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19.
Der Nonnenspuk am Bleicheplatz.

(Bei Blankenburg.)

Nördlich von Blankenburg in der Nähe des jetzigen Bleicheplatzes, ist es nicht geheuer. Wo vor vielen Hundert Jahren ein Kloster stand, spuken jetzt noch die Nonnen zu nächtlicher Stunde und führen seltsame Reigen auf um zwei uralte, mächtige Linden, die allein übrig geblieben sind von dem Kloster und seinen sündigen Bewohnerinnen. Am ärgsten aber hat der Fluch des Himmels die Äbtissin getroffen, die den Untergang des Klosters verschuldet hat.

Der Graf von Blankenburg war ein sittenstrenger, frommer Mann, der seine Tochter Lina im gleichen Sinne zu einer schönen, gottgefälligen Jungfrau erzogen hatte. Das Mädchen hatte zu allen guten Gaben auch ein treues und züchtes glühendes Herz im Leib, dessen es bewußt wurde, als ihm der edle Jüngling Landor in höfischem Spiel begegnet war. Die Liebenden hatten sich einander heimlich versprochen und warteten in banger Hoffnung auf die Genesung des Grafen, der an einer schweren Krankheit darnieder lag. Mit liebevollen Händen pflegte Lina den Vater und betete um seine Gesundheit; oft war sie nahe daran, ihr Herzensgeheimnis zu gestehen, doch immer fehlte ihr der Mut dazu.

Der Graf sah sein Kind wohlgefällig an und dankte dem Schöpfer für alle Gnade und Huld und gelobte insgeheim, seine Tochter einem Kloster zu weihen, wenn ihm seine volle Gesundheit zurückkehre.

Und so geschah es, daß sich die Liebenden an dem Tage, da Landor auf der Blankenburg dem Grafen gegenübertrat, die Tochter von ihm zu erbitten, zum erstenmal vor dem Vater, zum letztenmal mit sich allein fanden. Unter schweren Kämpfen und heißen Tränen riß Lina ihr Herz von dem des Geliebten und ging in's Kloster, das Gelübde des Vaters zu erfüllen.

Die Äbtissin des Klosters aber war eine gar böse Frau, die mit ihren Nonnen einen liederlichen Lebenswandel führte. Davon drang jedoch niemals eine Kunde über die Mauern des frommen Hauses, weil alle Insassen an den Ausschweifungen beteiligt waren und die Äbtissin im Verkehr mit der Außenwelt die gottesfürchtigste Miene zur Schau trug. Lina ward der Heuchlerin bald zum Dorn im Auge, da die neue Himmelsbraut aus ihrem Abscheu gegen das sittenlose Leben keinen Hehl machte und nicht einmal mit Blicken oder Worten teil daran nahm. Deshalb beschloß die Äbtissin, die von Landors Liebe wußte, des Mädchens Verderben und ließ dem jungen Ritter erlogene Liebesbotschaft zukommen, sich auf gewissen Wegen zu bestimmter Stunde in den Klostergarten zu begeben.

Es war am Tage nach der Einkleidung, als die Äbtissin der jungen Nonne den Klostergarten zum Lustwandeln empfahl, sich selbst aber sogleich zurückzog und mit den Schwestern des Hauses von geheimer Zinne aus sich ergötzte, wie sich Landor und Lina trafen, erst bestürzt auseinander fuhren, dann vom Bann der Herzen hingerissen in die Arme sanken, sich seelig umschlungen hielten und bald unter Tränen und heißen Küssen ganz vergaßen. Das war der Augenblick, auf den die Falsche gewartet hatte, um die unliebsame Widerstrebende aus der Welt zu schaffen. Denn auf diesem Bruch der Keuschheitspflicht stand nach damaligem Gesetz der Tod durch Einmauern.

Als nun die Äbtissin mit den Nonnen in den Garten eilte, die schöne Sünderin vor Zeugen zu ertappen, wälzten sich schon schwere Gewitterwolken heran. In ihrer Not schrie Lina zum Himmel um Gnade und Hilfe. Da fuhren zwei gewaltige Blitze herab, von denen einer die beiden Liebenden erschlug, der andre in das Kloster fuhr, daß es mit Hof und Garten, samt Nonnen und Äbtissin ein Raub rasender Flammen ward. Alle starben einen schrecklichen qualvollen Feuertod und verbrannten bis zur Unkenntlichkeit. Nur Lina und Landor lagen in seeligem Tod unversehrt, mit einem Lächeln der Erlösung auf den Lippen.

Wo sie nebeneinander gestorben und begraben sind, da wuchsen die beiden Linden, danach der Ort »das Grab unter den Linden« heißt.

Um ihrer Falschheit willen ward die Äbtissin in eine Schlange verwandelt, die alle sieben Jahre wiederkommt und in den Linden auf und nieder klettert. Dann stehen auch die Geister der Nonnen auf und tanzen den Reigen der bösen Lust auf dem mondnächtigen Platz, über den das Rauschen der Lindenbäume schwebt.

* * *


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