
»Nanu, was sagen Se?! Da schlag doch eener lang hin. Erst, als ich's zu wissen kriegte, wollte ich mal hinjehn un dem Ollen 'n Talglicht aufstecken von wejen seine ehrbare Aujuste. Ä, dachte ich denn, wer weiß, wie du ihr noch brauchst, sei man stille! Aber is es nich 'ne Unjerechtigkeit?! Wer ehrlich is un anständig, bleibt en armes Luder, muß sich rumschubsen lassen, un andre sitzen in de Wolle.«
»Ja,« sagte Bertha rauh.
»Sie, Berthchen, bei unsrer alten Freundschaft, können Se mer nich fünf M pumpen? Wenn Sie so fein raus sind, kommt Sie 's doch nich drauf an – lumpichte fünf Märker! Meine Wirtin, bei der ich in Schlafstelle bin, setzt mir sonst raus.«
Bertha zögerte; was sollte sie sagen? Lieber Himmel, das arme Tier! So elend, so verhungert! Aber fünf Mark hatte sie ja selber nicht mehr!
Minna klagte: »Ach, 's is auch jarnischt los! Herrschaften um Herrschaften, un nirjendwo was Reelles! Meine letzte Stelle war ja soweit janz nett: neunzig Taler, oft Trinkgeld, anständiges Essen, jutes Bett in 'ne jute Stube, jeden Abend meine Flasche Bier un mittags auch; da hielt ich drauf. Drinnen tranken se Wein. Aber was jlauben Se woll –?!« Sie blieb stehen und hielt Bertha vorn am Jackenknopf fest. »Fragt mir die Madam immer, wo ich hinwill, wenn ich abends ausjehe! Un will mir den Schlüssel nich jeben – haben Se Worte?! Was jeht ihr das an, wo ich hinjehe?! Na, det konnte mir passen – adieu Sie!« Sie seufzte. »Ja, wenn einer Pech haben soll! Sie, Berthchen, wie is es denn mit meine fünf Märker? Rücken Se man raus, ja?!«
Wie sollte sie die nur los werden?! Unruhig spähte Bertha umher. Kam ihr denn nichts zu Hilfe?!
Da – Tritte! Trapp, trapp – rasch kamen sie hinter ihnen.
Sie drehte sich um und fuhr zurück in einem nervösen Schreck – – – der Dicke!
Schon war er dicht neben ihr; sie fühlte sich auf einmal schwach, wie gebannt.
»Na, Fräulein,« sagte Herr Lehmann und griff an seinen Hut. »Wie is es?! Noch immer keines Besseren besonnen? Na?!« Er machte eine Pause und beschaute sie im Laternenlicht mit einem taxierenden Blick von oben bis unten.
»Nich zu kochen, bloß Zimmer aufräumen, nur feine Hausarbeit! Und achtzig Taler!«
Mit einem leisen Aufschrei kniff Minna sie in den Arm: »Jlückspilz!«
Aber Bertha, wie aus einer Erstarrung erwachend, riß sich los. Ohne Adieu, ohne irgend ein Wort, stürmte sie davon, um die nächste Ecke, mitten in das versteckende Gewühl der Friedrichstraße hinein.
Blaß, ganz erschöpft, mit verweinten Augen kam sie zu Hause an.
Die Eheleute saßen bei einem festlichen Mahl. Ein marinierter Hering mit Zwiebelscheiben und Bratkartoffeln durchdufteten den Raum; Arthur bestrich sich ein mit Schweizerkäse belegtes Brot dick mit Mostrich.
Und etwas von festlicher Freude schwebte durch die ganze Stube. Selbst das Lämpchen brannte heller.
Aus Mines Gesicht schienen viele Falten fortgewischt, ein Schimmer von Glück machte sie wieder jung. Glänzenden Auges sah sie ihren Mann an und strich einmal verstohlen über seinen Ärmel. Sie lachte hell über Fridchen, die auf den Zehenspitzen stand und mit fettig glänzenden Händchen auf den Tisch zu langen versuchte.
»Arthur hat 'ne Stelle,« jauchzte Mine Bertha entgegen.
»So. Na, wenn schon!« Ohne weitere Frage, in einer mutlosen Erschöpfung, ließ sich das Mädchen am Tisch nieder und stützte den Kopf in die Hand.
»Jawoll,« sagte Arthur stolz und reckte sich auf. »Ich habe mich aber auch nich schlecht drum abgeraxt. In der Kneipe wer ich mit einem aus der Buchdruckerei in der Lützowstraße bekannt, da sagt er: bei ihnen is jetzt so viel los, sie stellen Hilfsarbeiter an. ›Jehn Se doch mal hin‹, sagt er. Erst wollte ich nich – sich anbieten?! Da drücken se gleich. Aber denn ging ich doch. Na un denn« – er warf sich in die Brust – »jetzt bin ich eben Angestellter der Firma Guttzeit & Co. Achtzehn Mark die Woche – janz nobel, was? Mine, jeh noch mal runter un hol noch 'ne doppelte Weiße rauf! Mit der Zeit bringt man's zu was, un Bücher waren ja immer mein Fall.«
»Wenn se der denn nur nich wieder entlassen, wenn nich mehr so gutte Arbeit is,« sagte Mine, schon wieder ängstlich, und die Falte über der Nasenwurzel war auf einmal da. »Du bist doch nur Hilfsarbeiter.«
»Was, Hilfsarbeiter! Quatsch! Die werden sich schön hüten un mich entlassen. Is das so leicht, 'n gebildeten Menschen zu kriegen?! Das is doch was andres, wie so en janz jewöhnlicher Kerl!«
Arthur saß heute sehr auf dem hohen Pferd. So vergnügt war er lange nicht gewesen, und, seit sie verheiratet waren, auch noch nie so liebenswürdig gegen seine Frau. Er neckte sie, tätschelte ihre Wange und nannte sie seine ›gute Olle‹. Fridchen hob er auf die Schulter und hoppste mit ihr in der Stube umher; und das Kind, solcher Freude ungewohnt, zauste, hell jauchzend, des Vaters Locken.
Er pfiff und sang, bis die Leute, eine Etage tiefer, unsanft mit einem Stock gegen die Decke stießen.
In all dieser Fröhlichkeit, die sich, wie ein seltner Sonnenstrahl in eine lange verhängte Kammer, hier hinein verirrt, saß Bertha ohne Anteil.
Ihre Brauen waren zusammengezogen, ihr Mund geringschätzig aufgeworfen, 'ne neue Stelle und drei Mark mehr die Woche – das lohnte sich gerade!
Und dann entrang sich ihrer Brust ein zitternder, gequälter Seufzer.