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41.
Die Braut auf dem Hahnenklee.

(Bei Andreasberg.)

Vom Oderteich zieht sich am felsigen Gebirge entlang der Rehberger Graben, der bis nach Andreasberg reicht. Der schönste und größte der Felszacken heißt der Hahnenklee und hat im Volksmunde eine besondere Bedeutung bekommen, seit die Haulemutter, das ist Frau Holle, die Mädchen dort belehrt hat, wie sie bald zu einem guten Manne kommen werden.

An einem Sonntag nachmittag gingen drei Freundinnen in der Nähe des Hahnenklee spazieren und malten sich gegenseitig ihre Zukunft aus. Selbstverständlich standen im Mittelpunkt der Betrachtungen die Männer, was den Mädchen umso weniger verargt werden kann, als sie hübsche und kräftige Frauensleute waren und in den besten Jugendjahren standen, übrigens waren alle drei verlobt und sprachen somit fast nur von ihrem Bräutigam. Dabei versuchte eine der anderen die eigene Hochzeit als möglichst bald zu erwartendes Ereignis hinzustellen, worüber sich schnell ein ebenso heiter als laut und lebhaft geführter Zungenkampf entwickelte, der mit Schall und Widerhall das sonst so friedliche Tal erfüllte. Da tauchte plötzlich über den Tannen ein Weibsgesicht auf, das in seiner Größe und Urwüchsigkeit jedem Schrecken eingeflößt hätte, der nicht die gütigen und klugen Augen darin als Beruhigung, ja sogar als Trost und Zuversicht zu lesen vermochte. Dieses Naturweib war Frau Holle und sagte den Mädchen, welche von ihnen diese Nacht zwischen elf und zwölf Uhr auf dem Hahnenklee wäre und ihn sauber scheuerte, die sollte ihren Bräutigam bald haben. Dann verschwand sie sogleich wieder. Die Mädchen waren ganz still geworden und gingen langsam nach Hause, verabredeten aber untereinander, abends wieder zusammen zu kommen, um dem Rat der Haulemutter zu folgen.

So trafen sie sich wieder am Abend, um nach dem Hahnenklee zu gehen. Aber die eine kehrte vorher schon um und ging auf den Tanzboden, die andre ging noch den halben Weg mit, dann dachte sie, es möchte doch schöner sein, noch ein Stündchen mit dem Liebsten zu plaudern, als den alten, harten Hahnenklee zu scheuern, und ging auch wieder zurück. Nur das dritte Mädchen ging entschlossen hinauf und traf auch bald Frau Holle, die ihr sagte: »Das ist brav, meine Tochter, Wort zu halten, wenn es um eine harte hausfrauliche Pflicht geht, darum werde ich auch mein Wort halten. Die anderen beiden werden niemals heiraten, doch du wirst bald Hochzeit feiern.« Bald darauf durfte das Mädchen schon wieder nach Hause gehen und war sehr glücklich über das Erfahrene.

Und die Zukunft gab dem Spruch der Frau Holle recht. Bald kam des ersten Mädchens Bräutigam im Bergbau um, während der des zweiten als Soldat sein Leben auf dem Schlachtfeld ließ. Die dritte Braut aber hielt fröhliche Hochzeit und bekam noch von ihrer Beschützerin über den Ofen weg ein schönes Geschenk, als die Hochzeitsgäste beim bescheidenen Schmause saßen. Es war eine silberne Wiege, die angefüllt war mit lauter blanken Sechsgroschenstücken womit das junge Paar seinen Haushalt gut anfing und auch wacker vorwärtskam. Zeit ihres Lebens waren die Menschen in Glück und Frieden zusammen.

Wenn nun in Andreasberg ein Mädchen keinen Mann bekommt, heißt es: »Sie muß den Hahnenklee scheuern.« Und dort, wo zwischen zwei Stuben ein Ofen steht, daß man darüber schauen kann, sagt man: »Pst! leise, Frau Holle horcht!«

* * *


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