Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Reschkes Schaufenster zeigte nicht mehr die alte Fülle. Noch baumelten die Pappstückchen in aller Vielseitigkeit, aber wenn man den Laden betrat, war dieses und jenes ›grade ausgegangen‹.
Frau Reschke bat auch nicht mehr in alter Geschmeidigkeit, doch ja wiederzukommen und die Kundschaft nicht zu vertragen. Die paar Pfennige! Es kam ja doch nichts Rechtes zusammen. Das ewige Raxen! Ja, man wurde müde und alt; sie verstand nun, wenn ihr Mann darüber stöhnte.
Reschke war während zehn Wochen täglich zu dem berühmten Doktor in die Klinik gegangen; seine Augen waren doch nicht besser geworden, er konnte kein welkes Gemüse mehr von frischem unterscheiden. Gar nicht mehr zu gebrauchen war er. Und seit der Geschichte mit Trude war er ganz wie vor den Kopf geschlagen. Er machte keine Witze mehr mit den Mägden, er faßte sie auch nicht mehr mit Geschäftskniff unters Kinn. So ließ ihn seine Frau ruhig in der Stube hinterm Laden sitzen. Da trank er eine Weiße nach der andren, wenn er grade wach war; den Hauptteil des Tages verschlief er, das heißt, er duselte so vor sich hin mit halbgeschlossenen, blinzelnden Augen.
Nach der Halle fuhr er nicht mehr; die Hunde waren abgeschafft worden, nicht verkauft, nein, eingetauscht gegen einen Papagei. Der konnte ›Papa‹ und ›Mama‹ sagen, ›Lorchen Hunger‹, ›Herrchen‹, und ›Frauchen‹. In der ersten Zeit hatte er die Käufer mächtig angezogen; die Klingel unter der Treppe gellte, wie in der besten Zeit. Aber kaum hatte der Grünkram, weiter die Straße herunter, davon gehört, schaffte er sich einen possierlichen kleinen Affen an; nun liefen alle dahin.
Zwei oder dreimal die Woche, morgens nach neun erst, kam ein Wagen vorgefahren, der neue Ware brachte; das war bequem, der Händler trug sie noch in den Keller. Aber viel Nutzen war nicht dabei, der Einkaufspreis war jetzt zu hoch, und Mutter Reschke begann einzusehen, daß ihr Alter einstmals doch nicht so schlecht ausgesucht hatte.
An übergroßer Frische litten die Gemüse nie; es war eine ordentliche Arbeit, das Welke und Faule auszulesen und die Kohlköpfe und Rübenbündel hübsch auszuputzen. Es gehörte eine besondere Gewandtheit dazu, die Birnen, die meist auf einer Seite schon einen Faulfleck hatten, dem Käufer mit einzuschmuggeln.
Trotzdem hatte der Keller seine Kunden; Kleinigkeiten, bei denen es nicht darauf ankam, kaufte man noch dort. Denn, so schlechte Ware sie auch führten, so interessant waren doch die Reschkes. Da war immer etwas los. Vergangenen Winter hatten sie den Gesprächsstoff für die ganze Straße geliefert.
Die Trude war weg! Einfach ausgerückt!
Wohin die nur sein mochte?! Die wißbegierigen Mägde hatten den Keller gestürmt. ›Für fünf Pfennig Salz!‹ ›Für fünf Pfennig Sand!‹ ›Für fünf Pfennig Petersilie!‹ ›Für fünf Pfennig Wichse!‹ Und dazwischen regnete es Fragen und Andeutungen und Vermutungen und Verdächtigungen, und die arme Mutter stand da und konnte nichts zur Verteidigung sagen.
Erst hatte Frau Reschke gar nicht desgleichen getan, sich harmlos und munter gestellt, aber das Schweigen brach ihr das Herz. Sie fing an zu schwatzen.
Was für ein Undank! Alles hatte man für die Kinder geopfert, das letzte hingegeben, und so machten sie's einem! Erst der Arthur, dann die Trude!
Des Morgens war die noch durch die Stube gegangen, als die Eltern im Bette lagen. Sie hatte ihnen zugenickt, ganz freundlich, gar nicht so maulig, wie sonst immer. »Warum haste der denn heute so fein gemacht?« hatte die Mutter gähnend gefragt, und der Vater hatte im Halbschlaf hinter ihr drein gebrummelt: »Doch en schneidiges Mächen! Mutter, du mußt ihr nich so strenge halten, man is doch nur eenmal jung.«
An diesem Morgen war sie fortgegangen und – nicht wiedergekommen.
Wochen danach glaubte ein Mädchen aus der Nachbarschaft sie einmal in einer Droschke erster Klasse gesehn zu haben, ganz edel, neben einem feinen Herrn. Das war aber auch alles, was die Eltern von ihr gehört, wie sie selbst sagten. Daß Mutter Reschke einen Abschiedsbrief von ihrer Trude bekommen, und was darin gestanden hatte, verschwieg sie, auch ihrem Mann.
Untereinander sprachen sie nicht mehr von ihr. Es gab Frau Reschke jedes Mal einen Stich durchs Herz, wenn sie drüben Ladewig die Kunden hinausbekomplimentieren oder ihn den Rollladen herunterlassen sah – die Hoffnung war nun endgültig hin. Aber mit der Zeit fand sie, daß er krumme Beine hatte, und Hände, so knallrot, ›zum Vergraulen‹.
Ob Vater Reschke insgeheim an die Tochter dachte, verriet er nicht; seine Frau, die hatte ja doch nur Herz für Arthur. –
Und Arthur kam wieder. Gerade zur rechten Zeit. Die Geschichte mit Trude hatte bereits ihren Reiz verloren, die befriedigten Neugierigen blieben weg, der Keller war wieder leer – da erschien er!
Mit einem Schrei, außer sich vor Entzücken, hing ihm die Mutter am Halse; sie lachte und weinte. Kein Wort des Vorwurfs durfte ihn streifen; sowie der Vater nur den Mund auftat, fuhr sie ihm darüber: »Laß Athurn doch in Ruh! Was du immer zu quengeln has! Athur, wie is dich? Athur, wat möchtste denn, mein Sohn?« Sie war ganz verliebt in ihn, als wäre sie seine verlobte Braut.
In den ersten Tagen wurde Arthur gepäppelt, wie ein kleines Kind. Er mußte bis zehn schlafen, den Kaffee brachte sie ihm ans Bett; ängstlich wachte sie darüber, daß niemand ihn scheel ansah. Und er ließ sich vorderhand die Bevormundung gefallen und dehnte sich wohlig. Es mußte ihm sehr schlecht gegangen sein, seine Hände waren rissig, seine zusammengestoppelte Kleidung erbärmlich dünn, seine Stiefel zerrissen; seine Backen waren hohl und seine Brust eingefallen.
Er war sehr verschwiegen; die Mutter wollte von seinem Ergehen in der Zeit seiner Abwesenheit wissen, aber er sah sie, auf alle Fragen, nur stumm und finster an. Zuletzt, als sie das Fragen nicht ließ, wurde er heftig, da wollte sie ihn doch nicht ärgern und unterdrückte jedes Wort.
Die Klingel gellte jetzt wieder eifrig. Die Mägde stürmten an; in den ersten acht Tagen glich der Reschkesche Keller einem Taubenschlag – raus – rein. Jede wollte Arthur sehen, und alle kamen darin überein, daß er etwas sehr Interessantes an sich habe, etwas ganz besonders Anziehendes mit seinem blassen Gesicht und dem melancholischen Blick. Der könnte erzählen, wenn der nur wollte!
Arthurs Gesundheit war nicht besser geworden; zu schwerer Arbeit war er nicht tauglich. Mutter Reschke war lange nicht so glücklich gewesen, als da er, wegen allgemeiner Körperschwäche, vom Militär frei kam. So übernahm er denn das bisherige Amt des alten Reschke, führte die Bücher, goß Wasser über das Gemüse, war hier ein bißchen, da ein bißchen und ruhte sich meistens aus.
Heute hatte der Händler die ersten Musäpfel an Frau Reschke geliefert; die waren so schön, die konnte man dreist als feine Eßäpfel, Gravensteiner oder Goldparmänen weiter verhökern. So wurde Arthur denn angestellt, mit einem ölgefeuchteten Lappen Stück für Stück glänzend zu reiben.
Er saß vorn im Laden, eine blaue Schürze seiner Mutter vorm Leib. Es ging auf zwölf, jetzt erschien niemand mehr. Doch horch, ein schwerer Tritt kam die Treppe herunter! Tapp, tapp – langsam und bedächtig. Die Klingel schrillte und gellte anhaltend; so überlaut hatte sie kaum je gezetert.
Unterm Eingang erschien eine große Gestalt, die ein Kind auf dem Arm trug.
Arthur sprang auf, daß die Äpfel von seinem Schoß bis in die entferntesten Winkel kollerten – – das war Mine!
»Tag, Arthur,« sagte sie ruhig und streckte ihm die Hand hin.
Er stand wie gelähmt. Eine unangenehme Empfindung schnürte ihm die Kehle zu. Starr sah er sie an, dann schlug er, indem eine plötzliche Röte sein Gesicht überflog, die Augen nieder.
Sie wurde nicht blaß und nicht rot. Kein Wechsel zeigte sich in ihren Zügen, nur, als sie ihm das Kind wies, schimmerte etwas wie Freude auf ihrem Gesicht.
»Arthur, das is das kleene Mädel!«
Er machte eine unwillkürliche Bewegung, wollte ihr die Hand reichen und zog sie doch wieder scheu zurück; ein Ausdruck großen Unbehagens kam in seine Miene.
» Unser kleenes Mädel,« sagte sie wieder. Seine Stummheit irritierte sie weiter nicht, mit einem Schwung setzte sie ihm das Kind auf den Arm; er mußte zugreifen, sonst wäre es gefallen.
»Wie heißt – se – denn?« stotterte er.
Er sagte nichts, sie auch nicht; stumm standen sie sich jetzt gegenüber. Das Kind sah mit runden Augen von einem zum andern.
»Kuck, Fridchen, dein Pappa,« sprach Mine dann leiser; zärtlich tupfte sie die Kleine aufs Bäckchen. »Siehste, dein Pappa?!«
Arthur zuckte zusammen. Ganz vertraulich zerrte ihn das dumme Ding am Schnurrbart.
Mines Gesicht veränderte sich jetzt plötzlich, es wurde gramvoll; schwer legte sie dem jungen Manne ihre Hand auf den Arm. »Arthur, 's Mädel weeß nich wohin, rumstoßen lassen wollen wer'sch doch nich in der Welt, was?« Forschend sah sie ihm in die Augen; er suchte den Blick zu vermeiden, aber, offen und gerade, hielt ihn der ihrige fest.
»Was willste denn? Geh weg! Laß mich in Frieden,« sagte er unwirsch, mit dem Wunsch, grob zu werden.
Sie ließ sich nicht abschrecken. »Was meenste, Arthur, was machen wer?«
»Weiß ich's?! Laß mich in Ruh! Verflucht und zugenäht, was soll ich denn?!«
»Du sollst mer heiraten,« sprach sie fest.
In diesem Moment betrat Frau Reschke den Laden. Sie überschaute die Situation mit einem Blick.
»Das Frauenzimmer?! Nanu,« schrie sie und rollte die Augen. »Un der Balg?! Was 's denn los? Wat haste denn, Athur?«
Sie stellte sich schützend, mit ausgebreiteten Armen, vor ihren Sohn, aber Mine schob sie zur Seite.
»Ich hab mit 'n Arthur was zu reden.«
»So, mit 'n Athur was zu reden,« äffte die Alte ihr nach. »Wat jeht dir der Athur an?! Kommste mer wieder uf de Pelle? Du has hier jarnischt zu suchen, verstanden?!«
Mine blieb ganz ruhig; sie beharrte dabei: »Ich muß mit 'n Arthur reden.«
»Na, denn los, los! Da bin ik aber neujierig!« Frau Reschke stemmte die Arme ein.
Mine räusperte sich; einen Augenblick schien sie unsicher zu werden, dann sagte sie klar und deutlich: »'s is zu schlecht for en Kind, wenn de Mutter en lediges Mädel is. Deswegen soll mer der Arthur heiraten.«
»Hei–raten?! Wa–wat?!« Die Reschke fiel fast in Ohnmacht. Dann schlug sie eine schrille Lache auf: »Heiraten?! Nu brate mer eener 'nen Storch, heiraten! Haha!«
»Lach nich so dämlich,« brummte Arthur.
Mine stellte sich stramm auf. »Er muß mer heiraten!«
»Muß –?! Hahahaha!« Frau Reschke lachte noch krampfhafter.
»Ja, muß,« sagte Mine. »So dumm bin ich lang nich mehr. Der Müldner hat mer'sch gesagt, der Arthur muß mer Geld geben, alle Monat – ›Allemente‹ spricht mer – bis de Fridchen vierzehn Jahr is. Un wenn er'sch nich tut, denn verklag ich'n; denn holt ihn de Pollezei. Aber ich will gar keen Geld. Heut nacht hab ich mer'sch überlegt, ich will lieber, daß er mer heirat. 's is besser for de Fridchen, wenn se 'n Vatter hat. Gelle, Arthur« – sie trat dicht an ihn heran, der noch immer das Kind steif auf dem Arm hielt, und faßte treuherzig seine Hand – »de heiratst mer? Wegen der Fridchen! Gelle?«
Arthur räusperte sich verlegen, er war heiß und rot, wie ein ertappter Schuljunge. Ohne Wort, sah er nur immer das kleine Mädchen an.
»Ja,« rief Mine eifrig, »kuck der'sch nur an, 's sieht der ganz gleich. Jeses, ne, wie de Fridchen der ähnelt!«
»Athur, laß der nich dumm machen,« schrie Mutter Reschke von der andren Seite, »det kann jede sagen. Beweise, Beweise! Du Schlemihl, ich sag der, schmeiß se raus! So 'ne Schwindlern! So 'ne Rumtreibern! So 'ne –.« Die Stimme schnappte ihr ab, mit erhobnen Armen fuhr sie auf Mine los, immer die geballten Fäuste in der Luft schüttelnd. »Sag's noch mal, daß der Athur der heiraten muß! So 'ne Ausverschümtheit! Untersteh der! Was jeht dir mein Athur an?! Raus! Raus!« Sie packte Mine am Ärmel.
»Laß man, Mutter!« Arthur zerrte die Aufgebrachte gewaltsam von Mine fort. Die Reschke ließ sich ziehen, aber ihre Fäuste blieben immer noch drohend in der Luft; sie retirierte hinter den Ladentisch, und von da aus ergoß sich der Schwall ihrer weiteren Schimpfreden.
Da gab es kein Einhalten. Noch nie hatte sich Frau Reschkes Zunge so flink gerührt. Das floß ihr wie Wasser vom Mund. Nur wenn ihr der Atem ausging, hielt sie einen Augenblick inne.
In Arthurs Gesicht zuckten die Muskeln, nervös kaute er an seinem Schnurrbart.
Mine stand ruhig, nur das wechselnde Rot und Blaß auf ihren Wangen zeigte ihre Erregung. Sie hatte hastig das Kind wieder an sich genommen; nun neigte sie ihren Kopf auf das blonde Köpfchen.
»Raus,« schrie die Reschke und spuckte aus, »mach, det'ste ihr los wirst, die Vettel!«
Mit einem großen Schritt trat Mine plötzlich an den Ladentisch, gerade der Wütenden gegenüber. »Er wird mer nich los.« Sie stützte die freie Hand auf den Ladentisch und erwiderte furchtlos den Blick der funkelnden Augen. »Halten Se Ihren Mund! Se machen mer doch nich bange; ich hab schon so viel mitgemacht, daß ich mer vor nischt mehr fürchte. Dazumal haben Se mer rausgebracht aus 'n Keller, da hab ich mer nich getraut – heut steh ich da mit de Fridchen, heut trau ich mer. Was meinen Se woll, zu meinem Pläsier bin ich nich wieder hergekommen. Gutt hab ich's nie bei Ihnen gehatt. Wissen Se noch, wie Se mer ans Waschfaß gestellt haben, gleich den erschten Tag? De ganze dreckige Wäsche mußt ich waschen. Un noch dreißig Pfennig Kostgeld zugeben. Un ich hatt Sie doch frische Eier mitgebracht, ganze fünf Mandeln! Jawoll. Aber davon will ich jetz nich reden.« Ihre Stimme wurde weich. »Da hab ich nu das kleene Mädel, weiter nischte uf der Welt. Zu Hause haben se mer rausgeschmissen, in'n Dienst kann ich de Fridchen nich bei mer behalten – un ich will se bei mir behalten, ich muß se bei mer behalten! Rumstoßen lassen, mein Fridchen –?!« Ihre Stimme sank bis zu leisem Murmeln, ein Zug von Schmerz zog ihre Mundwinkel abwärts, ihre Lippen zitterten. »O Jeses, ne!« Sie war ganz blaß geworden; wie in tiefen Gedanken starrte sie vor sich hin.
Arthur sah die tief eingegrabenen Falten auf ihrer Stirn, und Mitleid überkam ihn.
»Gräm dich nich, Mine!« Er mußte das sagen, wenn auch die Mutter dabei stand; sein Herz wurde weich, wenn er das Kind auf ihrem Arm ansah. Sein Kind – – –! Es durchzuckte ihn plötzlich wie ein heißer Schreck; und noch etwas andres war dabei, ein ganz eigentümliches, vorher noch nie gekanntes Gefühl. Fast wider Willen streckte er die Hand aus, nahm des Kindes weiches Bäckchen zwischen zwei Finger und kniff es liebkosend. »Fridchen,« sagte er dann leise.
»Athur,« schrie Frau Reschke warnend. Und dann: »Jeh du man deiner Wege, ik wer' mit den Frauenzimmer schonst alleene fertig. Det jeht dir nischt an!«
»Mehr wie dich,« sagte er brutal.
»Aber, Arthur!« Mine zupfte ihn am Ärmel.
»Na was denn?« murrte er. »Wär die Olle nich jewesen, wär alles anders jekommen; besser! – Die Mine is 'ne ordentliche Person – sei still,« schrie er seiner Mutter entgegen, »ich meine, du hättst's am allerwenigsten nötig, dich mausig zu machen!«
Frau Reschke wollte auffahren.
»Sei still,« sagte er wieder, und eine heftige Erregung arbeitete in seinem blassen Gesicht. »Fangen wer da lieber nich von an. Mine, setz dich!« Er zog den Schemel herbei, auf dem er vorhin gesessen und die Äpfel blank gerieben.
Mine setzte sich. Fridchen sah begehrlich auf die Äpfel im Korb. Da gab ihr Arthur einen Apfel und sah zu, wie sie ihn verwundert in den Händchen drehte und dann mit den winzigen, weißen Zähnen daran nagte. Wie ein Eichkätzchen! Der junge Vater lächelte.
»Athur,« rief die Reschke scharf.
»Was?« Er sah sie zerstreut an, er hatte sie im Augenblick ganz vergessen gehabt.
»Wat soll denn det nu allens?«
Er gab keine Antwort; aber Mine sagte, indem sie mit dem Blick auf das Kind wies: »'s is sein Mädel. Heiraten muß er mir!«
Frau Reschkes Empörung kannte keine Grenzen; sie war nicht nur wütend über Mine, nein, auch über ihren Sohn. Der Schlemihl!
»Athur,« kreischte sie in heller Angst, »steh doch nich da wie bejossen! Laß der von die doch nich inschüchtern! Nur nich dumm machen lassen; det wollen se alle. Beweise!« Sie trommelte auf den Tisch. »Her mit de Beweise!« Und dann lachte sie höhnisch: »Ik jloobe jar nischt, ehe ik Beweise habe.«
Mine sah nach dem jungen Mann hin. »Arthur!« Es lag eine Mahnung, ein beschwörendes Erinnern in ihrem Ton. »Arthur!«
Frau Reschke beobachtete ihren Sohn scharf; der war dunkelrot geworden, Schweiß trat auf seine Stirn.
»Beweise brauch ich nich,« sagte Mine stolz. »Ich kann's beschwören. Un Herr Müldner sagt, wenn ich das kann, kriegt de Fridchen ihr Recht. Un wenn er mer nich heirat, muß er bezahlen. Der Müldner weeß das, der is ganz was Hohes bei's Gericht. Un wenn Arthur nischt hat, um zu bezahlen, denn kommen seine Eltern ran. Ja,« schloß sie triumphierend, als sie das Erschrecken der Reschke sah. »Un ich laß nich nach. Und wenn ich klagen muß!«
Das war nicht mehr die dumme Mine von früher! Sie hatte sich vom Schemel erhoben, hochaufgerichtet stand sie da; wie um ihrer Rede mehr Nachdruck zu verleihen, stampfte ihr Fuß bei jedem Satz kräftig auf den Boden.
Frau Reschke wurde ganz kleinlaut – das sollte fehlen, auch noch bezahlen?! Und der Skandal! Sie duckte sich förmlich. »Athur,« flüsterte sie scheu ihrem Sohn zu, »wie is't denn nu, wirste ihr denn doch an Ende nich lieber anerkennen?«
»Das wer' ich wohl müssen.« Die Linien seines jugendlichen Gesichts verschärften sich plötzlich; schon grub sich eine tiefe Sorgenfalte auf seiner Stirn ein.
»Das glaub ich ooch,« sagte Mine ruhig. Sie gab Arthur die Hand: »Na denn, Arthur!« Und dann reichte sie ihm Fridchen zum Kuß.
Als jetzt Reschke in der Glastür erschien, flammte Frau Reschke noch einmal auf. Sie konnte es nicht fassen – ihr Arthur wirklich die Mine heiraten?! Schuldige und Unschuldige überschüttete sie mit ihren Vorwürfen, schrie und lamentierte, griff sich in die Haare und klagte Gott und die Welt an. Zuletzt rief sie ihren gänzlich verdutzten Mann um Beistand an.
Aber der hatte heute seinen dösigsten Tag. Erst hatte er Mine nicht erkannt; als er sie dann, die Hand wie einen Schirm über die Augen legend, lange genug angeblinzelt, freute er sich, die Nichte wiederzusehen. Er schien ganz vergessen zu haben, was sie getrennt.
»Haste jehört, Mine,« sagte er und zog sie vertraulich am Ärmel, »unsre Trude is weg!«