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XXIX

Sechs Wochen nach der Hochzeit von Arthur und Mine wurde bei Bartuschewskis das fünfte geboren. Man bat die junge Frau Reschke, aus Revanche, zu Gevatter; aber sie lehnte ab. Sie hatte kein Geld, um ein Patengeschenk zu machen.

Da waren noch von der Hochzeit her, beim Budiker drei Mark für Schnaps und Likör und sechs Mark für Bier zu bezahlen. Und der Möbelhändler hatte auch schon die Quittung für die erste Abzahlungsrate präsentiert; mit Mühe und Not hatte Mine die paar Mark zusammengebracht, aber mit Schrecken dachte sie an die jetzt bald fällige zweite Rate. Wenn man ihr nun den Schrank oder gar das Bett wieder abholte –?! Der Budiker stundete noch eher, dem gab doch Arthur jeden Tag etwas zu verdienen: 'ne kleine Weiße, und nach Wochenschluß saß er abends ein paar Stündchen in der Kneipe.

Bartuschewskis waren sehr beleidigt, daß Mine die ihr angetane Ehre ausschlug. Als sie kam, um der Wöchnerin einen Besuch abzustatten, kehrte diese das Gesicht nach der Wand und drehte ihr so den Rücken.

»Na, Ihre Frau, det is eene,« sagte Bartuschewski zu Arthur. »Der würde ik de Zicken schonst austreiben.«

Nur um die Leute zu versöhnen, mit denen es doch wahrhaftig unklug war, sich aufzulegen, nahm Arthur wenigstens für seine Person die Einladung an und kaufte von der Hälfte seines Wochenlohns dem Täufling einen schönen, neusilbernen Trinkbecher.

Mine war außer sich, als er ihr, strahlenden Gesichts, seinen noblen Einkauf zeigte. »Du bis wohl verrückt?« stieß sie heraus. »Jeses, un wer haben noch so viel zu bezahlen!«

Da sah er sie so böse an, daß sie kein weiteres Wort wagte.

»Mußte mir denn jedes Pläsier verderben?« sagte er finster; warf den Becher von sich, daß er durch die Stube kollerte und das dünn getriebene Metall sich verbeulte.

Schweigend raffte Mine den Becher auf und drückte und klopfte daran, um ihm die richtige Form zu geben.

»Laß nur!« schrie der Mann und riß ihn ihr aus der Hand. »Nu jehe ich jar nich hin. Die Lust is mir verjangen!« –

Aber er ging doch. Die Tauffestlichkeit währte bis spät in die Nacht, und am andren Morgen hatte er Kopfschmerzen und wäre am liebsten nicht zur Arbeit gegangen.

Ja, die Hausdienerstelle, die war Mines Kummer. Fünfzehn Mark die Woche, das war doch gar wenig! Mit den dreieinhalb Mark zusammen, die sie wöchentlich für die Aufwartung bei Fräulein Haberkorn bekam, reichte das gerade für das Allernötigste; aber auch nicht das geringste Unvorhergesehene durfte kommen.

Über Mines Nasenwurzel grub sich eine immer tiefere Falte ein, je länger der Winter währte. Nein, sie mußte suchen, mehr zu verdienen! An sparsamerem Essen und an sparsamerer Feuerung ließ es sich nicht herausschinden. Sie mußte in Arbeit gehen für den ganzen Tag.

Einen raschen Blick warf sie auf ihr Fridchen – oh, wie war die aufgeblüht unter der sorgsamen Pflege der Mutter! Es half nichts, es hatte alles nicht geholfen, nun mußte sie die doch wieder andren überlassen. –

Fräulein Haberkorn war zum ersten Mal mit einer Aufwärterin zufrieden. Zum ersten Mal auch, daß sich ihr Mißtrauen verlor. Im Anfang hatte sie stets beobachtet, was Mine tat. Jetzt traute sie sich, in ihrer Wohnstube am Sekretär sitzen zu bleiben und, zahlenbedeckte Papiere und Kurszettel vor sich, zu schreiben und zu rechnen, während die Aufwärterin im Schlafzimmer, wo der Geldschrank stand, das Bett machte.

Die Entreetür bei Fräulein Haberkorn war immer zweimal verschlossen und noch die Sicherheitskette vorgelegt; nie wurde geöffnet, ohne daß diese eingehängt blieb.

Das Fräulein hatte eine nervöse Angst. »Man weiß ja, wie schlecht die Menschen sind,« sagte sie einmal in einer besonders vertraulichen Stunde zu Mine. »Und alleinstehende Damen, die können zu leicht – oh!« Sie schauderte und sprach nicht aus. Ein Ausdruck des Entsetzens schrumpfte ihr ohnehin verschrumpftes Gesicht noch mehr zusammen, ihre stechenden Augen schienen noch stechender in jeden Winkel zu fahren und spähten dann auch in Mines Gesicht.

Was hatte die nun von all ihrem Geld?! Mine schüttelte den Kopf. Besuche bekam die ja nur von Geldbriefträgern oder von kleinen Leuten, die ihr Zinsen brachten. Dann ging sie aus, um das Geld wieder weg zu tragen; ängstlich hielt sie das geheim, aber Mine sah doch, wie sie Papierscheine und Goldrollen in das schwarze verschabte Ledertäschchen packte.

Mit jedem, der da kam, wurde über die Sicherheitskette weg verhandelt. Auch die Kollekteure, die fleißig vorsprachen, wurden so abgefertigt; nur der Geistliche und die Vorstände mildtätiger Vereine wurden ins Zimmer geführt.

Aber selbst von ihrem Wohltun hatte die kein Vergnügen. Kein Armer kam ins Haus, der da sagte: »Vergelt's Gott!« Die empfand nie das Wohlgefühl, ein armes Weib auf der Hintertreppe mit einer Tasse warmen Kaffee, oder hungernde Kinder mit einem Butterbrot oder einen Arbeitsunfähigen mit fünf Pfennigen zu beglücken.

Das Herz tat Mine weh, wenn sie Zeuge war, wie das Fräulein den Bittenden, ohne Wort, die Tür vor der Nase zuschlug. So lange sie im Dienst war, da hatte sie auch nicht gewußt, was das heißt: ›Unser täglich Brot gib uns heute‹ – da hatte sie immer ihr Essen und Trinken; aber jetzt –?!

Der Winter war lang, der Armen kamen viele. Es war ein sprechend vorwurfsvoller Blick, mit dem Mine ihre Dame ansah. Diese schien den Blick auch wohl verstanden zu haben; kurz darauf erschien sie in der Küche, ihr hagrer Finger wies krampfhaft auf eine fett gedruckte Stelle in der Zeitung. Da hatte irgendwo ein bettelnder Handwerksbursche die ihm öffnende Frau erwürgt und die Wohnung ausgeraubt.

Mine buchstabierte es mühsam heraus, dann mußte sie auflachen – also vor so etwas hatte Fräulein Haberkorn Angst?! Ihr Lachen schien diese noch mehr zu erschrecken; sie wich zurück bis zur Küchentür, ihr noch immer ausgestreckter Finger zitterte, ihr Gesicht, ihre ganze Erscheinung drückten höchstes Grausen, tiefste Erschütterung aus.

Mine fühlte Mitleid mit der einsamen Alten. »Se brauchen vor mir keene Angst nich zu haben,« sagte sie gutmütig, »ich kann nich mal gutt en Huhn schlachten. 's war mer immer en Angang.«

Diese Versicherung schien doch nicht ganz beruhigend. Es kam Mine vor, als zeige das Fräulein wieder etwas von dem anfänglichen, zurückhaltenden Mißtrauen; das kränkte sie, aber diese Kränkung vergaß sich bald über andren Sorgen.

Mine suchte Reinemach- und Waschstellen. Vor der Filiale des Lokalanzeigers faßte sie Posten und stürzte sich auf das erste verausgabte Arbeitsnachweisblatt. Sie scheute keinen weiten Weg. So gelang ihr, als Reinemachfrau in Moabit, als Wäscherin am Halleschen Tor und in Charlottenburg, zur Aushilfe am Sonnabend in der Friedrichstadt anzukommen. Die Herrschaften sahen ihre derbe Figur und versprachen sich eine tüchtige Arbeitskraft.

Aber Fridchen?! Der alte Reschke wollte sie wohl hüten; er liebte das Enkelkind, machte mit ihm die Scherze ›Kuckuck‹ und ›Kille kille‹, durch die er einst Trudchen entzückt, aber er saß im feuchten Kellerloch, und Fridchens Wangen verblaßten dort zusehends.

Nun sollte Grete, während der Mutter Abwesenheit, nach der Bahnstraße zu Fridchen kommen. Aber als Mine einstmals unvermutet früh nach Hause kam, fand sie das blasse Mädchen am offnen Fenster, überweit hinausgelehnt, regungslos, wie gebannt hinstarrend nach drüben, wo hinter dem Bretterzaun die Eingangspforte der Heilsarmee sich auftat. Fridchens Kleid glimmte, sie war, unbeaufsichtigt, den glühenden Funken des Aschenloches zu nahe gekommen. »Jeses, aber Grete!« Erst der laute Schrei der erschrocknen Mutter entriß Grete ihrem Starren. Blaß und ohne Entschuldigung, drückte sie sich in einen Winkel. Mine überlief ein Grausen, sie mußte an Mathilde denken; sie hatte nicht mehr das Herz, das Mädchen allein mit dem Kind in der Wohnung zu lassen. –

Frau Reschke zerbrach sich ernstlich den Kopf, was sie mit Grete anfangen sollte. Wie ein Schatten schlich die umher; immer war sie da, wo man sie nicht vermutete. Wenn man sie ansprach, antwortete sie nicht, sie schien nicht zu hören, aber glaubte sie sich allein, so redete sie ununterbrochen und sang seltsame Lieder in scharfen, eintönigen Rhythmen.

Mutter Reschke ließ es nicht an handgreiflichen Ermahnungen fehlen. »So ville Dresche hat noch keens von meine Kinder jekriegt,« sagte sie. »Schwächlich is se man, ik kann ihr doch nich zu Schanden hauen. Furcht hatte se woll, aber keene Besserung.«

Noch zitterte Grete das Herz, wenn sie an jene Züchtigung dachte, die ihr am Morgen nach Arthurs Hochzeit zuteil geworden.

»Ik wer' der lehren, mir so zu blamieren,« hatte die Mutter geschrieen, die schlechter Laune war, und mit der Faust zugehauen, wohin es gerade traf.

Und Grete war in die Kniee gesunken und hatte, ohne nur den Versuch zu machen, mit den Armen ihren Kopf zu schützen, widerstandslos die Schläge über sich ergehen lassen. Sie litt ohne Laut, ohne mit der Wimper zu zucken, ohne Träne, mit entrücktem Blick.

Nur als ihr am Abend, da sie, wie immer, verstohlen hinausschlüpfen wollte, die Mutter den Weg vertrat, setzte sie sich zur Wehr. Trotz ihres Sträubens zerrte die Mutter sie in die Küche und schloß sie ein. »Da bleibste. Ik wer' der wohl det Handwerk mit de Heilsarmee lejen!« – Da hatte sie gewimmert und sich verzweifelt auf dem Küchentischbett gewälzt.

Grete siechte dahin. Was ihr fehlte, konnte sie selber nicht sagen. Luft – Licht – Liebe –?! Sie hatte ja immer im Keller gewohnt.

Oft konnte sie morgens nicht aufstehen, so schwach fühlte sie sich; eine bleierne Müdigkeit lähmte ihr die Glieder. Der Leib tat ihr weh, der Rücken, die Brust – alles, alles.

Dann blieb sie liegen, ohne sich zu rühren, die Hände über der Brust gefaltet, und blickte starr gegen die dunkle, feuchte Kellerwand.

Die Mutter ließ sie liegen – zu gebrauchen war sie ja doch nicht – und schickte ihr durch Elli eine Tasse Kaffee und eine Schrippe. Aber der Kaffee war der letzte aus der Kanne, die Körnchen des Grunds reizten die Kranke zum Husten; und die knusprige Schrippe wollte nicht durch den trocknen, ausgebrannten Schlund rutschen.

So genoß sie gar nichts, sondern starrte wieder gegen die dunkle, feuchte Wand – stundenlang, – bis ihr vor Schwäche die Augen zufielen.

Und dann kamen ihr Träume, wunderbare Träume; halb im Schlaf, halb im Wachen. Sie hörte Stimmen singen, wohlbekannte Stimmen:

›Sage es Jesu!
Du hast sonst nimmer
Solchen Freund und Bruder‹ –

»Halleluja – –!« Sie richtete sich halb im Bett auf, sehnsüchtig streckte sie die Arme aus.

Fröhliches Händeklatschen mischte sich in den Gesang, eine anfeuernde Musik begleitete, die Füße traten den Takt.

›Durchs Perlentor schon ziehen wir ein
Ein heilig mächtig Heer‹ –

Warme Hände faßten ihre kalten, sehnsüchtig ausgestreckten; sie fühlte sich mitgezogen, emporgehoben – höher – höher – sie schwebte allen voran.

Immer rauschender wurde der Gesang, immer unwiderstehlicher. Die Pforten des Himmels sprangen auf, da winkte schon der goldene Thron. »Hallelluja, gerettet, gerettet!« – – –

Mit einem heiseren Schrei fuhr die Erwachende auf, eine ungeschickte Hand hatte ihr ins Gesicht gefaßt.

»Na, Jrete, was machste denn?!«

Es war der Vater. Wenn die Mutter vorn im Laden ganz in Anspruch genommen war, dann kam er angeschlorrt. In der Küche, die noch viel dunkler war, als die übrige Wohnung, konnte er gar nichts sehen; da hielt er die Hände vorgestreckt und tastete sich so weiter.

»Tut dich was weh?«

»Ne,« hauchte sie leise.

»Willste denn noch nich bald ufstehn?«

»Ne.«

»Draußen scheint die Sonne!«

Sie sagte nichts mehr. Da zog er einen Schemel herbei und ließ sich mit einem Seufzer neben ihr nieder. –

So ward es Frühling. Aber nur ein Frühling, der im Kalender steht; in Wirklichkeit war er rauher, als der Winter. Regen, mit feinem Hagel vermischt, schauerte nieder, die ersten vorwitzigen Blättchen erbarmungslos niederschlagend. Man heizte nicht mehr, man fror doppelt und erkältete sich.

Mine kämpfte am Morgen mit vorgebeugtem Leib gegen den scharfen Ostwind. Immer früher trat sie auf ihrer Aufwartestelle an, immer eiliger suchte sie wieder wegzukommen; denn wenn sie sich hier in Schweiß gearbeitet, um so rasch als möglich ihre Pflicht zu erledigen, dann ging das Tagewerk erst recht für sie an. Zweimal in der Woche ging sie Reinemachen, dreimal Waschen. Was sie den Herrschaften des Morgens an der Arbeitszeit abknappte, setzte sie des Abends zu; oft ging es auf Mitternacht, wenn sie von den weitentfernten Stellen nach Hause kam.

Dann schlief Arthur schon; aber Fridchen lag im Körbchen mit offenen Augen und meldete sich beim wohlbekannten Tritt mit einem schlaftrunknen, meckernden Tönchen. Dann nahm die Mutter ihr Kind aus dem Bettchen und wusch es und kämmte es und schäkerte mit ihm und hielt es auf dem Schoß; am Tag hatte sie keine Zeit dazu.

Die Schulden beim Budiker waren getilgt, der Möbelhändler bekam auch pünktlich seine Abzahlung; Mine suchte ihren ganzen Stolz darin, nichts schuldig zu sein. Aber wie lange würde es wohl so bleiben?! Arthur murrte über seine Hausdienerstelle, und Fräulein Haberkorn schien unzufrieden. Sie verlangte allen Ernstes, Mine solle die Putz- und Waschstellen aufgeben und sich, wie zuvor, nur ihrer Aufwartung widmen.

»Aber den Monat bloß fufzehn Mark, Fräulein! Von fufzehn alleine kann ich doch nich bestehn!«

Fräulein Haberkorn schien Mines Wink nicht zu verstehn. Sie stöhnte sogar über das viele Geld, das so eine Aufwartung kostete, und zeichnete doch gleich darauf in die Kollekte, zur Erbauung einer Schule für schwarze Kinder irgendwo in Afrika, zwanzig Mark.

Ganze zwanzig Mark! Mine konnte sich nicht genug verwundern.

Die alte Reschke hatte in Erfahrung gebracht, daß sich Fräulein Haberkorn insgeheim schon nach einer andren Aufwärterin umhöre. »Aber warte man,« sagte sie zur Schwiegertochter, »der jraule ik se alle weg. Keen Aas soll die kriegen!«

Jetzt redete die Haberkorn davon, sich lieber ein Dienstmädchen nehmen zu wollen. Für fünfzehn Mark den Monat bekam sie sicher eins, schon für viel weniger. Mine war zu ehrlich, um ihr zu widersprechen; gewiß, und dann war das Fräulein auch nicht so verlassen, hatte doch wenigstens immer jemanden um sich. Aber das schien es gerade zu sein, warum die alte Dame sich noch immer davor scheute. –

Es war ein rauher windiger Abend, einer der letzten im März. Oben, fünf Treppen hoch, bei den jungen Reschkes war es zugig.

Arthur saß an dem kleinen Ofen; Mine hatte einheizen müssen, und doch fror er, rieb sich die Hände, schauderte und hüstelte. Er war sehr übellaunig, von einer schweren, hoffnungslosen Mißstimmung befallen. Schwermütig stützte er die Ellenbogen auf die Kniee, klemmte den Kopf zwischen die Hände und brütete vor sich hin.

Mine war eben jetzt, heute ausnahmsweise früh, vom Waschen heimgekommen; noch waren ihre Kleider feucht, die Haare hingen ihr gelöst vom Dampf. Bei jeder Bewegung verbreitete sie einen Wäschedunst, einen unangenehmen Laugen- und Seifengeruch.

Sie strich die Schmalzstullen; da sie sich von der Herrschaft hatte mit fünfundzwanzig Pfennig für das Abendbrot abfinden lassen, konnte sie heute noch etwas Besondres spendieren. Die Schnitten für ihren Mann und die Semmel für die Kleine belegte sie dick mit Wurstscheiben.

Es war nach neun, und sie war sehr hungrig. »Da, Arthur!« Mit vollen Backen kauend, schob sie ihm sein Teil hin.

Er schob es unwillig wieder zurück. »Ich mag nich. Alle Tage Schmalzstullen mit Wurst, oder, zur Abwechselung, Schmalzstullen ohne Wurst. Ich danke!«

»Aber Arthur, es schmeckt doch so gutt,« sagte sie und biß wieder kräftig zu. »Gelle, Fridchen, es schmeckt der ooch?«

Die Kleine, im blauen Nachtkittel, aus einem alten Barchent-Rock der Mutter geschneidert, streckte begehrlich die Händchen nach mehr aus.

»Siehste woll!« Mine lachte; sie war heute so froh. Hatte ihr doch die Dame, bei der sie gewaschen, eine alte Kattungardine geschenkt; die gab noch ein wunderschönes Sommerkleidchen für Fridchen, vielleicht sogar noch ein Schürzchen. Vergnügt kauerte sie sich bei dem Kind nieder und schwatzte ihm von dem schönen Kleidchen – gelb mit roten Kringeln – vor.

Ein Stöhnen Arthurs unterbrach sie. Er war aufgesprungen und reckte die Arme über den Kopf.

»Ich halt's nich aus, das Hundeleben!«

Das klang so ingrimmig, so verzweifelt, daß Mine aufhörte, zu kauen. Sie stand auf, legte ihr Brot hin und näherte sich ihrem Mann.

»Was haste, Arthur?« Vergebens suchte sie ihm die Hand auf die Schulter zu legen, mit einer unwirschen Gebärde schüttelte er sie ab. Mit allen zehn Fingern fuhr er sich in das lockige Haar.

»'ne Hausdienerstelle, is das 'ne Existenz für mich?! Pakete verschnüren, Pakete austragen, Packesel sein! Hans in allen Ecken, un doch nirjendswo en Ton riskieren dürfen! Der Prinzipal – 'n junger Bengel, nich viel älter als ich – was der sich einbild't! Nie is man früh jenug da, abends kann's nich spät jenug werden. Un denn nach de Potsdamerstraße, un denn nach'n Alexanderplatz, und denn raus nach Moabit, un denn halbwegs de Hasenheide. Un en Wetter, daß man keinen Hund rausjagt. Naß bis auf de Knochen – Schirm kann man nich halten, man hat keinen Arm frei – kaputte Stiefeln –!« Er hustete dumpf.

»Biste krank?« Sie sah ihm besorgt ins Gesicht.

»Ne, aber fuchtig! Ich will nich mehr. Was? Bin ich denn weniger wie der?! Nur auf de Realschule is er jewesen. Haha! Aber in de zweite Etage is er jeboren, oder an Ende jar ›Hochpaterre‹; da is man jleich was. Ne, ich mache nich mehr mit, ich hab's dicke. Soll sich 'n andren suchen, der sich für fufzehn Mark de Woche rumjagen läßt!«

»Haste nich aber fufzehn Mark Weihnachtsgeld gekriegt? Un erschten April will er eine Mark un fufzig Pfennige de Woche zulegen. Denn stehn wer doch ganz gutt da.«

»Ä was! 'ne Mark mehr, was will das heißen!? Nich zum Leben, nich zum Sterben. Un wenn ich denke, daß das immer so weiter jeht – immer so weiter!« Er stöhnte wieder, ließ sich auf seinen alten Platz fallen und verbarg das Gesicht in den Händen.

Sie blieb vor ihm stehen. Das Kind, erschreckt durch den Ton des Vaters, fing an zu weinen. Mine war blaß, ihre Stirn hatte sich zusammengezogen.

»De bis schlechter Laune, schlaf mal erscht, Arthur! Denn siehste alles andersch an. Das kommt ooch von dem ew'gen Regenwetter. Wenn's erscht warm is, paß mal uf, denn wird alles besser!« Sie suchte ihm und sich selber Mut einzusprechen, aber der Ton war zaghaft. »'s wird alles gutt!«

»Nie!« Er schrie es heraus.

Sie konnte hierauf nichts mehr sagen, seine Stimmung hatte sie angesteckt. Traurig hing sie den Kopf.

Und dann der Regen, den der Wind ans Fenster peitschte! Der Appetit war ihr vergangen.

Arthur erhob sich plötzlich. »Ich wer' doch mal runterjehn zu Bartuschewskin. Vielleicht weiß der was für mich. Was Passenderes, was Anständigeres! 's is morgen de höchste Zeit, wenn ich kündigen will.«

»De wirst doch nich?!« Erschrocken faßte sie ihn am Arm. Ihre Augen wurden groß vor Entsetzen.

»Na natürlich,« sagte er jetzt ganz kühl und machte sich los. Langte seinen Hut vom Schrank und ging, die Hände in den Hosentaschen, pfeifend zur Tür.

Sie hielt ihn nicht zurück, sie kannte ihn, da war jetzt nichts zu machen; seit der Szene mit dem silbernen Taufbecher für Bartuschewskis Jüngstes, hatte sie ihre Erfahrungen gemacht. Nur keine Vorwürfe, kein einziges Wort! Das reizte ihn, das machte ihn gleich wütend; nachher tat's ihm leid. Er war eben ›nerfees‹, wie seine Mutter sagte.

Mit trüben, umflorten Blicken starrte sie ihm nach. – – – Er gab die Hausdienerstelle auf!

Schwer fiel sie auf den nächsten Stuhl. Jetzt fühlte sie erst, wie müde sie war.

Still war's im Zimmer. Fridchen war eingeschlafen, auch Mine fielen vor Übermüdung die Augen zu.

Ob sie lange so gesessen? Sie erwachte mit einem Frösteln. Ach Gott, sie hatte ja noch die feuchten Kleider an! Da – klopfte es!

Schlaftrunken blinzelte sie nach der Tür. Wer mochte das sein? Arthur nicht, und auch keiner aus dem Keller; die klopften nicht. Bartuschewskis? Auch die nicht; die waren ihr ja immer noch todböse und ließen sich nicht oben sehen.

Wieder klopfte es, stärker und dringlicher.

Mine taumelte auf. »Herein!«

Da öffnete sich die Tür, und Bertha fiel ihr in die Arme.

Wie sah die aus!

Ganz durchnäßt; das Wasser lief ihr aus den Haaren, der Hut war ihr ruiniert, ihr feines Kleid bis zu den Knieen mit Schmutz bespritzt, der unterste Volant abgetreten; einen nassen Schweif schleppte sie hinter sich drein.

Unter dem linken Arm trug sie ein großes Paket, unter dem rechten einen großen Karton und eine Hutschachtel; die Taschen ihres triefenden Jacketts waren auch noch vollgestopft. Sie konnte sich kaum rühren.

Mit einem Seufzer der Erleichterung ließ sie alles zu Boden fallen. »Au, schwer!«

Ihren Hut abnehmend, schlenkerte sie ihn aus, daß die Tropfen sprühten. Wo sie gestanden hatte, war gleich eine Lache; das Wasser lief ihr aus den zierlichen Halbschuhen.

Mine schlug die Hände zusammen. »Jeses, wo kommste denn her?!«

»Direcktemang aus 'n Chambre garnie!« Bertha lachte schrill; aber dann verzog sich ihr Gesicht, mit lautem Aufweinen fiel sie der Freundin um den Hals.

»Jeses, Bertha, Berthchen!« Erschrocken suchte Mine die Erregte zu beruhigen, die am ganzen Leib zitterte und zuckte, deren Körper ein fassungsloses Schluchzen erschütterte.

»Jeses, so sag doch, was is denn passiert?« Mine versuchte ihr das nasse Jackett herunterzuziehn – ach Gott, war die Bertha mager geworden! Seit der Hochzeit hatte sie Bertha nicht gesehen.

»Biste denn krank? Bertha, Mädel, ween doch nich so, du machst mer ju Angst!«

»Ich kann nich mehr!« Mit einem tiefen Seufzer ließ sich Bertha auf den Stuhl am Tisch fallen, stemmte die Arme auf und weinte immer weiter, mit einem krampfhaften, nervösen Schluchzen.

Mine stand ganz verdutzt dabei und sah auf den blonden, zerzausten Kopf und auf die schmalen, zuckenden Schultern. Was mochte der nur sein?! Endlich kam Mine auf die einzig mögliche Lösung.

Sie tupfte die Weinende auf den Arm. »Du, Berthchen,« flüsterte sie mit einem wehmütigen Lächeln, »'s is wohl was los bei der, Berthchen?!«

Bertha hob den Kopf. »Was los?« Und dann las sie in Mines Blick und fing so heftig an zu lachen, wie sie vorher heftig geweint. »Haha – was los?! Ne, haha, so dumm wer' ich doch nich sein! Haha!« Sie schrie fast vor Lachen.

»Ju, ju – ne, ne – aber denn, warum weenste denn so?«

Ihre kleine Hand zur Faust ballend, schlug Bertha plötzlich auf den Tisch. »Immer dienen – ich mag nich!« Und nun weinte sie plötzlich laut auf, und zwischen dem Weinen stieß sie heraus: »Is das 'n Leben?! Man is doch 'n Mensch, mer muß sein Pläsier haben! Mer will sich nich alle Tage schinden, un denn noch dafor ewig rumschubsen lassen, bald hier, bald da!«

»Da biste aber ooch schuld dran,« wagte Mine zu sagen. »Warum hältste nich aus uf eine Stelle?!«

»Auf eine Stelle – haha – auf hundert Stellen nich! Ich bin nu mal so ins Rollen gekommen, 's is ja auch überall egal. Hier en bißchen besser, da en bißchen schlechter – immer dasselbe. Un so geht 's immer weiter – huh!« Sie schüttelte sich, und dann setzte sie die Zähne aufeinander starrte finster in das trübselige Licht des Lämpchens. »Ich mag nich mehr!«

»Jeses, aber was willste denn machen?«

»Weiß nich«, klang es verbissen.

»Machste nach Hause?«

»Aufs Dorf?! Ich bin doch noch nich dämlich. Da is 's mer viel zu langweilig.«

»Ja denn,« – Mine zuckte die Achseln, schüttelte den Kopf und sah ratlos drein – »denn weeß ich wirklich nich!«

»Gräm der nich,« sagte Bertha leichthin, sprang auf und rückte sich die verschobne Kleidung zurecht, »'s wird sich schon was finden!«

Ihre unruhigen Blicke schweiften überall umher, über die wenigen Möbel, die kahlen Wände, die Reste des mageren Abendbrots. Sie atmete den feuchten Wäschedunst aus Mines Kleidern, vermischt mit strengem Kohlgeruch vom Mittagsmahl her – den ganzen Duft der Armeleute-Stuben. Ein Schauder überlief sie, sie wurde ganz blaß. »Du, Mine, besonders großartig haste's auch nich. Ne du, das wäre nischt for mir!«

Mine war gar nicht beleidigt, sie lachte gutmütig. »So fein wie bei deine Herrschaften is es natürlich nich! Wenn wer nur immer satt haben,« setzte sie seufzend hinzu, »mehr wünsch ich mer gar nich.«

»Unbescheiden biste grade nich!« Berthas Blick streifte die Freundin mitleidig und blieb dann auf den übrig gebliebnen Brocken der Schmalzstullen haften. Ein seltsames Zucken hob ihre Oberlippe. Dann, wie wieder zu sich selber kommend, sprang sie zu ihrem Karton, hob ihn vom Boden und begann ihn hastig aufzuschnüren.

»En neues Kleid – ganz modern – sollste mal sehn! In dem plundrigen Garnie konnt mer ja nischt Ordentliches anziehen, gleich war's rujeniert. So en Dreck, pfui Deiwel! Un Schuh hat mer sich auf den Treppen abgelaufen, nich zu sagen! Ewig hin und her! Da rissen se an de Klingeln, mer denkt wunders was. Un wenn man reinkommt – ›Ach, heben Sie mir mal auf, da ist mir was runtergefallen‹ – oder – ›Sehen Sie doch mal nach, ich glaube, das Fenster ist nicht ganz geschlossen!‹ – Bäh!« Sie streckte die Zunge heraus. »Un Wanzen waren da – brrr! Kuck mal!« Sie schob ihren Blusenärmel in die Höhe und zeigte rote, geschwollne Stellen. »So haben se mer gebissen. Auf unsren Hängeboden saßen se knüppeldick.«

»Warum biste denn nu eigentlich da wieder gezogen?«

»Na, is das noch nich genug? Was fragste dumm!« Bertha stemmte die Arme in die Seiten, in ihren Augen funkelte es auf. »Noch mehr gefällig?! Da wer' ich der mal erzählen, wie de Herren da hinter einem drein waren. In de Stube sollt man zu ihnen kommen, ihnen den Koffer helfen packen – die – – –« sie schluckte eine wenig schmeichelhafte Bezeichnung hinunter. »Un denn noch nich mal en anständiges Trinkgeld; manche gingen einem ganz durch. Un denn der Olle, unser Herr selber, was der immer zu quatschen hatte! Wenn ich in de Stuben aufräumte, kam er mer nach – ›Sie, Bertha, nähn Se mir doch mal den Knopf an!‹ Na, det kennt man schon! Aber als sie nu wegen 'ner kaputten Waschkruke anfing: die hätte achtzehn Mark gekostet, die sollt ich bezahlen – hei – da macht ich ihr wenigstens en ordentlichen Krach! ›Lassen Se sich de achtzehn Mark vom Herrn ersetzen. Der is schuld dran – was kneift er mer so?!‹ Na, da hättste se sehn sollen! Haha! Ich raus, Knall und Fall. Wegen der achtzehn Mark wollte se so lange meinen Korb einbehalten, meinswegen!« Sie lachte in einem spitzbübischen Entzücken. »Mit meinen guten Sachen bin ich heimlich de Hintertreppe runter, 's is ja so wie so schon 'ne Masse bei der Grummach – en paar alte Hadern sind im Korb!«

»Deine scheenen Sachen zur Grummach?!« Mine war ganz entsetzt.

»Na ja, sind se eben futsch!« Bertha lachte, aber dann ergriff sie, plötzlich wieder in Tränen ausbrechend, Mines Hand. »Willste mer hier behalten, so lange, bis sich was for mich gefunden hat? Lange haste mer nich auf'm Halse. Es find't sich schon was, un wenn ich –« sie hörte auf zu weinen und lachte wieder leichtsinnig. »Um de Ecke geh ich nich, davor brauchste keine Angst zu haben; dazu hab ich en viel zu guten Docht. Trallala, trallala!«

Wie auch Mine sich sträubte, Bertha faßte sie um die Taille und walzte mit ihr durch die Stube in einer wilden Lustigkeit.


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