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XVI

Grete Reschke hatte jetzt die Küche als ihr Reich für sich allein, Trude hatte sich entschieden geweigert, länger mit ihr das Lager zu teilen.

Denn in der Nacht erwachte die stille Grete zu einer wunderlichen Lebhaftigkeit. Wenn sie die Schwester schlafend wähnte, kroch sie aus dem Küchentischbett, schlich in die Ecke hinterm Herd und kniete dort nieder. Ihr eintöniges Murmeln schläferte die im Halbschlummer liegende Trude bald wieder ein – aber nun ein Ruf, ein Schrei: Halleluja! Hoch schreckte Trude auf. Das war kein Murmeln mehr, nein, ein sich steigerndes Flehen, ein wildes Lallen, ein Ringen, ein Jammern, ein wahnsinniges Gestammel. Wie Ächzen und Stöhnen klang es durch die Stille der Nacht; ein unheimliches Echo erwachte an den feuchten Kellerwänden.

»Rette – rette meine Seele – –!«

Trude wagte nicht, die Schwester anzurufen, wie ein Alp hockte es ihr auf der Brust und schnürte ihr die Kehle zu.

»Rette – rette meine Seele –!«

Huh, wie das klang! Trude brach in furchtsame Tränen aus und zog die Decke über den Kopf. Die Finger steckte sie sich in die Ohren, aber sie hörte es doch. Wie ein Bann legte es sich auf sie; schaudernd, mit Schweißtropfen auf der Stirn, horchte sie, bis das letzte Stammeln erloschen, das letzte Halleluja verklungen war.

Und kalt wie Eis, kroch Grete wieder zu ihr ins Bett; und doch ging es wie ein Flammenstrom von ihrem dürftigen Körper aus. An Ruhe noch nicht zu denken! Denn hin und her, wie von Unrast gepeinigt, warf sich Grete.

»Lieg stille,« flüsterte Trude.

Da umfaßten sie die Hände der Schwester. Dicht an ihre Seite schmiegte sich Grete, legte die Lippen an ihr Ohr und hauchte hinein, während heiße Tränen aus ihren Augen Trudes Nacken feuchteten: »Rette, rette deine Seele!«

»Laß mich in Ruh!« Unwirsch stieß Trude sie von sich, drehte ihr vollends den Rücken und drückte sich dicht an die Wand. Das war nicht auszuhalten! Sie schlug großen Lärm.

Es traf sich gut, daß Arthur die Wohnung bei den Eltern aufgab, so konnte Trude seine Kammer beziehen. Mochte nun die verrückte Grete so viel rumoren, wie sie wollte! Alle lachten darüber.

Arthurs monatliches Gehalt war jetzt auf fünfzig Mark gestiegen, er sah nicht ein, daß er seiner Mutter davon über die Hälfte abgeben sollte. Er konnte sich dafür als Freiherr das Leben angenehm machen. Als Vorwand nahm er den weiten Weg von der Göben- bis zur Jägerstraße; es fror ihn morgens zu erbärmlich in seinem dünnen Röckchen.

Wenn man so lange im Keller gesessen hat, zieht es einen mächtig nach oben. Arthur mietete ein Zimmer in der Kleinen Mauerstraße, fünf Treppen hoch; gegenüber war gleich die Bodentür.

Ein schönes Zimmer, mit einer interessanten Aussicht auf die tiefer liegenden Dächer. Nur kalt, sehr kalt; der an den feuchtwarmen Brodem des Kellers Gewöhnte kam aus dem Gehüstel gar nicht heraus. Hier oben pfiff der Wind frei durch alle Ritzen, ein ganzer Luftstrom goß sich durchs schlechtverwahrte Fenster bis mitten in die Stube.

Heizen war ein Luxus, den einem kein Mensch ansah, so hatte er für Arthur keinen Zweck. Er war ja auch so wie so den Tag über nicht zu Hause; kam er abends, so warf er sich mit Kleidern und Stiefeln ins Bett. Konnte er nicht gleich schlafen, oder fror es ihn auch da, so lief er noch einmal hinunter auf die lichtdurchstrahlten Straßen, erhitzte sich an den heißen Lebenswogen, die das Getriebe der Friedrichstraße um ihn branden ließ und taute vollends auf in irgend einem Restaurant mit Damenbedienung.

So ging sein Geld drauf.

Jeden zweiten Sonntag besuchte ihn Mine; das war der einzige Tag, an dem er nicht bummelte. Sie kam mit einer rührenden Pünktlichkeit, rot und abgehetzt, mit dem Glockenschlag halb sechs. Sie hielt darauf; es war das einzige Mal, daß sie rebellisch wurde, als die Frau Hauptmann, die Zahnschmerzen hatte, die Ausgangserlaubnis für diesmal zurückziehen wollte.

Dann lag Arthur auf dem Bett und rauchte, und Mine saß am Fenster im letzten scheidenden Licht des Tages und flickte seine Strümpfe und besserte seine Wäsche aus. Es ging nur langsam, Stich für Stich, die von Frost geschwollenen, roten Finger hielten die Nadel kaum. Wie ein Rauchwölkchen stieg der Atem aus dem Mund; sie sprachen nicht viel, die Worte waren eingefroren. Aber auf Mines Gesicht lag ein immerwährendes, ernstes Lächeln.

Am Abend kochte sie bei der Wirtin nebenan Kaffee und packte die Zwiebelleberwurst aus und die Schrippen, die sie mitgebracht hatte; für Arthur auch ein Stück Kuchen. Dann löste ihnen der Kaffee die Zungen, und sie erwärmten einander in Umarmungen.

Mine brauchte jeden Pfennig.

Heut hoffte sie Trinkgeld zu bekommen. Der Geburtstag des Herrn Hauptmann gab alljährlich den Anlaß zu einer größeren Gesellschaft. Die Freunde des Herrn, ein paar Leutnants, waren eingeladen, der Major mit Frau und Tochter und auch der Herr Oberst.

Die arme kleine Frau von Saldern kam schon tagelang vorher nicht zur Ruhe. Es sollte doch alles nett sein und nicht so viel kosten; so fuhr sie denn nach der Zentralmarkthalle auf den Alexanderplatz und kaufte den Braten da, das Fleisch war dort nicht so teuer. Und rannte hin und her, von einer Straße auf die andre, von einem Laden in den andren, um jede Kleinigkeit in ein andres Geschäft, und freute sich, wenn sie etwas irgendwo um fünf Pfennig billiger erstand.

Als der große Tag kam, war sie ganz abgemattet. Schon des Morgens um sieben stand sie in der Küche und bereitete die Fischmayonnaise, sie hatte so einen kleinen unschuldigen Trick dabei; ein wenig Mehl mit Wasser zu einem Kleister gekocht und unter die Mayonnaise gerührt, verlängerte diese bedeutend, und kein Mensch schmeckte etwas davon.

Je weiter der Tag vorrückte, desto größer wurde die Unruhe der Hauptmännin; hundertmal lief sie aus dem Zimmer in die Küche, aus der Küche ins Zimmer. Mine empfing so viele Instruktionen, daß sie, als es gegen Abend ging, schon ganz dumm im Kopf war. Dabei fühlte sie eine niederziehende Schwere in allen Gliedern, eine bleierne Mattigkeit. Als sie sich ihr Sonntagskleid anzog – sie sollte neben dem Kochen noch drinnen dem Burschen beim Bedienen helfen – erfaßte sie ein Schwindel; stöhnend sank sie auf ihren Bettrand.

Aber schon tönte es: »Minna! Aber Minna, wo stecken Sie denn?! Bringen Sie doch die Kinder zu Bett! Es ist Zeit, den Braten einzuschieben! Kartoffeln haben Sie auch noch nicht geschält! Minna, Minna, ich bitte Sie, eilen Sie sich doch ein bißchen! Ich muß mich noch ein paar Augenblicke hinlegen, ich bin matt zum Umsinken.«

Eilig stolperte Mine in die Küche; noch wollte es ihr schwarz vor den Augen werden, aber sie hatte keine Zeit mehr, an ihr eignes Übelbefinden zu denken.

Aber ganz vergessen ließ es sich nicht. Als sie dem Herrn Oberst die Schüssel mit Mayonnaise präsentierte, kam sie von der verkehrten Seite – wahrhaftig, sie wußte nicht mehr, was rechts und links war, alles ging plötzlich mit ihr rund um. Zurechtgewiesen, stolperte sie, hielt die Schüssel schief – schon war ein Klecks Sauce auf den Beinkleidern des Herrn Oberst. Vor Schreck hätte sie fast die ganze Schüssel fallen lassen.

›Ein bißchen gewandt, recht freundlich,‹ hatte ihr die Herrin eingeprägt, nun zwang sie ihren angstverzerrten Mund zu einem freundlichen Grinsen. Als sie zum zweiten Mal präsentierte, redete sie den Gästen aufmunternd zu: »Bitte noch 'n Stückchen, se sind ja man so klein!« »'s is guter Zander, kein Schellfisch!« »Nehmen Se doch!«

Die Hausfrau warf ihr angstvolle Blicke zu, der Hauptmann räusperte sich und sagte verweisend: »Minna!« Sie hörte nichts, sie bemerkte nichts, vor ihren Augen verschwamm alles; sie durfte nicht auf die Mayonnaise blicken, sonst wurde ihr sehr übel, immer nur starr geradeaus.

Die Gäste unterdrückten kaum ein Lächeln; als der Oberst, ein jovialer Junggeselle, Mine einer Anrede würdigte, und dann der Major, hielten auch die Leutnants nicht länger zurück. Sie lachten ungeniert.

Erst hatte Mine frischweg geantwortet, aber als sie fühlte, daß das Lachen ihr galt, rannte sie zum Zimmer hinaus, ließ sich draußen in der Küche auf die Eimerbank fallen und verbarg das glühende Gesicht in den Händen.

Sie wollte gar nicht wieder hinein, aber sie mußte doch; und so traute sie sich denn nicht mehr, die Augen aufzuschlagen, ging wie auf Eiern und hielt einen steinernen Ausdruck auf ihrem Gesicht fest.

Gott sei Dank, daß das Essen vorüber war! Daß sie jetzt wenigstens draußen bleiben durfte, während drinnen das ›Fräulein Major‹ von ›Ewiger Liebe‹ sang und ein Leutnant am Klavier sie begleitete.

Um Mitternacht drückte sich der Herr Oberst, ein viertel nach Mitternacht folgten der Major und seine Damen, Mine leuchtete ihnen hinunter; nun hatte sie schon zwei Fünfzigpfennigstücke, aber sie freute sich nicht darüber. Heute konnte sie sich überhaupt über nichts mehr freuen, sie war beschämt, traurig und zu Tode erschöpft. Ach, nur einen Augenblick ruhen, ehe sie die vier Treppen wieder hinaufstieg! Sie ließ den Schlüssel in der Haustür stecken und setzte sich schwer auf die unterste Treppenstufe.

Als die Leutnants eine Stunde später hinunterstolperten, fanden sie das Mädchen, auf der untersten Stufe zusammengekauert, an die kalte Treppenwand gedrückt, fest schlafend. Neben ihr flackerte das Lämpchen und beleuchtete einen schmerzlichen Mund und eine finster zusammengezogene Stirn.

»Pst, Tramplagunde schläft,« flüsterte der vorderste. Sie standen alle einen Augenblick um sie herum und betrachteten sie. Dann legten sie ihren Obolus in die ihr lässig im Schoß hängende, geöffnete Hand, in der noch der Fünfziger des Majors blinkte, und stoben amüsiert hinaus.

Am andren Morgen wurde Mine gekündigt. Sie war wie vom Donner gerührt; aber auch die Frau Hauptmann weinte: so ein Mädchen, einen so zu blamieren! Nun hatte man sich's so viel kosten lassen, so viel Geld, so viel Mühe, und was hatte man davon?! Man hatte nur seiner Stellung geschadet, sich gesellschaftlich fast unmöglich gemacht! Angstvolle, bittre Tränen liefen über ihre schmalen Wangen; und auch der Hauptmann war tief verstimmt.

Mine, in ihrer Herzensangst lief in den Reschkeschen Keller; mit einem etwas erheiterten Gesicht verließ sie ihn wieder. Die Reschke traf doch immer das Richtige. Nicht nur, daß sie eine Stelle wußte – ein paar Häuser weiter herauf, das junge Ehepaar, bei dem früher die schöne Auguste gedient, suchte ein Mädchen – nein, sie schimpfte auch ordentlich auf die ›hungerleidschen Hauptmanns mit ihre vier Treppens,‹ so daß es Mine wieder leichter ums Herz wurde.

Sie legte ihre Sache vertrauensvoll in Frau Reschkes Hände, und als der nächste Ziehtag herangekommen war, zog Mine bei Bankbuchhalter Biek auf. – Heitre junge Leute, lauter neue Sachen, eine blitzblanke Küche mit unzähligen Töpfchen, blauen Bändern und Küchenspitzen. Und nur zwei Treppen!

Da hatte Mine es einmal gut getroffen. Den ersten Abend, als sie in der niedlichen Küche am Spültisch stand und das Geschirr von dem reichlichen Abendbrot abwusch – hier wurde nicht geknausert, das merkte sie schon – kam die junge Frau zu ihr heraus. Sie war im Negligé, einem hübschen hellblauen Morgenrock mit vielen Spitzen, der ihrem runden Kindergesicht reizend stand.

»Minna,« sagte sie, »wir werden Sie ›Anna‹ rufen; ich heiße nämlich Else, aber mein Mann nennt mich ›Minnie‹ und das ist denn doch zu ähnlich mit Ihnen! Also ›Anna‹!« Sie lachte fröhlich und sah Mine mit ihren hübschen Augen freundlich an. »Ich glaube, wir werden sehr gut zusammen auskommen, zu tun haben Sie ja auch nicht zu viel. Ich gehe jeden Tag zur bestimmten Stunde aus und hole meinen Mann ab, dann muß das Essen natürlich fertig sein. Nach Tisch schlafe ich ein bißchen, dann können Sie ungestört das Abwaschen besorgen, und abends hole ich wieder meinen Mann ab. Sonntags gehen wir immer zu meinen Eltern, da brauchen Sie gar nicht zu kochen, und Mama hilft mir überhaupt viel und« – sie stockte, denn von drinnen rief die Stimme des Gatten: »Minnie, Minnie!«

Da kam er schon. »Aber Minnie,« sagte er vorwurfsvoll, »wie lange stehst du nun schon hier! Du sollst doch nicht so lange stehen!« Besorgt legte er den Arm um ihre Taille. »Komm rein, leg dich wieder aufs Sofa!«

»Ja, ja!« Sie schmiegte sich zärtlich an ihn. »Und du sitzt bei mir und liest mir vor.« Sie nickte dem Mädchen lächelnd zu: »Also ›Anna‹!«

»Wieso ›Anna‹? Ich denke, sie heißt ›Mine‹!«

Die junge Frau lachte hell. »Aber, Männe, das geht doch nicht! Wenn du nun ›Minnie‹ rufst, – und das tust du doch recht oft! – und sie versteht ›Mine‹ – hahahaha!« Sie lachte ausgelassen. »Das wäre 'ne nette Verwechselung! Hahaha!«

Er fand das auch urkomisch und lachte kräftig mit. Die Arme um einander geschlungen, gingen sie ins Zimmer zurück; noch lange tönte ihr heiter zärtliches Gelächter bis in die Küche.

Warum war Mine nur so traurig?! Hier würde sie es ja so gut haben. Sie hielt mit Spülen inne, ließ die nassen Hände an der blauen Schürze herunterhängen und stierte vor sich hin. Träne auf Träne kollerte über ihre Wangen – nicht einmal ihren Namen sollte sie behalten!

Am andern Morgen – die junge Frau war noch nicht aufgestanden – kam der junge Ehemann in die Küche.

»Anna,« sagte er, »ich muß nun fortgehen. Die Reschke hat mir gesagt, was sie für ein ordentliches Mädchen sind. Nun sorgen Sie mir auch recht gut für meine Frau, es soll Ihr Schade nicht sein! Wenn sie aufsteht, bekommt sie ihren Tee, und da sie so früh nicht viel essen mag, muß sie um elf zwei weiche Eier haben, und um zwölf, ehe sie mich abholt, ein paar Cakes und ein Glas von dem Ungar-Wein, der auf dem Büfett steht. Wenn Sie gerade gute Brühe haben, können Sie ihr auch zwischendurch eine Tasse Bouillon bringen. Und lassen Sie sie um Gottes willen nicht auf einen Stuhl steigen oder was heben – füttern Sie lieber den Vogel, der hängt so hoch! Sie sind ja eine verständige Person, passen Sie gut auf!«

Und damit ging er, nicht ohne vorher noch einmal an die Schlafstubentür zu schleichen und zu horchen, ob sie auch noch schlief. –

Es war eine gute Zeit, die Mine bei guten Menschen verbrachte. Niemand sagte ihr ein böses Wort, Herr Biek klopfte sie auf die Schulter, und die junge Frau dankte ihr für alles mit einem zärtlichen Lächeln. Die Mutter der Frau Biek, eine stattliche, wohl behäbige Dame, die jetzt fast täglich kam, um während der Abwesenheit des Gatten nach der Tochter zu sehen, beschenkte das Mädchen mit einer Bluse, mit Schürzen, und ab und zu mit einer Mark. Es fehlte Mine an nichts, und doch schrieb sie nicht nach Hause, wie gut es ihr ging – sie schrieb gar nicht. Und doch lehnte sie oft am Kochherd und rührte wie geistesabwesend, in den Töpfen – immer herum, immer herum – und merkte nicht, daß sie überkochten und der Schaum zischend auf der Herdplatte zerfloß.

Sie war zerstreut, oft fehlte ihr mitten in der Rede das Wort; dann stand sie und sah ihre junge Herrin an mit so glanzlosen, erloschnen Augen, wie ein armes Tier, das klagen möchte und doch nicht sprechen kann.

Der März kam und die österliche Zeit. Schon wehten warme Lüfte, die Erde taute auf; die Petersilienwurzeln, die Mine in einem Kistchen vorm Küchenfenster pflegte, schlugen ganz grün aus. Eine scharfe Sonne lugte in alle Winkel und zeigte jedes Stäubchen.

Die junge Frau Biek ließ sich nicht daran hindern, eine gründliche Frühjahrsreinigung der ganzen Wohnung vorzunehmen. Kein Gegenstand durfte auf dem Platze bleiben, die Möbel wurden gerückt, die Wände abgestaubt, die Betten geklopft, die Parkettböden im Salon und Eßzimmer abgescheuert und dann mit neuer Bohnermasse eingerieben.

Es war im Salon. Die Gardinen waren abgenommen, die Fenster standen weit offen, der zartblaue Himmel des Vorfrühlings sah hinein. Jauchzende Kinderstimmen tönten von der Straße, auf dem Fensterbrett hüpften zwitschernde, sich jagende Sperlinge. Heitre Helle, überall neugierig tastende Strählchen.

Mine schob die schwere Bohnerbürste vor sich her; die Brust wogte ihr unter hastigen Atemzügen. Immer wieder hielt sie inne, schnappte nach Luft und wischte sich den Schweiß ab, der ihr auf der Stirn perlte.

Frau Biek stand auf einer Fußbank und polierte selber das Glas der Pendüle auf dem Kaminsims: da trotzte sie sogar dem Verbot ihres Mannes, da ließ sie keinen andren heran. Es war ihr liebstes Hochzeitsgeschenk; stand doch mit goldnen Buchstaben über dem Werk: ›Die Uhr schlägt zweien Glücklichen‹.

Plötzlich wankte sie von der Fußbank herab, sank mit einem Seufzer auf den nächsten Stuhl und schloß die Augen.

Auch Mine hatte die Augen halb geschlossen; sie war sehr blaß, die Lippen preßte sie fest aufeinander, um ein Stöhnen zu unterdrücken. Aber ihre Hände ließen die Bürste nicht fahren, gleichmäßig, wie von einer Maschine getrieben, glitt das eiserne Gewicht hin und her.

»Wein – Anna – hören Sie nicht?« seufzte die junge Frau. »Anna – Wein!«

Polternd fiel die Bürste zu Boden. Mine stürzte ins Eßzimmer nach dem Büfett, die Dielen krachten unter ihrem schwerfällig unbehilflichen Lauf. Der Pfropfen saß tief in der Flasche; sie hatte gar keine Kraft mehr in den Armen, so sehr sie sich auch anstrengte. Sie mußte die Zähne zu Hilfe nehmen.

Selbst blaß wie der Tod, hielt sie der Herrin das Glas an die Lippen. Diese trank, schon nach dem ersten Schluck färbte sich ihr junges Gesichtchen wieder rosig. »Ah –! Danke, nun ist's schon wieder gut! Sagen Sie nur Mama nichts, und ja meinem Mann nicht, daß ich die Uhr poliert habe, die wären außer sich. Es wird mir doch nichts schaden?! Machen Sie nur Ihre Arbeit weiter. Ein bißchen rasch, damit alles fertig ist, wenn er nach Hause kommt.«

Mine bückte sich und griff nach dem Bürstenstiel; schon setzte sie wieder an, da ließ sie jäh die Bürste fallen, torkelte und faßte mit beiden Händen nach ihrer Taille, als fühlte sie da einen unsäglichen Schmerz.

»Ich kann nich mehr!« Ihre schneebleichen Lippen zuckten wie von verhaltenem Weinen.

Die junge Frau hob den Kopf. Ein paar Augenblicke starrten sich die beiden Frauen stumm an. Durch das unverhängte Fenster flutete jetzt vollstes Sonnenlicht mit unbarmherziger Klarheit – da gab's nichts mehr zu verbergen.

»Was fehlt Ihnen,« stotterte die junge Frau.

Keine Antwort. Mit einem Ächzen, das sie unter einem Hüsteln zu verstecken suchte, kauerte sich Mine nieder und tastete wie blind auf dem Boden herum. Sie konnte nicht aufstehn, sie lag wie niedergeschmettert, wie ein Tier auf allen vieren.

»Sind Sie krank?«

Keine Antwort.

»So antworten Sie doch!«

Kein Wort, nur ein Wimmern.

»Aber – Anna –!« Das weiche Kindergesicht der jungen Frau war plötzlich wie zu Stein erstarrt. Ihren blauen Morgenrock an sich raffend, damit er den Schmutz nicht streife, verließ sie das Zimmer.


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