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XXVIII

Fridchen hatte sich brav gehalten, wenn sie auch in den Schluß der Traurede hinein, laut und deutlich, gesagt hatte: »Mama!« Bei dem Taufakt schrie sie nicht, wie die andren unvernünftigen Kinder; aufrecht hatte sie auf Mines Arm gesessen und aus großen, erstaunten Augen bald auf den Geistlichen, bald auf Kranz und Schleier der Mutter geblickt.

Jetzt saß sie mit am hochzeitlichen Tisch und mampfte an einem großen Stück Kuchen, das sie krampfhaft mit beiden Händchen hielt.

Noch war die Stimmung eine ernsthafte. »Mau,« wie Frau Reschke ihrem Tischherrn Bartuschewski zuflüsterte.

Sie selbst hatte rote Augen; im Laufe des letzten Jahres war sie viel weicher geworden – ›nerfees,‹ wie sie es nannte – in der Kirche hatte sie unaufhörlich Tränen vergossen, die von ihren Wangen auf den hohen Busen des schwarzseidnen Staatskleides niedertropften. Auf dem Weg von der Kirche war sie in Wehmut zerflossen. »Wenn ik so denke,« sagte sie zu ihrem Gatten, an dessen Arm sie schwer hing, »nu hat der Athur schonst wat Kleenet, – Jotte doch, wie de Zeit verjeht! Wer weeß, wie bald, daß man abschieben tut! Reschke, dir fehlt man nich mehr ville an die Sechzig! Jott, ik sage ja!« Erst als sie, im Vorübergehen, rasch in ihren Keller hineingeschaut und gefunden, daß Grete den Schweinebraten nicht genügend begossen hatte, verflüchtigte sich ihre Sentimentalität etwas.

Mine war sehr stumm. Sie hatte gleich beim Nachhausekommen Kranz und Schleier ablegen wollen, aber Bertha war ihr in den Arm gefallen, und auch die Schwiegermutter hatte energisch protestiert: »Bei Leibe nich runternehmen! Haste denn jar keene Pität? Wenn ik bedenke, wat war det for en Momang, als Reschke mich den Kranz aus'n Haar löste!«

Es half Mine nichts, sie mußte im Brautschmuck bleiben, nur den langen Schleier, der überall hängen blieb, durfte sie mit ein paar großen Nadeln aufstecken. Die ungewohnte Frisur machte ihr Kopfschmerzen, der schwere Kranz drückte, die vielen Nadeln ziepten; sie hielt den Kopf ganz steif.

Bertha machte sich nützlich. Der Kaffee, den Frau Bartuschewski gekocht, war sofort ausgetrunken worden; die vier kleinen Bartuschewskis, die sich, wenn auch ungebeten, wie selbstverständlich eingefunden, hatten ihm wacker zugesprochen. Da schlug Bertha ihr schönes Kleid in die Höhe, daß man ihren gestickten Unterrock, ihre zierlichen Knöchel und blanken Schühchen bewundern konnte, nahm die Kaffeemühle zwischen die Kniee und mahlte geschwind zu einem neuen Aufguß.

Die Männer rissen die Augen auf; selbst der alte Reschke schmunzelte. Bartuschewski wischte sich den Mund und rief dann seiner Frau zu: »Donnerwetter, det 's doch en bißken anders, als deine niederjetretnen ollen Latschen!«

Nach dem neuen Aufguß wurde Mutter Reschke gemütlich. Sie nahm kleine Stückchen Zucker in den Mund und tat jedesmal einen Schluck dazu. Als Bartuschewski, der in ein Stück Napfkuchen gebissen hatte, plötzlich anfing, zu spucken und zu räsonieren: »Nanu, wat 's denn da inne?« lächelte sie schelmisch.

»Zitronat, werter Herr Bartuschewski, von'n allerfeinsten Zitronat ist mank!«

»Oho, so nobel,« sagte er und aß mit Genuß den in den Kuchen verirrten Häcksel.

Bald war von dem Napfkuchen nichts mehr übrig; die Berliner Pfannkuchen, die es nebenbei gab, waren noch besser gerutscht. Ein Glück, daß gegen sechs Uhr Grete erschien, in Begleitung eines Dienstmanns. Dem hohen Gemüsekorb, den dieser schleppte, entstiegen ein wahrhaft mächtiger Schweinebraten, ein paar Schüsseln voll Backpflaumen und Heringssalat, ganze Schober von Käsestullen und eine Suppenterrine voll Rollmöpse. »Die stellt man beiseite for später,« sagte Mutter Reschke, die das Auspacken dirigierte.

Das roch ja famos! Die kleinen Bartuschewskis erhoben ein Freudengeheul; sie hatten schon längst ihre Mutter am Kleide gezerrt: »Mutta, hab Hunga! Hunga, Mutta!«

›Unausstehliche Bälge,‹ dachte Bertha, ›die könnten mir gefallen!‹ Laut sagte sie: »Allerliebste Kinder, Herr Bartuschewski!«

»Keens so allerliebst wie Sie, Fräulein!« Herr Bartuschewski machte ihr galant einen Diener.

Sie lächelte und wechselte rasch mit Arthur einen Blick – der war doch noch der feinste, der paßte, ebenso wie sie, nicht recht hierher! Arthur nahm diesen Blick für eine Aufforderung.

Und nun erschöpften sich die beiden Ehemänner in Artigkeiten gegen die junge Dame; sie suchten einander den Rang abzulaufen in oftmals recht gewagten Komplimenten und Scherzen.

Elli war ganz nah herangekommen und lauschte dieser Unterhaltung mit gierig glänzenden Augen; sie sog förmlich jedes Wort ein.

Frau Bartuschewski hörte gar nicht auf das, was ihr Mann da schwatzte, sie hatte genug zu tun, um die Kinder vollzustopfen; selbst das kleinste stellte seinen Mann. Es war auf ihren Schoß gekrochen, patschte mit den Händchen auf den Tisch und schrie sich fast heiser: »Meh–a, meh–a!«

Es schmeckte allen; der Kaffee mit Kuchen war nur ein appetitanreizendes Vorhäppchen gewesen, in Aussicht auf das Hochzeitsmahl hatten heute alle gehungert.

Frau Bartuschewski schlang noch mit derselben Gier, wie als Mädchen im Reschkeschen Keller. Frau Reschkes Gesicht glänzte wie lackiert; sie hatte das Taschentuch auf den Busen gebreitet, um sich nicht zu bekleckern.

Der Schweinebraten war ausgezeichnet fett, am Salat war des Öls fast zu viel. Fein war das Menü gerade nicht, dafür lohnte es Mutter Reschke heute nicht, aber satt sollten sie wenigstens alle werden bei der Hochzeit ihres Arthur.

Für eine Weile hörte man nichts, als ein Kau-Geräusch, ein Schmatzen und dann und wann ein Aufjapsen. Nur Bertha nahm kleine Bissen mit gespitztem Mund; wählerisch stocherte sie auf ihrem Teller herum.

Bier war reichlich aufgesetzt; aber das Fette machte Durst, die leeren Flaschen mehrten sich rasch. Und je mehr Flaschen geleert waren, desto gehobner wurde die Stimmung. Frau Reschke hätte nie gedacht, daß sie auf dieser ›faulen‹ Hochzeit so vergnügt sein würde.

Kein Mißton störte die Harmonie, bis plötzlich Vater Reschke murmelnd, aber doch allen verständlich sagte: »Wenn man Trudeken mitten mank wäre!« Er stieß einen tiefen Seufzer aus.

Seine Frau warf ihm einen strafenden Blick zu – wie konnte er nur jetzt davon anfangen?! »Wat willste denn?« schrie sie Grete gereizt an, die sich neben den Vater gestellt und es gewagt hatte, bei seinem Seufzer ihre Wange an seine Schulter zu schmiegen. »Laß Vatern, er hat ja schonst 'nen Kleenen sitzen. Jeh, wat willste denn bloß?!«

Scheu verschwand Grete vom Tisch; sie besaß eine wahre Fertigkeit darin, lautlos unterzutauchen.

Die junge Frau starrte auf ihren Teller zwischen den Töpfen mit Hyazinthen – einer rosa papierenen und einer blau papierenen – dem Hochzeitsgeschenk von Bartuschewskis. Sie war schon längst satt, die Kehle war ihr wie zugeschnürt. Zerstreut spielte ihre Hand mit Fridchens Haaren, ihre Gedanken irrten umher, ihre Blicke umflorten sich, ihre Mundwinkel zogen sich abwärts – es kümmerte sich gar keiner um sie.

Bertha führte jetzt das Wort. Sie hatte sich hintenüber gelehnt, die Arme über die Brust gekreuzt, und wippte mit dem Stuhl. Lachend gab sie, wie sie's nannte, einen Schwank nach dem andren aus ihrem Leben zum besten.

Nun war sie schon seit Selingers im neunten Dienst. Erst bei der Schmettana. Dann bei einem geschiedenen Herrn; da war sie aber nur acht Tage geblieben – ›der war zu liebenswürdig,‹ wie sie mit einem koketten Auflachen sagte. Dann bei einer Baronin-Witwe – ›die Töchter alle Tage fein geputzt aufs Eis, abends aufn Ball, aber keine Rechnung bezahlt, un Lohn auch nich‹. Dann bei einem Zankteufel von Frau – die kriegte kein anständiges Mädchen mehr. Dann bei einer exotischen Herrschaft – ›der Mann war aus Honolulu, die Frau aus Nakel, aber Flöhe hatten sie alle beide‹. Dann nacheinander bei einem Parterregymnastiker, einem Theaterdirektor, einem Afrikaforscher und jetzt im Chambre garnie.

Sie hatte entschiednes Pech gehabt; aber – mit einem Aufziehen der Oberlippe zeigte sie ihre schönen weißen Zähne – war's nicht hier, war's dort! Nun war sie das Wandern schon gewohnt und klug genug, nicht überall gleich ihre Siebensachen auszupacken.

Die Zuhörer hielten sich die Seiten vor Lachen; Frau Bartuschewski wurde es ganz unwohl vor Amüsement. Frau Reschkes Busen schütterte, sie schlug die Hände zusammen: »Ne, die Berthchen! Wie 'n Klohn, janz wie 'n Klohn!«

Das meiste Vergnügen hatten Bartuschewski und Arthur; sie bestanden darauf, Bertha mußte sich zwischen sie beide setzen. Diese tat es lächelnd, aber sie blinzelte Mine dabei zu – die brauchte keine Angst zu haben, sie wußte ganz genau, wie weit man sich die Männer kommen lassen durfte.

Bartuschewski klopfte an sein Glas; man dachte, er würde das Brautpaar leben lassen, aber er rief: »Fräulen Bertha, hoch soll se leben! Hoch, hoch, hoch!« Als seine Frau mit ihm anstoßen wollte, wurde er geradezu grob. »Eifersüchtig, Olle?! Weeßte, man hat nich alle Tage Kuchen. Jeh man ab, du olles Kommißbrot!«

Er war entschieden schon etwas angesäuselt. Sie waren es größtenteils alle. Die Kinder tollten um den Tisch; klirr, eine von den schönen Müldnerschen Tassen stürzte zur Erde – Scherben.

Ein dicker, undurchdringlicher Tabaksqualm stieg hinauf zur Decke. Der Durst wuchs. Bartuschewski erbot sich, in eine nahegelegene Kneipe zu gehen und noch mehr Bier zu holen. »Bringen Se ooch en paar Weiße mit,« rief Vater Reschke ihm nach.

Als er wiederkam, beide Arme voll Flaschen, behauptete er, Herr Reschke habe bestellt: ›En paar Schnäpse‹. Aus seinen hinteren Rocktaschen holte er je eine Flasche Nordhäuser-Korn vor.

Der Alte schmunzelte; Nordhäuser war für den Magen sehr zuträglich, besonders nach so fettem Essen. Das fanden sie alle. Frau Bartuschewski hatte schon über Magenbeschwerden geklagt und Frau Reschke sich ein paar Knöpfe an der Taille geöffnet.

Die Männer saßen in Hemdärmeln. Es war drückend heiß in der Stube. Die Scheiben waren dick angelaufen, aber niemand öffnete ein Fenster. Bewahre, lieber ein bißchen mollig!

Frau Reschke hielt jetzt den Augenblick für gekommen, in dem ihr Wunderkind seinen Gesang produzieren und zum Schluß dem Brautpaar ein Staubtuchkörbchen überreichen sollte. Aber Bartuschewski kam ihr zuvor; er hatte seinen drei Ältesten etwas einstudiert.

Auf seinen Wink traten sie vor das Brautpaar und plärrten unisono das Gedicht vom Klapperstorch herunter, das Herr Bartuschewski zu dieser Gelegenheit einigermaßen umgedichtet hatte. Der Vortrag fand großen Beifall von seiten des Vaters, der seine Kleinen zur Belohnung einmal ordentlich nippen ließ; sie tranken mit zugekniffnen Augen.

Arthur war von diesen Anspielungen sehr unangenehm berührt; er warf einen scheuen Blick auf Fridchen, hörte auf zu lachen und brütete stumm vor sich hin.

Elli hatte auf der Lauer gestanden, Primadonnenneid im Herzen; nun schmetterte sie los. Es war kein glücklicher Gedanke, daß sie anfing mit:

»Alma, unsre Alma ging futsch uns Knall und Fall.«

In Reschkes Gesicht begann es zu arbeiten und zu zucken, er zog sein buntes Taschentuch, schneuzte sich, und nun fing er plötzlich an laut zu weinen.

»Trude, unsre Trude,« schluchzte er.

Aber der Refrain, vom ganzen Chor wiederholt, überbrauste bald sein Schluchzen.

»Alma, Alma, wo mag das Mädchen sein?
Vielleicht ist ein Malör passiert,
Wer weiß, ob sie noch existiert!« –

Mutter Reschke sang kräftig mit. »Wat hilft allens,« sagte sie, während einer Gesangspause, zu Bertha, »eenmal will man doch ooch verjnügt sein. Et is doch allens Mumpitz, bis wer in de Jrube fahren.«

»Wissen Se,« flüsterte Bertha zurück, »de Schmettana war auch nicht viel weiter her, wie aus 'n Keller. De Trude wird schon fein raus sein.«

»Meenen Se? Na, da hätte se ooch wat schicken können zu de Hochzeit.«

Mine stieß ihren Mann an. »Du, sag Elli, se soll aufhören mit das Lied. Vater weint so.«

Der junge Ehemann sah seine Frau an – gutmütig war sie, das mußte man ihr lassen! »Willste jleich stille sein,« herrschte er die Schwester an, »hör auf mit dem Quatsch!«

»Na, was soll ich denn singen? Denn singe ich jar nich,« schmollte die Kleine.

»De wirst doch nich, Ellichen?!« rief die Mutter erschrocken. »Laß ihr doch, Athur! Wenn Vater so dämlicht is, is det seine Sache. Ellichen, det von ›die jute Tante aus Ruppin‹ oder noch scheenter, det von ›die Liebe‹! Weeßte nich?« Und die Mutter begann mit schettriger Stimme, mit Hand und Fuß den Takt schlagend:

»Ich wußt nich, was die Liebe is –«

Und keck fuhr die Tochter weiter fort:

»Ich kannte mich nicht aus,
Den Arthur, einen Jugendfreund –«

Grete stand plötzlich neben der Schwester und zerrte sie am Kleide. »Sollste nich singen! Nich – nich!«

Elli beachtete sie nicht.

»Den frug ich deshalb aus.
Er führt mich in ein Restaurant –«

»Nich, nich!« Grete preßte Elli die Hand auf den Mund.

Nun kreischte die Kleine erst recht:

»Schenkt mir Champagner ein,
Und küßt –«

»Ne, ne – sollste nich – nich!«

Nun wurde Elli wütend; sie wehrte sich. »Dumme Jrete!

Und küßt mich auf den Mund
Und sagt: –

Laß los! Au, Mamma, sie kneift mir! Au, laß los!«

Grete ließ nicht los, trotzdem Elli mit den Füßen stieß und kratzte.

»Biste verrückt, Jrete?!« Eben wollte Mutter Reschke Ellichen zu Hilfe eilen, da blieb sie verdutzt stehen.

Grete hatte auch ihre Stimme erhoben, mit dem eignen Gesang versuchte sie, Ellis Gekreisch zu übertönen.

Aber von der Strophe:

›Es kommt bald die Stunde,
Es tönt bald die Kunde,
Wo Jesus als Richter erscheint,
O rett deine Seele‹

verstand man nur einzelne herausgestoßne Worte. Es gelang ihr nicht, Elli zum Schweigen zu bringen.

Diese sang dagegen, jede Silbe deutlich artikulierend:

»Vom Trinken, Küssen ward mir schwül –«

 – – – – – – – – – – – – – – –

»– – Jesus – Richter erscheint –
Rett – – – deine – Seele!«

stammelte Grete.

Elli ließ sich nicht beirren, unentwegt sang sie weiter, schelmisch ihr Fingerchen an die Lippen legend:

»Ja, ja, im Rausch, da war es,
Nein, nein, ich sag es nicht,
Im Rausch passiert oft vieles,
Wovon man nicht gern spricht!«

Ein schallendes Händeklatschen, ein lachendes Bravo belohnte sie.

Grete warf einen verzweifelten Blick umher, dann gab sie den ungleichen Kampf auf. Den Kopf tief gesenkt, schlich sie zur Tür. Niemand hielt sie zurück.

Bartuschewski schlug auf den Tisch – nein, das war doch ein zu köstlicher Spaß gewesen, die lange Dünne mit dem Heilsarmeelied! Er wand sich vor Lachen.

»Die sollten Se bei de Heilsarmee anbringen, Madam Reschke, ik sage Ihnen, die macht Ferore!« Und er begann, die Augen verdrehend, mit quäkender Fistelstimme Grete nachzuahmen.

Mutter Reschke war nun doch gekränkt; wenn's auch bloß die Grete war! Ziemlich scharf verwies sie Herrn Bartuschewski die unpassenden Faxen; im stillen beschloß sie, dem verrückten Mädchen jeden Besuch bei der Heilsarmee streng zu verbieten. »So 'ne Blamage,« brummte sie in sich hinein. »Aber Dresche, Dresche soll se kriegen, laß mir nur nach Hause kommen!«

Fridchen war auf Mines Schoß eingeschlafen; ohne bequeme Stütze baumelte ihr das Köpfchen hin und her.

»Jott, Mine,« sagte Mutter Reschke ganz empört, »leg doch det Kind zu Bette! Det is ja der reene Kannballismus! Kinder gehören überhaupt zu Bette,« setzte sie mit einem giftigen Seitenblick auf die kleinen Bartuschewskis hinzu.

Frau Bartuschewski verstand den Wink nicht oder wollte ihn nicht verstehen, aber Mine stand auf und trug das, trotz allen Lärms, fest schlafende Kind in sein Körbchen. Ach, sie hätte sich auch gern niedergelegt, müde war sie zum Umfallen und ihre Lider wurden schwer. Von nun an kämpfte sie die ganze Zeit mit dem Schlaf.

Desto fideler wurden die andren, selbst Arthur. Er hob Elli auf seine Kniee, und sie, dreist gemacht durch die ungewohnte Zärtlichkeit des Bruders, spitzte die Lippen, und da er sie nicht küßte, küßte sie ihn. Dann setzte sie sich auch Herrn Bartuschewski auf den Schoß.

»Die kann jut werden,« sagte der, und die Mutter lächelte geschmeichelt.

Auch Frau Reschke bekam ungewohnte Zärtlichkeitsanwandlungen; ihre Augen waren ganz klein geworden, sie ließ den Kopf an die Schulter ihres Mannes sinken. »Weeßte noch, Jakob, unser Hochzeitstag?!«

Reschke war ganz erschrocken. Seit ewigen Zeiten hatte sie nicht mehr ›Jakob‹ gesagt; seit Trudchens Geburt nicht mehr! Die Rührung übermannte ihn wieder, er schluckte und schnüffelte und wischte an den blöden Augen.

Der alte Nordhäuser heizte gut ein, Bartuschewski hatte einen dunkelroten Kopf. Schäkernd wischte er seinen Bart an Ellis Wange, und dann rief er seine Frau heran: »Na, Olle, wollen uns wieder vertragen!« Er tätschelte sie auf den Rücken und streichelte ihr den Arm, den er ihr gestern, bei einem Zank, braun und blau gekniffen. Sie schnäbelten sich, wie ein paar Tauben.

»Nanu,« rief Bertha, anscheinend schmollend, aber mit einem spöttischen Funkeln in den Augen. »Ich allein bleib übrig? Keiner für mich da?!«

»Is denn kein Mann da, für meine Wanda?« sang plötzlich Arthur. O, er konnte auch den Angenehmen spielen, wo es sich verlohnte! Er zog seinen Stuhl näher an den ihren und schob seinen Arm hinter sie. Eine Erinnerung aus seiner Schulzeit wandelte ihn an Berthas Seite an. Er deklamierte: »O zarte Sehnsucht, süßes Hoffen!«

Sie schlug ihn auf die Finger. »Weg von de Bilder! Kucken Se nach rechts!«

Da saß Mine.

Vor Arthurs Augen schwamm bereits alles in einander; er faßte seine Frau um den Hals, zog sie ganz zu sich heran und drückte ihr einen schallenden Kuß auf den Mund.

»Achtung,« rief Bartuschewski und salutierte. »Aber wer jehn noch nich, oho, noch lange nich!«

Mine erwiderte den Kuß nicht, aber sie wehrte sich auch nicht, sie nahm ihn ruhig hin.

Stunden vergingen. Bartuschewski war noch einmal in die Kneipe hinabgestiegen, aber er brachte diesmal nur noch Schnaps und einen süßen Likör für die Damen.

Davon nippte auch Bertha häufig; blitzschnell züngelte ihre schmale, rote Zunge über die Lippen – ha, schmeckte das zuckersüß!

Zuletzt fingen sie an zu tanzen; Herr und Frau Reschke, Herr und Frau Bartuschewski, Bertha mit Arthur. Elli saß auf dem Tisch, klatschte in die Hände und krähte den ›Rixdorfer‹. Die Herren pfiffen.

Sie wurden bald matt, nur Bertha nicht. Arthur lehnte in einer Ecke, Bartuschewski in der andren; Bertha tanzte allein weiter, ein höhnisch verächtliches Lächeln um den Mund.

Es ging auf drei, als Bartuschewski seine Frau hinunterbringen mußte; die war plötzlich ganz elend geworden und stöhnte, kein Rollmops half mehr. Dann trug er, fluchend und wetternd, eines seiner Kinder nach dem andren herab; die hatten in einer Ecke auf dem Boden gelegen und waren nicht mehr zu ermuntern.

Zu ermuntern war auch Vater Reschke nicht. Nach eins hatte er sich aufs Bett des jungen Paares gelegt, nur für ›fü–fü–fünf Mi–nu–nuten‹, wie er schluchzend versicherte. Nun lag er noch immer da; die Zigarre war ihm aus dem Mund gefallen und hatte ein Loch ins Deckbett gebrannt.

Sie schrieen ihn an, schüttelten ihn, zwickten ihn, zupften ihn an der Nase, zogen ihn an den Beinen, gossen ihm Wasser ins Gesicht – umsonst, er wachte nicht auf. Frau Reschke mußte sich entschließen, ohne den Gatten, mit Bertha, die bei ihr im Keller schlafen sollte, und mit Elli nach Hause zu gehen. –

Mine stand am Fenster und blickte hinaus in die dunkle Nacht. Kein Stern war am Himmel. Sie mußte an Mathilde denken – und die hatte sich so auf ihre Hochzeit gefreut!

Langsam hob sie die Hände und zerrte sich den Kranz aus dem Haar.

Auf dem Stuhl am Tisch saß Arthur, den Leib haltlos vornüber gehängt, im Schlaf mit dem Kopf hin und her baumelnd. Mechanisch ging sie zum Tisch zurück, setzte sich neben ihren Mann und lehnte seinen Kopf gegen ihre Schulter.

Er schnarchte. Der alte Mann auf dem Bett schnarchte auch, dumpf röchelnd; Fridchen im Korb atmete sanft.

In Mines Augen kam kein Schlaf. Als der Morgen graute, weckte sie ihren Mann. »Du, Arthur, steh uf! De has 'nen weiten Weg, un ich muß uf meine Aufwartstelle.«


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