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48.
Der Zauberkiesel von Walkenried.

Soldaten aus dem Regiment Scharfenberg, das unter Wallenstein stand, kamen dort vorüber gezogen, wo jetzt nur noch traurige Trümmer des einst so stolzen Klosters zu Walkenried stehen. Das Kloster war damals auch schon wüst und verlassen, aber noch in allen Grundmauern und Sälen wohl erhalten. Von weitem schon hörten sie ein markerschütterndes Schreien und eilten dorthin, woher es kam. Sie fanden in einem großen Saal einen Mann, dessen Haarschopf wie von einem Sturm gepeitscht, senkrecht zur Decke stand, während er zwischen Decke und Diele schwebte. Am Fußboden lag eine Wünschelrute, und die Soldaten errieten leicht, daß der Mann damit hier etwas vorgehabt hatte und dabei einem Zauberspuk verfallen war. An manche merkwürdigen Begebenheiten gewohnt, faßten sie sich rasch ein Herz und riefen den Sonderling in seiner kuriosen Lage an: »Sagt, Herr Magister, oder was sonst Eures Zeichens ist – wollt Ihr mit dem Kopf durch die Decke und auf diesem Wege in den Himmel kommen, so macht Ihr einen unnötigen Umweg; Ihr könnt es kürzer und billiger haben, wenn Ihr Euch unseren zärtlichen Händen anvertraut.« Es mag sein, daß die frisch zupackende Art der Marsjünger den Bann gebrochen hatte, unter dem der schwebende Mann stand, denn er plumpste plötzlich hin und saß sprachlos vor seinen Befreiern. Erst allmählich fand er Worte, zu erklären, was ihn hierher geführt habe. Ganz wie die Soldaten vermuteten, hatte ihn das offene Geheimnis von den in diesem Saale angeblich verborgenen Schätzen hierher gelockt. Vermutlich aber beherrschte er nicht die zu ihrer Hebung nötigen Sprüche, und die Soldaten hatten, durch das warnende Exempel abgeschreckt, auch keine Neigung, weitere Experimente zu unternehmen.

 

Der vermeintliche Magister gestand, der Bürgermeister von Walkenried zu sein und lud, da ihm die Scharfenberger gefällig waren, diese zu einem in jenen Zeiten schon sehr raren guten Trunk zu sich in sein Haus ein. Der Bürgermeister hatte als einzige Hausgenossin ein altes Weib, das angab, seine Urgroßmutter zu sein, obgleich er selbst schon ein bejahrter Mann war. Und diese Alte hatte auch Schuld daran, daß ihr angeblicher Urenkel den gewagten Versuch zur Hebung des Walkenrieder Schatzes unternommen hatte. »Denn,« so erzählte sie, »mein eigener Großvater war noch einst Schüler im Kloster drüben, als sich eine sonderbare Begebenheit abgespielt hat. Es geschah damals, daß einer der Scholaren, die in dem Zaubersaal zum Unterricht versammelt waren, in einer Ecke, wohin er sich in lustigem Raufen mit anderen geflüchtet hatte, rief, hier bringe ihn der leibhaftige Satan nicht mehr weg. Da hatte er gefühlt, als faßten ihn gierige Krallenfinger an den Füßen und hielten ihn mit saugender Kraft am Fußboden fest. Zur gleichen Zeit war der Rektor eingetreten mit der Wirkung, daß die Schüler alle eiligst ihren Platz einnahmen. Nicht so der verwegene Teufelsbeschwörer, der dem erzürnten Präzeptor seine hilflose Lage und ihre Ursachen eingestand. Dieser sagte zu Damius (so hieß der Schüler), er solle um sich schauen, ob an der Wand Zauberzeichen zu lesen wären. Der Schüler meldete, daß er griechische Schrift an der Wand nach Osten und merkwürdige Zeichen an der Südwand entdecken könne. Er mußte sie dem Rektor erklären, der daraus entnahm, daß an dieser Stelle ein Schatz verborgen sei. Nun konnte Damius sich wieder frei aus dem Zauberkreise heraus bewegen. Als die Schüler den Raum verlassen hatten, ging der Rektor allein in die merkwürdige Ecke und hob die Steinfliesen ab. Mit dem Spaten grub er in die Tiefe und legte ein steinernes Gefäß frei, das mit lauter Talern ungefüllt war. Damius aber hatte ihn belauscht und verriet sich durch einen unvorsichtigen Schritt dermaßen, daß der Rektor entsetzt herumfuhr. Als er nun den Schüler als eigentlichen Entdecker und Mitwisser an dem Fund beteiligen wollte, zeigte sich, daß in der Kiste nicht Taler, sondern Kieselsteine lagen. Damius aber hatte einen davon in die Tasche gesteckt und zeitlebens gut aufbewahrt. In den Kiesel waren Zeichen gegraben, die er nicht entziffern konnte, aber für bedeutend genug hielt, den Kiesel weiter zu vererben.« Einer der Soldaten schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, daß die Trinkbecher sprangen, und verlangte den Kiesel zu sehen.

»Und nun,« sagte die Alte mit listigem Lächeln, indem sie den Kieselstein vorsichtig unter der Schürze hervorzog, »habe ich Kinder und Kindeskinder gehabt, und keines vermochte die Zeichen zu lesen. Dieser aber,« und sie wies auf den Bürgermeister, »hat das Zeug dazu, denn er hat es auf der Schule gelernt. Indessen sind die Zeichen verblaßt und keiner wird wohl den brauchbaren Schlüssel jemals finden.«

Aus Anerkennung, daß die Soldaten ihren Enkel aus der schweren Lage befreit hatten, schenkte die Alte diesen den Stein, die sich mit höflichem Danke eiligst entfernten. Um des Geschenkes wegen keinen Streit unter sich aufkommen zu lassen, einigten sie sich darauf, den Kiesel in den nächsten Tümpel zu werfen. Fröhlich schlugen sie an ihre Waffen, denn sie kannten den Schlüssel zu allen Schätzen der Erde besser. In der nächsten Schänke, wo sie auf das Ereignis einen tüchtigen Humpen schwangen, erzählten sie diese Geschichte, die jetzt noch in des Volkes Munde lebt.

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